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E-Book, Deutsch, Band 28, 439 Seiten

Reihe: Schriften des Zentrums für Sozialpolitik Bremen

Köppe Wohlfahrtsmärkte

Die Privatisierung von Bildung und Rente in Deutschland, Schweden und den USA

E-Book, Deutsch, Band 28, 439 Seiten

Reihe: Schriften des Zentrums für Sozialpolitik Bremen

ISBN: 978-3-593-43036-2
Verlag: Campus
Format: PDF
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Wohlfahrtsstaaten werden zunehmend von Marktmechanismen beeinflusst. Politische Parteien, Versicherungsgesellschaften, Banken und Kirchen versuchen, die Wohlfahrtsmärkte nach ihren Interessen zu formen. In der Folge steigen private Anbieter in vormals öffentliche Bereiche ein. Der Einzelne hat dadurch zwar die freie Wahl zwischen privaten und staatlichen Leistungsträgern, muss aber auch häufiger
in die eigene Tasche greifen. Stephan Köppe zeigt mit einem Vergleich von Deutschland, Schweden und den USA eindringlich, wie Renten- und Bildungsmärkte in das nationale Wohlfahrtsregime eingebettet werden.
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Inhalt


Vorwort 9
1 Einleitung 11

2 Wohlfahrtsmarkt als politikwissenschaftliches Konzept 23
2.1 Ökonomische und soziologische Marktdefinitionen 24
2.2 Wohlfahrtsmarkt 28
2.2.1 Literaturüberblick der Wohlfahrtsmarktkonzepte 29
2.2.2 Soziale Güter und Marktmechanismen 38
2.2.3 Vermarktlichung 51
2.2.4 Wohlfahrtsmarkttypen 55
2.2.5 Fazit 61

3 Wohlfahrtsmärkte im Vergleich 63
3.1 Fallauswahl 65
3.1.1 Länder: Deutschland, Schweden, USA 67
3.1.2 Politikfelder: Renten- und Bildungsmärkte 69
3.1.3 Zeitraum: 1990-2010 74
3.2 Untersuchungsmethoden 75
3.3 Erklärungsansätze zur Entstehung und Varianz von Wohlfahrtsmärkten 78


4 Expansion des Marktvolumens 95
4.1 Rente 107
4.1.1 Internationaler Vergleich der Rentenmärkte 107
4.1.2 Vermarktlichung öffentlicher Rentensysteme in Deutschland, Schweden und den USA? 116
4.1.3 Vermarktlichung in allen Dimensionen -
Ausblick auf die Rentenmärkte 145
4.2 Bildung 148
4.2.1 Internationaler Vergleich der Bildungsmärkte 148
4.2.2 Ausbau der Privatschulen in Deutschland, Schweden
und den USA 155
4.2.3 Zusammenfassung - Subventionierte Privatschulen 187
4.3 Wachstum des Marktvolumens ohne Rückzug des Staates -
Eine Zusammenfassung 188

5 Regulierung der Wohlfahrtsmärkte 193
5.1 Analytischer Rahmen 196
5.2 Deutschland - Brüche und Kontinuität 203
5.2.1 Rentenmarkt: Das Erbe Bismarcks in der
Riester-Rente 203
5.2.2 Bildungsmarkt: Die religiösen Ursprünge der Privatschulfinanzierung 227
5.2.3 Fazit - Rekalibrierung deutscher Sozialpolitik? 247
5.3 Schweden - Die Neuerfindung des schwedischen Modells 253
5.3.1 Rentenmarkt: Universelle Prämienrente und sozialdemokratischer Konsens 254
5.3.2 Bildungsmarkt: Freie Schulen - Vereinheitlichung, Dezentralisierung und Privatisierung 278
5.3.3 Sozialdemokratische Neuerfindung des schwedischen Modells 303
5.4 USA - Pionier und regulative Vielfalt 306
5.4.1 Rentenmarkt: Flexibel und übertragbar 307
5.4.2 Bildungsmarkt: School Choice zwischen Konflikt
und Konsens 328
5.4.3 Fazit - Liberale Einbettung 359

6 Wachstum, Varianz und Einbettung im Vergleich 363
6.1 Historischer Vergleich 365
6.2 Vergleich der Politikfelder 373
6.3 Ländervergleich 376
6.4 Diskussion der Grundannahmen und Fazit 379

7 Konklusion und Ausblick 383
7.1 Wohlfahrtsmarkt als flexibles Konzept 383
7.2 Wohlfahrtsmarktexpansion trotz Vertrauenskrise 385
7.3 Einbettung und Innovation 388

Tabellenverzeichnis 391
Abbildungsverzeichnis 393
Literatur 394


Vorwort

Als ich die Arbeit über Wohlfahrtsmärkte begann, merkte ich schnell, dass sowohl Kollegen als auch Freunde und Bekannte mit dem Begriff zum Teil wenig anfangen konnten und keine Vorstellung von meinem Forschungsfeld hatten. Mein Standardbeispiel in Konversationen wurde schnell die deutsche Riester-Rente, um die Vermarktlichung und Privatisierung von Sozialprogrammen zu illustrieren.
Normalerweise würgen solche Themen jedes Gespräch ab, weil keiner über komplexe Finanzanlagen über einem Bier oder bei Kaffee und Kuchen sprechen möchte. Ich erlebte aber das Gegenteil. Schnell kamen Fragen auf, ob ich denn auch schon eine Riester-Rente abgeschlossen hätte und welchen Anbieter beziehungsweise welches Produkt ich empfehlen würde. Ich musste meine Gesprächspartner immer enttäuschen, weil ich ihnen zwar ans Herz legte eine Riester-Rente abzuschließen, aber selber noch keine abgeschlossen hatte. Für Betriebsrenten habe ich mich nie aktiv entschieden, sondern war immer automatisch versichert. Häufig waren meine Gesprächspartner an dieser Stelle enttäuscht, weil sie hofften, Insidertipps zu bekommen, um auch endlich eine Entscheidung über ihre private Vorsorge zu treffen.
Ich erläuterte dann meist etwas beschämt und umständlich, dass ich lediglich die Regulierung und den politischen Entstehungsprozess der Vermarktlichung untersuche. An dieser Stelle wurden die Gespräche wieder lebhafter und es folgten zum Teil stundenlange Debatten über das Für und Wider von Privatisierungen und Märkten. All diese Gespräche waren hilfreich, um zu erkennen, wie politisch umstritten die Einführung von Wohlfahrtsmärkten ist. Ebenso wird an meiner eigenen Versichertenlaufbahn deutlich, wie irrational Menschen in Wohlfahrtsmärkten agieren und welchen Einfluss die Regulierung der Märkte hat. Trotz besseren Wissens habe ich nie eine Riester-Rente abgeschlossen. Die Diskussionen darüber haben zu meinem Verständnis beigetragen, welchen Einfluss die Regulierung der Wohlfahrtsmärkte auf das Verhalten von Menschen hat und wie politisch umkämpft das Feld ist. Mein Dank gilt also diesen vielen Gesprächspartnern auf Konferenzen, Feiern und ähnlichen Anlässen.
Die Hauptarbeit ist am Zentrum für Sozialpolitik (ZeS) der Universität Bremen entwickelt und durchgeführt worden. Weitere institutionelle Unterstützung erhielt ich von der Bremen International Graduate School of Social Sciences (BIGSSS), dem Swedish Institute for Social Research (SOFI, Universität Stockholm) und den Universitäten Edinburgh, St Andrews und Dundee. Außerdem gilt mein Dank dem ZeS und der Phorms Education SE für Druckkostenzuschüsse. Dabei möchte ich betonen, dass die finanzielle Unterstützung keinerlei Einfluss auf den Inhalt der Arbeit hatte.
Viele Kollegen haben mich an verschiedenen Stellen der Arbeit unterstützt und viele sind gute Freunde geworden. Maßgeblich haben Frank Nullmeier und Herbert Obinger diese Arbeit von Anfang an begleitet und meine Argumente kritisch und konstruktiv beleuchtet.
Namentlich möchte ich vor allem Hayley Bennett, Catherine Blair, Florian Blank, Stefanie Börner, Irene Dingeldey, Benjamin Ewert, Karin Gottschall, Ralf Götze, Karl Hinrichs, Gitta Klein, Tanja Klenk, Clémence Ledoux, Stephan Leibfried, Steffen Mau, Ingela Naumann, Jonas Pieper, Tanja Pritzlaff, Patrick Sachweh, Peter Starke, Thomas Wachtendorf und Philine Weyrauch für konstruktive Kommentare zu Entwürfen und Ideen in verschiedenen Arbeitszusammenhängen danken. Viele weitere Menschen haben diese Arbeit begleitet und geholfen sie erfolgreich abzuschließen, auch ihnen sei hiermit gedankt.
Besonderer Dank gilt Karl Loxbo von der Linnaeus Universität (Växjö, Schweden), dessen Experteninterviews ich einer Sekundäranalyse unterziehen konnte. Ebenso wäre die Arbeit nicht ohne die ausführlichen Informationen meiner Interviewpartner möglich gewesen. Persönlich möchte ich mich bei Simone Lempart bedanken, die mich ermunterte überhaupt eine Promotion anzugehen. Dank auch an Jessica Poeschel, die maßgeblich zur sprachlichen Verbesserung beitrug und für den stilistischen Feinschliff sorgte. Schließlich gilt mein besonderer Dank Theda Grabow für die ausdauernde und liebevolle Unterstützung in allen Lebenslagen.

Dundee, November 2014
Stephan Köppe


Einleitung

"A ›welfare state‹ is a state in which organized power is deliberatively used (through politics and administration) in an effort to modify the play of market forces" (Briggs 1961: 228).

"Das Konzept ›Wohlfahrtsmarkt‹ zieht auch deshalb viel Interesse und Aufmerksamkeit auf sich, weil es die Unterscheidung zwischen ›Wohlfahrtsstaat‹ und ›Markt‹ in Frage stellt und aufhebt." (Berner 2009: 288).

Diese Studie untersucht Wohlfahrtsmärkte. Also Sozialprogramme, die privat finanziert werden, nicht-staatliche Anbieter involvieren und Wahlfreiheiten für die Wohlfahrtsnutzer ermöglichen. Im Fokus steht der empirische Vergleich von Wohlfahrtsmärkten in zwei Politikfeldern (Rente und Bildung) und drei unterschiedlichen Wohlfahrtsregimen (Deutschland, Schweden, USA). Bisher dominierten Fallstudien zur Vermarktlichung und Privatisierung von Sozialpolitik die Wohlfahrtsmarktforschung und diese Arbeit soll vergleichend zu diesem Themenkomplex beitragen und somit eine Forschungslücke im gegenwärtigen Forschungsstand schließen. In dieser Studie werden vor allem vier Beiträge zur Wohlfahrtsmarktliteratur geleistet. Erstens wird das Konzept Wohlfahrtsmarkt theoretisch umfassend hergeleitet. Zweitens werden verschiedene - teilweise innovative - Indikatoren ausgewertet, um ein möglichst umfassendes Bild des Marktvolumens zu zeichnen. Drittens werden die institutionellen Unterschiede zwischen Wohlfahrtsmärkten untersucht, folglich gilt es, die institutionelle Einbettung der Marktmechanismen in die Wohlfahrtsregime zu vergleichen. Und viertens werden basierend auf der existierenden sozialpolitischen Literatur Erklärungen für die Entstehung, den Wandel und die Einbettung von Wohlfahrtsmärkten diskutiert.
Warum beschäftigt sich aber eine sozialpolitische Studie mit Märkten? Oder genauer gefragt: Warum sind Wohlfahrtsmärkte ein relevantes sozialpolitisches Forschungsfeld? Mit Sozialpolitik werden sehr unterschiedliche Konzepte verbunden, die einem historischen Wandel unterliegen. Die Wurzeln der Sozialpolitik liegen in lokalen Selbsthilfevereinen, kommunalen Armenhäusern, betrieblichen - teilweise paternalistischen - Leistungen und familiären Unterstützungsnetzwerken. Seit der Einführung von Sozialversicherungen und einer Verrechtlichung der sozialpolitischen Leistungen wurde Sozialpolitik vornehmlich als eine nationalstaatliche Aufgabe aufgefasst. Der Wohlfahrtsstaat - oder auch der im deutschen Sprachraum gebräuchliche Sozialstaat - wurde sinnbildlich für sozialpolitische Leistungen und versprach gesellschaftlichen Fortschritt (Alber 1988; Alber/ Behrendt 2001; Briggs 1961; Kaufmann 2000; Köppe u.a. 2011). Wie das Eingangszitat von Briggs (1961) zeigt, wurden wohlfahrtsstaatliche Programme explizit als Gegengewicht gegenüber Marktkräften implementiert. In der Expansionsphase der Wohlfahrtsstaaten, dem sogenannten "Goldenen Zeitalter", wurde bis in die 1970er Jahre hinein der Wohlfahrtsstaat auf eine nationale, staatliche und monofunktionale Institution verengt. Erstmals schien es, dass der "welfare state had now gained parity with market forces" (Leibfried/Obinger 2000: 281). Erst in den letzten zwei Dekaden wurde die ursprüngliche sozialpolitische Pluralität in der sozialpolitischen Forschung wieder stärker aufgegriffen. Beispielsweise ignoriert die nationale Verengung lokale, regionale, supranationale und internationale Institutionen, die ebenso zur Wohlfahrt von Gesellschaften beitragen (Leibfried/Zürn 2006b). Monofunktionale Perspektiven betrachten nur einen Aspekt der Sozialpolitik, wie zum Beispiel die Vermeidung von Armut und sozialen Risiken, begrenzt auf einige wenige Politikfelder, ohne die komplexen und politikfeldübergreifenden Zusammenhänge zu berücksichtigen (u.a. Zohlnhöfer 2007a). Die Engführung auf den Staat lässt außer Betracht, dass andere gesellschaftliche Sektoren ebenfalls an der Wohlfahrtsproduktion beteiligt sind, wie Märkte, Verbände und Familien (Esping-Andersen 1987; 1990; Evers/Olk 1996; Zapf 1984). Diese mehrdimensionale Auffassung von Sozialpolitik erweitert den Handlungsspielraum der sozialpolitischen Akteure, verschiedene Steuerungsformen anzuwenden (Köppe u.a. 2011).
Diese Studie wird genau einen Aspekt der sozialpolitischen Pluralität näher betrachten: Verschiebungen auf der sektoralen Achse zum Markt. Das Interesse der Studie richtet sich auf die Finanzierung und Bereitstellung von sozialpolitischen Gütern mit marktförmigen Mitteln, sogenannten Wohlfahrtsmärkten. Zu Wohlfahrtsmärkten zählen unter anderem freiwillige Rentenversicherungen, private Pflegedienste, die Wahl zwischen obligatorischen Krankenversicherungen, Bildungsgutscheine für Privatschulen und Eingliederungsmaßnahmen der Arbeitsämter und viele andere Sozialprogramme und soziale Dienstleistungen, die Marktmechanismen enthalten.
Mit dem Begriff Wohlfahrtsmarkt werden diese Veränderungen der Sozialpolitik zunächst konzeptionell erfasst (Berner 2009; Nullmeier 2001; Taylor-Gooby 1999). Außerdem können die neuen Marktformen unter dem Begriff Wohlfahrtsmarkt empirisch untersucht werden. Kurz gesagt sind Wohlfahrtsmärkte eine Sozialpolitik mit den Mitteln des Marktes. Demnach dienen Wohlfahrtsmärkte, wie auch der Wohlfahrtsstaat, der sozialen Risikoabsicherung oder Versorgung mit sozialen Diensten, die sozialen Institutionen beinhalten jedoch Marktmechanismen, um die Sozialleistungen zu finanzieren, zu produzieren und zu verteilen. Dadurch werden die Wohlfahrtsnutzer zu Konsumenten, wenn sie aufgefordert werden, zwischen den Optionen im Wohlfahrtsmarkt, das heißt Produkten und Anbietern, zu wählen.
Exemplarisch werde ich kurz die Marktmechanismen in Wohlfahrtsmärkten anhand der Anfang der 2000er Jahre eingeführten deutschen Riester-Rente veranschaulichen. Die Riester-Produkte werden zuallererst von Versicherungen, Banken und Fondsgesellschaften angeboten, also privaten Marktakteuren. Den Wohlfahrtsnutzern steht es nun frei, aus einer Produktpalette an Riester-Produkten zu wählen. Diese Rentenversicherungen werden nach Marktpreisen von den Versicherten finanziert und sie wählen die Produkte selbst aus. Zusammengenommen werden die Riester-Renten auf einem Rentenmarkt gehandelt und getauscht. Die spezielle Regulierung der Riester-Rente führt dazu, dass ein eigenständiger Wohlfahrtsmarkt entsteht, der sich von benachbarten Rentenmärkten oder Altersvorsorgeprodukten unterscheidet und von den Nutzern und Anbietern als ein separater Markt wahrgenommen wird. Trotz dieser Marktmechanismen sind die angebotenen Rentenversicherungen ein soziales Gut, weil mit einem Riester-Vertrag, wie auch bei einer staatlichen Sozialversicherung, ein Einkommen im Alter bereitgestellt wird.
Dieses Beispiel verdeutlicht die komplexen Marktmechanismen eines konkreten Wohlfahrtsmarktes. Derartige Wohlfahrtsmärkte variieren erheblich in ihrem Marktvolumen und den institutionellen Eigenschaften. Folglich sind wesentliche Unterschiede zwischen Nationen und Politikfeldern zu vermuten. Dabei können die Unterschiede zwischen den Politikfeldern genauso hoch sein wie zwischen den Ländern (vgl. Bode 2008; Gingrich 2011). Beispielsweise ist die Riester-Rente ein Wohlfahrtsmarkt mit relativ vielen Marktmechanismen im Gegensatz zum schwedischen Bildungsmarkt der sogenannten "freien Schulen" (fristående skolor). Der schwedische Bildungsmarkt wird weiterhin vollständig steuerfinanziert, wohingegen privaten Beiträgen zur deutschen Riester-Rente dominieren. Dennoch haben beide Märkte gemein, dass private Akteure um die Wohlfahrtskonsumenten konkurrieren. Ziel dieser Arbeit ist, diese Unterschiede zwischen den Wohlfahrtsmärkten herauszuarbeiten und die Gründe für diese Variationen zu untersuchen.

Forschungsüberblick

Aus einem Alltagsverständnis heraus werden derartige sozialpolitische Institutionen wie die Riester-Rente als Märkte bezeichnet. Trotz verschiedener konzeptioneller Vorarbeiten, die marktförmige Sozialprogramme als Wohlfahrtsmärkte definieren (Berner 2009; Nullmeier 2001; Taylor-Gooby 1999), konnte keins der Wohlfahrtsmarktkonzepte eine universelle Definition vorlegen, die möglichst alle marktförmigen Sozialprogramme historisch und international adäquat umfasst.
Neben der fehlenden konzeptionellen Bearbeitung des Gegenstandes bestand lange Zeit eine empirische Forschungslücke über marktförmige Sozialpolitik - von wenigen frühen Forschungsarbeiten einmal abgesehen (u.a. Esping-Andersen 1987; Zapf 1984). In der letzten Dekade hat sich zwar die sozialpolitische Forschung zunehmend mit diesem Bereich befasst, allerdings sind vergleichende Forschungsarbeiten über mehrere Politikfelder und Länder weiterhin rar.
Es ist zum einen festzustellen, dass wenig über das Marktvolumen von Wohlfahrtsmärkten bekannt ist. Offene Forschungsfragen sind in diesem Kontext, wie relevant die Märkte sind, wie sie finanziert werden und wie viele Nutzer auf diesen Märkten agieren. Vereinzelt existieren Studien, die das Marktvolumen einzelner Wohlfahrtsstaaten (für Großbritannien Burchardt 1997; Smithies 2005) oder Politikfelder erhoben haben. Beispielsweise ist das Marktvolumen von privaten Rentenversicherungen
relativ gut dokumentiert, zum Teil sogar in vergleichenden Studien (Casey/Yamada 2004). Trotz dieser Verbesserungen der Datenlage fehlen weitgehend historische Analysen über die Entwicklung dieser privaten und marktförmigen Sozialprogramme. Ebenso bestehen bei der Erhebung des Marktvolumens Messungenauigkeiten, die bisher nicht thematisiert wurden. Und schließlich ist das Marktvolumen jenseits von privaten Rentenversicherungen nach wie vor weitgehend unerforscht.
Zum zweiten sind die Institutionen von Wohlfahrtsmärkten ein weiteres Desiderat. Während die Institutionen des Wohlfahrtsstaates ausgiebig erforscht wurden, ist das Wissen über die Regulierung der Wohlfahrtsmärkte weiterhin fragmentarisch. Ebenso ist bisher wenig über die Variation der Wohlfahrtsmarktinstitutionen sowie über die Ursachen dieser Unterschiede bekannt. Diese Informationslücke betrifft auch hier vor allem systematische Vergleichsstudien über mehrere Länder und Politikfelder.
In der letzten Dekade wurden viele Fallstudien zu Wohlfahrtsmärkten in einzelnen Ländern und Politikfeldern veröffentlicht, die zumindest zu einem kumulativen Wissenszuwachs geführt haben. Wie auch beim Marktvolumen beschäftigte sich das Gros der sozialpolitischen Forschung mit privaten Rentensystemen und versicherungen und nur vereinzelt mit Politikfeldern wie Gesundheit (Glennerster/Le Grand 1995; Rothgang u.a. 2008) und Bildung (Barrow 1998; Vandenberghe 1998).
Dennoch wurde auch eine steigende Anzahl von Studien veröffentlicht, die systematisch einzelne marktförmige Sozialprogramme mehrerer Wohlfahrtsregime vergleichen, unter anderem in Politikfeldern wie Arbeitsmarkt (Bredgaard/Larsen 2008), Renten (Hippe 2007; 2009; Leisering 2011), Schulen (Gingrich 2011; Klitgaard 2007a; 2007b; 2008; 2009; 2010; Whitty u.a. 1998), Gesundheit und Pflege (Gingrich 2011) oder Hochschulen (Regini 2011). Diese institutionellen Vergleiche werden um einige allgemeinere Sammelbände zur Privatisierung von Sozialpolitik ergänzt, ohne jedoch das Augenmerk auf die Besonderheiten von Marktmechanismen zu legen (Béland/Gran 2008b; Greve 2009b; Seeleib-Kaiser 2008b). In diesem Kontext sind auch Diskursanalysen über Wohlfahrtsmärkte zu erwähnen, die untersuchen, wie Märkte im öffentlichen Diskurs legitimiert (Bode 2008; Leisering/Viti? 2009; Seeleib-Kaiser 2008b) und wie sie von der Bevölkerung wahrgenommen werden (Cebulla 2000; Rowlingson 2002).
Schließlich widmet sich ein Strang in der Literatur den Nutzern von Wohlfahrtsmärkten und wie sie mit ihrer Wahlfreiheit umgehen. In der theoretischen Debatte wird auf den Wandel vom Sozialstaatsbürger zum Wohlfahrtskonsumenten abgestellt (Baldock 2003; Baldock/Ungerson 1993; Clarke 2006; Greve 2003). Neben institutionellen Analysen der Wahloptionen in Fallstudien (Blank 2009; Blomqvist 2004) wurde das tatsächliche Verhalten der Nutzer, ebenfalls vor allem im Rentenbereich, untersucht (Benartzi/Thaler 2001; Corneo u.a. 2007; Madrian/Shea 2001; Mann 2005; Peggs 2000; Rowlingson 2002; Vidler 2002). Abgesehen von Sammelbänden mit Fallstudien (Blank u.a. 2012; Greve 2009b) gibt es keine systematischen Ländervergleiche zum tatsächlichen Wahlverhalten von Nutzern in Wohlfahrtsmärkten.

Fragestellung

Obwohl vermehrt marktförmige Sozialprogramme und soziale Dienstleistungen Gegenstand von Forschungsarbeiten sind, bleiben mehre Fragen offen. In dieser Studie werden diese theoretischen und empirischen Forschungsdesiderate aufgegriffen.
Wie erwähnt ist das Verständnis von Wohlfahrtsmärkten bisher konzeptionell nur unzureichend entwickelt und bedarf genauerer Abgrenzung und Konkretisierung. Deshalb wird der einleitende theoretische Teil der Studie die stellenweise widersprüchlichen Konzepte diskutieren und Wohlfahrtsmärkte aus politikwissenschaftlicher Sicht systematisch konzeptualisieren. Die so gewonnene Definition von Wohlfahrtsmärkten ist dann Grundlage für die weitere empirische Analyse.
Die Fülle der vereinzelten Fallstudien und der (gleichwohl kleiner werdende) Mangel an komparativen Arbeiten zeigt eine Forschungslücke für vergleichende Arbeiten in diesem Feld auf. Die länderspezifischen Unterschiede und Gemeinsamkeiten von Wohlfahrtsmärkten wurden bisher nur unzureichend herausgearbeitet. Diese Studie vergleicht deshalb systematisch die Wohlfahrtsmärkte in den drei Ländern Deutschland, Schweden und den USA. Diese drei Länder repräsentieren drei verschiedene Wohlfahrtsregime und ihr systematischer Vergleich soll zeigen, ob diese Unterschiede auch bei den Wohlfahrtsmärkten festzustellen sind.
Vor allem sind aber Forschungsarbeiten rar, die über Alterssicherungssysteme hinausgehen. Um diesen Rentenbias in den empirischen Arbeiten über Wohlfahrtsmärkte aufzubrechen, wird zusätzlich zu den Wohlfahrtsmärkten der Alterssicherung die Vermarktlichung des Bildungssektors analysiert. Dieses Untersuchungsdesign ermöglicht zum einen, auf eine breite empirische Basis im Rentenbereich zurückgreifen zu können. Zum anderen erweitert die Untersuchung von Bildungsmärkten die Forschungsperspektive auf ein zusätzliches Politikfeld und ermöglicht weitergehende Generalisierungen. Außerdem weisen die Renten- und Bildungspolitik innerhalb der Untersuchungsländer bereits erhebliche Unterschiede auf, wodurch die Varianz der Vergleichsfälle erhöht wird.
Aus den aufgezeigten empirischen Forschungslücken in Bezug auf das Marktvolumen und die Institutionen von Wohlfahrtsmärkten ergeben sich zwei zentrale Fragen dieser Arbeit:

1. Hat eine Vermarktlichung von Sozialpolitik stattgefunden und wenn ja, wie stark ist sie ausgeprägt?
Mithin berührt diese Frage, wie hoch das Marktvolumen der Wohlfahrtsmärkte ist und ob das Marktvolumen angestiegen ist.

2. Findet eine Entwicklung zu einem Typ von Wohlfahrtsmärkten statt oder werden die neuen Märkte national politisiert und reguliert? Treten also institutionelle Unterschiede zwischen den Wohlfahrtsmärkten auf oder gleichen sich die implementierten Marktmechanismen?
Die Frage nach den Unterschieden bezieht sich explizit auf Unterschiede zwischen Ländern und Politikfeldern gleichermaßen. Diese beiden Hauptfragen nach dem Marktvolumen und den institutionellen Unterschieden der Wohlfahrtsmärkte sind der Kern dieser Untersuchung. Beide Fragestellungen beschäftigen sich nicht nur mit der Beschreibung der Entstehung und Ausgestaltung von Wohlfahrtsmärkten, sondern auch damit, wie der Wandel und die Unterschiede erklärt werden können.

Grundannahmen
Basierend auf der bereits erwähnten Literatur (Details s. Kapitel 3) können drei Grundannahmen über das zu erwartende Marktvolumen und die Regulierung von Wohlfahrtsmärkten abgeleitet werden.
In Bezug auf das Marktvolumen der Wohlfahrtsmärkte deuten die diskutierten Forschungsarbeiten darauf hin, dass marktförmige Strukturen in den letzten zwei Dekaden zugenommen haben. Daraus ergibt sich die erste Grundannahme:

1. Seit den 1990er Jahren ein Wachstum der Wohlfahrtsmärkte festzustellen.
Ziel dieser Studie ist also, den Ausbau und Anstieg der Wohlfahrtsmärkte nachzuweisen.
In der Literatur ist allerdings bisher ungeklärt, wann genau Wohlfahrtsmärkte in den einzelnen Ländern und Politikbereichen entstanden sind und wie hoch deren Marktvolumen im Vergleich zu anderen Wohlfahrtsregimen und zur öffentlichen Sozialpolitik ist. Bei aller Marktrhetorik wird häufig übersehen, dass die Wohlfahrtsstaaten weiterhin einen Großteil der sozialen Sicherung garantieren, womit die Frage im Raum steht, wie relevant diese neuen Wohlfahrtsmärkte überhaupt sind. Ziel dieser Studie ist es, ein genaueres Bild des Marktvolumens zu zeichnen. Dabei wird untersucht, ob Konvergenzen des Marktvolumens festzustellen sind (Holzinger u.a. 2007a; Knill 2005). Die bereits erwähnten Forschungsarbeiten liefern in diesem Punkt Hinweise auf erhebliche Unterschiede zwischen den Wohlfahrtsregimen und Politikfeldern. Daraus kann folgende zweite Grundannahme abgeleitet werden:

2. Trotz eines Anstiegs des Marktvolumens bleiben wesentliche Unterschiede zwischen Wohlfahrtsregimen und Politikfeldern bestehen.
Beispielsweise ist in liberalen Wohlfahrtsregimen dieses Wachstum vermutlich früher und stärker festzustellen als in konservativen und sozialdemokratischen Wohlfahrtsregimen.
Der zweite Fragenkomplex beschäftigt sich mit der Regulierung der Wohlfahrtsmärkte. Wenn Wohlfahrtsmärkte neu entstehen, werden neue Institutionen (im Sinne von Regeln) gegründet. Verschiedene Studien konnten bereits zeigen, dass die Institutionen von Wohlfahrtsmärkten variieren (u.a. Gingrich 2011). Diese Studie zielt darauf ab, diese strukturellen Unterschiede systematisch herauszuarbeiten. In Anlehnung an den politischen Institutionalismus der Marktsoziologie (Fligstein 2001) konnte in anderen Märkten gezeigt werden, dass benachbarte existierende Institutionen als Vorbilder (templates) für neue Marktinstitutionen verwendet werden. Die neuen Märkte werden also in das bestehende Institutionengefüge eingebettet. Geprägt von Pfadabhängigkeiten ähneln die neuen Märkte bereits existierenden Märkten und öffentlichen Institutionen. Wohlgemerkt liegen der Marktgründung politische Entscheidungen zugrunde. Machtvolle Akteure versuchen, eine für sie vorteilhafte Marktregulierung zu implementieren und profitieren am meisten davon, wenn die neuen Märkte in das existierende Institutionengefüge eingebettet werden.
Dieser Prozess der institutionellen Einbettung kann auf Wohlfahrtsmärkte übertragen werden, woraus sich folgende dritte Grundannahme ableitet

3. Die dominanten sozialpolitischen Akteure haben ein ureigenes Interesse, dass die Wohlfahrtsmärkte in das existierende Wohlfahrtsregime institutionell eingebettet werden, damit sie ihre Machtposition behaupten können. Folglich werden Wohlfahrtsmärkte nach dem Vorbild der existierenden sozialpolitischen Institutionen gestaltet.
Die Wohlfahrtsmärkte replizieren damit bestehende institutionelle Eigenschaften.
Grundannahme drei lässt sich wieder am Beispiel der deutschen Riester-Rente illustrieren: Demnach orientiert sich die Regulierung der neugegründeten Riester-Rente an dem existierenden deutschen Rentensystem. Angestellte, Beamte und Selbstständige hatten vor der Einführung der Riester-Rente unterschiedliche Altersvorsorgesysteme, bei der Marktregulierung der Riester-Rente wurden diese Statusunterschiede aufrechterhalten und für Selbständige eine separate Rürup-Rente gegründet. Im Vergleich dazu war das schwedische Rentensystem vor der Reform Ende der 1990er Jahre universell und obligatorisch, ebenso wie der neue Rentenmarkt der Prämienrente. Die institutionelle Einbettung ist in beiden Ländern anhand dieses Beispiels dadurch gekennzeichnet, dass die Marktregulierung benachbarten existierenden Institutionen gleicht.
Im Rahmen dieser Studie werden diese Formen der institutionellen Einbettung von Wohlfahrtsmärkten herausgearbeitet. Grundsätzlich können alle gesellschaftlichen Akteure je nach ihrer Machtposition die Regulierung von Wohlfahrtsmärkten beeinflussen, weshalb sowohl Parteien, Gewerkschaften, Unternehmen, Verbände und Verfassungsgerichte in die Analyse einbezogen werden. Jeder dieser Akteure versucht, seine Präferenzen bei der Gründung und regulativen Einbettung der Wohlfahrtsmärkte durchzusetzen.
Damit stellt sich die Frage, wie die formulierten Grundannahmen erklärt werden können. Welche Faktoren befördern das Wachstum der Wohlfahrtsmärkte (Grundannahme 1), tragen zu den Unterschieden im Marktvolumen bei (2) und führen zur Einbettung der Wohlfahrtsmärkte in das existierende Wohlfahrtsregime (3)? Dabei werden soweit wie möglich verschiedene Theorieschulen der Wohlfahrtsstaatsforschung berücksichtigt, der Schwerpunkt liegt aber auf institutionellen (Pierson 1994; 2000; Streeck/Thelen 2005b) und akteurszentrierten (Gingrich 2011; Kitschelt 2001; Korpi 1983; Korpi/Palme 2003; Schmidt 1996) Erklärungsansätzen.
In der empirischen Analyse, so das Hauptargument dieser Studie, konnten Institutionen und Akteure als zentrale Einflussfaktoren identifiziert werden. Wobei die existierenden Institutionen maßgeblich zur Einbettung beitragen und auch das Wachstum der Wohlfahrtsmärkte begrenzen. Die dominanten Akteure verstärken die positiven Feedback-Effekte der Institutionen, weil sie vom Erhalt der institutionellen Eigenschaften in den Wohlfahrtsmärkten profitieren. Wie bereits in der dritten Grundannahme anklang, sind die Institutionen die Hauptfaktoren für das Wachstumspotenzial, die Varianz und die Einbettung der Wohlfahrtsmärkte. Allerdings können Akteure institutionelle Pfade durchbrechen und Innovationen einführen. Allein die Einführung und das Wachstum von Wohlfahrtsmärkten gehen auf einen institutionellen Wandel zurück, der von Akteuren angestoßen wurde. Zusätzlich handeln Akteure unter ökonomischen und gesellschaftlichen Zwängen, die ihre Präferenzen formen. Anders ausgedrückt, Institutionen stabilisieren nicht nur die Regulierung der Wohlfahrtsmärkte und bewahren die Unterschiede der Märkte, sie bestimmen auch zum großen Teil das Wachstumspotenzial. Die beteiligten Akteure versuchen, die Wohlfahrtsmärkte nach ihren Präferenzen zu gestalten, neue Akteure können jedoch nur marginale Innovationen in Marktreformen durchsetzen. Und schließlich können die sozioökonomischen Rahmenbedingungen das Wachstum beschleunigen oder abmildern und im öffentlichen Diskurs können bestimmte institutionelle Regulierungsoptionen von vornherein ausgeschlossen sein, dennoch besitzen die Institutionen eine hohe Persistenz und begrenzen den Spielraum von Marktwachstum und sozialer Einbettung erheblich.
Das Hauptaugenmerk dieser Studie liegt auf dem empirischen Vergleich der Wohlfahrtsmärkte und inwiefern die leitenden Überlegungen von Expansion des Marktvolumens und Kontinuität der Länderunterschiede bestätigt werden können. Die Effekte und Wirkungen der Wohlfahrtsmärkte sind explizit nicht Gegenstand dieser Studie, nur an einigen Stellen wird auf Verteilungseffekte und Ungleichheiten verwiesen, um die institutionellen Unterschiede der Marktregulierung zu veranschaulichen. Das vergleichende Forschungsdesign ermöglicht, einerseits generelle Einflussfaktoren für den beobachteten Wandel zu identifizieren und zu überprüfen, andererseits können die Zusammenhänge aufgrund der geringen Fallzahl nicht statistisch getestet werden. Ein weiterer Beitrag des qualitativen Untersuchungsdesigns liegt in der Theoriebildung zur Erklärung von Entstehung und Varianz von Wohlfahrtmärkten. Ein weiteres zentrales Element der Studie ist die Konzeptualisierung des Begriffes Wohlfahrtsmarkt.

Aufbau der Studie

Die Gliederung orientiert sich an den Forschungsfragen. Zunächst wird in Kapitel zwei der theoretische Rahmen gespannt und das Konzept der Wohlfahrtsmärkte in den sozialpolitischen Diskurs eingeordnet. Im darauf folgenden Kapitel werden die Fallauswahl und das methodische Vorgehen ausführlich dargelegt sowie die Erklärungsansätze für die Grundannahmen diskutiert. In den Kapiteln vier und fünf erfolgt die eigentliche empirische Analyse. Das Marktvolumen der Wohlfahrtsmärkte wird in Kapitel vier erhoben und dargestellt. Dazu werden verschiedene Indikatoren internationaler und nationaler Datenbanken ausgewertet. Der Vergleich der Regulierung erfolgt in Kapitel fünf, gegliedert nach Ländern und Politikfeldern. In diesem Kapitel werden auch die Interessen und Motivationen der Akteure untersucht und wie sie die Regulierung der Wohlfahrtsmärkte tatsächlich beeinflusst haben. Ein abschließendes Vergleichskapitel trägt die Ergebnisse aus den empirischen Kapiteln zusammen und diskutiert sie vor dem Hintergrund der Erklärungsansätze aus Kapitel drei. In einem abschließenden Fazit wird ein Ausblick auf den Zusammenhang von Sozialpolitik und Wohlfahrtsmärkten gegeben. Allgemeingültige Muster und Entwicklungstrends, die über den sozialpolitischen Kontext hinausgehen, werden aufgezeigt.

Wohlfahrtsmarkt als politikwissenschaftliches
Konzept
Der Staat spielte in den Anfängen der Sozialpolitik nur eine Nebenrolle, denn kommunale, betriebliche, kirchliche und private Träger waren gleichwertige Akteure bei der Gründung sozialpolitischer Programme (Kaufmann 2003; Pohl 1991; von Stein 1850). Erst im Zeitverlauf verengte sich der Begriff auf staatliche Sozialleistungen - konkretisiert im Konzept des Wohlfahrtsstaates (Alber/Behrendt 2001; Neumann/Schaper 2008; Schmidt 2005; Schmidt u.a. 2007). Sozialpolitik wurde und wird primär als staatliche Politik aufgefasst und betrieben, obwohl die Ursprünge eben gerade nicht dort liegen. Infolgedessen beschäftigte sich die sozialpolitische Forschung hauptsächlich mit der Staatstätigkeit und dem Wohlfahrtsstaat, eine Forschungsperspektive, die bis heute dominiert (Alber 1987; 1988; Briggs 1961; Flora 1986; Flora/Alber 1981; Katznelson 1988). Trotz dieser Verengung ist aber selbst die Definition des Wohlfahrtsstaates nicht immer eindeutig und klar umgrenzt (Barr 2004: 6).
In anderen sozialpolitischen Forschungsansätzen wurde die sektorale Pluralität der Sozialpolitik allerdings immer adressiert vgl. Köppe u.a. (2008). Unter Begriffen wie Wohlfahrtspluralismus oder Wohlfahrtsmix wurde jenseits der öffentlichen Leistungserbringung die betriebliche, freiwillige, private, kirchliche und familiäre Wohlfahrtsproduktion berücksichtigt (Evers/Olk 1996; Powell 2007; Titmuss 1963 [1956]; Zapf 1984). Meist werden vier wesentliche Wohlfahrtssektoren genannt: Staat, Markt, Verbände (bzw. der Dritte Sektor) und Familien. Allerdings sind die Grenzen zwischen den Sektoren dabei immer weniger auszumachen und verschwimmen zusehends. Hybride Wohlfahrtsarrangements entstehen, die Eigenschaften mehrerer Wohlfahrtssektoren aufweisen. Beispielsweise wurden betriebliche Renten mehr und mehr privaten Rentenversicherungen angepasst, sodass sie Eigenschaften beider Sektoren aufweisen (Berner 2009; Greener 2008: 97).
Im Rahmen dieser Arbeit interessiert vor allem die Erbringung von Wohlfahrtsleistungen mithilfe von Marktmechanismen im konkreten Untersuchungsgegenstand von Renten- und Bildungsmärkten. Als heuristisches Konzept zur Analyse dieser marktförmigen Sozialpolitik verwende ich den Begriff Wohlfahrtsmarkt, der in diesem Kapitel definiert wird. In der Konzeptualisierung werden die Eigenschaften von Wohlfahrtsmärkten dargelegt, die Operationalisierung von Vermarktlichung diskutiert und verschiedene Wohlfahrtsmarkttypen definiert. Im Rahmen der Fokussierung auf die Marktmechanismen sozialpolitischer Programme und Dienstleistungen liegt das Hauptaugenmerk der Studie - und damit auch der folgenden konzeptionellen Diskussion - auf dem Wechselverhältnis von Staat und Markt, ohne andere Wohlfahrtssektoren explizit zu berücksichtigen.
Im Folgenden werden die Begriffe Markt, Wohlfahrtsmarkt und Vermarktlichung diskutiert und definiert, sowie verschiedene Schattierungen von Wohlfahrtsmarkttypen auf der Achse Staat-Markt differenziert. Zuerst werden die unterschiedlichen ökonomischen und soziologischen Marktdefinitionen präsentiert. In das politikwissenschaftliche Konzept des Wohlfahrtsmarktes werden Elemente aus beiden Disziplinen aufgenommen und Brücken zu ihnen geschlagen, Märkte werden aber insbesondere als politisch konstituierte Arenen des Tauschs betrachtet (Fligstein 1996; 2001). Anschließend werden in einem Literaturüberblick Wohlfahrtsmarktkonzepte diskutiert. Im darauf folgenden Abschnitt wird das in dieser Studie verwendete Wohlfahrtsmarktkonzept definiert. Im Anschluss an die Definition von Wohlfahrtsmärkten wird Vermarktlichung als ein Wandel zu Wohlfahrtsmärkten konkretisiert sowie die Wohlfahrtsmarkttypen ausführlich dargestellt.
Ökonomische und soziologische Marktdefinitionen
Ökonomen und Soziologen haben unterschiedliche Zugänge zu Märkten. In der Ökonomie wird definitorisch meist von einem perfekten Markt ausgegangen, der nur selten real existiert. Soziologen sind hingegen vor allem an den Interaktionen der Marktteilnehmer interessiert. Im Gegensatz zu den meisten Ökonomen gehen sie nicht von einem idealen Markt aus, sondern definieren minimale gesellschaftliche Bedingungen, unter denen Märkte entstehen. Beiden akademischen Disziplinen ist gemein, dass Märkte soziale Institutionen des Tausches von Gütern und Dienstleistungen sind. Allgemeiner formuliert: Auf Märkten findet der Tausch von Eigentumsrechten statt.


Stephan Köppe ist Lecturer in Social Policy am University College Dublin, Irland.


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