Krauß | Wem nützt die "Aufarbeitung"? | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 208 Seiten

Krauß Wem nützt die "Aufarbeitung"?

Die institutionalisierte Abrechnung

E-Book, Deutsch, 208 Seiten

ISBN: 978-3-360-51040-2
Verlag: Das Neue Berlin
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Krauß untersucht historisch-analytisch den Umgang mit der DDR-Vergangenheit im Rahmen der "Aufarbeitung". Ausgehend von diesem Begriff entstand ein Netzwerk staatlich wie privat geförderter Akteure und Institutionen, das eine unübersehbare Fülle bedruckten Papiers produziert, sich in aktuelle Debatten einmischt und tiefgreifenden Einfluss nimmt. In Presse, Bildung und Wissenschaft hat sich ein zunehmend kritikloser Umgang mit seinen Repräsentanten und Ergebnissen eingebürgert. So scheinen mehr Fragen als Antworten zu entstehen - Fragen nach Funktionen, ideologischem Gehalt und Wirkweisen des Aufarbeitungsvorgangs. Der Autor geht dem nach und legt eine Arbeit an konkreten Fallbeispielen mit theoretischem Anspruch vor.
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„Es muss demokratisch aussehen, aber wir müssen alles in der Hand haben.“ (Walter Ulbricht, angeblich gegenüber der „Gruppe Ulbricht“) Öffentliches Bewusstsein fördern – die Selbstdarstellung der Aufarbeiter Wie kam es zur Aufarbeitung im heutigen Sinne? Was tun die Aufarbeiter nach eigener Darstellung? Um die Jahrtausendwende geriet das noch junge Gesamtdeutschland in eine merkwürdige Situation. Die mit hohem Aufwand, mit Pauken und Trompeten betriebene zehnjährige „juristische Aufarbeitung von DDR-Unrecht“ wurde in dieser Phase abgeschlossen, und zwar mit einem – für einen bestimmten Personenkreis jedenfalls – deprimierenden Ergebnis. Der SPD-Politiker Egon Bahr nannte es ein „groteskes Missverhältnis“. Rund 100 000 Menschen seien in diesem Zusammenhang gerichtlich beschuldigt worden. In lediglich 1286 Fällen davon sei es zu einer Gerichtsverhandlung gekommen, ca. 800 Verurteilungen habe es gegeben und 40 Menschen seien mit Freiheitsentzug bestraft worden, so Bahr 2015. Nicht wenige dieser Verurteilungen kamen nur zustande, weil fragwürdige, um nicht zu sagen rechtswidrige Mittel in Anschlag gebracht worden waren. DDR-Richter, die vor 1989 nach Recht und Gesetz geurteilt hatten, wurden wegen Rechtsbeugung verurteilt, obwohl das, was sie in ihrem Amt taten, nicht einmal falsche Rechtsanwendung war. Die bundesdeutsche Justiz, die sich im Falle der Nazi-Täter immer dagegen gewehrt hatte, das Rückwirkungsverbot aufzuheben – millionenfacher Judenmord hin oder her –, setzte dieses Verbot im Falle der SED-Funktionäre außer Kraft. Dass diese Funktionäre so ungeheuerliche Straftaten begangen haben sollten, dass einer der wichtigsten Rechtsgrundsätze fallengelassen werden darf (keine Tat kann strafbar sein, die zum Zeitpunkt der Tat nicht strafbewehrt war), steht in einem geradezu grotesken Verhältnis zu den geringfügigen Strafen, die auf dieser Grundlage verhängt wurden. Nichtsdestotrotz hat sich die bundesdeutsche Justiz, von problematischen Einzelfällen abgesehen, bewährt. Die zumeist rechtsstaatlichen Grundsätzen folgende Aburteilung von angeblichem (und punktuell tatsächlichem) DDR-Unrecht durch westdeutsche Richter ließ die Bewertung der DDR als „Unrechtsstaat“ nicht zu. Was da stattfand, also die Breitband-Verdächtigung einer ganzen staatlichen Apparatur, würde in jedem Land der Welt mindestens eine solche Rate an Unrechtsentdeckung und -bestrafung nach sich ziehen wie im Falle der DDR. Die juristische Delegitimierung der DDR – ein Auftrag des früheren FDP-Justizministers Klaus Kinkel – war nicht gelungen. Um es mit Goethe zu sagen: „Ein hoher Aufwand, schmählich! ist vertan.“ Gleichzeitig war Ostdeutschland in der bundesdeutschen Wirklichkeit angekommen, zumindest in dem ihm zugedachten Teil dieser Wirklichkeit. Zehn Jahre nach der Wende stellte sich für die Ostdeutschen heraus, dass sie nach 1990 keineswegs von der Hölle ins Paradies gelangt waren. (Gleichwohl gilt das Umgekehrte auch nicht.) Millionen Menschen waren um Arbeit, Lebenssinn und Perspektive gebracht worden. Die Ausländer-Arbeitslosigkeit lag in der DDR bei 0 Prozent, nach der Wende bei 90 Prozent. Ganze Landstriche kollabierten wirtschaftlich und sozial. Die Todeszahlen auf den Straßen des Ostens waren sprunghaft auf das Drei- bis Vierfache gestiegen. Es setzte ein Gebärstreik nie gekannten Ausmaßes ein. Junge Menschen bekamen kaum Lehrstellen und mussten in die alten Bundesländer „auswandern“, wenn sie der Trostlosigkeit entfliehen wollten. Dafür gab es zum Teil Wegzugsprämien. Regionen, die zu DDR-Zeiten einen Entwicklungsschub und Modernisierung erfuhren, wurden das, was sie vor dem Zweiten Weltkrieg waren: Flecken, in denen Handwerk, Verwaltung, vielleicht noch ein wenig Fremdenverkehr das gesellschaftliche Leben bestimmen. Die nunmehr eingezogene kapitalistische Mentalität brachte ein Maß an Verrohung und Verwahrlosung mit sich, wie es Clemens Meyers Debütroman „Als wir träumten“ und dessen gleichnamige Verfilmung von An­dreas Dresen anschaulich wiedergeben. Millionen Menschen begannen, ihr Leben in der DDR in einem anderen Licht zu sehen. Die grundsätzliche Ablehnung, wie sie 1990 dominierte, wich einer differenzierten Betrachtung der früheren Welt und des eigenen Lebens. Das war natürlich das Gegenteil dessen, was der siegreiche Westen und auch ein Teil der DDR-Bürgerrechtler beabsichtigt hatten und für wünschenswert hielten. Es kann also kaum Zufall sein, dass das Ende der juristischen Aufarbeitung und die Gründung der Bundesstiftung für Aufarbeitung zeitlich zusammenfielen. Wenn die Strafjustiz nicht liefert, wenn es die Wirklichkeit nicht hergibt, dann müssen Belehrung und Pädagogik ran. Die Stunde des Agitators hatte geschlagen. Am 5. Juni 1998 wurde die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur gegründet. Vorarbeiten dafür leisteten Enquetekommissionen des Bundestages von 1992 und 1995. Die neue Stiftung entfaltet ihre Wirkung, indem sie nach eigenem Bekunden Projekte, Archive, Wissenschaft und Einrichtungen fördert, Beratung und Betreuung unterstützt und eigene Publikationen herausgibt. Ihr höchstes Gremium ist der auf fünf Jahre gewählte Stiftungsrat, dem 26 Vertreter aus den Fraktionen des Bundestages (hier wichtig: auch der Linken), ferner der Bundesregierung und des Landes Berlin sowie „Persönlichkeiten angehören, die sich in der Aufarbeitung besonders engagieren“. Es gibt einen ehrenamtlich arbeitenden Vorstand, der die konkreten Entscheidungen verantwortet. Unterstützt wird die Stiftung durch Fachbeiräte, sie untersteht der Rechtsaufsicht des Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, in der satirischen Presse „Reichskulturwart“ genannt. Schaltstelle der Stiftungsarbeit ist die Geschäftsstelle, der 25 Mit­arbeiter angehören. Was sich nach 1990 auf dieser Grundlage entspann, wurde in einem Brief deutlich, in dem die Gremien der Aufarbeitung die Verstetigung der Förderung für ihre Arbeit forderten. Angesichts des Ausmaßes, der tiefen Staffelung und Vernetzung der Aufarbeiter lässt sich begründet davon sprechen, dass sich in Deutschland eine Aufarbeitungsindustrie herausgebildet und breitgemacht hat. Offener Brief an Kulturstaatsminister Bernd Neumann, den Vorsitzenden der Bundestagsfraktion von CDU/CSU, Volker Kauder, den Vorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion, Dr. Frank-Walter Steinmeier, die Verhandlungsführerinnen und Verhandlungsführer bei den Koalitionsverhandlungen der Arbeitsgruppe Kultur und Medien, Klaus Wowereit und Michael Kretschmer, der Arbeitsgruppe Finanzen, Haushalt, Finanzbeziehungen Bund-Länder, Olaf Scholz und Dr. Wolfgang Schäuble, der Arbeitsgruppe Wissenschaft, Bildung und Forschung, Prof. Dr. Johanna Wanka und Doris Ahnen Aufarbeitung der kommunistischen Diktatur im 25. Jahr der Friedlichen Revolution in Gefahr Die Bundesstiftung Aufarbeitung fördert seit ihrem Bestehen zahlreiche Projekte von Opferverbänden, Aufarbeitungsinitiativen und Archiven der DDR-Opposition, die mit ihrer wichtigen Arbeit einen unverzichtbaren Beitrag bei der Aufklärung über die kommunistische Diktatur leisten. Mit der Bundesstiftung Aufarbeitung wurde eine Einrichtung mit einem umfassenden Auftrag geschaffen, um in der Gesellschaft in großer Breite zur Aufklärung über die kommunistische Diktatur, zur Erinnerung an die Folgen der Diktatur und zum Gedenken an die Opfer beizutragen. Die Stiftung ist tätig in den Bereichen der dezentralen Projektförderung, der Förderung politischer Bildungsarbeit, der Förderung von Forschungsvorhaben; sie unterstützt Museen und Gedenkstätten in ihrer Kommunikation und Kooperation und trägt zur Vernetzung und Professionalisierung zivilgesellschaftlicher Initiativen und von Projektarbeit bei. Im Bereich der politischen Bildung und der gesellschaftlichen Aufarbeitung der kommunistischen Diktatur hat sich erfreulicherweise ein Netz von Initiativen, Dokumentationszentren, Foren und Archiven entwickelt. Viele von ihnen erhalten Unterstützung durch die Bundesstiftung Aufarbeitung. Diese Arbeit muss erhalten bleiben. Die finanzielle Förderung solcher Projekte und damit die Arbeit der genannten Initiativen sind im 25. Jahr der Friedlichen Revolution in Gefahr. Von den jährlichen 2,8 Millionen Euro durch die Bundesstiftung zu vergebenden Fördermitteln fehlen für die Projekte im Jahr 2014 etwa 1,5 Millionen Euro, bedingt durch die schlechte Zinsentwicklung. Damit können wichtige Projekte, vor allem dezentraler Initiativen, deren wichtige oder einzige Geldgeberin die Bundesstiftung ist, nicht mehr durchgeführt werden. Aus diesem Grund ist es dringend notwendig, dass der von der Bundesstiftung Aufarbeitung unverschuldete Mittelausfall vom Bund ausgeglichen wird. Die Bundesregierung wird beweisen müssen, dass sie der Aufarbeitung des Kommunismus weiterhin die gebührende Aufmerksamkeit widmet. 5. November 2013 Archiv Bürgerbewegung Leipzig e. V. Bautzen-Komitee e. V. Bürgerkomitee Leipzig e. V., Träger der Gedenkstätte Museum in der „Runden...


Matthias Krauß, geboren 1960, aufgewaschen im heutigen Kreis Oberhavel, ist Journalist. Nach dem Studium in Leipzig war er von 1986 bis 1998 Redakteur der "Märkischen Volksstimme" im Bereich Jugendpolitik. Seit 1990 befasst er sich als freier Journalist vornehmlich mit der brandenburgischen Landespolitik und publiziert u.a. für "Junge Welt" und "Neues Deutschland". Buchpublikationen u.a.: "Das Mädchen für alles – Angela Merkel. Ein Annäherungsversuch" (2005), "Völkermord statt Holocaust" (2007). Daneben verfasste er mehrere Lateinamerika-Reportagen. Krauß lebt in Potsdam.


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