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E-Book

E-Book, Deutsch, 162 Seiten

Keller Babybuddha

Das erste Jahr mit unserem Kind

E-Book, Deutsch, 162 Seiten

ISBN: 978-3-446-25239-4
Verlag: Carl Hanser
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



"Der Anfang ist vollkommen." So beginnt Bernhard Kellers Tagebuch des ersten Jahres mit Kind. Voller Staunen, Humor und Demut nähert er sich dem Baby, "diesem kleinsten und unauffälligsten aller Meister", und in seinen ganz persönlichen täglichen Aufzeichnungen scheint ein allgemeines Wunder auf: Die Begegnung eines neuen Lebens mit der Welt. Für die Freude, die Erkenntnisse und Zweifel, die sich daraus – nicht nur für Eltern – ergeben, hat Keller eine so klare wie poetische Sprache gefunden. Eine Einladung, sich dem Leben unverstellt zu öffnen.
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Weitere Infos & Material


1
Der Anfang ist vollkommen. Wie könnte er anders sein? 3. März 2015 2
Eben war es noch nicht da. (Was eben war, ist nicht mehr da. Aber es ist auch nicht fort. Der eine Moment ohne Baby hat sich nicht in den anderen Moment mit Baby verwandelt.) Jetzt ist es da. Es ist da. Das Baby ist da. Ungeheuerlich, obwohl es alles andere als ein Ungeheuer ist. Rührung. Tränen der Erschöpfung, Freude, Erschütterung. Lückenloser Ernst, ein Bad, in das man getaucht wird über den Schopf hinaus. Ernst der Erleichterung: Dort liegt sie, die Wahrheit, und will berührt werden. 4. März 2015 3
Der richtige Augenblick hinzuknien, um sich dann zu voller Größe aufzurichten. 5. März 2015 4
Ab nun wird dem Baby gefolgt und gehorcht. Die Entscheidung, die man trifft, ist schon gefallen. Mir (uns) ist ein Lehrer geboren. Was für ein Glück, auf einen von Anfang an ungeduldigen Lehrer zu treffen. Der überdies nichts weiß. Mit ihm gibt es keinen Handel. Nichts, was es zu lernen gibt, duldet Aufschub, es geht sofort los. Dem Baby ist es ernst mit allem (mit mir, mit uns). Es riecht gut. 6. März 2015 5
Zuhause. Etwas klärt sich auf mit dem Einzug des Babys. Es füllt nicht nur den Raum aus, der sein kleiner Körper ist. Es ist in der ganzen Wohnung anwesend. Im ganzen Haus. Auf der Straße vor dem Haus. Im Viertel. In der Stadt. Im Land. (Überall, wo wir sind.) Es kann das, weil es den Raum nicht einnimmt. Ihm fehlt jedes Kriegerische. Grenzen sind ihm egal. Es kommt aus dem Wasser. Dasein ist flüssig. So bringt das Baby mir (uns) etwas bei: im eigenen Körper über sich selbst hinauszuwachsen. Wir erinnern uns. Dies ist Berührung. 7. März 2015 6
Der Alltag. Babybestimmt. Sinnlos, dagegen zu protestieren. Nicht nur, weil es diese Möglichkeit überhaupt nicht gibt. Wir wollen dem Baby folgen, und jeder kleinste Widerstand, der in uns auftaucht, bestätigt uns darin. Keinen Ausweg suchen noch finden aus den alltäglichen Verrichtungen – eine Übung, die uns lange gefehlt hat. Ihre Wiederholung gibt uns den Weg vor. Nächtliches Erwachen, frühes Aufstehen, Nährling sein, Entkleiden, Wickeln, Ankleiden, schweigsames Schauen und Horchen. Immer wieder: das Tragen des Babys, sorgsam und selbstverständlich. 8. März 2015 7
Die Umkehrung. Nicht wir sind die, die umsorgen, wir sind es, die umsorgt werden. Die größte Sorge des Babys gilt unserer Aufmerksamkeit. Wir sind aus Gewohnheit unaufmerksam. Das Baby hat uns gefunden, um uns darauf aufmerksam zu machen. Es fordert unsere ungeteilte Aufmerksamkeit, es will uns wach, nicht schläfrig. Ausgerechnet jetzt, da es unseren Schlaf durcheinanderbringt. Wir gehorchen dem Baby und eine unbekannte Art von Müdigkeit ergreift uns. Wir begreifen (vorläufig): Was wir bisher für unsere Wachheit hielten, war die Fortsetzung unseres Schlafs. 9. März 2015 8
Wir wollen gut sein. Schnell gut sein. Sofort gut sein. Ständig gut sein. Das Baby stachelt unseren Ehrgeiz an. Und unser Ehrgeiz lässt uns hoffen: wir werden unser Ziel erreichen: das Gedeihen unseres Kindes. Doch unsere Übereilung beruht auf einem Missverständnis. Sie könnte zu unserem größten Versäumnis werden. Das Baby weiß, was wir jetzt brauchen. Die Wiederholung. Die Wiederholung. Die Wiederholung. 10. März 2015 9
Jäher Schrecken: das Baby gehört mir (uns) nicht. Es gehört niemandem. Vom Wunsch, zu besitzen, befreit mich (uns) das Baby durch unwiderrufliches Sein. Was es selbst angeht, will es mich (dich) als Besitzlosen. Was ist, kann unmöglich besessen werden. Was nicht bedeutet, dass das, was ist, nicht selbst besitzen kann. Ja, wir gehören dem Baby! Eine Frage: Ist es leichter oder schwieriger, sich um etwas (oder jemand) zu sorgen, das (der) einem nicht gehört, als um etwas (oder jemand), das (der) einem gehört? Die Antwort: das Schlafgesicht des Babys. 11. März 2015 10
Wer bist du, Baby? Wer bist du Fremder? Tatsächlich können wir ohne die Beantwortung dieser Frage leben. Ohne Widerwillen und Angst mit jemandem zusammenleben, den wir nicht kennen. Sonst fremdeln wir doch immer. Doch gibt es keinen Zweifel am Charakter des Babys. Wie es keinen Zweifel an dieser kleinen Hand gibt, die sich gerade rührt. Fest glauben wir, die fremde Babyhand zeigt uns ein Zuhause. 12. März 2015 11
Der Widerwille von früher dem Lehrer gegenüber, Skepsis, Neid, sogar Misstrauen sind verschwunden. Als hätte es sie nie gegeben. Und das Vertrauen von einst, die blinde Folgsamkeit, der Wunsch nach Einigkeit, sogar Euphorie in der Zustimmung, erweisen sich in der Rückschau als unbeseelter Glaube. Der Dank gilt dem Baby und der Herrlichkeit seines Verzichts auf das Schwallen der Worte. Einzelne Laute genügen völlig zur Belehrung. Wie viel mehr der Schrei. 13. März 2015 12
Die Verkennung der eigenen Größe ist ein hartnäckiger Irrtum. Mit Argumenten lässt er sich nicht korrigieren. Er ist tiefer als der Glaube an Gott. Nur ein Gott kann ihn heilen. Der Fuß eines Gottes. Der Fuß eines Babys. Fuß neben Fuß. Babyfuß neben Erwachsenenfuß. Größe bestaunen. Später, als der Babyfuß wieder verpackt ist und der eigene Fuß über die Sofalehne hinausragt, schwindelt uns: wir sind so klein. Wir vergessen unsere Kleinheit nur zu gern. Nicht in mangelnder Größe liegt unsere Beschränktheit – uns fehlt das Gedächtnis. 14. März 2015 13
Störenfried und Unruhestifter. Täglich und nächtlich. Ohne Nachsicht und Rücksicht. Dachte man eben noch, man kennt das Leben, lernt man es jetzt kennen (auch darin täuscht man sich). Die Zweisamkeitseinsamkeit war die Voraussetzung und der Übergang in diese Folter, deren Antlitz sich gerne gleichgültig gibt. Was wäre das Leben ohne nachhaltiges Leiden? Nicht arm, nicht reich (noch eine Täuschung). 15. März 2015 14
An diesen Moment wirst du dich nicht erinnern. (Möglich, dass dir gerade das erste Mal die Fingernägel geschnitten werden.) Du beweist, man kann ohne Erinnerung existieren. Ganz und gar da sein, ohne zu wissen, was jetzt ist, was eben war. Warum zeigst du uns das? Ach, du zeigst uns gar nichts, beweist nichts, lässt uns denken, was immer wir wollen. Gütiges Baby, wer bist du? 16. März 2015 15
Du bist immer da. Bist kein Lehrer, der sich aus dem Staub macht. Sich drückt. Oder duckt. Keiner des Verschwindens. Du bist sichtbar. Hörbar. Tastbar. Spürbar. Dein Geruch unterscheidet dich von allen bekannten Lehrern. Der Geruch: ein Lehrer, der sich einatmen lässt. Und wieder ausatmen. Ohne Rest. Wer will den Lehrer jetzt noch das Unsagbare sagen hören? 17. März 2015 16
Meine Überzeugung, das, was ich rede, macht Sinn, ist groß. Ich bin sehr von mir eingenommen. Zu recht. Ich gebe mir wirklich Mühe. Unsinn rede ich nur absichtlich. Das Baby hört mir zu, gleich welches Thema ich anschneide. Manchmal erwidert es etwas, das ich nicht verstehe. Oder es verzieht seine Lippen. Oder verdreht die Hand. Jedenfalls macht es nie etwas, das unser Gespräch beeinträchtigt. Wenn du schweigst, sage ich zu ihm, schweigst du gar nicht. Wenn du diesen Laut wie eben machst, machst du gar keinen Laut. Deine Sprache ist die Sprache deines Körpers. Ich meine, da ist etwas ungetrennt, was bei mir irgendwie getrennt ist. Ich kann reden, als hätte ich gar keinen Körper, als könnte ich ohne meinen Körper reden. Mein reden ist wie denken. Ich denke nur, dass ich rede. Hier unterbricht mich das Baby. Sieht zur Seite. Ich sehe auch zur Seite. 18. März 2015 17
Alles, was geschieht, geschieht spontan. Erweckt das Baby den Anschein zu überlegen, lassen wir uns sofort verleiten, das Gegenteil zu glauben. Hinter jeder Regung, besonders hinter jeder Bewegung des Auges, jedem Blick, besonders, wenn er uns trifft, vermuten wir etwas Verborgenes, ein Geheimnis, einen Zusammenhang (am liebsten Liebe). Strahlt uns Freude entgegen, fließen wir über. Hören wir Geschrei, überfällt uns Unruhe. Die Geduld des Babys ist unergründlich. Jeden Tag übt es mit uns die Wechselhaftigkeit des Gemüts – und nährt damit doch nur unseren Unglauben an seine Spontaneität. 19. März 2015 18
Ungefragt mischt sich ein Traum ein. Er handelt von der reichen Stadt, die wir gerade besuchen. Von den Bettlern, die an jeder Straßenecke, vor jeder Passage, an den Brücken und vor den Kirchen hocken. Die Bettler ähneln sich stark, selbst die weiblichen und männlichen sind kaum zu unterscheiden. Sie tragen ein Bild ihrer Familie bei sich, aus der Heimat. Ein Styroporbecher aus einem Coffeeshop steht vor ihnen auf dem Asphalt. Sie grüßen die Vorübergehenden mit den gleichen Worten, wünschen ihnen und ihren Kindern alles Gute und winken mit der Hand. Da entwischt uns das Baby. Schnell und flink wie ein Fisch gleitet es durch die Gassen. Aus unseren Geldbörsen gibt es jedem Bettler in seinen Becher. Wir hetzen hinterher, bekommen es aber nicht zu fassen. Bald haben wir die ganze Stadt durchquert, aber das Baby gibt keine Ruhe, bis auch unsere letzte Münze verbraucht ist. Da dreht sich das Baby um und sieht uns an. Es zuckt mit den Schultern und legt sich dem nächsten Bettler an die Brust. Der umfasst es wie sein eigenes...


Keller, Bernhard
Bernhard Keller lebt als Autor mit seiner Familie in München. Zuletzt erschien bei S. Fischer sein Roman "Spiel im Dunkeln".

Bernhard Keller lebt als Autor mit seiner Familie in München. Zuletzt erschien bei S. Fischer sein Roman "Spiel im Dunkeln".


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