Koch | Kohärenz, Phasenharmonisierung und Praxisschock in der Lehrerinnen- und Lehrerbildung | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, Band 5, 284 Seiten

Reihe: Erziehungswissenschaftliche Impulse

Koch Kohärenz, Phasenharmonisierung und Praxisschock in der Lehrerinnen- und Lehrerbildung

Eine qualitative Untersuchung zu Potenzialen, Leistungen und Grenzen des Praxissemesters

E-Book, Deutsch, Band 5, 284 Seiten

Reihe: Erziehungswissenschaftliche Impulse

ISBN: 978-3-7526-1882-2
Verlag: Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Die Lehrerinnen- und Lehrerbildung in Deutschland zeichnet sich durch ihre mehrphasige Organisationsstruktur aus, welche aus der universitären Studienphase, dem Vorbereitungsdienst und der berufslebenslangen Fort- und Weiterbildung besteht. Bei den Transitionen zwischen den einzelnen Phasen kann es zu Problemen und Spannungen kommen. So herrscht bereits seit der Mitte der 1970er Jahre ein Diskurs über das Auftreten eines Praxisschocks beim Übergang von der ersten universitären Phase in die zweite schulpraktische Phase.
Im Rahmen der Forschung zum Praxissemester und anderen Formen verlängerter Praxisaufenthalte während des Lehramtsstudiums werden die Harmonisierung zwischen erster und zweiter Phase sowie die Vorbeugung des Praxisschocks immer wieder als Potenzial genannt. Jedoch konnte eine derartige Wirkung bislang empirisch nicht bestätigt werden.
In der vorliegenden Interviewstudie werden Referendarinnen und Referendare mit und ohne Praxissemester im Lehramtsstudium nach ihrem Belastungserleben im Vorbereitungsdienst befragt. Die Auswertung erfolgt mittels einer qualitativen Inhaltsanalyse durch deduktive und induktive Kategorienbildung.
Die Ergebnisse verdeutlichen, dass insbesondere das Kennenlernen der Zentren für schulpraktische Lehrerinnen- und Lehrerbildung sowie des Arbeitsplatzes Schule im Praxissemester zu einer geringeren Belastung zu Beginn des Vorbereitungsdienstes und somit zu einer Phasenharmonisierung beim Übergang zwischen der ersten und zweiten Phase führen kann. Aufgrund fehlender Trennschärfe beim individuellen Belastungserleben können allgemeingültige Aussagen zum Praxisschock nur eingeschränkt getroffen werden. Konklusiv wird daher eine stärkere Trennung dieser Bereiche im wissenschaftlichen Diskurs vorgeschlagen.
Koch Kohärenz, Phasenharmonisierung und Praxisschock in der Lehrerinnen- und Lehrerbildung jetzt bestellen!

Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


2. Theoretische Verortung 2.1 Professionalität und Professionalisierung Wird im aktuellen wissenschaftlichen Diskurs über die Ausbildung angehender Lehrkräften gesprochen, bedienen sich Autorinnen und Autoren gewöhnlich der Begriffe Professionalität und Professionalisierung. Als Ziel der Lehrerinnen- und Lehrerbildung, welche sich in drei unterschiedlichen Phasen vollzieht und im Rahmen des universitären Studiums und des Vorbereitungsdienstes von unterschiedlichen Akteurinnen und Akteuren gestaltet wird, kann also die Befähigung angehender Lehrkräfte zu professionellem Handeln angesehen werden. Professionalität bezeichnet dabei zunächst allgemein ,,einen bestimmten erreichten Grad an Könnerschaft‘‘ (Keller-Schneider, 2016, S. 282). Košinár (2014) verweist auf die um die Jahrtausendwende durch die schlechten Ergebnisse der internationalen Vergleichsstudien PISA und TIMMS ausgelöste Debatte um die Professionalität von Lehrkräften in Deutschland, in deren Verlauf es unter anderem zur Einführung verbindlicher Standards für die Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern kam (vgl. Terhart, 2002; 2006; siehe KMK, 2004/2019). Eine weitere Folge dieser lebhaft geführten Debatte stellt die Entstehung unterschiedlicher Ansätze und Theorien zur Professionalität von Lehrkräften dar. Es erscheint daher sinnvoll, sich vor einer tiefergreifenden Auseinandersetzung mit dem Phänomen des Praxisschocks im Rahmen der Lehrerinnen- und Lehrerbildung zunächst allgemein mit verschiedenen Konzepten zu Professionalität und Professionalisierung auseinanderzusetzen. Im Folgenden sollen daher zentrale Professionalitätsansätze dargestellt werden, die das professionelle Handeln von Lehrerinnen und Lehrern erklären. Der strukturtheoretische Ansatz, der auf Oevermann (vgl. u.a. 1996) zurückgeht und sich insbesondere auf die Struktur pädagogischen Handelns bezieht, vertritt die grundsätzliche Auffassung, dass aufgrund der ,,unterschiedlichen Strukturlogik von Wissenschaft und Praxis (bzw. der Institutionen Universität und Schule)‘‘ (Hericks, 2004, S. 303) professionelles Handeln nicht während der universitären Ausbildung, sondern lediglich im Rahmen der beruflichen Praxis erlernt werden kann. Der strukturtheoretische Ansatz steht der universitären Lehrerinnen- und Lehrerbildung zunächst also prinzipiell kritisch gegenüber, wobei ihr auch gewisse Potentiale zugesprochen werden: Was universitäre Lehrerbildung vermag, ist einen Beitrag zur Herausbildung eines (selbst-)reflexiven, wissenschaftsbasierten Habitus zu leisten, der notwendig ist, um den Praxiszwängen nicht mehr oder weniger blind zu unterliegen (Helsper, 2016, S. 104). Die reflexiv-wissenschaftliche Haltung ist eine Voraussetzung für das Handeln im Lehrerberuf. Die Tätigkeit von Lehrerinnen und Lehrern kann nach Helsper insofern als Profession5 angesehen werden, als sie einen Beruf darstellt, der ,,mit der stellvertretenden Krisenlösung für Personen‘‘ betraut ist (2016, S. 107), wobei die Lehrkräfte eine Art therapeutische Funktion für ihre Schülerinnen und Schüler übernehmen (vgl. Oevermann, 1996). Einen weiteren Grund, warum der strukturtheoretische Ansatz das Erlernen theoretisch basierter Handlungsanweisungen ablehnt, stellt die Tatsache dar, dass das tägliche Handeln in der schulischen Praxis von Ungewissheit geprägt ist (vgl. Combe, 1997). Zwar können Unterrichtsstunden inhaltlich und methodisch geplant werden, der tatsächliche Verlauf kann aber jederzeit von der tatsächlichen Planung abweichen (vgl. Kurtz, 2009). Professionelles Handeln erfordert also von Lehrkräften ,,sich auf den Umgang mit Unsicherheit […] einzustellen‘‘ (Kurtz, 2009, S. 50). Darüber hinaus ist das unterrichtspraktische Handeln von Lehrerinnen und Lehrern durch widersprüchliche Anforderungen bzw. Handlungsdilemmata gekennzeichnet, welche Helsper (2016) als Pädagogische Antinomien bezeichnet. Es lassen sich dabei Antinomien erster und zweiter Ordnung unterscheiden (siehe Tab. 2). Tabelle 2: Übersicht Pädagogischer Antinomien nach Helsper (2016). Bezeichnung Definition/Ausprägung Pädagogische Antinomien erster Ordnung des Lehrerhandelns Praxisantinomie Praktisches Handeln im Unterricht versus theoretische Reflexion Begründungsantinomie Hoher Entscheidungsdruck ohne Bedenkzeit versus hohe Begründungsverpflichtung Subsumtionsantinomie Schema-F-Erklärungen und Zuweisungen versus reflexive Begegnung mit diesen Ungewissheitsantinomie Gewissheitsfiktionen versus Ungewissheit des Handlungserfolgs Symmetrieantinomie Asymmetrisches Lehrer-Schüler-Verhältnis versus kommunikative Symmetriesierung Pädagogische Antinomien zweiter Ordnung des Lehrerhandelns Differenzierungsantinomie homogenisierende Gleichbehandlung versus differenzierte pädagogische Unterstützung Organisationsantinomie Organisatorische Routine versus Offenheit für Bildungsprozesse Autonomieantinomie Autonomie versus Heteronomie Alle genannten Aspekte sorgen aus strukturtheoretischer Sicht dafür, dass die Entwicklung einer theoretischen Reflexivität und erfahrungswissenschaftlichen Begründungswissens als Aufgabe der ersten universitären Ausbildungsphase angesehen werden kann, während die praktische Einsozialisation in professionelles Handeln das Ziel der zweiten Phase darstellt (vgl. Hericks, 2004). Insbesondere der Umstand der Ungewissheit pädagogischen Handelns scheint im Hinblick auf den Praxisschock im Vorbereitungsdienst von Bedeutung zu sein. In deutlicher Abgrenzung zum strukturtheoretischen Ansatz stellt der kompetenztheoretische Ansatz6 ein weiteres Konzept der Professionalität von Lehrkräften dar. Für Tenorth (2006) bildet die Beschreibung des Lehrerberufs als antinomisch und unbestimmt einen Widerspruch zur Realität der täglichen Schul- und Unterrichtspraxis. Mit Blick auf die Bewältigung unsicherer Situationen im unterrichtlichen Handeln verweisen Baumert und Kunter (2006) auf das technologische, methodische, fachdidaktische und fachwissenschaftliche Repertoire von Lehrkräften. Somit intendieren Vertreterinnen und Vertreter des kompetenztheoretischen Ansatzes die ,,Schließung von Ungewissheit durch Kompetenz‘‘ (Košinár, 2014, S. 30). In Anlehnung an den Kompetenzbegriff nach Weinert (2001), der auch motivationale und volitionale Aspekte einschließt, lassen sich ,,allgemeines pädagogisches Wissen, Fachwissen und fachdidaktisches Wissen als zentrale Kompetenzfacetten‘‘ im Modell der professionellen Handlungskompetenz benennen (Baumert & Kunter, 2006, S. 482; siehe Abb. 2; zur Kritik am Modell siehe Lehmann-Grube & Nickolaus, 2009). Baumert und Kunter ergänzen darüber hinaus Organisations- und Beratungswissen als zwei weitere wichtige Kompetenzen von Lehrerinnen und Lehrern. Es lässt sich somit festhalten, dass die (pädagogischen) Kompetenzen von Lehrerinnen und Lehrern dem kompetenztheoretischen Ansatz zufolge einen wichtigen Teil ihrer Professionalität ausmachen. Inwiefern der Erwerb dieser Kompetenzen einen Einfluss auf das Erleben eines Praxisschocks während des Vorbereitungsdienstes haben, soll an späterer Stelle thematisiert werden (siehe Kapitel 2.3.3 und 2.4.3). Abbildung 2: Modell professioneller Handlungskompetenz (Baumert & Kunter, 2006). Eine weitere Möglichkeit zur Betrachtung von Professionalität im Lehrerberuf bietet der berufsbiografische Ansatz.7 Aus dieser Perspektive erscheint Professionalität als berufsbiographisches Entwicklungsproblem, bei dem der Aufbau von Kompetenzen, die Übernahme eines beruflichen Habitus sowie die Verknüpfung von privatem Lebenslauf und beruflicher Karriere im Zentrum stehen (vgl. Terhart, 2011). Dieser Ansatz stellt also in gewisser Weise einen Kompromiss zwischen den beiden oben beschriebenen Ansätzen dar. Keller-Schneider und Hericks (2014) benennen vier berufliche Entwicklungsaufgaben:8 Rollenfindung, Vermittlung, Anerkennung bzw. Führung sowie Kooperation. Diese stellen spezifische Anforderungen des professionellen Handelns von Lehrkräften dar. So verweist die Entwicklungsanforderung der Rollenfindung auf die Entwicklung eines beruflichen Habitus bzw. einer beruflichen Identität. Bezogen auf den Vorbereitungsdienst wird ersichtlich, dass sich diese Aufgabe für angehenden Lehrerinnen und Lehrern aufgrund ihrer Stellung zwischen Schülerin bzw. Schüler und Lehrkraft (Studienseminar versus Schule) als besonders anspruchsvoll erweisen könnte. Die Entwicklungsaufgabe Vermittlung bezieht sich auf die Notwendigkeit, dass angehende...


Koch, Tobias
Tobias Koch begann 2013 das Studium der Fächer Sport und Latein für das Lehramt an Gymnasien und Gesamtschulen an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster und schloss dieses 2020 mit dem akademischen Grad Master of Education ab. In dieser Zeit war er unter anderem als studentischer Mitarbeiter am Institut für Erziehungswissenschaft tätig. Bis voraussichtlich Mai 2022 absolviert er als Studienreferendar den Vorbereitungsdienst an einem Gymnasium in Nordrhein-Westfalen.


Ihre Fragen, Wünsche oder Anmerkungen
Vorname*
Nachname*
Ihre E-Mail-Adresse*
Kundennr.
Ihre Nachricht*
Lediglich mit * gekennzeichnete Felder sind Pflichtfelder.
Wenn Sie die im Kontaktformular eingegebenen Daten durch Klick auf den nachfolgenden Button übersenden, erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Ihr Angaben für die Beantwortung Ihrer Anfrage verwenden. Selbstverständlich werden Ihre Daten vertraulich behandelt und nicht an Dritte weitergegeben. Sie können der Verwendung Ihrer Daten jederzeit widersprechen. Das Datenhandling bei Sack Fachmedien erklären wir Ihnen in unserer Datenschutzerklärung.