Kluge | Heinrich von Kleist – Ein Gewitterleben | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 182 Seiten

Kluge Heinrich von Kleist – Ein Gewitterleben

E-Book, Deutsch, 182 Seiten

ISBN: 978-3-8353-8419-4
Verlag: Wallstein
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Essays, Interviews und Kurzgeschichten über Heinrich von Kleist, die Kluges Faszination für den preußischen Gewitterkopf zum Ausdruck bringen.

Alexander Kluge bezeichnet in einem Gespräch mit Jens Bisky, der eine Biographie über Heinrich von Kleist geschrieben hat, dessen Existenz als 'Gewitterleben'. Mit Johann Wolfgang von Goethe könnte man Kleist einen vulkanischen Charakter nennen. Gewitter und Vulkanausbruch sind bedrohliche Ereignisse. Heinrich von Kleist war der Meinung, dass gefährliche Situationen den Menschen anspornen. Kluge hat 1985 den Kleist-Preis erhalten für seinen Film und das Buch 'Die Macht der Gefühle'. Er hat eine Rede auf den preußischen Schriftsteller gehalten, Geschichten über ihn geschrieben, Gespräche in seinen Kulturmagazinen im Fernsehen geführt, unter anderem mit Joseph Vogl, Thomas Schmid, Jens Bisky. Kluge hat mit Ferdinand von Schirach über Kleists Geschichte 'Der Findling' gesprochen und die Oper 'Erdbeben. Träume' von Toshio Hosokawa gefilmt, die von Kleists 'Erbeben in Chili' und Fukushima ausgeht. Für diese Oper hat Marcel Beyer das Libretto geschrieben. Mit keinem anderen Schriftsteller ist Alexander Kluge so häufig verglichen worden wie mit Heinrich von Kleist. Der Band 'Heinrich von Kleist – ein Gewitterleben' zeigt Kluges Faszination für den preußischen Gewitterkopf.
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Heinrich von Kleist und das Boulevardprinzip
Gespräch mit Thomas Schmid auf der Münchner Sicherheitskonferenz über den Sinn von Tagungen und den poetischen Feuerkopf Kleist[14]
Alexander Kluge: Wilhelm Tell ist ein konservativer Rebell. Er erschießt den Statthalter, hat Terroristenstatus. Gleichzeitig möchte er eine Welt, wie die Vorfahren, die Kelten, sie gestaltet haben, keine durch Habsburger, Moderne und Renaissance verschandelte Wirklichkeit. Immerhin hat er die Schweiz zustande gebracht. Thomas Schmid: Revolution hat immer dieses »Re« im Wort, das Zurückdrehen. Kluge: Die Partisanen in Spanien besiegen Napoleon. Das hat er nicht verstanden. Er verkündet die Freiheitsrechte, sie sind jetzt frei, ihnen gehört das Land. Diese Menschen massakrieren ihm nachts seine westfälischen Soldaten. Schmid: Die Deutschen wollten den Code Napoléon auch nicht begreifen. Kluge: Die deutsche Gegenbewegung gegen Napoleon ist strikt konservativ. Ich kenne wenige so konservative Menschen wie den kühnen Heinrich von Kleist, der in der Literatur alles umreißt. Schmid: Das ist der Widerspruch. Der war als Schriftsteller ein Revolutionär. Kluge: Goethe findet ihn unerträglich. Schmid: Er hat die Grammatik zerhackt auf eine dramatische, anspruchsvolle und sympathische Art. Kluge: Wo gibt es in der Antike eine Penthesilea, die ihre Hunde losschickt, um den Geliebten zu zerfleischen? Das geht weit über Sophokles oder Euripides hinaus. Schmid: Er war ein großer Pathetiker und hatte einen Sinn für den Alltag. Damit meine ich die vor 200 Jahren gegründeten und ein halbes Jahr später eingegangenen Berliner Abendblätter. Er hatte einen Sinn für die fait divers, für die Dramen des Alltags, wobei man einen Wechsel feststellen kann. Am Anfang war das ein Blatt, in dem er die verrücktesten, schwülstigsten Texte von sich veröffentlichte. Der polizeiliche Alltag, Brände und Morde, kam am Rande vor. Das ändert sich drei Monate später, dann öffnet es sich und wird ein Blatt, was von den Dramen des Alltags handelt. Es ist ein Boulevardblatt gewesen. Kluge: Kleist lernt Boulevard im Schnelldurchgang. Schmid: An Kleist gefällt mir, dass dieser Mensch, der so hochfahrend und hoffärtig auch war, eine unglaubliche Energie ins Irreale hinein hatte. Er hat diese Reise gemacht, zusammen mit Dahlmann aufs Schlachtfeld nach Aspern, wo sie am Rand geblieben sind. Kluge: Er wurde verhaftet, als Spion, er deutet auf die Insel Lobau. Er liest den österreichischen Offizieren aus seinen Gedichten vor, die finden das zu fanatisch. Schmid: Er hatte ein zerfetztes Leben. Aber er stellt sich hin und macht jeden Tag eine Zeitung. Die besteht aus vier Seiten, ein kleines Format, sie wird am Abend ausgegeben. Der erste Text ist ein Gebet von Zarathustra. Er hat die Zeitung offensichtlich auch verkauft, hat sich dann mit seinem Verleger überworfen. Er hatte einen guten Draht zu dem Polizeipräsidenten, der ihm privilegiert Informationen aus der Polizeichronik lieferte. Die hat er verschämt hinten angehängt. Die waren der Hauptgrund für die Käufer. Die mussten sich vorher durchwühlen durch diese etwas verblasenen, hochtrabenden Geschichten. Es kann sein, dass es der Druck des Verlegers war, der ihm gesagt hat: So geht das nicht. Du machst zu wenig für den normalen Leser. Dann dreht Kleist plötzlich das Konzept und beginnt mit den polizeilichen Mitteilungen. Er berichtet vom Schneidergesellen, der beim Entzünden des Ofens einen Brand ausgelöst hat. Das Haus ist abgebrannt, aber es ist niemand zu Schaden gekommen. Im Januar 1811 wird in den Berliner Abendblättern eine Gesellschaft in Gotha beschrieben, die in winterlicher Zeit rausgeht, es ist bitterkalt. Die Frauen werden in Schlitten geschoben, man fährt Schlittschuh. Diese zauberhafte Vignette, über zwei Seiten, zeichnet die Freuden des winterlichen Lebens nach. Es ist eine Utopie der bürgerlichen Gesellschaft, die sich der Möglichkeiten erfreut, welche die Natur auch in dem kalten erstorbenen Winter eröffnet. Kluge: Das ist ein Garten des Winters, ein Zauber, ein Tanz des Gleichgewichtsgefühls, das im Ohr liegt. Kleist baut Serien aus Nachrichten zusammen wie Schleifen. Ein Wassermann wurde gefunden in Ungarn. Kaum ist er gefangen, springt er schon wieder in den Burggraben und verschwindet im nächsten Fluss. Aber in Ceylon gab es eine Meerjungfrau. Jetzt kommt eine Geschichte, teils erfunden, teils wirklich, die eine Freude bei ihm zeigt an amphibischen Lebewesen, Gegenständen der Sehnsucht. Schmid: Kleist berichtet konsequent über alle Entwicklungen kriegerischer Art, Spanien oder Portugal zum Beispiel. Damals war der englische König schwer krank und es gab eine Debatte darüber, ob man ihn entmündigen muss. Das wird minutiös berichtet. Es hat keine didaktischen Gründe, ist nicht pädagogisch, auch nicht volksaufklärerisch. Das ist spannend. Kluge: Das ist das entzündete Interesse. Es ist nicht die großflächige Einfühlung wie bei Lessing. Schmid: Das hat bei ihm auch einen im guten Sinne autoritären Zug. Kleist geht davon aus, dass der Leser sich dafür zu interessieren hat, was auf diesen zwei Quadratmetern in London passiert. Damit wird er seine Leser über Wochen hinweg jeden zweiten Tag belästigen. Man sagt immer, Boulevard ist aggressiv, indem er den Prominenten auf die Pelle rückt, aggressiv, indem er Kriminellen oder Mordtaten nachspürt. Ich empfinde es als ratlos, weil es defensiv ist. Es ist das Nächstgreifbare und macht nicht den Versuch, den Kleist schon gemacht hat. Ich will nicht das hohe Wort von den Wundern des Alltags aussprechen, aber in den normalen Abläufen täglichen Lebens gibt es viele Lücken, die spannender wären. Kluge: Wir ertrinken im 21. Jahrhundert im Realismus. Es gibt so viel Wirklichkeiten, so viele Zufallswolken, die auf uns einhauen, das man einen Moment braucht, um zu verschnaufen, um jenseits des Horizontes ein Stück außerhalb der Wirklichkeit aufzusuchen. Schmid: Man muss noch das Internet dazu denken, also die Massen an Informationen oder Bits, die aus dem Internet quellen. Sie sind so viel, dass man sie nicht mehr bewältigen kann. Heute ist die antirealistische Kunst des Sich-Versenkens wichtig. Indem man sich ein Stück weit verabschiedet, kann man sich machtvoll und gut einmischen in etwas. Kluge: Wenn wir uns auf die Berliner Abendblätter einen Moment konzentrieren und da verblüfft sind, haben wir wieder die Kraft, etwas mitzuteilen und auszuwählen in der hochinteressanten Realität, in der wir leben, in der nur von allem leider zu viel vorhanden ist. Wir haben einen Rahmen und der ermöglicht es, etwas abzuwählen. Jetzt muss ich aber in der Sekunde, in der ich abgewählt habe, die Aufmerksamkeit für das außerhalb des Rahmens Befindliche wieder aktivieren. So ist es beim Film, der spielt mit dem, was in der Quadrierung zu sehen ist, aber auch mit dem, was daneben zu sehen ist, was man nicht sieht. Jeder gute Film hat die Hauptsache im Unsichtbaren, in dem, was nicht gezeigt wird. Schmid: Das ist auch die Methode von Kleist in den Berliner Abendblättern. Ein halbes Jahr, nachdem er sie eingestellt hat, war er tot. Da hat er sich umgebracht. Du hattest gesagt, dass er politisch ein deutschnationaler Reaktionär war und nur das antifranzösische Ressentiment mobilisiert hat – so habe ich es zumindest verstanden. Wenn Du die Berliner Abendblätter liest, ist das nicht immer der Fall. Mit der Ausnahmegestalt Napoleon verbindet Kleist eine starke Vorstellung von Größe, Macht und Fähigkeit. Davon war er durchaus fasziniert. Kluge: Den Russlandfeldzug 1812 hätte Kleist fast noch erlebt. Es wäre der Übergang über die Beresina durch 300 Pioniere geschildert worden in seiner Zeitung. Dazu hätte er gesagt: Und setzest Du nicht Dein Leben ein, so wird es Dir nicht gewonnen sein. Am Ende des vierten Aktes der Familie Schroffenstein heißt es: »Das Leben ist viel wert, wen mans verachtet«. Auf jeden Fall hätte er eine Bewunderung gehabt, wie die Pioniere die Armee rüberbringen unter der Opferung ihres Lebens. Er würde beschrieben haben, wie sie auf fünf Minuten im Wasser arbeitend, unterkühlt an Land gezogen von den Kameraden, mit heißem Punsch aufgefüllt werden, als wären sie Flaschen und wieder ins Wasser geschubst werden. Schmid: Wenn in den Berliner Abendblättern Napoleon oder die Franzosen auftauchen, sind sie interessant. Bei Napoleon schwingt Bewunderung für dessen Findigkeit mit. Wenn alles zu war, hat er noch das Loch gefunden hat, aus dem er wieder rauskam. Er konnte das Blatt wenden, war ein Unwahrscheinlichkeitspolitiker. Kluge: Napoleon hatte ein Kindergesicht. Wenn Du das Gesicht von Kleist und jenes von Napoleon in den Bildern von David austauschst, kann der Napoleon als Kleist dargestellt werden und andersrum. Sie haben beide das Gesicht eines neubeginnenden Jahrhunderts. Es sind keine...


Kluge, Alexander
Alexander Kluge ist Filmemacher und Fernsehproduzent, (Drehbuch-) Autor und Philosoph. In den 60er- und 70er-Jahren wurde er als einer der einflussreichsten Vertreter des Neuen Deutschen Films bekannt. 1987 gründete er die Produktionsfirma der dctp, mit der es ihm gelang, eine Plattform für unabhängige Programme im deutschen Privatfernsehen zu schaffen. Als Autor verfasst er vor allem Kurzgeschichten sowie Schriften zu kulturellen, philosophischen und politischen Themen.
Alexander Kluge erhielt zahlreiche Auszeichnungen und Preise, unter anderem 1979 den Bremer Literaturpreis und 2003 den Georg-Büchner-Preis.

Alexander Kluge ist Filmemacher und Fernsehproduzent, (Drehbuch-) Autor und Philosoph. In den 60er- und 70er-Jahren wurde er als einer der einflussreichsten Vertreter des Neuen Deutschen Films bekannt. 1987 gründete er die Produktionsfirma der dctp, mit der es ihm gelang, eine Plattform für unabhängige Programme im deutschen Privatfernsehen zu schaffen. Als Autor verfasst er vor allem Kurzgeschichten sowie Schriften zu kulturellen, philosophischen und politischen Themen.
Alexander Kluge erhielt zahlreiche Auszeichnungen und Preise, unter anderem 1979 den Bremer Literaturpreis und 2003 den Georg-Büchner-Preis.


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