Kohl | Welche Zukunft wollen wir? | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 272 Seiten

Kohl Welche Zukunft wollen wir?

Mein Plädoyer für eine Politik von morgen

E-Book, Deutsch, 272 Seiten

ISBN: 978-3-451-82019-9
Verlag: Verlag Herder
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Unser Land steht vor kritischen, ja schicksalhaften Jahren. Wie sichern wir dauerhaft Frieden und Wohlstand in Deutschland und Europa? Wie bleiben wir als Volkswirtschaft wettbewerbsfähig? Wie bewältigen wir den Klimawandel? Dieses Buch analysiert die großen Herausforderungen unserer Zeit und zeigt uns, wie wir diese bewältigen können.
Bestseller-Autor Walter Kohl fordert einen Mentalitätswandel von uns allen, von Politikern und Bürgern. In seinem leidenschaftlichen Plädoyer stellt er einen 12-Punkte-Plan mit konkreten Lösungen vor.
Das Manifest einer Bewegung jenseits der Parteigrenzen. Das Ziel: Unser Land in Ordnung bringen und unsere freiheitliche Demokratie zukunftsfest machen.
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Teil 2:

Was tun?
8.
Die Mentalitätsfrage
Eine wesentliche Aufgabe von Politik ist es, Antworten und Lösungen auf die jeweils brennenden Fragen ihrer Zeit zu entwickeln und umzusetzen. Viele dieser aktuellen Herausforderungen wurden im ersten Teil dieses Buches diskutiert und erste Lösungsansätze dargestellt. Im zweiten Teil des Buches greife ich diese wieder auf und stelle die grundsätzliche Frage: Was tun? Kapitel 9 bietet einen 12-Punkte-Aktionsplan mit konkreten politischen Vorschlägen an. Doch viele dieser Vorschläge werden wir als Gesellschaft nicht umsetzen können, wenn wir nicht auch unsere Einstellung kritisch hinterfragen. Denn viele der Fehlsteuerungen in unserem Land sind das Ergebnis tieferliegender Ursachen in unserer politischen Kultur und Mentalität. Diese können nur gelöst werden, wenn sie erkannt und benannt werden. Wenn ein Baum krank ist, hilft es wenig, die Blätter grün anzumalen, sondern man muss sich um die Wurzeln der Krankheit kümmern. Daher widmet sich Kapitel 8 zunächst der Mentalitätsfrage. Welche Einstellung haben Bürger und Politiker gegenüber unserem Gemeinwesen heute? Und viel wichtiger: Welche Mentalität brauchen wir um unsere Zukunft erfolgreich gestalten zu können? Oft hören wir bei dieser Diskussion das Schlagwort Politikverdrossenheit. Dies suggeriert, dass das Interesse an Politik und politischer Teilhabe heute niedriger ist, als es früher war. Ein Blick auf die Wahlbeteiligungen bei Bundestagswahlen seit 1949 scheint dies zumindest oberflächlich zu bestätigen, wie auch in vielen anderen westlichen Demokratien. Betrugen die Wahlbeteiligungen in den 1950er-, 1960er- und 1970er-Jahren fast durchgängig über 85 Prozent, so fielen sie in den 1980ern und 1990ern auf Werte um die 77 Prozent und erreichten 2009 und 2013 mit nur rund 71 Prozent einen historischen Tiefpunkt.1 Der Trend kehrte sich zur Bundestagswahl 2017 mit einer Wahlbeteiligung von 76,2 Prozent wieder um, maßgeblich verursacht durch die Mobilisierung bisheriger Nichtwählern durch die AfD.2 Eine Studie der Bundeszentrale für politische Bildung aus dem Herbst 2019 zeigt, dass das politische Interesse in Deutschland seit Jahren durch alle Altersgruppen wieder ansteigt.3 Gleichzeitig geben in Umfragen nur ein Prozent der Deutschen an, mit der Arbeit der Bundesregierung sehr zufrieden zu sein (während knapp ein Viertel sehr unzufrieden und 44 Prozent weniger zufrieden sind).4 Sind die Deutschen also wirklich politikverdrossen oder vielleicht vielmehr politikerverdrossen? Politikerverdrossenheit
Noch vor wenigen Jahrzehnten konnte man den öffentlichen Raum in Deutschland entlang weniger politischer Konfliktlinien einteilen, die die Debatten definierten.5 So konnte sich die Sozialdemokratie auf die Unterstützung der Gewerkschaften und großer Teile der Arbeiterschaft verlassen, die Unionsparteien hingegen auf katholische Milieus. In den Volksparteien entwickelten sich Vereinigungen, die Einzelinteressen dieser Milieus kanalisierten und repräsentierten – so beispielsweise die christdemokratische Arbeitnehmerschaft, der Evangelische Arbeitskreis oder die Mittelstandsvereinigung. In der SPD formierten sich drei ideologische Flügel: der konservative Seeheimer Kreis, die Parlamentarische Linke und das reformorientierte Netzwerk Berlin. Die Milieus haben sich verändert, nicht zuletzt durch den rapiden Mitgliederschwund bei Kirchen, Gewerkschaften und den Parteien selbst. So sank die Zahl der SPD-Mitglieder von über 943.000 nach der Wiedervereinigung auf 426.000 im Sommer 2019. Bei der CDU war der Mitgliederschwund von 789.000 auf 414.000 beinahe ebenso dramatisch. Auch das Durchschnittsalter der Mitglieder beider Parteien sollte Anlass zur Besorgnis geben, denn es liegt bei CDU, CSU und SPD bei jeweils rund 60 Jahren.6 Geblieben sind jedoch alte innerparteiliche Konfliktlinien und ein entsprechendes Stammesdenken. Wer jemals auf einem Parteitag war, weiß, wie oft man Sätze hört wie »Stimme nicht für den, der ist von …«, und dann folgt ein Schlagwort wie »Seeheimer Kreis« bei der SPD oder ein bestimmter Landesverband oder eine Gruppe bei der Union. Dieses Verhalten ist eine verselbständigte Tradition, fast schon der Grundton unseres Parteiensystems. Und diese Praxis beschränkt sich nicht auf Parteitage, sondern findet auch im politischen Alltag ihren Niederschlag. Inhaltliche Vorschläge der Opposition, oder der »Anderen«, werden oft aus Prinzip und nicht aus inhaltlichen Gründen abgelehnt. Ein richtiges Argument wird falsch, weil es von der »falschen« Seite oder Person kommt. Diese Form der Politik läuft der Idee zuwider, dass Demokratie ein Wettbewerb der Ideen sein soll, in dem Lösungen und nicht persönliche Loyalitäten oder politisches Stammesdenken den Diskurs beherrschen. Ein solches Verhalten beschädigt das Vertrauen vieler Bürger in Politiker und das Funktionieren unserer Demokratie. Bei zentralen politischen Fragen der vergangenen Jahre – beispielsweise der Migrationskrise und dem Umgang mit dem Klimawandel – stand oft genug diese Form des politischen Stammesdenkens echten Lösungen im Weg. Robin Alexander beschreibt in seinem Buch »Die Getriebenen«7 ausführlich, wie persönliche Rivalitäten zwischen Sigmar Gabriel, Horst Seehofer und Angela Merkel im Herbst 2015 über Monate die Handlungsfähigkeit der Bundesregierung lahmlegten. So führte die Weigerung Seehofers, in der kritischen Phase des Septembers 2015 für Merkel erreichbar zu sein, und Merkels Unwillen, seine Büroleitung zu kontaktieren, zu massiven Verzögerungen in der aktiven Entscheidungsfindung.8 Im Kern geht es um unser Politikverständnis. Wenn der Zweck von Politik nur der eigene Machtausbau oder -erhalt und nicht die Umsetzung von Inhalten ist, werden letztere zwangsläufig eigenen Machtinteressen untergeordnet. Entsprechend lässt sich das beispielgebende Ringen innerhalb der Bundesregierung um eine Lösung der Flüchtlingskrise auch weniger mit inhaltlichen Differenzen erklären. Vielmehr lagen den Auseinandersetzungen persönliche Kontroversen zugrunde, denen ein inhaltlicher Fassadenanstrich gegeben wurde, der dann flexibel verändert werden konnte, wenn es im eigenen Machtinteresse war. Ein solcher Politikstil provoziert das Aufkommen von Politik- oder besser vielleicht Politikerverdrossenheit und Zynismus, die dann einen fruchtbaren Boden für den Wahlerfolg populistischer und extremistischer Parteien bieten. Und genau das haben wir in Deutschland 2015 und in den Folgejahren mit dem besorgniserregenden Aufstieg der AfD erlebt. Ein signifikanter Teil der Wählerschaft hat sich einem politischen Akteur zugewandt, der immer unverhohlener die Systemfrage stellt. Damit einher geht eine erhebliche Polarisierung der öffentlichen Debatten in unserem Land. Die Hemmschwelle zur verbalen Verrohung ist im Netz, aber immer mehr auch in der analogen Welt gesunken, wie in Kapitel 3 aufgezeigt. In den sozialen Medien findet man in vielen Kommentarspalten Verächtlichmachungen und Hetze gegen politisch Andersdenkende. Die Dämonisierung des Gegenübers vergiftet das gesellschaftliche Klima. Wenn man vielen Kommentatoren in sozialen Netzwerken folgt, kann sich der falsche Eindruck aufdrängen, dass unser Land nur aus »linksgrünversifften Gutmenschen« oder andererseits »blaubraunen Nazis« bestünde. Wir wissen, dass dies (glücklicherweise) nicht der Realität entspricht. Es darf nicht sein, dass diejenigen, die am lautesten schreien, am Ende die Deutungshoheit erringen. In der Aufmerksamkeitsökonomie der neuen Medien müssen Aussagen häufig extrem zugespitzt werden, um überhaupt auf Interesse zu stoßen. Die Folgen von Clickbaiting9 für eine qualifizierte öffentliche Debatte sind fatal. Auf dem Marktplatz der Ideen finden heute zumeist die schrillsten Marktschreier Gehör und nicht mehr jene mit dem qualifiziertesten Angebot. Die Mitte der Gesellschaft, die eine freiheitlich-demokratische Gesellschaftsordnung, einen starken Staat mit Rechtsstaatlichkeit und Humanität möchte, wird in dieser Auseinandersetzung marginalisiert und ihrer Stimme beraubt. Ist der Aufstieg der AfD also allein der Flüchtlingskrise geschuldet? Solche Wahrnehmungen sind zu oberflächlich. Die Etablierung von Parteien jenseits des demokratischen Spektrums speist sich meiner Meinung nach aus einer Summe von Ursachen, die weiter als die sogenannte Flüchtlingskrise von 2015 zurückreichen. Eine Studie der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages aus dem Jahre 2008 über Politikverdrossenheit benennt schon damals Gründe, die noch heute aktuell erscheinen: Misstrauen gegenüber politischen Führungspersonen, Zweifel an der Leistungsfähigkeit der Politik, Politik wird als persönlich ungerecht empfunden, Kritik an den Strukturen des politischen Systems und mangelnde Glaubwürdigkeit der Parteien.10 Die in den ersten sechs Kapiteln dieses Buches erwähnten Problemstellungen, von dem Zerfall der Infrastruktur über eine Erosion der inneren Sicherheit bis hin zu offensichtlichem Regulierungsversagen wie bei Cum-Ex oder Mehrwertsteuerkarussellen, untermauern diesen Befund mit konkreten Beispielen, die schlussendlich das Vertrauen in den Staat untergraben. Daher begreife ich die Ereignisse der Jahre 2015/2016 vor allem als Auslöser und nicht als Ursache für den...


Walter Kohl, Jahrgang 1963, ist Volkswirt und Historiker. Nach seinen Studien in den USA, Österreich und Frankreich arbeitete er in einer amerikanischen Investmentbank und in leitender Funktion bei mehreren deutschen Großunternehmen, bevor er mit seiner Frau ein eigenes Unternehmen in der Automobilindustrie gründete und dieses verkaufte.
Heute ist er als Unternehmer, Redner und Autor tätig. Er veröffentlichte mehrere Bestseller und ist Gründer der gemeinnützigen "Initiative Deutschland in Europa".


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