Kunz | Die wissenschaftliche Zugänglichkeit von Kriminalität | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 122 Seiten, eBook

Kunz Die wissenschaftliche Zugänglichkeit von Kriminalität

Ein Beitrag zur Erkenntnistheorie der Sozialwissenschaften

E-Book, Deutsch, 122 Seiten, eBook

ISBN: 978-3-8350-5547-6
Verlag: Deutscher Universitätsverlag
Format: PDF
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Karl-Ludwig Kunz kritisiert den trügerischen Schein objektiver Tatsachenbeobachtung. Die Auseinandersetzung damit, ob wirklich gezählt wird, was man zu zählen vorgibt, und was es bedeutet, nur 'Indikatoren' für das eigentlich Interessierende erheben zu können, schafft die Basis dafür, die Kriminologie an einem kulturwissenschaftlichen Horizont auszurichten.

Karl-Ludwig Kunz ist Inhaber des Lehrstuhls für Strafrecht, Kriminologie, Rechtsphilosophie, Rechtstheorie und Rechtssoziologie an der Universität Bern.
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1;Inhalt;6
2;Vorwort;7
3;1 Zur Schwierigkeit des Zählens von Kriminalität;10
4;2 Die gesellschaftliche Einbindung sozialwissenschaftlicher Erkenntnis und das Problem der subjektiven Perspektivengebundenheit;34
5;3 Zeitströmungen und „Manieren des Sehens“;41
6;4 Der empiristische Zugang: Sammeln von Tatsachen;45
7;5 Der kritisch-rationale Zugang: Systematische Überprüfung;47
8;6 Kriminalstatistik und Dunkelfeldforschung: Die vermeintlich kognitive Basis des Wissens um die „wirkliche“ Kriminalität;53
9;7 Die Verwechslung von Bildersammlungen mit dem Abgebildeten;55
10;8 Die gebotene Gegenstandsadäquanz des sozialwissenschaftlichen Beobachtens;71
11;9 Das interpretative Paradigma und seine methodischen Ausformulierungen;76
12;10 Kriminalität als kontextuell gerahmter Bedeutungsknoten;86
13;11 Nebeneinander unterschiedlicher, aber gleichrangiger Rahmungen von Kriminalität;91
14;12 Kriminologie als Kulturwissenschaft jenseits unmittelbarer kriminalpolitischer Funktionalität;99
15;13 Was bleibt von der Vorstellung einer „rationalen“ Kriminalpolitik?;104
16;Literaturverzeichnis;111
17;Stichwortverzeichnis;119

Zur Schwierigkeit des Zählens von Kriminalität.- Die gesellschaftliche Einbindung sozialwissenschaftlicher Erkenntnis und das Problem der subjektiven Perspektivengebundenheit.- Zeitströmungen und „Manieren des Sehens“.- Der empiristische Zugang: Sammeln von Tatsachen.- Der kritisch-rationale Zugang: Systematische Überprüfung.- Kriminalstatistik und Dunkelfeldforschung: Die vermeintlich kognitive Basis des Wissens um die „wirkliche“ Kriminalität.- Die Verwechslung von Bildersammlungen mit dem Abgebildeten.- Die gebotene Gegenstandsadäquanz des sozialwissenschaftlichen Beobachtens.- Das interpretative Paradigma und seine methodischen Ausformulierungen.- Kriminalität als kontextuell gerahmter Bedeutungsknoten.- Nebeneinander unterschiedlicher, aber gleichrangiger Rahmungen von Kriminalität.- Kriminologie als Kulturwissenschaft jenseits unmittelbarer kriminalpolitischer Funktionalität.- Was bleibt von der Vorstellung einer „rationalen“ Kriminalpolitik?.


7 Die Verwechslung von Bildersammlungen mit dem Abgebildeten (S. 56-57)

Mit der Aufteilung des Gesamtbestandes der Kriminalität in die amtlich erfasste und die nicht registrierte, aber von der Bevölkerung erlebte wird die Vielfalt der in der gesellschaftlichen Praxis vorhandenen Wahrnehmungen und Deutungen von Kriminalität auf die statistisch bzw. demoskopisch dokumentierbaren Sichtweisen von Strafverfolgungsorganen und Bevölkerung reduziert, ohne dass man sich der rahmenden Bildhaftigkeit beider Kriminalitätsvorstellungen bewusst würde. Während andere Sichtweisen, etwa der Medien oder der Kunst68, als bloße Wahrnehmungen aus perspektivischen Blickwinkeln erscheinen, werden die Kriminalitätsbilder von Experten und Bevölkerung als authentische Abbildungen der „wirklichen" Kriminalität genommen, an denen sich die Wirklichkeitsnähe etwa künstlerisch bearbeiteter oder medieninszenierter Kriminalitätsdarstellung bemessen lasse.

Dem schließt sich die Annahme an, die kriminalstatistische und die dunkelfeldbezogene Forschung stellten die beiden einzigen Zugangswege zur wissenschaftlichen Erfassung der Kriminalitätswirklichkeit dar. Dabei wird verkannt, dass beispielsweise die Darstellungsformen und Inhalte medieninszenierter Kriminalität im zeitlichen Wandel ein ebenso legitimes und ertragreiches Untersuchungsfeld darstellen wie die Entwicklung des amtlich registrierten Kriminalitätsvorkommens. Problematisieren wir zunächst die Annahme, die von den Instanzen strafrechtlicher Kontrolle erstellten Datenbestände, insbesondere die polizeiliche Kriminalstatistik, brächten die amtlich erfasste kriminelle Wirklichkeit zum Ausdruck.

Dagegen spricht bereits die simple Einsicht, dass die Grundeinheit, welche in Kriminalstatistiken aufgezeichnet wird, gar nicht das raumzeitliche Geschehen einer kriminellen Handlung, sondern die amtliche Registrierung und Rekonstruktion des angenommenen Verdachts eines solchen Geschehens ist. Bürokratische Registriersysteme wie die Kriminalstatistik dienen dazu, die Erfahrungen der staatlichen Arbeitsaktivitäten zu erfassen und daraus Konzepte zur Steigerung der Arbeitseffizienz abzuleiten. Das quantitative Produkt der Registrierung ist auf die Rationalisierung bürokratischer Arbeitsabläufe hin zugerichtet.

Die faktischen Daten, die in der Registrierung enthalten sind, spiegeln nicht die Struktur der sozialen Handlungen, die von der Bürokratie ursprünglich beobachtet wurden. Auch wenn die Daten vom bürokratischen Personal als „gegeben" genommen werden, drückt der Datenbestand in Auswahl und Arrangement den auf die Optimierung ihrer Effizienz gerichteten Blick der Behörde, also die bürokratische Wahrnehmungsperspektive und nicht das damit Wahrgenommene, aus. Die statistische Erfassung bezieht sich nicht bloß auf die institutionelle Strafverfolgung, sie ist zugleich Aspekt und Teil derselben, insofern ihr Zweck in der Optimierung der Strafverfolgungstätigkeit besteht.

Kriminalstatistiken drücken deshalb nicht kriminelles Handlungsgeschehen aus, sondern sind eine zahlenmäßige Bilanz der Aktivitäten strafrechtlicher Sozialkontrolle. Zwischen dem verdächtigen Handlungsgeschehen und dessen polizeilicher Registrierung spannt sich ein zeitlicher und örtlicher Zwischenraum, in dem eine Reihe von Beteiligten und Beobachtern das ursprüngliche Handlungsgeschehen mit je unterschiedlichen Interessen, Motiven, Fähigkeiten und Ressourcen wahrnehmen und sich damit auseinander setzen. Wegen dieses Zwischenraums mit intermittierenden Aktionen und Reaktionen verschiedener zumeist privater Akteure gelangt nur ein Teil der Informationen über das ursprüngliche Handlungsgeschehen zu amtlicher Kenntnis und Registrierung, und zwar ganz überwiegend nicht durch polizeiliche Beobachtung, sondern durch Meldungen Privater.

Die polizeiliche Registrierung setzt eine Kette von Aktivitäten jenseits des registrierten Handlungsgeschehens voraus. Die Länge dieser Kette und das Gewicht ihrer Glieder schaffen eine Distanz zwischen dem registrierten Verhalten und seiner Registrierung. In Folge dessen erscheint die Registrierung nur noch sehr entfernt als Konsequenz des Verhaltens und statt dessen viel eher als Resultat reaktiver Prozesse des laienhaften Wahrnehmungsvermögens, der Meldebereitschaft und der bürokratischen Aufarbeitung. Im Einzelnen ist eine Anzeige oder (seltener) eine polizeiliche Wahrnehmung auf Grund proaktiver Ermittlungen nötig.


Karl-Ludwig Kunz ist Inhaber des Lehrstuhls für Strafrecht, Kriminologie, Rechtsphilosophie, Rechtstheorie und Rechtssoziologie an der Universität Bern.


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