Lagerlöf | Nils Holgerssons wunderbare Reise durch Schweden | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 600 Seiten

Reihe: Extradrucke der Anderen Bibliothek

Lagerlöf Nils Holgerssons wunderbare Reise durch Schweden

E-Book, Deutsch, 600 Seiten

Reihe: Extradrucke der Anderen Bibliothek

ISBN: 978-3-8477-5359-9
Verlag: AB - Die Andere Bibliothek
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



»Es war einmal ein Junge. Er war vielleicht vierzehn Jahre alt, lang und schlaksig, mit weißblondem Haar. Viel taugte er nicht: Am liebsten schlief oder aß er, und am zweitliebsten trieb er Unfug.« Die Geschichte von Nils Holgersson, wer hat sie nicht gelesen oder in den Verfilmungen gesehen? Verwandelt in einen Wichtel, wird der junge Taugenichts auf dem Rücken des weißen Gänserichs Martin zusammen mit den grauen Wildgänsen ganz Schweden erkunden - bis in den Norden Lapplands. Nils Holgersson, ein Klassiker der Weltliteratur und bereits 1906 von der ersten weiblichen Literaturnobelpreisträgerin als Porträt ihres Landes aus der Vogelperspektive verfasst, ist oft ins Deutsche übertragen worden - in den allermeisten Fällen jedoch gekürzt und bearbeitet. Und die wenigsten der Lagerlöf-Leser wissen, dass eine ungekürzte Ausgabe nur schlecht zugänglich ist und eine gelungene Übersetzung bis heute nicht vorliegt. Akka von Kebnekaise, der Adler Gorgo oder das Gänsemädchen Asa und der kleine Mats, - diese Figuren von Selma Lagerlöf begleiten uns auf einer Reise durch die schwedischen Provinzen in einem Entwicklungsroman voller Märchen und Legenden - und durchaus aufs Schönste belehrend. Die neue vollständige Übersetzung von Thomas Steinfeld wird Selma Lagerlöfs Sprache mit ihren Eigentümlichkeiten, dem wunderbaren Schwedisch einer vergangenen Zeit, endlich gerecht. Wenn Sie diese grandiose Übersetzung in Kombination mit den Originalillustrationen von Bertil Lybeck genießen möchten, raten wir zu dem Kauf der Printversion: Dieses E-Book verzichtet auf die Abbildungen.

Selma Lagerlöf (1858 - 1940) erhielt 1909 den Nobelpreis für Literatur.
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I. Der Junge
Der Wichtel
Sonntag, der 20. März
Es war einmal ein Junge. Er war vielleicht vierzehn Jahre alt, lang und schlaksig und flachshaarig. Viel taugte er nicht: Am liebsten schlief oder aß er, und am zweitliebsten trieb er Unfug. Jetzt war es Sonntagmorgen, und die Eltern des Jungen waren dabei, sich zurechtzumachen, um zur Kirche zu gehen. Der Junge aber saß im Hemd auf der Tischkante und dachte, wie gut es sei, daß Vater und Mutter beide fortgingen. So könne er ein paar Stunden machen, was er wollte. »Dann kann ich Vaters Gewehr herunterholen und ein bißchen schießen, und es redet mir keiner hinein«, sagte er zu sich selbst. Doch beinahe war es, als ob Vater die Gedanken des Jungen erraten hätte. Denn gerade als er auf der Schwelle stand, zum Gehen bereit, hielt er inne und wandte sich ihm zu. »Da du nicht mit Mutter und mir in die Kirche gehen willst«, sagte er, »finde ich, daß du zu Hause wenigstens die Predigt lesen kannst. Versprichst du, daß du das tust?« »Ja«, sagte der Junge, »das kann ich wohl tun.« Aber er hatte natürlich nicht vor, mehr zu lesen, als wozu er Lust hatte. Dem Jungen war es, als habe er seine Mutter noch nie so leichtfüßig gesehen. Im Nu war sie hinten am Wandregal, nahm Luthers Hauspostille herunter und legte sie auf den Tisch vor dem Fenster, die Predigt des Tages aufgeschlagen. Sie schlug auch das Evangelienbuch auf und legte es neben die Postille. Zuletzt schob sie den großen Lehnstuhl, der im vergangenen Jahr auf der Versteigerung im Pfarrhof von Vemmenhög gekauft worden war und in dem sonst nur Vater sitzen durfte, an den Tisch. Der Junge saß da und dachte, daß Mutter sich mit diesem Gedeck zu viel Mühe mache, denn er hatte ja gar nicht vor, mehr als die eine oder andere Seite zu lesen. Doch nun war es zum zweiten Mal so, als habe Vater ihn durchschaut. Er trat zu dem Jungen und sagte mit strenger Stimme: »Gib acht, daß du ordentlich liest! Wenn wir zurückkommen, werde ich dich über jede Seite verhören, und hast du etwas ausgelassen, dann geht es dir schlecht.« »Die Predigt hat vierzehneinhalb Seiten«, sagte Mutter, als wolle sie das Maß vollmachen. »Du wirst wohl sofort anfangen müssen, wenn du fertig werden willst.« Damit gingen sie endlich, und als der Junge in der Tür stand und ihnen nachschaute, hatte er das Gefühl, in eine Falle geraten zu sein. »Da gehen sie jetzt wohl und beglückwünschen sich gegenseitig dazu, alles so gut eingerichtet zu haben. Nun muß ich die ganze Zeit, solange sie fort sind, hier sitzen und über der Predigt hängen«, dachte er. Doch Vater und Mutter beglückwünschten sich keineswegs, während sie so dahingingen. Statt dessen waren sie ziemlich betrübt. Sie waren arme Kätner, und ihr Besitz war nicht viel größer als ein Gemüsegarten. Am Anfang, als sie hierhergezogen waren, hatte das Futter nicht für mehr als ein Schwein und ein paar Hühner gereicht. Doch waren sie ungewöhnlich strebsame und tüchtige Menschen, und jetzt besaßen sie sowohl Kühe als auch Gänse. Es war ihnen unermeßlich gut ergangen, und sie wären an diesem schönen Morgen zufrieden und froh zur Kirche gewandert, hätten sie nicht an den Sohn denken müssen. Vater klagte darüber, daß er träge und faul sei: Nichts habe er in der Schule lernen wollen. Er tauge so wenig, daß man ihn kaum dazu brauchen könne, die Gänse zu hüten. Mutter bestritt nicht, daß das wahr sei. Aber am meisten betrübte es sie, daß er wild und gemein war, hartherzig gegenüber Tieren und böswillig gegenüber Menschen. »Wenn Gott ihm doch seine Bosheit austreiben und ihm einen anderen Sinn geben könnte!« sagte Mutter. »Sonst wird er zu einem Unglück, sowohl für sich selbst als auch für uns.« Der Junge stand lange da und überlegte, ob er die Predigt lesen solle oder nicht. Doch dann machte er mit sich selbst aus, daß es diesmal besser sei zu gehorchen. Er setzte sich in den Pfarrhoflehnstuhl und begann zu lesen. Doch als er eine Weile die Wörter halblaut vor sich hin geleiert hatte, war es, als habe ihn das Gemurmel schläfrig werden lassen, und er merkte, wie er einnickte. Draußen herrschte das schönste Frühlingswetter. Das Jahr war noch nicht weitergekommen als bis zum 20. März, doch wohnte der Junge im Kirchspiel Västra Vemmenhög weit unten in Schweden, im südlichen Schonen, und da war der Frühling schon in vollem Gang. Es war noch nicht grün, aber die frischen Knospen trieben. In allen Gräben stand das Wasser, und an den Grabenrändern blühte der Huflattich. Das ganze Buschwerk, das auf der Hofeinfriedung aus lose gefügten Steinen wuchs, war braun und glatt geworden. Der Buchenwald in der Ferne schien anzuschwellen, während er da stand, und wurde von Augenblick zu Augenblick dichter. Der Himmel war hoch und von reinem Blau. Die Haustür stand einen Spalt offen, und man hörte im Zimmer, wie die Lerchen trillerten. Die Hühner und die Gänse liefen über den Hof, und die Kühe, die die Frühlingsluft bis in ihre Verschläge hinein spürten, muhten hin und wieder. Der Junge las indessen weiter, aber er nickte immer wieder ein und wehrte sich dann gegen den Schlaf. »Nein, ich will nicht einschlafen«, dachte er, »denn dann schaffe ich das hier während des ganzen Vormittags nicht.« Aber wie es so kam, schlief er ein. Er wußte nicht, ob er kurz oder lange geschlafen hatte, aber er wachte davon auf, daß er ein leichtes Rumpeln hinter sich hörte. Auf dem Fensterbrett geradewegs vor dem Jungen stand ein kleiner Spiegel, und in diesem konnte man fast den ganzen Raum sehen. Im selben Augenblick, als der Junge den Kopf hob, fiel sein Blick zufällig in den Spiegel, und da sah er, daß der Deckel von Mutters Truhe aufgeschlagen war. Es war so, daß Mutter eine große, schwere, mit Eisen beschlagene Eichentruhe besaß, die niemand anders als sie selber öffnen durfte. Darin verwahrte Mutter alles, was sie von ihrer Mutter geerbt hatte und was ihr besonders lieb war. Da lagen ein paar Bauerntrachten, altertümlich und aus rotem Tuch, mit kurzem Mieder und gefälteltem Rock und einem perlenbesetzten Bruststück. Da gab es gestärkte, weiße Hauben und schwere Spangen aus Silber und Ketten. Heute wollte ja niemand mehr solche Kleider tragen, und Mutter hatte öfter überlegt, sich von den alten Sachen zu trennen, aber dann hatte sie es nicht über das Herz gebracht. Jetzt sah der Junge im Spiegel ganz deutlich, daß der Deckel der Truhe offenstand. Er konnte nicht verstehen, wie das vor sich gegangen sein mochte, denn Mutter hatte die Truhe geschlossen, bevor sie ging. Das wäre ihr wohl nicht passiert, daß sie diese Truhe offen gelassen hätte, während er allein zu Hause war. Es wurde ihm richtig unheimlich zumute. Er hatte Angst, daß sich ein Dieb ins Haus geschlichen hatte. Er wagte nicht, sich zu bewegen, sondern saß still und starrte in den Spiegel. Während er dasaß und darauf wartete, daß der Dieb sich zeigte, überlegte er, was das wohl für ein schwarzer Schatten sei, der da über die Kante der Truhe fiel. Er guckte und guckte und wollte seinen Augen nicht trauen. Aber das, was zu Beginn wie ein Schatten gewesen war, wurde immer deutlicher, und bald erkannte er, daß da etwas Wirkliches war. Es konnte nicht anders sein: da saß ein Wichtel, rittlings auf der Truhenkante. Der Junge hatte wohl von Wichteln gehört, aber nie hätte er gedacht, daß sie so klein seien. Dieser, der da auf der Truhenkante saß, war nicht mehr als eine Handbreit hoch. Er hatte ein altes, runzliges, bartloses Gesicht und trug einen schwarzen langen Rock, Kniehosen und einen schwarzen Hut mit breiter Krempe. Er hatte sich herausgeputzt, mit feinen weißen Spitzen um den Hals und um die Handgelenke, mit Schnallen auf den Schuhen und mit Strumpfbändern, die zu Schleifen geknotet waren. Aus der Truhe hatte er ein besticktes Mieder genommen, und nun saß er da und betrachtete die Arbeit aus alten Zeiten mit einer solchen Andacht, daß er nicht bemerkte, daß der Junge aufgewacht war. Der Junge war einigermaßen erstaunt, den Wichtel zu sehen. Besonders viel Angst hatte er indessen nicht. Es war unmöglich, vor jemandem Angst zu haben, der so klein war. Und weil der Wichtel so ganz und gar mit sich selbst beschäftigt war, daß er nichts anderes hörte noch sah, dachte der Junge, daß es lustig sei, ihm einen Streich zu spielen: ihn in die Truhe zu schubsen und den Deckel zuzuschlagen oder irgend etwas in der Art. Aber der Junge war doch nicht so mutig, daß er den Wichtel mit den Händen zu berühren wagte. Statt dessen schaute er sich in der Stube nach etwas um, womit er ihn stoßen könnte. Er ließ seine Augen vom Schlafsofa zum Klapptisch und vom Klapptisch zum Herd wandern. Er musterte die Töpfe und den Kaffeekessel, die auf einem Brett über dem Herd standen. Er schaute sich den Wassereimer an der Tür an und die Schöpflöffel und Messer und Gabeln und Schalen und Teller, die durch die halboffene Schranktür zu sehen waren. Er schaute hinauf zu Vaters Gewehr, das an der Wand neben den Porträts der dänischen Königsfamilie hing, und auf die Pelargonien und Fuchsien, die im Fenster blühten. Ganz zuletzt fielen seine Blicke auf einen alten Fliegenkescher, der am Fensterrahmen hing. Kaum hatte er den Fliegenkescher gesehen, riß er ihn an sich, sprang auf und schwenkte ihn über die Truhenkante. Und er staunte selbst darüber, wie viel Glück er hatte. Wie es ihm gelungen war, verstand er nicht, aber er hatte den Wichtel tatsächlich gefangen. Der arme Kerl lag tief in dem langen Kescher, mit dem Kopf nach unten, und konnte nicht mehr herauskommen. Im ersten Augenblick wußte der Junge nicht, was er mit seinem Fang anstellen sollte. Er achtete...


Steinfeld, Thomas
Thomas Steinfeld (geboren 1954) ist Journalist, Übersetzer und Autor. Er hat zahlreiche Bücher verfasst und herausgegeben, in der Anderen Bibliothek u.a. die Reportage "Unter französischen Bauern" von August Strindberg (Band 290, 2009). Für seine erste vollständige deutsche Übersetzung von Selma Lagerlöfs Nils Holgersson (Band 359, 2014) wurde er für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert.

Lagerlöf, Selma
Selma Lagerlöf (1858 - 1940) erhielt 1909 den Nobelpreis für Literatur.


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