Koch | Mattmanns Blues | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 180 Seiten

Koch Mattmanns Blues

E-Book, Deutsch, 180 Seiten

ISBN: 978-3-7543-8741-2
Verlag: Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



1990, Mattmann zieht aufs Land, krempelt sein Leben ein wenig um. Dort lernt er Charlotte kennen und lieben. Beide errichten sich eine gemeinsames Reich des Wohlfühlens und der Geborgenheit, aber alte seelische Wunden brechen in Mattmann wieder auf. Und dann passiert die Sache mit dem Martiniglas.
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Das Haus
Das Haus steht etwas abseits vom Dorf und keiner wollte es haben. Trotz des Telefonanschlusses. Mattmann hätte es auch ohne Telefon genommen. Der Anschluß war nur möglich gewesen, weil ungefähr zwei Kilometer weiter im Wald das Forsthaus steht und die Telefonleitung genau diesen Sandweg entlang führt. Der Ort endet schon anderthalb Kilometer vor dem Haus. Rechterhand vom Sandweg ist ein Kiefernhochwald und links Heiderkraut; dazwischen stehen vereinzelte Krüppelkiefern und kurz vor dem Haus hat sich ein kleines Eichenwäldchen angesiedelt. Dann sieht man gleich den alten Staketenzaun, der sich um das ganze Anwesen zieht. Den Staketenzaun hat der alte Morgenstern selbst angefertigt und gesetzt, damals, als er noch bei der Forst gearbeitet hat. Das ist nun schon lange her und jetzt ist er ins Altersheim gezogen, nachdem Mattmann ihm das Haus abgekauft hatte. Das Haus wollte, wie gesagt, keiner haben, denn für jene Leute, die die Zeitungen nach solch abgelegen Grundstücken abgrasen, war es erstens zu klein und zum anderen musste zu viel daran getan werden. Mattmann fiel die Verkaufsannonce erst auf, als sie bereits das zweite Mal erschien. Da fuhr er hinaus zum alten Morgenstern und überlegte nicht lange, als er das Anwesen zu Gesicht bekam. Etwa so hatte er es sich immer vorgestellt, das Reich, in welchem er sich wohlfühlen könnte. Es war gerade Mai im Jahr 1989 und der riesige Apfelbaum hinter dem Haus stand noch in voller Blüte. Das mag mit zu Mattmanns Entscheidung beigetragen haben. Mattmann stieg also aus; oder besser gesagt, um. Er stieg vom D-Zug in den Bummelzug. Das sind so seine Ansichten. Das Leben ist ja wie eine Zugfahrt. Das letzte Ziel ist allgemein bekannt, aber die Zwischenstationen, welche die Fahrt zum Abenteuer werden lassen, nicht. Im D-Zug ist man Sklave der Geschwindigkeit, der Hektik und viele Stationen werden nicht angefahren. Dafür hat man natürlich den Luxus eines Mitropa-Abteils mit Radeberger Bier. Und eine Erste Klasse zum Reisen gibt es obendrein. Im Bummelzug gibt es ein abenteuerliches Durcheinander, keine Station wird ausgelassen, die Struktur der Mitreisenden ändert sich stetig; manchmal findet auch ein Halt auf freier Strecke statt. Mattmann liebt das Abenteuer. Der alte Morgenstern wohnte über den nächsten Winter noch im Haus und Mitte März zog dann Mattmann ein. Die Zeiten standen mitten in der Wende und einiges, was sich Mattmann vorgestellt hatte, ließ sich nun nicht mehr so realisieren. Diese neuen Herausforderungen brachten Mattmann ein wenig aus der Bahn, aber er wollte sein Projekt nicht aufgeben - jetzt erst recht nicht. Bei einer nochmaligen Inspektion des Hauses, nachdem der alte Morgenstern ausgezogen war, beschließt Mattmann, zunächst das Zimmer linkerhand vom Flur mit den Fenstern zum Sandweg zu beziehen. Dieser Raum musste baulich nicht verändert werden und war auch gut zu erreichen, ohne sich allzuviel Baudreck herein zu schleppen. Rechterhand vom Flur gibt es zwei Zimmer, geradezu ist die Küche und von der Küche aus ist links ein Abstellraum erreichbar. Außerdem führt aus der Küche eine Tür durch eine winzige Holzverranda auf den Hof, über den man in das angrenzende Stallgebäude gehen kann. Zwischen Abstellraum und Mattmanns auserwähltem Zimmer ist ein kleiner Raum mit Toilette und Waschbecken. Die beiden Räume auf der rechten Seite des Hauses wird er zu einem umbauen und auch einen Durchgang zur Küche herstellen. Für ein Bad hat er auch schon eine Idee im Kopf. Er wird die Wand zur Abstellkammer herausnehmen und dort ein Badebecken in den Fußboden setzen, so, wie die Römer es hatten. Eine vernünftige Heizmöglichkeit muss her, dann können die Öfen abgerissen werden, einer im Wohnraum soll aber bleiben. Mattmann spricht bei der Sparkasse vor und beantragt einen Kredit. Obwohl er zum Anfang des Jahres seine Anstellung aufgegeben hat und nun selbständig arbeitet, gewährt man ihm eine Summe, mit der er seine Vorhaben, selbstverständlich mit viel Eigenleistung, umsetzen kann. Genau zwei Jahre gibt sich Mattmann für sein Vorhaben, das Haus nach seinen Ideen herzurichten. Dann wird er vierzig Jahre alt. Er weiß, dass dieser Zeitraum eng gesetzt ist, aber er möchte sich nicht treiben lassen. Den ersten Tag verbringt er damit, den Stall zu inspizieren. Hier sind noch Gartengeräte und einiges Werkzeug, sogar eine Werkbank steht in einem der Räume. Von Tieren wie Hühnern oder Kaninchen ist keine Spur. Da sind noch Kohlen und jede Menge gespaltenes Holz, ein Gartentisch und vier Gartenstühle aus Metall mit Holzlatten, die man zusammenklappen kann. Im Abstellraum findet er noch Besen, Handfeger, Eimer und einen Schrubber. Mattmann fegt die Küche und sein Zimmer, den Flur und die kleine Toilette, nimmt die Asche aus dem Kohleherd in der Küche und auch aus dem Dauerbrandofen in seinem Zimmer. Dann schleppt er den Gartentisch und zwei Stühle in die Küche, wischt alles sauber, holt sich einen Leinenbeutel mit Bierflaschen aus dem Auto und setzte sich an den Tisch. Das Bier beflügelt seine Gedanken, derweile er sich eine Einkaufsliste zusammenstellt. Es ist Nachmittag und Mattmann stellt mit Erschrecken fest, dass außer in der Toilette und auf dem Flur nirgendwo eine Lampe vorhanden ist. Warum haben die nur bei der Entrümpelung des Hauses auch alle Lampen abgeklemmt? Er geht in die Werkstatt und kramt in dem alten Schrank an der hinteren Wand. Hier wird er fündig: Zwei alte Keramikfassungen mit einem kurzen Stück Kabel daran und einer Lüsterklemme. Sogar Glühbirnen liegen dort. Er steigt auf einen Gartenstuhl und klemmt eine Fassung in der Küche an, schraubt eine Glühbirne ein und betätigt den Lichtschalter - siehe da, es ward Licht. Im Kühlschrank, welchen ihn der alte Morgenstern überlassen hatte, hat Mattmann Butter, ein Glas Leberwurst und eine Jagdwurst im Kunstdarm deponiert. Im Leinenbeutel am Haken der Tür zum Abstellraum ist ein halbes Konsumbrot. Mattmann weiß, dass in dem alten Küchenschrank mit den Glastüren in einem Schubfach noch einige Bestecke mit Aluminiumgriff liegen. Das Abendbrot ist gerettet, denn Mattmann verspürt wenig Lust, noch an diesem Tag einkaufen zu fahren. Er geht zum Telefon, das auf dem Fußboden im ehemaligen Wohnzimmer steht und hebt den Hörer ab; es ertönt ein Freizeichen. Mattmann hatte Morgenstern gebeten, den Anschluß nicht abzumelden, er wollte ihn ummelden. Und da nun alle Zeichen auf Freiheit und Kommunikation gesetzt waren, meinte er, dass dieses keine Umstände machen würde. Er benötigt den Anschluß, um seine Kontakte aufrecht zu erhalten, die er mit Gaststätten, Kulturhäusern und anderen Veranstaltern geknüpft hatte, um Bands und Unterhaltungskünstler zu vermitteln. Von der Schreiberei allein kann er nicht leben, das ist ihm klar. Als er Donna im letzten Jahr offerierte, sich auch noch damit zu beschäftigen, verweigerte sie ihm ihren Telefonanschluß für diese Zwecke. Nun aber ist Mattmann wieder ein kleines Stück unabhängiger. In der beginnenden Dämmerung bemerkt Mattmann, wie frisch es in der Küche geworden ist, schließlich wurde das Haus einige Wochen nicht beheizt. Er geht in den Stall, holt einen Korb voll gespaltenem Holz und heizt den Kohleherd an. Schon nach kurzer Zeit verstrahlen die Gusseisenplatten des Herdes milde Wärme, die nach verbranntem Staub riecht. Mittlerweile ist es dunkel geworden, Mattmann holt das zusammengeklappte Feldbett aus dem Auto, das er auf den Hof gefahren hat und stellt es an der Wand zum Abstellraum auf. Eine Decke gegen die aufsteigende Kälte vom gefliesten Fußboden legt er darüber, ein Sofakissen mit blauem Bezug und eine Steppdecke - das ist sein Nachtlager. Er legt Holz nach, zündet zwei Kerzen an, die er mit heißem Wachs jeweils auf einem Deckel von Einweckgläsern aus dem Abstellraum befestigt hat und löscht das elektrische Licht. Dann holt er seine Gitarre aus dem Auto; inzwischen ist der Mond aufgegangen und leuchtet ein wenig orangegelb am Südhimmel über dem Hof. Mattmann schließt die Eingangstür und auch die Tür zum Hof ab; er fühlt sich doch ein wenig unsicher hier in der Abgeschiedenheit. Nun ist er allein, allein in seinem neuen Reich, allein mit seiner angenarbten Seele, seinen Gedanken, Erinnerungen und seinen Träumen. Es gilt nun einzig und allein, seine Träume zu verwirklichen. Kein Zurück, sondern stadi sein. Was auch immer dieses Wort bedeutet, er hat es von seinen Eltern; er sollte stadi sein, wenn er krank war, stadi sein in der Schule und beim Studium, stadi sein in zwischenmenschlichen abgründigen Situationen - stadi sein heißt durchhalten. Mattmann ist sich seiner Lage sehr gut bewußt, allerdings ist er manchmal auch ein zu großer Tagträumer und läßt manche Situationen mit halsbrecherischer Leichtigkeit auf sich zukommen. Aber er liebt auch die Herausforderung. Nun weiß er, es gilt nur eines: Stadi sein. Mattmann macht sich ein Bier auf, setzt sich auf einen der Gartenstühle, stimmt seine Gitarre und beginnt zu spielen. Zaghaft, er weiß noch nicht, wo die musikalische Reise hingeht. Was von den Kinks, von den Animals, Lady Jane von den Stones. 'Nein', denkt Mattmann, 'das muss jetzt nicht sein'. Es erinnert ihn jedesmal an die Fete...


Koch, Christian
Christian Koch, Jahrgang 1951, begann Anfang der 70er Jahre Songs und Texte zu schreiben. Später kamen Kurzgeschichten hinzu. Viele Texte flossen in musikalisch-literarische Programme ein oder wurden von Rock- und Bluesbands gespielt. Zum "DDR-Liedgut" gehört unter anderem das Lied vom Blauen Würger.
Entstanden ist es 1984 innerhalb des Liedermacher Duos "Otto & Alwin". Inzwischen sind weitere Songs hinzu gekommen. Andere, nicht vertonte Texte, und Kurzgeschichten sammelten sich mit der Zeit an und wurden u.a. in "Der Mond im Schlafrock" und weiteren Mondgeschichten rund um das Kochen veröffentlicht.
Mit dem Musik-Duo "Double fou" wurden Texte und Lieder der letzten Jahre unter dem Titel »Mit Martini in der Badewanne« herausgebracht.
Mattmanns Blues ist so etwas wie die Inkarnation seiner Lieder als Erzählung.


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