Lehnguth | Waldheim und die Folgen | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, Band 35, 529 Seiten

Reihe: Studien zur historischen Sozialwissenschaft

Lehnguth Waldheim und die Folgen

Der parteipolitische Umgang mit dem Nationalsozialismus in Österreich

E-Book, Deutsch, Band 35, 529 Seiten

Reihe: Studien zur historischen Sozialwissenschaft

ISBN: 978-3-593-41981-7
Verlag: Campus
Format: PDF
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



1986 wurde Österreich vom Skandal um die Verstrickungen des damals neu gewählten Bundespräsidenten Kurt Waldheim in den Nationalsozialismus erschüttert. Bis dahin hatten die führenden Politiker der Zweiten Republik eine Mitverantwortung für Holocaust und Kriegsgräuel zurückgewiesen und damit seit den 1950er-Jahren weitergehende Entschädigungsansprüche der Opfer zurückgewiesen. Infolge internationaler Kritik und inländischer Proteste begann jedoch durch die »Waldheim-Affäre« eine bis heute andauernde Auseinandersetzung um die Neubewertung der NS-Vergangenheit Österreichs.

Cornelius Lehnguth untersucht in dieser ersten Gesamtdarstellung der politischen Kontroversen der »Waldheim-Debatte« die konkurrierenden, oftmals generationsbedingten Erzähl- und Handlungsmuster der im Nationalrat vertretenenen Parteien; zugleich analysiert er die Vergangenheitspolitik der beteiligten Akteure, die er in zahlreichen Interviews für seine Studie befragt hat.
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Inhalt
Einleitung 11
1.Forschungsinteresse 11
2.Nationalsozialismus und Gedächtnis als Forschungsgegenstand 13
3.Theoretische und methodische Zugänge: Gedächtnis und Generation 19
3.1.Gedächtnis, Narrativ und Geschichtspolitik 19
3.2.Generation und Situationsdeutung 23
3.3.Politische Generationen in Österreich 27
4.Fragestellungen und Hypothesen 53
5.Methodik, Quellen und Aufbau der Arbeit 55
Österreichische Gedächtnisgeschichte und Vergangenheitspolitik 1945-1986 58
1.Nationalsozialismus und Gedächtnisgeschichte 58
1.1.Die "Moskauer Deklaration" als "Magna Charta"
der Zweiten Republik 58
1.2.Die innenpolitische Verselbständigung der Opferthese62
1.3.Opferthese und Kriegsdienst 64
1.4.Der antifaschistische Rekurs auf die Opferthese ab Mitte der 1960er Jahre 66

2.Nationalsozialismus und Vergangenheitspolitik 68
2.1.Entnazifizierung und Amnestie 68
2.2."Wiedergutmachung" 70
2.3.Exkurs: Kunstrückgabe 74
3.Nationalsozialismus und die österreichischen Parteien77
3.1.Nationalsozialismus, Antisemitismus, Entnazifizierung und "Wiedergutmachung" im Spiegel der Gründungsparteien ÖVP, SPÖ und KPÖ 77
3.2.Die Formierung des "nationalen" Lagers 84
3.3.Die innerparteiliche Integration ehemaliger Nationalsozialisten86
4.Zusammenfassung: Die Externalisierung des Nationalsozialismus und die Parteien89
Aufbruch und Beharrung 1986-1988 91
1.Die Waldheim-Affäre und ihre geschichtspolitischen Auswirkungen 92
1.1.Die Waldheim-Affäre 92
1.2.Waldheim und die Opferthese - Geschichtspolitische Positionen der Parteien 111
1.3.Die Watch-List-Debatte 1987 126
1.4.Exkurs: Der "Republikanische Club Neues Österreich" und das zivilgesellschaftliche Engagement der Intellektuellen 135
2.Das Gedenkjahr 1988 152
2.1.Das Gedenken der staatlichen Repräsentanten154
2.2.Das Gedenken der parteipolitischen Akteure159
2.3.Das Ehrengaben- und Hilfsfondsgesetz 1988172

3.Kulturpolitische "Stellvertreterkriege"178
3.1.Die Kontroverse um das "Mahnmal gegen Krieg und Faschismus" 179
3.2.Die Kontroverse um "Heldenplatz" 191
4.Zusammenfassung: Aufbruch und Beharrung 200
Von der Opferthese zum offiziellen Bekenntnis zur Mitverantwortung 205
1.Vranitzkys Bekenntnis zur Mitverantwortung 1991 und die Reaktionen der Parteien und der Öffentlichkeit206
1.1.Drei Dimensionen des Mitverantwortungsbekenntnisses211
1.2.Das Mitverantwortungsbekenntnis in der Retrospektive der politischen Akteure 226
2.Die Wiederannäherung - Die Erklärungen von Vranitzky und Klestil in Israel231
3.Das Gedenkjahr 1995237
4.Zusammenfassung246
Vergangenheitspolitische Konsequenzen der Mitverantwortung und geschichtspolitische Gegenläufigkeiten seit den 1990er Jahren 249
Materielle Konsequenzen: Die Parteien und die "Wiedergutmachung" 249
1.Zwischen Opfer- und Mitverantwortungsthese: Die Parteien und die "Wiedergutmachung" 1988-1995250
1.1.Der Nationalfonds für die Opfer des Nationalsozialismus254
1.2.Die Errichtung des Nationalfonds in der Retrospektive der politischen Akteure 268
2.Die "Holocaust Era Assets"-Debatte in Österreich 273
2.1.Die Internationalisierung von Entschädigung und Restitution 273
2.2.Erste Maßnahmen in Österreich - Kunstrückgabegesetz und Historikerkommission 277
2.3.Zwangsarbeiterfonds und Allgemeiner Entschädigungsfonds 287
2.4.Exkurs: Waldheim remixed - Die ÖVP/FPÖ-Regierung und die "EU-Sanktionen" 304
2.5.Die Errichtung des Versöhnungs- und Allgemeinen Entschädigungsfonds in der Retrospektive der politischen Akteure 310
2.6."Causa Leopold", die "goldene Adele" und die Novellierung des Kunstrückgabegesetzes 314
3.Die Rehabilitierung der Deserteure 324
4.Zusammenfassung: Die Parteien und die "Wiedergutmachung" 340
Ambivalente Erinnerung: Die Parteien und die Erinnerungskultur 344
1.Denkmal- und Ausstellungskontroversen344
1.1.Wehrmachtslegende und Opferthese - Die Kontroversen um das Stalingrad-Denkmal und die Wehrmachtsausstellung(en)344
1.2.Die Kontroverse um das Holocaust-Denkmal 377
1.3.Die Kontroverse um das "Haus der Toleranz"/"Haus der Geschichte" 398
2. "Offizielles" Gedenken und Geschichtspolitik im narrativen Spannungsfeld internationaler, staatlicher und innerparteilicher Anforderungen421
2.1.Von der "Kosmopolitisierung" zur (supra-)staatlichen Institutionalisierung des Holocaust-Gedenkens 421
2.2.Das "Gedankenjahr" 2005 und der geschichtspolitische Rollback 427
2.3. Das Gedenkjahr 2008 und die Forcierung des Mitverantwortungsnarrativs 441
2.4.Der Fall "Heinrich Gross", die SPÖ und die innerparteiliche Geschichtspolitik 445
3.Zusammenfassung: Die Parteien und die Erinnerungskultur 457
Fazit461
Dank 472
Anhang: Quellen- und Literaturverzeichnis 473
1.Quellen 473
1.1.Archive 473
1.2.Periodika und Presseagenturen 473
1.3.Reden und Dokumente 475
1.4.Interviews durch den Verfasser 482
1.5.Internet 483
2.Literatur484
3.Personenregister 522


1.Forschungsinteresse
Die parteipolitische Auseinandersetzung um die österreichische NS-Vergangenheit nach 1986 begann mit der "Waldheim-Affäre". Diese Affäre um die NS- und Kriegsvergangenheit des damaligen Bundespräsidenten Kurt Waldheim trug eruptionsartig dazu bei, dass eine Vielzahl von unterschiedlichen, mitunter konkurrierenden Narrativen über die NS-Vergangenheit zum Vorschein kam, die bis dahin von der "Opferthese" als hegemonialem Meisternarrativ weitgehend verdeckt worden waren. Die Zweite Republik hatte sich nämlich seit ihrer Gründung 1945 erfolgreich auf den Standpunkt zurückgezogen, dass es sich 1938 bei dem von vielen Österreichern begeistert begrüßten "Anschluss" ausschließlich um eine von außen erzwungene Okkupation gehandelt und deshalb Österreich weder eine moralische noch eine materielle Mitverantwortung für Nationalsozialismus und Holocaust zu tragen habe. Dieser Interpretation lag die Moskauer Deklaration der Alliierten aus dem Jahr 1943 als "Magna Charta" zugrunde, die Österreich als das "erste Opfer der Hitlerschen Aggression" bezeichnet hatte. Diese Sichtweise blieb zunächst auf die Außenpolitik - zur Abwehr finanzieller Verpflichtungen - beschränkt, erfuhr aber aufgrund ihres Entlastungscharakters schon bald eine "innenpolitische Verselbständigung". Die vielfach kodifizierte Verwendung des Opferbegriffs führte zu einer gesamtgesellschaftlichen Übernahme des Opferstatus, wodurch tatsächliche NS-Opfer sukzessive in den Hintergrund gedrängt wurden. Dadurch konnten sowohl auf der politischen als auch auf der gesellschaftlichen Ebene Voraussetzungen, Verlauf und Konsequenzen des Nationalsozialismus externalisiert werden, gehörten sie doch angeblich nur in die Geschichte Deutschlands, nicht auch in diejenige Österreichs.
Die Waldheim-Affäre beendete nun die mit der Opferthese einhergehende Amnesie. Der "Eiszeit der Erinnerung" folgte eine geschichtspolitische Neuorientierung, die auf eine differenziertere Bewertung der österreichischen NS-Vergangenheit abzielte. Vergangenheitspolitische Maßnahmen, die die Defizite auf dem Entschädigungs- und Restitutionssektor beheben sollten, setzten ein. Dieser Vorgang verlief jedoch weder konsensual noch linear, sondern führte zu zahlreichen heftigen Kontroversen und gegenläufigen Entwicklungen. Entscheidend an diesem Prozess beteiligt waren die im Nationalrat vertretenen Parteien, weshalb sie der Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit sind. Vor dem Hintergrund der Waldheim-Debatte und des geschichtspolitischen Neuorientierungsprozesses werden die konkurrierenden Erzähl- und Handlungsmuster der Parteien im Geflecht der modifizierten Geschichts- und Vergangenheitspolitik herausgearbeitet und analysiert. Damit verbunden wird die Analyse generationsspezifischer Wahrnehmungs-, Verarbeitungs- und Handlungsmuster der (in der Regel männlichen) politischen Akteure.
Die Beschreibung und Analyse der wichtigsten geschichts- und vergangenheitspolitischen Debatten und Handlungsfelder, zu denen neben Entschädigung, Restitution und Rehabilitierung von NS-Opfern auch die staatliche Inszenierung von Gedenkjahren sowie die geschichtspolitisch relevanten Denkmals-, Museums- und Ausstellungsdebatten gehören, zielt auf eine rekonstruktive Interpretation von Prozessen des (Um-)Schreibens von Geschichte. Dieser Beitrag zur Gedächtnisgeschichte Österreichs in der Post-Waldheim-Ära soll durch die Zusammenführung von alten und neuen Quellen sowie durch einen neuen methodischen Blickwinkel die jeweiligen politischen und historiografischen Konstruktionsprozesse erhellen helfen.


Cornelius Lehnguth, Dr. rer. pol., studierte in Leipzig Politik- und Kulturwissenschaften und verbrachte für seine Promotion in den Jahren 2007/2008 zwei längere Studienaufenthalte in Wien. Er ist derzeit als Hochschulreferent an der Universität Frankfurt tätig.


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