Biomechanik - Simulation - Sicherheit im Entwicklungsprozess
E-Book, Deutsch, 410 Seiten, eBook
Reihe: ATZ/MTZ-Fachbuch
ISBN: 978-3-8348-9254-6
Verlag: Vieweg & Teubner
Format: PDF
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)
Prof. Hon.-Prof. Dr.-Ing. Florian Kramer lehrt an der Hochschule für Technik und
Wirtschaft Dresden (FH) das Fachgebiet Kraftfahrzeugsicherheit und Unfallanalytik
und betreibt das Ingenieurdienstleistungsbüro SAFE in Dresden.
Zielgruppe
Professional/practitioner
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
1;Vorwort zur dritten Auflage;6
2;Danksagung;7
3;Inhaltsverzeichnis;9
4;1 Die passive Sicherheit;13
4.1;1.1 Sicherheitswissenschaftliche Grundbegriffe;13
4.2;1.2 Die passive Fahrzeug-Sicherheit als Teilgebiet der Straßenverkehrssicherheit;15
4.3;Literaturnachweis zu Kapitel 1;20
5;2 Unfallforschung;21
5.1;2.1 Unfalldatenerhebung und -statistik;23
5.2;2.2 Unfallmechanik und -rekonstruktion;27
5.3;2.3 Unfallanalyse;31
5.4;2.4 Strukturierung des Unfallgeschehens;35
5.5;Literaturnachweis zu Kapitel 2;59
6;3 Biomechanik;61
6.1;3.1 Anatomie des menschlichen Körpers und Verletzungsmechanismen;61
6.2;3.2 Verletzungsschwere und deren Monetarisierung;106
6.3;3.3 Verletzungs- und Schutzkriterien;113
6.4;Literaturnachweis zu Kapitel 3;148
7;4 Sicherheitsmaßnahmen;155
7.1;4.1 Zielsetzung und Definitionen;155
7.2;4.2 Schutzprinzipien;157
7.3;4.3 Maßnahmen zum Selbstschutz;175
7.4;4.4 Maßnahmen zum Kontrahentenschutz;233
7.5;4.5 Nachkollisionäre und sonstige Sicherheitsmaßnahmen;243
7.6;Literaturnachweis zu Kapitel 4;249
8;5 Sensorik zur Unfalldetektierung;252
8.1;5.1 Entwicklung der Sensorik;253
8.2;5.2 Seiten-Sensoren;267
8.3;5.4 Systeme zur Insassen-Erkennung;269
8.4;5.5 PreCrash-Sensorik;274
8.5;5.6 Airbag-Elektronik;276
8.6;5.7 Sicherheitsanforderungen an die Airbag-Elektronik;279
8.7;5.8 Datenübertragung;286
8.8;5.9 Systemintegration hinsichtlich aktiver und passiver Sicherheit;291
8.9;Literaturnachweis zu Kapitel 5;293
9;6 Überprüfung und Bewertung der Sicherheit;294
9.1;6.1 Quantifizierung der Straßenverkehrssicherheit;294
9.2;6.2 Gesetzgebung;298
9.3;6.3 Bewertung auf der Basis der Unfallstatistik;314
9.4;6.4 Bewertung auf der Basis von experimentellen Untersuchungen;316
9.5;6.5 Verletzungsfolgekosten und Sachschäden;330
9.6;Literaturnachweis zu Kapitel 6;334
10;7 Experimentelle Simulation;336
10.1;7.1 Versuchsarten;337
10.2;7.2 Versuchseinrichtungen und -anlagen;348
10.3;7.3 Anthropometrische Testpuppen (Dummies);349
10.4;7.4 Messtechnik;357
10.5;7.5 Film- und Beleuchtungstechnik;364
10.6;Literaturnachweis zu Kapitel 7;365
11;8 Rechnerische Simulation;367
11.1;8.1 Die Geschichte der rechnerischen Simulation;367
11.2;8.2 Berechnungsverfahren;369
11.3;8.3 Berechnungsmodelle;379
11.4;8.4 Berechnungsbewertung;394
11.5;8.5 Rechnerische Optimierung im Bereich der passiven Sicherheit;395
11.6;Literaturnachweis zu Kapitel 8;397
12;9 Passive Sicherheit im Fahrzeugentwicklungsprozess;401
12.1;9.1 Prozessziele und Entwicklungsorganisation;402
12.2;9.2 Der Entwicklungsprozess;402
12.3;9.3 Qualität und deren Absicherung;404
12.4;9.4 Herausforderungen innerhalb der Projektarbeit;406
12.5;9.5 Rechnerische Simulation und experimentelle Absicherung im Entwicklungsablauf;409
12.6;9.6 Integration der Unfallforschung in den Entwicklungsablauf am Beispiel Mercedes-Benz;417
12.7;Literaturnachweis zu Kapitel 9;420
13;Sachwortverzeichnis;421
Die passive Sicherheit.- Unfallforschung.- Biomechanik.- Sicherheitsmaßnahmen.- Sensorik zur Unfalldetektierung.- Überprüfung und Bewertung der Sicherheit.- Experimentelle Simulation.- Rechnerische Simulation.- Passive Sicherheit im Fahrzeugentwicklungsprozess.
8 Rechnerische Simulation (S. 357-358)
Für eine Zulassung im Straßenverkehr sind Fahrzeugversuche international vereinbart und gesetzlich vorgeschrieben. Mit der experimentellen Simulation werden nicht selten unerwartete Schwachstellen aufgedeckt. Nachteilig ist allerdings der Umstand, dass Testobjekte erst als Prototypen oder Muster vorliegen müssen, um experimentell überprüft werden zu können. Dies bedeutet nicht nur hohe Erstellungskosten, sondern auch einen hohen Zeitaufwand, der mit den immer kürzer werdenden Entwicklungszyklen neuer Fahrzeugtypen und -plattformen unvereinbar ist. Daher entwickelte sich die rechnerische Simulation hin zum entscheidenden und anerkannten Entwicklungswerkzeug.
Die Anwendung reicht von der Konzeptphase bis hin zur Serienentwicklung und zeichnet sich durch ein hohes Maß an Zuverlässigkeit und Genauigkeit aus. Dies gilt für die statische und dynamische Berechnung des Fahrzeugverhaltens und der Komponenten des Insassenschutz-Systems als auch für die Simulation des Bewegungs- und Belastungsverhaltens von Insassen. Innerhalb dieser Crash-Mechanik-Simulation werden Rechenverfahren eingesetzt, bei denen die zu untersuchende Komponente als deformierbar oder als gekoppelte Starrkörper angenommen werden. Entsprechend nutzt man Programme aus dem Bereich der Finite-Elemente-Methode (FEM) bzw. Programme für Mehr-Körper-Systeme (MKS).
Nach einer Zusammenfassung der geschichtlichen Entwicklung der Berechnungsverfahren werden die einzelnen mathematischen Methoden kurz umrissen. Daran schließt sich die Beschreibung von verwendeten Modellarten in den unterschiedlichen Berechnungsdisziplinen an. Abschließend werden erforderliche Kriterien zur Bewertung einer Berechnung diskutiert und die Möglichkeiten der Optimierung von Systemen mittels Simulation erläutert.
8.1 Die Geschichte der rechnerischen Simulation
Verwendet man MKS-Formulierungen, führt dies zu Systemen von gewöhnlichen Differentialgleichungen. Eine noch heute aktuelle Gruppe von Algorithmen zur Lösung von Anfangswert-Problemen von gewöhnlichen Differentialgleichungen wurde Anfang des 20. Jahrhunderts, also vor der Entwicklung und Verbreitung von Computern, veröffentlicht. Die Methoden sind nach den Entwicklern, dem deutschen Mathematiker und Physiker Carl David Tolmé RUNGE (1856-1927), der Professor in Göttingen war, und dem deutschen Mathematiker Martin Wilhelm KUTTA (1867-1944), der in Stuttgart lehrte, benannt. Die RUNGE-KUTTA-Verfahren sind aber noch nicht in der Lage, die in der Insassensicherheit auftretenden Gleichungen effektiv zu lösen.
Dazu wurden Mitte des 20. Jahrhunderts in Arbeiten von Charles CURTISS und Joseph HIRSCHFELDER Untersuchungen zu so genannten steifen Systemen gemacht. Verfahren zum Lösen des steifen Systems wie RUNGE-KUTTA-ROSENBROCK oder RUNGE-KUTTA-NYSTRÖM erlauben die Aufgaben numerisch zu lösen. Eines der ersten zweidimensionalen Insassen-Simulationsmodelle wurde 1963 in den USA durch CALSPAN von McHENRY unter der Bezeichnung CAL-2D aufgestellt und laufend weiterentwickelt, so entstanden z. B. das Programm ROS (Revised Occupant Simulation) von SEGAL im Jahre 1971, das Programm MODROS (Modified Revised Occupant Simulation) von DANFORTH und RANDALL 1972 und das Programm PSOS (Programm zur Simulation und Optimierung von Sicherheitsgurten) von NIEDERER 1977.
Parallel zum CALSPAN-Modell entwickelte ROBBINS das als MVMA-2D bezeichnete Modell, das von ihm und anderen Co-Autoren 1970 veröffentlicht wurde. Das Anfang der 1980-er Jahre an der Technischen Universität Berlin entwickelte Insassen-Crashmechanik-Rechenmodell ICMF wurde zwar in Forschungsprojekten intensiv angewandt, jedoch nie kommerziell vertrieben, es geht ursprünglich zurück auf ein von ANSELM 1975 aufgestelltes Programm. TNO in den Niederlanden entwickelte das Programm MADYMO-2D, dessen Beschreibung BACCHETTI und MALTHA im Jahr 1978 erstmals veröffentlicht haben.