Krumeich | Jeanne d'Arc | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 401 Seiten

Krumeich Jeanne d'Arc

Seherin, Kriegerin, Heilige

E-Book, Deutsch, 401 Seiten

ISBN: 978-3-406-76543-8
Verlag: C.H.Beck
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Ein junges Mädchen von bäuerlicher Herkunft hat Visionen und steht plötzlich an der Spitze eines Heeres, besiegt Engländer und Burgunder und geleitet den Dauphin zur Königssalbung in Reims. Doch wenig später wird sie gefangengenommen und nach einem Schauprozess mit nur 19 Jahren verbrannt. Gerd Krumeich vollendet seine jahrzehntelangen Forschungen zur Jungfrau von Orléans mit diesem Buch und legt eine meisterhafte Biographie vor, die für lange Zeit Bestand haben wird.
Viel ist über die Jungfrau von Orléans geschrieben und gedichtet worden – und doch bietet Gerd Krumeich einen überraschend neuen Blick auf die französische Nationalheldin. Auf der Grundlage eines breiten Quellenstudiums zeigt er an ihr paradigmatisch, wie sich ein noch vormodernes 'Ich' gegen mächtige Institutionen wie die Kirche behauptet und auf einer individuellen Beziehung zu Gott beharrt. In dieser Religiosität der freien Entscheidung liegt ein Schlüssel zum Verständnis der Jungfrau, ein anderer in ihrer 'proto-nationalen' Überzeugung, dass die Engländer in Frankreich nichts verloren haben. Eindrucksvoll zeichnet das Buch die Stationen eines Lebens nach, das so außergewöhnlich war, dass immer wieder der Verdacht aufkam, Jeanne d’Arc sei in Wirklichkeit ein Mann gewesen – eine These, die von Krumeich überzeugend widerlegt wird.
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Vorwort


«Wir wollen nichts, außer die wirklich von den Quellen bestätigten Tatsachen darzustellen. Weil wir heute mehr wissen als unsere allzu gläubigen Vorfahren, haben wir mit manchem, was sie für ein Wunder hielten, keine Probleme mehr. Zu starkes Räsonieren erstickt den Enthusiasmus. Begeben wir uns also für einige Zeit ins 15. Jahrhundert. Denn es geht nicht darum, was wir heute von den Erscheinungen halten, welche Jeanne d’Arc hatte, sondern um die Auffassung, die unsere Vorfahren davon hatten. Denn es war allein deren Bewusstsein, welches die so erstaunliche Revolution vollbracht hat, von der wir nun berichten wollen.»
Claude Villaret, Histoire de France, 1783[1]

Seit nahezu 600 Jahren beschäftigen sich die Menschen mit dem Leben von Jeanne d’Arc, mit dem Für und Wider dieser einzigartigen Gestalt. Was sie angesichts ihrer Herkunft geleistet hat, gibt Rätsel auf. Ihre Erfolge, ihre Niederlage, der Ketzerprozess, die Hinrichtung hören nicht auf, die Gemüter zu bewegen. Und das wohl Erstaunlichste ist die vielfältige Überlieferung dessen, was sie gesagt, getan und gelitten hat. Die Akten ihres Verdammungsprozesses stehen uns zur Verfügung wie auch die Protokolle des Revisionsprozesses, der im Wesentlichen aus 113 Aussagen von Menschen besteht, die sie gekannt und mit ihr gekämpft, die ihre Siege und ihren Prozess miterlebt haben. Hinzu kommen noch die vielen zeitgenössischen Berichte, die Chroniken von Perceval de Cagny, Monstrelet, Morosini, des Greffier, und wohl noch zwei Dutzend weitere Versuche, das Phänomen der Pucelle zu beschreiben und zu deuten.
All dies hat allerdings nicht zu einem klaren Bild der Person und der Ereignisse in ihrem Umfeld geführt, sondern im Gegenteil immer wieder zu denselben alten Fragen. War das Mädchen aus Domrémy wirklich eine Jungfrau, war sie überhaupt eine Frau, war sie ein einfaches Bauernmädchen oder doch irgendwie adeliger oder sogar königlicher Abstammung? Und wie soll man die Stimmen erklären, die sie hörte, die Erscheinungen, die sie sah, ihre Art und Weise, sich in einen direkten Bezug zu und mit Gott zu setzen. War sie hochmütig oder sogar größenwahnsinnig?
Mehr als 500 Jahre alt ist auch die wissenschaftliche Beschäftigung mit Jeanne d’Arc. Der entscheidende Unterschied zwischen geschichtswissenschaftlicher Annäherung und der allgemeinen Neugier, Begeisterung und Abwehr ist, dass es dem Historiker in allererster Linie darauf ankommen muss, die untersuchte Persönlichkeit aus dem Horizont ihrer Zeit heraus zu verstehen. Nicht alles, was im 15. Jahrhundert für ganz normal oder für wahr und falsch gehalten worden ist, ist uns heute noch geläufig. Jedoch sind uns die Menschen des späten Mittelalters in vielem auch näher, als wir oft anzunehmen bereit sind.
Im Allgemeinen war man damals fest davon überzeugt, dass Gott im strengen Sinn allgegenwärtig ist und dass er, der alles kann, jederzeit fähig ist, etwa eine Eiche mit einem Schilfhalm zu kappen, wenn er denn so will. Von daher waren Seherinnen und Seher zwar in Grenzen erstaunlich, doch durchaus zum Alltag und Denkhorizont gehörig.
«Die besondere Aufgabe des Historikers ist, das zu erklären, was als ein Wunder erscheint, es mit seiner Vorgeschichte zu umgeben, mit den Umständen, die es herbeigeführt haben. Wenn ich diese wunderbare Persönlichkeit bewundere und liebe, so habe ich doch zeigen wollen, in welch hohem Maße sie ein ganz natürlicher Mensch war. Das Erhabene ist keineswegs außerhalb des Natürlichen. (…) Sie [Jeanne] handelte richtig, gerade weil sie keine Kunstfertigkeit hatte, kein Wunder schaffen konnte und keine Zauberkraft besaß. Ihr ganzer Charme beruht auf ihrer normalen Menschlichkeit. Er hat keine Flügel, dieser arme Engel, er ist schwach, er ist wie wir, er ist jedermann.»[2]
Was der Historiker Jules Michelet, dessen «Jeanne d’Arc» aus den 1830er Jahren zu den großen Epen der Geschichte Frankreichs zählt, hier schreibt, dem stimme ich für meinen Teil vollständig zu; mein Buch bemüht sich, dem gerecht zu werden.
Aber natürlich kann man heute nicht mehr Geschichte wie im 19. Jahrhundert schreiben. Wir können nur noch staunen über die Unbekümmertheit, mit der damals, als Jeanne auch für ein größeres Publikum wiederentdeckt wurde, ihre Taten und Erfolge, aber auch ihr Leiden und schrecklicher Tod interpretiert wurden. Jeanne war für die «national» denkenden Franzosen im 19. Jahrhundert, und das waren fast alle, schlicht eine Gestalt, die schon vier Jahrhunderte zuvor für ebendiese nationalen Ziele gekämpft und gelitten hatte.
Das Pathos der Nation und der bürgerlichen Freiheit, die Befreiung vom Zwang des Glaubens, all das hat sich in den letzten 200 Jahren entscheidend verändert. Doch wenn man versucht, die Quellen ernst zu nehmen, bleibt die Zeitgebundenheit der Geschichtswissenschaft kontrollierbar. Vor allem sollte man nicht glauben, immer und auf jeden Fall klüger oder wissender zu sein als Jeannes Zeitgenossen. Es gibt abschreckende Beispiele für diese Klugheit ex post, etwa wenn ein renommierter Historiker die damaligen Kleriker dafür kritisiert, dass sie nicht erkannt hätten, wie unglaublich hochmütig der Anspruch der Jungfrau war, eine «Tochter Gottes» zu sein und mit Gott in einem direkten persönlichen Verkehr zu stehen.[3] Aber da gibt es nicht das Geringste zu kritisieren, denn genau diese Nähe zu Gott betraf alle. Allerdings war die Kirche darauf bedacht, die einzige theologisch legitimierte Vermittlerin zwischen Gott und dem Christenvolk zu sein und zu bleiben. Genau dies wurde indessen immer stärker in Frage gestellt und führte zu Verfolgungen aller Art von Ketzern. Insofern steht Jeanne d’Arc gerade Jan Hus, den sie scharf bekämpfte, nahe.
Wo stehen wir heute? Es gibt keine übermächtige Ideologie der Nation mehr und auch der Internationalismus ist sehr relativ geworden. In gewisser Weise haben wir deshalb eine größere Freiheit nicht nur in der Kritik, sondern auch im Verstehen früherer Zeiten. Was Jeanne d’Arc angeht, sollten wir uns deshalb vor allem bemühen, ihre Umwelt lebendig werden zu lassen, in die sie bei allen Besonderheiten doch so «natürlich» hineinpasste, wie Michelet es ausgedrückt hat. Das schließt keineswegs eine Reflexion darüber aus, was die Taten und das Schicksal von Jeanne d’Arc uns heute bedeuten können. Etwa der Mut zu individueller Entscheidung unter dem Druck verbindlicher Weltanschauungen und die Tragik eines großen Scheiterns. Das ist in der Literatur, im Theater und in der Oper seit langem thematisiert worden und fasziniert uns heute noch. Ein gutes Beispiel war 2017 die sehr erfolgreiche Frankfurter Inszenierung der Oper «Johanna auf dem Scheiterhaufen» von Claudel/Honegger. Johanna Wokalek spielte die Hauptrolle, und in einem Interview hat sie erklärt, was sie an der Figur der Johanna beeindruckt:
«Ich empfinde sie als sehr stark, in dem Sinne, dass sie durchsetzte, was sie wollte und wohin sie wollte. Das ist revolutionär, mit all den positiven wie mit den negativen Seiten. Hier im Oratorium Honeggers ist sie jemand, der in der Situation einer grausamen Unmenschlichkeit feststeckt. Sie wird für etwas zu Unrecht verurteilt, was sie nicht begreift und nicht begreifen kann. Das ist etwas, was wir alle verstehen können, weil es das tagtäglich überall gibt. Einfach, weil jemand unbequem ist, etwas vertritt, was nicht erwünscht ist, wird er gefoltert bis zum Tode. Und hat nicht die Chance, sich über das Wort allein zu befreien. Die Sprachohnmächtigkeit ist das Grauenhafte an der Situation von Jeanne d’Arc.»
Philippe Contamine, der Doyen der französischen Mittelalter- und Jeanne d’Arc-Forschung, hat in seinen Überlegungen zum Platz einer Biographie der Pucelle in der heutigen Geschichtswissenschaft betont, dass wir im Grunde alle Quellen, die es zu ihr gibt, kennen (können); die im 19. Jahrhundert so produktive Entdeckung neuer Dokumente ihres Lebens ist nahezu abgeschlossen, auch wenn man die Hoffnung nie aufgeben sollte, dass etwa irgendwo und irgendwann die verloren gegangene Niederschrift der Befragung der Jungfrau durch die Kleriker von Poitiers auftaucht. Aber anders als unsere Vorgänger vor hundert und zweihundert Jahren sind wir Historiker, so Contamine, nicht mehr gezwungen, Partei zu ergreifen, uns zu identifizieren, aus dem Fall der Pucelle einen Glaubenskrieg zu machen. Wir müssen nicht mehr diskutieren, ob sie denn nun wirklich Stimmen gehört oder sich diese nur eingebildet hat. Selbstverständlich werden solche Fragen auch heute noch gestellt, aber sie sollten Historiker...


Gerd Krumeich ist Professor em. für Neuere Geschichte an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Er hat bereits seine Habilitationsschrift über Jeanne d’Arc verfasst.


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