Kraft | (Un-)Ausgesprochen Ich | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 78 Seiten

Kraft (Un-)Ausgesprochen Ich

E-Book, Deutsch, 78 Seiten

ISBN: 978-3-99146-026-8
Verlag: novum pro Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Was passiert, wenn man sich ein Jahrzehnt lang selbst überfordert und knallhart mit sich ins Gericht geht? Irgendwann folgt der unausweichliche Kollaps.
Julia Kraft schildert in ihrer schonungslos ehrlichen Erzählung, wie sie von einer schweren Depression, die zwei Suizidversuche mit sich bringt, fast in die Knie gezwungen wird. Aber dann gelingt es ihr fast schon unverhofft, der Negativspirale zu entkommen und den Weg zurück ins Leben einzuschlagen.
Die Autorin findet eine klare Sprache für das Unaussprechliche: ihre zutiefst selbstzerstörerischen Gedanken, denen sie durch den Prozess des Erzählens die Macht über sich selbst nimmt.
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Todessehnsucht, die erste Ende Juli 2021 war der 65. Geburtstag meines Vaters. Er hatte zuvor schon ein paar Mal gesagt, dass das vermutlich sein letzter werden würde. Also sollte er großartig werden! Meine Schwester reiste aus den USA an und mein Bruder und ich holten sie vom Flughafen ab. Da merkte ich zum ersten Mal, dass ich kognitive Aussetzer hatte. Ich verwechselte gleich zwei fremde Frauen mit Nina. Philipp lachte mich aus, und ich dachte mir nicht viel dabei. Meine Akne war wieder voll im Aufblühen, und das machte mir sehr zu schaffen. Ich fühlte mich unattraktiv und war frustriert. Gleichzeitig schämte ich mich, dass ich mir wegen solcher Kleinigkeiten Gedanken machte, während mein Vater immer dünner wurde und immer schlechter aussah. Dass ich mich unrund fühlte, merkte man auch daran, dass ich an den Tagen rund um seinen Geburtstag, an denen ich im Burgenland war, das Gefühl hatte, krank zu werden. Ich machte einen Coronatest, negativ. Dann glaubte ich, dass eine Blasenentzündung im Anmarsch war. Ich machte viele Nachmittagsschläfchen, mit dem Ziel, mich zu erholen. Dann wieder hatte ich die Hoffnung, dass ich mich besser fühlen würde, wenn ich mich einmal so richtig ausheulen würde. Leider war dem nicht so, und es würde bis auf eine Ausnahme das letzte Mal sein, dass ich weinen konnte. Am Tag nach dem Geburtstag meines Vaters, es war ein Samstag, wollten meine Eltern und meine Geschwister zusammen grillen. Mein Bruder war bereits im Garten und bereitete den Grill vor. Meine Mutter bat mich, einen Tomatensalat zu machen, den ich im Vorjahr so gerne zubereitet hatte. Ich nahm die Tomaten und das Messer in die Hand, aber nach wenigen Minuten konnte ich plötzlich nicht mehr weitermachen. Ich schaffte es nicht einmal, die Tomaten zu schneiden. Ich war völlig unnütz! An diesem Tag realisierte ich es zum ersten Mal und sagte es auch zu meiner Mutter: Mit mir stimmt etwas nicht. Meine Mutter reagierte sehr verständnisvoll und holte mir pflanzliche Beruhigungsmittel aus der Apotheke. Das sind nur die Nerven, sagte sie tröstend zu mir. Die Tabletten bewirkten genau gar nichts, außer, dass ich das Gefühl hatte, ein Bündel Lavendel geschluckt zu haben. Beim Mittagessen brachte ich kaum einen Bissen hinunter, während alle anderen genüsslich schlemmten. Mein Vater beobachtete mich und sagte mit einem Hauch Vorwurf und einem Hauch Sorge in der Stimme: Heute gefällst du mir gar nicht. Ich schämte mich, dass ich „es“, was auch immer es war, nicht besser verstecken konnte. Ich hatte das Gefühl, dass es mir den Boden unter den Füßen wegzog. Meine Gedanken wirbelten durcheinander. Ich beschloss, alles, was mir durch den Kopf ging, aufzuschreiben, um in der nächsten Woche mit meiner Therapeutin darüber zu sprechen. So sahen meine Notizen aus: Ich bin eigentlich nicht da, zumindest nicht da, wo die anderen sind – ich lebe in einer anderen Welt; vielleicht war das schon immer so? Angst: Angst, verrückt zu werden Angst, zu sterben; aber gleichzeitig der Wunsch, dass „es“ aufhört Angst, alles zu verlieren, was ich habe (Job, Freundinnen, Partner) Alles, einfach alles macht mir Angst und ich kann mich nicht mehr selbst beruhigen Ich habe so lange auf die Liebe gewartet und nun muss ich sie wieder hergeben!!! Ich kann ihm das nicht zumuten, ich kann mich selbst niemandem zumuten Ich habe das Gefühl, alles verlernt zu haben: z.B. wie man Rad fährt, kocht, lacht Ich habe mich selbst verloren – oder nie gefunden??? Schmerz, der zu groß ist für mich Überall um mich ist Leid und Schmerz, andere Menschen können so viel tragen und ich nicht Es passiert so viel wirklich Schlimmes und ich hatte immer so ein schönes Leben und wusste nicht, an welch seidenem Faden es hing Scham, dass ich so egoistisch bin; dass ich meiner Familie das antue; ich fühle mich wie die größte Versagerin auf Erden, ich mache alles falsch, einfach alles; ich fühle mich wertlos und nicht liebenswert – ich liebe mich selbst nicht Meine Gedanken kreisen nur noch um mich selbst! Und mein Vater merkt das langsam! Ich kann nichts für meinen Vater tun, ich bin nutzlos wie ein Kind, das im Weg herumsteht Ich staune darüber, dass und wie andere Menschen leben – warum kann ich das nicht? Warum bin ich so unfähig? Ekel vor mir selbst Das Gefühl, durch meine Akne entstellt zu sein (ich kann keinen Blick auf mir ertragen, ich möchte das Haus nicht mehr verlassen) Das Gefühl, dass nichts je wieder gut wird; ich bin UNTRÖSTLICH Antriebslosigkeit: jede Bewegung empfinde ich als anstrengend; ich warte darauf, dass es Nacht wird, damit ich schlafen gehen kann; ich will versinken in der Nacht Appetitlosigkeit Albträume Teilweise Wahrnehmungsstörungen: ich sehe alles dunkler, als es normalerweise ist; Auch Konzentrationsstörungen: ich kann (fast) kein zusammenhängendes Gespräch mehr führen, ich vergesse andauernd Dinge, die ich eigentlich weiß; ich kann einem Buch oder Film nicht folgen WAS IST MIT MIR LOS??? ICH WILL, DASS ES AUFHÖRT! ICH WEISS NICHT, WO ICH ANFANGEN SOLL ICH KANN KEINEN KLAREN GEDANKEN FASSEN Das ist das Ende meines Lebens, wie ich es kannte Der letzte Satz hallt noch heute in mir nach. Das ist das Ende meines Lebens, wie ich es kannte. Er kam mir zwar theatralisch vor, als ich ihn noch einmal las, aber leider traf ich damit vollkommen ins Schwarze. Im kommenden Jahr sollte alles anders werden, kein Stein würde auf dem anderen bleiben. Ich hoffte, dass es mir besser gehen würde, nachdem ich wieder zurück in Wien war, wenn ich ein wenig Abstand zu meinem Vater hatte, so egoistisch das auch klingt. Mein Bruder brachte meine Schwester und mich am Sonntag nach Wien. Nina musste am nächsten Tag zu einem Vorstellungsgespräch nach Deutschland fliegen und wollte die Nacht in meiner Wohnung verbringen. Auf dem Weg nach Wien schlief ich erschöpft auf der Rückbank ein. In Wien angekommen schlug Philipp vor, noch ein Eis essen zu gehen. Ein wundervoller Einfall – unter normalen Umständen. Ich hielt es fast nicht mehr aus, auch noch ein Eis essen zu müssen, als wäre es eine unendliche Belastung und nicht ein Luxus, am Sonntagnachmittag mit den Geschwistern durch die Stadt zu flanieren. In meiner Wohnung angekommen, telefonierte ich mit meiner Therapeutin. Nina war so rücksichtsvoll und machte währenddessen einen Spaziergang im nahegelegenen Augarten. Frau Stein schaffte es, mich ein wenig zu beruhigen. Aber wirklich ruhig war ich nicht. An die darauffolgende Woche kann ich mich nicht mehr im Detail erinnern, nur an einzelne Momente. Ich besuchte zwei Mal meine Therapeutin. Außerdem versuchte ich, laufen zu gehen, was mir sonst immer gutgetan hatte, aber ich musste schon nach wenigen Kilometern aufgeben, weil ich mich so kraft- und antriebslos fühlte. Ich führte ein Telefonat mit einer Bekannten, die im Bildungsministerium arbeitete und mir ein nebenberufliches Jobangebot machen wollte. Ich erinnere mich, dass ich ihren Worten kaum folgen konnte, meine Kehle fühlte sich ausgetrocknet an, ich schaffte es nur hin und wieder, ein Ja und Mhm zu stammeln. Am liebsten hätte ich ins Telefon geheult. Einmal traf ich meine Freundin Karoline. Ihr erzählte ich, dass ich das Gefühl hatte, plötzlich sei alles anders, so als hätte sich ein Vorhang zwischen mich und die Welt geschoben und als könnte ich nicht mehr am Leben teilhaben. Sie versuchte, mich zu trösten, und sagte, dass es mir wieder besser gehen würde. Ich glaubte ihr nicht, weil ich spürte, dass ich es diesmal mit etwas viel Größerem als je zuvor zu tun hatte. Mein Verhalten wurde immer abstruser. Einmal gab es ein Gewitter und mir waren die Zigaretten ausgegangen. Ich lief im Regen über die Straße und ließ mir aus dem Automaten eine Packung Camel heraus. Den Regen empfand ich als ultimative Bedrohung. Als ich in meiner Wohnung zurück war, hatte ich das Gefühl, dass ich gerade dem Tod entkommen war. Einmal streckte ich mich auf dem Boden aus und sagte zu mir in Gedanken: So, jetzt stirbst du. Es ist aus mit dir. Ich beschloss, zum Hausarzt zu gehen und eine Blutuntersuchung machen zu lassen. Irgendetwas musste doch mit mir sein! Das war doch nicht normal! Im Warteraum der Ordination sank ich in mich zusammen und wieder hatte ich das Gefühl, dass ich sterben müsste. Ich erzählte meinem Hausarzt, wie schlecht es mir ging, doch die Blutuntersuchung ergab nichts. Er vermutete, dass es sich um Depressionen handelte, gab mir aber auch eine Überweisung für ein Schädel-MRT. Ich wünschte mir regelrecht, einen Hirntumor zu haben, damit ich mir mein seltsames Verhalten erklären konnte. Zum MRT schaffte ich es aber nicht mehr, zumindest nicht unversehrt. An einem Morgen fiel mein Blick auf ein Küchenmesser und ich...


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