Klarer | Literaturgeschichte der USA | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, Band 2769, 128 Seiten

Reihe: Beck'sche Reihe

Klarer Literaturgeschichte der USA

E-Book, Deutsch, Band 2769, 128 Seiten

Reihe: Beck'sche Reihe

ISBN: 978-3-406-64629-4
Verlag: C.H.Beck
Format: PDF
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)



Die Literaturgeschichte der USA beschreibt das literarische Schaffen in den Gebieten der heutigen Vereinigten Staaten von den Anfängen im Zeitalter der Entdeckungen bis in die Gegenwart. Im vorliegenden Überblick zeigt Mario Klarer, wie sich bereits in den nordamerikanischen Kolonien eine zunehmend eigenständige literarische Stimme abzeichnet, die sich nach der politischen Loslösung von England zu einer unabhängigen amerikanischen Literaturtradition entwickelt. Kurze Analysen zentraler Texte des amerikanischen Literaturkanons erzählen die Geschichte von Kontinuität und Innovation in den wichtigsten Epochen und Gattungen der amerikanischen Literatur.
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1;Cover;1
2;Titel;3
3;Impressum;4
4;Inhalt;5
5;Vorwort;7
6;I. Entdeckungsberichte;9
7;II. Kolonialliteratur;16
8;III. Literatur der frühen Republik;34
9;IV. Transzendentalismus;43
10;V. American Renaissance;50
11;VI. Gilded Age – Realismus;67
12;VII. Modernismus;79
13;VIII. Postmodernismus;103
14;IX. Ethnische Stimmen;114
15;Literaturhinweise;120
16;Anmerkungen;122
17;Personenregister;127


I. Entdeckungsberichte
Der wichtigste kulturpolitische und kulturgeschichtliche Anstoß für die Entstehung von Literatur in und über Amerika ist zweifellos die Entdeckung der Neuen Welt im 15. und 16. Jahrhundert. Was aber auf den ersten Blick als selbstverständlich erscheint, wird bei genauerer Betrachtung sehr viel komplexer. Natürlich war die Entdeckung Amerikas der Anstoß für literarische Texte, die von Amerika handeln oder in Amerika abgefasst wurden. Nur darf hierbei nicht übersehen werden, dass Ideen und Bilder von Amerika schon lange vor der Entdeckung des neuen Kontinents in der europäischen Vorstellungswelt existierten. Der Ferne Osten Asiens und der extreme Westen des Atlantiks waren bereits in der Antike und im Mittelalter als utopische Räume in der Imagination Europas besetzt. Man denke nur an das irdische Paradies, das nach jüdisch-christlicher Auffassung in Asien angesiedelt ist. Diese Tradition eines paradiesischen Ostens wurde im Mittelalter durch fantastische Reiseberichte über den Fernen Osten von Marco Polo und John Mandeville noch verstärkt. Parallel dazu wurde aber auch der Westen jenseits der bekannten Welt bereits in der griechischen Antike als utopisch überzeichneter Ort stilisiert. So entwirft Platon im 4. Jahrhundert vor Christus ein Bild des utopischen Staates Atlantis, das im Mittelalter in fantastischen Reiseberichten wie z.B. von St. Brendan zu wundersamen Inseln im Atlantik umgeformt wurde. Das ändert sich mit der Entdeckungsreise von Kolumbus. Bekanntlich war der Grund seiner Reise die Erkundung eines neuen Seeweges nach Indien, der nicht um Afrika herum über das Kap der Guten Hoffnung ostwärts führt, sondern über eine nach Westen gerichtete Route. Kolumbus brach Richtung Westen auf, um – rund um die Erde – in den Osten zu gelangen. Mit dieser Reise in den Fernen Osten über den Westen verschmolzen bestehende Vorstellungen über beide Himmelsrichtungen im Amerikabild des 15. und 16. Jahrhunderts. In dem Moment, in dem Christoph Kolumbus (1451–1506) und nachfolgende Entdecker Fuß auf Amerika setzten, waren sie mit einem Kontinent voll von Unbekanntem und großteils Unerklärlichem konfrontiert. Die großen Lücken im Wissen um diese «terra incognita» wurden aber sofort bereitwillig mit tradierten utopischen Vorstellungen des Fernen Ostens und Westens aufgefüllt. Deshalb wurde bereits in den ersten Berichten des Kolumbus Amerika mit dem Goldenen Zeitalter oder dem irdischen Paradies gleichgesetzt, das alles für das Leben Notwendige ohne menschliches Zutun gleich einem Schlaraffenland hervorbringt. Früchte, Bodenschätze und Nahrungsmittel sind in Fülle vorhanden und das günstige Klima erlaubt mehrere Ernten im Jahr. Es handelt sich hier vor allem um Vorstellungen vom Goldenen Zeitalter, wie sie der antike Dichter Ovid in seiner Abfolge der Weltzeitalter beschreibt. Der neue Kontinent wurde als eine «nährende Mutter» – eine «alma mater» – gesehen, die bereitwillig für die Bewohner sorgt. Die Bewohner der Neuen Welt werden im Einklang mit der paradiesischen Umgebung als edle Wilde gezeichnet, die in Harmonie mit Mutter Natur leben. In sehr vielen dieser frühen Reiseberichte werden die Ureinwohner Amerikas jedoch nur vordergründig edel und positiv dargestellt, denn häufig zeichnen sich diese «Edlen Wilden» auch durch grausame kannibalische Praktiken aus. Dieser Widerspruch zeigt sich in zahlreichen Reiseberichten, aber auch in den frühesten Illustrationen und bildlichen Darstellungen der Neuen Welt. Bereits die älteste bekannte Darstellung von Indianern in einem Holzstich aus dem frühen 16. Jahrhundert zeigt eine Indianerin in der Pose einer «nährenden Mutter». Diese Indianerin ist sicher auch auf einer allegorischen Ebene zu verstehen. So wie die Mutter ihr Kind mit allem Notwendigen versorgt, so versorgt der amerikanische Kontinent seine Bewohner mit allem, was für das Leben benötigt wird, im Überfluss. Auch spätere Allegorien Amerikas bedienen sich ähnlicher visueller Strategien. Ein Stich von Theodor Galle aus dem frühen 17. Jahrhundert zeigt den Entdecker Amerigo Vespucci neben einer üppigen weiblichen Allegorisierung Amerikas, die offensichtlich untätig in einer Hängematte einen schlaraffenlandartigen Zustand der Neuen Welt suggeriert. In beiden Darstellungen wird Amerika als weibliche Figur mit utopisch-paradiesischen Vorstellungen gleichgesetzt. Betrachtet man aber die beiden Bilder genauer, so wird dieses Idyll durch grausamen Kannibalismus wieder in Frage gestellt. Sowohl im Holzschnitt mit der Darstellung von Indianern als auch im späteren Kupferstich mit Amerigo Vespucci sehen wir Einwohner, die entweder Menschen verzehren oder zum Verzehr vorbereiten. Genau dieselben Topoi finden sich auch in zahllosen Texten zur Entdeckungsgeschichte. Amerigo Vespucci (1452/54–1512) schrieb zum Beispiel von einer Begebenheit auf seiner zweiten Reise im frühen 16. Jahrhundert: The young man advanced and mingled among the women; they all stood around him, and touched and stroked him, wondering greatly at him. At this point a woman came down from the hill carrying a big club. When she reached the place where the young man was standing, she struck him such a heavy blow from behind that he immediately fell to the ground dead. The rest of the women at once seized him and dragged him by the feet up the mountain […] There the women, who had killed the youth before our eyes, were now cutting him in pieces, showing us the pieces, roasting them at a large fire […][1] Der junge Mann kam näher und mischte sich unter die Frauen; sie alle standen um ihn herum und berührten und streichelten ihn mit großer Verwunderung. In diesem Augenblick kam eine Frau den Hügel herunter, die eine große Keule mit sich führte. Als sie den Standort des jungen Mannes erreicht hatte, versetzte sie ihm einen so kräftigen Schlag von hinten, dass er sofort tot zu Boden fiel. Der Rest der Frauen griff sofort nach ihm und zog ihn an den Füßen den Berg hinauf […] Dort begannen die Frauen, die den Jüngling vor unseren Augen getötet hatten, ihn in Stücke zu schneiden, uns diese zu zeigen, und sie über einem großen Feuer zu rösten […][2] Ein junger Europäer wird von einer Gruppe Ureinwohnerinnen zuerst positiv, fast verführerisch aufgenommen, um dann von ihnen erschlagen und verspeist zu werden. Was hat es mit dieser Ambivalenz von Utopie auf sich? Einerseits wird Amerika als verführerische und Überfluss garantierende weibliche Figur stilisiert, andererseits lauert hinter dieser Fassade ein grausames Männer verschlingendes Ungeheuer. Die Erklärungsmöglichkeiten sind vielfältig. Offensichtlich ist aber, dass diese Texte und Visualisierungen des frühen Amerikabilds mit «Anziehung» und «Abschreckung» als zwei gegensätzlichen Grundprinzipien arbeiten. Man darf nicht vergessen, dass diese frühen Texte und Bilder vor allem Werbefunktionen erfüllten. Einmal sollten die Auftraggeber zu neuen Investitionen für weitere Erkundungsfahrten bewogen, aber auch potentielle Siedler als Kolonisten angeworben werden. Auf jeden Fall sollte das entdeckte Land im bestmöglichen Licht erscheinen. Was eignet sich hierzu besser als utopisch Überzeichnetes. Gleichzeitig durfte das neu entdeckte Territorium aber nicht nur perfekt und ideal dargestellt werden. Schließlich wollte man ja eine – unter Umständen auch gewaltsame – Inbesitznahme durch die Europäer propagieren. Grausame Kannibalen eignen sich besser als unumgängliche Opfer einer Kolonisationspolitik als die ausschließlich wohlwollenden, edlen Wilden eines Goldenen Zeitalters. Diese Ambivalenz des Utopischen und des Kannibalistischen zeichnet vor allem das frühe Amerikabild in der europäischen Imagination aus. Gerade im späten 15. und im frühen 16. Jahrhundert wurde in der europäischen Wahrnehmung der Neuen Welt nicht regional unterschieden. Die mit Hilfe der neuen Technik des Buchdrucks flächendeckend über Europa verbreiteten Berichte aus Mittelamerika, Südamerika oder den Territorien der heutigen USA verschmolzen im Bewusstsein der Leser zu einem relativ undifferenzierten Bild der Neuen Welt. Seine Grundbestandteile von irdischem Paradies und unkontrollierbarer Wildnis blieben aber auch in den folgenden Jahrhunderten mit den unterschiedlichen nationalen Identitäten in Nord- und Südamerika verbunden. So ist es nicht verwunderlich, dass sich auch die Literatur- und Kulturgeschichte der USA bis heute im Spannungsfeld von Paradies und Wildnis bewegt. Die frühesten Entdeckungen und die damit einhergehende Kolonisierung gelangen vor allem spanischen oder unter spanischer Flagge agierenden Seefahrern, wobei die Reisen von Kolumbus und Vespucci die Karibik und Südamerika in den Wahrnehmungsbereich der Europäer rückten. Mit der folgenden Eroberung des mexikanischen Aztekenreiches (1519) durch Hernán Cortés und der Zerstörung des Inkareiches in Peru (1533) durch Francisco Pizarro konnte Spanien seine Einflusssphäre in Mittel- und Südamerika für Generationen sichern. Auch die südlichen Regionen des nordamerikanischen Kontinents wurden von spanischen Entdeckern besucht. Álvar Núñez Cabeza de Vaca...


Mario Klarer ist Professor und Institutsleiter am Institut für Amerikastudien der Universität Innsbruck. Er war Fellow an amerikanischen Forschungszentren sowie Gastprofessor an der Columbia University (New York) und der University of Pennsylvania (Philadelphia).


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