Kizilhan | Dilan - Ein Wimpernschlag für die Ewigkeit | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 252 Seiten

Kizilhan Dilan - Ein Wimpernschlag für die Ewigkeit

Eine lesbische Muslime kämpft gegen den IS

E-Book, Deutsch, 252 Seiten

ISBN: 978-3-99064-817-9
Verlag: novum pro Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Dilan ist Kurdin. Sie wächst in der Türkei auf, wo die Unterdrückung gegen ihr Volk und der Krieg der IS herrschen. Ihr großer Bruder zieht für die PKK in den Krieg und kämpft gegen die Islamisten - dadurch und durch viele Geschichten ihres Vaters und der Älteren im Dorf erfährt sie viel über die Unterdrückung der Bevölkerung, Vertreibung, Verwüstung, Folter und Krieg.
Als Dilan realisiert, dass sie Frauen liebt, wachsen Wut und Widerstand in ihr, da ihre Gemeinschaft verbietet, gleichgeschlechtliche Menschen zu lieben.
Dilan entscheidet sich, sich als kurdische Freiheitskämpferin der Fraueneinheit LGBTIQ anzuschließen und gegen den Daesh in den Heiligen Krieg zu ziehen und für die Freiheit und die Rechte ihrer Gemeinschaft zu kämpfen. Doch der Heilige Krieg und die Daesh-Kämpfer sind erbarmungslos …
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Der Student, der dem IS
entfliehen konnte
Die Nacht verging schnell und am nächsten Tag musste ich um 09.00 Uhr an der Universität meine Studierenden unterrichten. Ich war noch gefesselt von der möglichen Geschichte Dilans. Was könnte ich durch die Erlebnisse lernen, was hat sie erlebt und wie geht sie mit diesen Erinnerungen um?
Aber jetzt stand ich vor 28 Studierenden, die ebenfalls persönlich betroffen waren von dem Krieg gegen den Daesh. Jeder von ihnen war direkt oder indirekt davon betroffen. Die jesidischen und christlichen Studierenden waren unmittelbar selbst betroffen oder hatten Verwandte, die in Gefangenschaft waren, fliehen mussten oder ermordet worden waren. Die Männer von einigen Studentinnen kämpften als kurdische Soldaten, als Peshmerga an der Front gegen den Daesh und hatten ständig Angst, dass ihre Liebsten nicht mehr heimkommen würden. Andere arbeiteten bereits als Psychologen in den Flüchtlingscamps oder Krankenhäusern und waren ständig in Kontakt mit den Überlebenden und hörten tagtäglich unerträgliche Geschichten von Terror und Grausamkeit.
Shero hatte gerade noch die Flucht vor dem Daesh geschafft als sie im August 2014 in die Stadt Shingal einmarschierten. Er war gerade mit seinem Psychologiestudium in Mosul fertig geworden und wollte Schulpsychologe werden. Er hatte sein Leben noch vor sich.
„Was ist ein Trauma und wie kann es ausgelöst werden?“, fragte ich die Studierenden. Es meldeten sich einige Studierende, einige sagten fast im Chor „Krieg löst es aus“.
„Tatsächlich?“, fragte ich und fügte hinzu, „also jeder, der Krieg erlebt, ist traumatisiert?“
Samir, einer der sich immer meldete, sprach, ohne aufgefordert zu werden: „Nein, das nicht, aber es kann dazu führen, dass einige traumatisiert werden.“ Ich wollte auf die Statistiken eingehen und ausführen, dass ca. 50 Prozent aus den Kriegsgebieten nicht traumatisiert werden, aber die andere Hälfte schon. Dies hängt sehr häufig von den persönlichen Einstellungen, der Schwere des Traumaereignisses, dem Umgang mit diesem Ereignis und der sozialen Unterstützung zusammen. Da sah ich aber, dass Shero sich meldete und unterbrach mich selbst, weil mich interessierte, was er ganz persönlich zu dem Thema beizutragen hatte. Ich wollte von den Studierenden wissen, wie sie unmittelbar vom Krieg betroffen sind und wie sie damit umgingen. „Ich habe den Daesh-Kämpfern in die Augen gesehen. Sie waren voller Hass. Kaum hatten sie meine Familie und mich gesehen, da zeigte einer von ihnen auf meine 14-jährige Schwester und sagte: Die gehört mir, nachher lege ich sie flach.“ Voller Scham blickte Shero nach unten, legte eine Pause ein und schaute mich fragend in die Augen. Ich signalisierte ihm, dass er weiterreden sollte. Die Studierenden waren plötzlich still, nichts war mehr von ihnen zu hören. Die einen schauten aus dem Fenster nach draußen, die anderen saßen mit gesenkten Köpfen da, sie wollten niemandem in die Augen schauen. Ich sah ihre Trauer und ihre Traumata von Hilflosigkeit, Scham und Furcht.
„Wir mussten wieder in unsere Wohnung und unsere Namen wurden aufgeschrieben. Meine Schwester versteckte sich hinter meinem Vater und hatte Angst, mitgenommen zu werden. Ich war ärgerlich, wütend und hilflos, da wir uns nicht wehren konnten. Mein Vater versuchte ruhig zu bleiben, sprach mit ihnen und sagte: „Ihr könnt alles haben, Geld, Schmuck, alles was wir haben.“
Der Daesh-Kämpfer lachte: „Es gehört sowieso alles dem Islamischen Staat. Auch ihr gehört jetzt uns.“
Er schien belesen zu sein und hat nicht zugelassen, dass wir geschlagen werden. Die Männer hinter ihm schauten uns böse und dreckig an. Ich wusste, dass sie nichts Gutes im Schilde führten.
Ich bin der Älteste von meinen fünf Geschwistern und versuchte sie mit meiner Mutter gemeinsam zu umarmen, um sie zu schützen und ihnen das Gefühl zu geben, dass sie keine Angst zu haben brauchten, auch wenn selbst meine Kehle vor Panik zugeschnürt war. Es war die Verzweiflung, die mich dazu trieb, meine kleine Schwester festzuhalten, ihren Körper und ihr verängstigtes Herz zu spüren.
Wir blieben zwei Tage im Haus und mein Vater versuchte mit seiner Familie im Dorf zu telefonieren. Sie sollten ein Taxi schicken, um uns in der Nacht rauszuholen. Doch sie fanden niemanden.
Unsere Nachbarn waren Muslime und ich bin mit ihnen groß geworden. Es gab keinen Unterschied zwischen ihnen und uns. Wir waren bis zum Einmarsch des Daesh wie eine Familie. Doch die Nachbarn mieden uns jetzt. Sie hatten Angst und einige hatten sich schon wie der Daesh gekleidet. Ich hatte jetzt Angst vor meinen Nachbarn, die einst zu uns nach Hause gekommen waren, mit uns gegessen, getrunken und gelacht hatten. Bei Krankheiten waren wir füreinander da gewesen und Feste wurden zusammen gefeiert. Was hatte sich plötzlich geändert? Wir sind doch immer noch die gleiche Familie. Mein Vater hatte als Lehrer alle ihre Kinder in der Schule unterrichtet und war besorgt, wenn es einem von ihnen nicht gut ging.
Wir konnten nicht länger im Haus bleiben, entschied mein Vater. Er hatte über Fernsehen und Telefonate von den Grausamkeiten der Daesh gehört. Sie konnten jeden Augenblick in unsere Wohnung stürmen und uns mitnehmen. Mein Vater wusste es und ich auch, dass sie auf jeden Fall meine Schwestern mitnehmen würden.
So ging mein Vater auf die Straße und machte den Wächtern des Daesh vor, Lebensmittel zu besorgen, da wir nichts mehr hatten. Er sagte dem Daesh, dass er sich mit seiner Familie zum Islam bekehrt habe und nun zu ihrer Gemeinschaft gehöre. Da er Lehrer war, perfekt Arabisch sprach und sich im Koran sehr gut auskannte, glaubte man ihm.
Auf dem Markt konnte er einen Taxifahrer finden, der bereit war, uns aus der Stadt Shingal rauszufahren. Er wollte allerdings 400 Dollar. Noch einige Tage bevor der Daesh da war hätte eine solche Fahrt vielleicht 10 Dollar gekostet. Mein Vater konnte und wollte nicht verhandeln. Er war damit einverstanden.
Wir warteten bis es Nacht wurde und der Taxifahrer am Hintereingang auf uns wartete. Ich schaute mich noch in der Wohnung um. Mein Leben hatte ich in diesen Wänden verbracht und wir hatten es uns gemütlich eingerichtet und keine Sorgen gehabt. Jeder von uns nahm nur eine kleine Tasche mit und wir ließen alles liegen, alles was unser Leben bis jetzt ausgemacht hatte. Mit Tränen in den Augen verließ ich die Wohnung, drehte mich noch einmal um, und wusste, dass ich nie wieder hierher kommen würde. Entweder werde ich verhaftet oder wie wir über Telefongesprächen von anderen Jesiden gehört hatten, einfach erschossen. Sie wollten die Frauen versklaven und Männer haben sie einfach erschossen.
Der Fahrer war genauso aufgeregt wie wir, aber die Belohnung von 400 Dollar, die Gier, die ihn trieb, überwog seine Angst. Kurz vor der Ausfahrt aus der Stadt wurden wir von Daesh angehalten. Meine Mutter und Schwestern waren voll verschleiert. Nicht mal ihre Augen konnte man hinter der Verschleierung sehen. Mein Vater befahl meiner Mutter und Schwestern immer nach unten, niemals den Daesh-Kämpfern direkt anzuschauen.
Der Taxifahrer grüßte sie ganz herzlich und versuchte Smalltalk. Doch der Daesh-Kämpfer, der uns begutachtete, hatte keine Lust auf sinnloses Gerede. Er erkannte meinen Vater, denn er war ein ehemaliger Schüler von ihm.
„Herr Lehrer, was machen Sie in der Nacht mit Ihrer Familie hier? Es ist gefährlich.“
„Gott segne dich und deine Familie, mein Sohn. Wir sind jetzt Muslime geworden und du brauchst dir keine Gedanken machen. Wir wollen nur unsere Familie im Dorf Hardan besuchen. Das Dorf gehört auch zum Islamischen Staat“, sagte mein Vater ruhig und fragte wie es seinen Eltern gehe. „Ich habe sie schon lange nicht gesehen. Ich hoffe es geht ihnen gut.“
Der Daesh-Kämpfer, ein Kurde von ca. 24 Jahren, nickte. „Gut, gut“ und schaute auf die anderen Daesh-Kämpfer, die einige Meter hinter ihm an beiden Seiten der Straße mit Maschinengewehren in unsere Richtung blickten.
„Dann geht und Gott sei mit euch.“
Er gab den anderen Kämpfern ein Zeichen und sie machten Platz, sodass wir weiterfahren konnten.
Ich atmete tief aus und war so erleichtert wie nie zuvor in meinem Leben. Die Angst hätte mich fast verrückt gemacht. Ich hatte meine Hand zu einer Faust geschlossen und so sehr zusammengepresst, dass sich meine Fingernägel ins Fleisch gebohrt hatten. Meine Handinnenflächen bluteten, aber vor Aufregung spürte ich den Schmerz nicht. Ich fühlte nur unendliche Erleichterung. Der Weg war frei und wir erreichten nach einer Stunde das Dorf unserer Verwandten.
„Von dort aus würden wir gleich nach Duhok fahren können“, dachte ich. Es waren weniger als zwei Stunden Autofahrt.
Aber so kam es nicht. Die Straßen waren gesperrt und der Daesh auf dem Vormarsch, auch in diesem Dorf. Die Dorfbewohner und meine Eltern entschieden in Richtung der Berge zu fliehen. Einfach nach oben, so hoch, dass es unwahrscheinlich sein würde, dass der Daesh uns verfolgte. Da es nicht so viele Autos gab, stiegen wir mit 14 weiteren Personen in ein anderes Auto, das bereit war, uns mitzunehmen. Wir waren alle wie Sardinen im Auto gestapelt, aber niemand sagte etwas. Die Dankbarkeit,...


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