Leplow / Ringendahl | Neuropsychologie des idiopathischen Parkinson-Syndroms | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, Band 24, 137 Seiten

Reihe: Fortschritte der Neuropsychologie

Leplow / Ringendahl Neuropsychologie des idiopathischen Parkinson-Syndroms

E-Book, Deutsch, Band 24, 137 Seiten

Reihe: Fortschritte der Neuropsychologie

ISBN: 978-3-8444-2747-9
Verlag: Hogrefe Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



In diesem Band werden zunächst Klinik, Ätiologie und ein somatisch-neuropsychologisches Störungsmodell des idiopathischen Parkinson-Syndroms erläutert. Neben der Parkinson-Demenz und den vielfältigen anderen kognitiven Besonderheiten werden zudem parkinson-typische psychische Beschwerden und Störungen wie Depression, Angst und Impulskontrollstörungen thematisiert. Auch auf die krankheitsspezifischen Belastungen und die Beeinträchtigung der Lebensqualität sowie die Fahrtauglichkeit der Betroffenen wird eingegangen. Ausführlich wird das adäquate Vorgehen bei den unterschiedlichen neuropsychologisch-diagnostischen Fragestellungen geschildert. Für die neuropsychologische Therapie werden restitutive Ansätze, kombinierte Trainings kognitiver und motorischer Funktionen, Verfahren mit Alltagstransfer und heimbasierte Ansätze sowie bewältigungsorientierte Zugänge beschrieben. Hinweise zum Vorgehen bei spezifischen Indikationen (verschiedene Krankheitsphasen, behaviorale Medikamentennebenwirkungen etc.) und zum Umgang mit Angehörigen runden den praxisorientierten Band ab.
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Zielgruppe


Neuropsycholog_innen, klinische Psycholog_innen, Neurolog_innen.

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|25|2  Ätiologie
Unsere Vorstellungen zur Ätiologie des IPS haben sich in den letzten Jahren grundlegend gewandelt. Ging man bis vor Kurzem noch davon aus, dass das IPS in der Substantia nigra beginne und sich von dort aus über das ganze Hirn verbreite, so spricht heute vieles dafür, dass die Pathologie einen Ursprung im Dickdarm (Kolon) hat und von dort in das ZNS aufsteigt. Demnach migrieren die in den Lewy-Körperchen eingeschlossenen alpha-synuclein Proteine über den Nervus vagus zum Locus coeruleus, der Substantia nigra und verschiedene corticale Regionen (Kasten 3). Das allein erklärt die enorme Vielzahl der Symptome und Beschwerden beim IPS. Die Basis für diese Ätiologie liegt in einer Veränderung der bakteriellen Zusammensetzung der Darmschleimhaut. Dieses „Mikrobiom“ besteht aus verschiedenen Bakterienstämmen, die für unsere Gesundheit in einer jeweils funktionell passenden Menge, Anordnung und Lokalisation vorhanden sein müssen. Ist dieses nicht der Fall, können offenbar unterschiedlichste neurodegenerative und andere somatische Erkrankungen, aber auch psychische Störungen wie zum Beispiel depressive Erkrankungen entstehen. Deshalb wird auch von einer „gut-brain-axis“ gesprochen. Dabei ist die Kommunikation bidirektional und umfasst endokrine und immunologische Systeme sowie Funktionen des autonomen und Darmnervensystems. Über die Peptide des Darm-Mikrobioms wird offensichtlich die Signalübertragung innerhalb cerebraler Strukturen beeinflusst. Damit wäre der dopaminerge Verlust in der Substantia nigra und des Striatums die Folge, nicht der Ausgangspunkt der Erkrankung. Unabhängig davon, dass das präklinische Zeichen der Verstopfung auf diese Weise eine pathophysiologische Fundierung erhält, finden sich mikrobiale Fehlanpassungen nicht nur im enterischen Nervensystem, sondern auch in der Lunge, dem Oralbereich, der Nase, dem Urogenitaltrakt und dem Gehirn selbst (Bell et al., 2019; Mihaila et al., 2019). Eine besondere Aufmerksamkeit erlangten in diesem Zusammenhang bakterielle Infektionen des Zahnfleisches. Entsprechend steigt das Risiko eines IPS bei chronischer Parodontitis um das 1,4fache (Chen et al., 2017). Die bakteriellen Erreger können die Blut-Hirn-Schranke überwinden und dadurch in zerebrale Strukturen eindringen. Eine professionelle Zahnpflege kann das Risiko dagegen vermindern (Chen et al., 2018). Akzentuiert wird dieser Vorgang durch krankheits- bzw. altersbedingte mangelnde Kauleistungen, wodurch zum einen bakterielle Ablagerungen begünstigt werden. Durch eine damit zusammenhängende Aktivierung der HPA-Stressachse werden zudem Gedächtnis- und andere kognitive Funktionen negativ beeinflusst. Entsprechend wirkt eine Stimulation der Kaufunktion |26|nicht nur stressmindernd, sondern kann auch zu einer Verbesserung der kognitiven Leistungen führen (u.?a. Chen et al., 2015; Azuma et al., 2017). Aggregation von alpha-Synuclein Einschluss in Lewy-Körper Migration beginnend im enterischen Nervensystem Fortschreiten zum dorsalen Kern des N. vagus im Hirnstamm dann Projektion zu versch. Zielpunkten, u.?a. Locus coeruleus Substantia nigra div. kortikale Regionen In der Vergangenheit wurde eine Vielzahl exogener Faktoren als mögliche „Ursache“ für die spezifische Neurodegeneration beim IPS diskutiert (s. Abb. 1; linke Spalte): Dazu gehörten Herbizide und Pestizide ebenso wie das Kohlenmonoxid, Holzschutz- und diverse Lösungsmittel, Schwermetalle, Mangan und Eisen oder das im Trinkwasser gebundene Aluminium. Auf der Basis epidemiologischer Untersuchungen, die für die Landbevölkerung wiederholt ein erhöhtes Risiko für die Entstehung eines IPS gezeigt haben, lässt sich heute aber nur für die Exposition an Herbizide und Pestizide eine gewisse Wahrscheinlichkeit für das erhöhte Risiko eines IPS ableiten. Nikotin und Koffein haben demgegenüber eine neuroprotektive Wirkung, die aber nicht so groß zu sein scheint, dass sie pharmakologisch genutzt werden könnte (s. Nikotinpflaster). In Bezug auf häufige cerebrale Mikrotraumen, zum Beispiel bei Boxern und Soldaten, kann heute von einem deutlich erhöhten Risiko (Gardner et al., 2018) für die akinetisch-rigide Parkinsonform als sekundäres Parkinsonsyndrom ausgegangen werden. Im Großen und Ganzen muss jedoch festgestellt werden, dass die Ursachen für den idiopathischen Parkinson definitionsgemäß unklar sind. Wenn von den genannten Faktoren einmal eine eindeutige Kausalität nachweisbar ist, handelt es sich um einen sekundären Parkinson mit einem im Vergleich zum IPS etwas anderen klinischem Bild und Verlauf (Ringendahl et al., in Vorbereitung). Ein Charakteristikum des IPS sind die vermehrten Eisenablagerungen in der Substantia nigra pars compacta. Diese Ablagerungen lassen sich für eine sonographische Untersuchung des sehr frühen Status des IPS nutzen. Sie schädigen die mitochondriale Zellatmung (d.?h. es entsteht „oxidativer Stress“) und unterstützen damit die vermehrte Bildung „freier Radikale“. Dadurch kommt es zu einem in hohen Dosen toxischen Kalziumeinstrom in das Zellinnere und zur weiteren Bildung freier Radikale. Dieser positive Feedbackmechanismus führt am Ende zum programmierten Zelltod (Apoptose). |27| Trotz der eingangs dargestellten neueren Ätiologieannahmen muss von einer genetischen Vulnerabilität ausgegangen werden. So wurden inzwischen ver|28|schiedenste Genorte identifiziert (z.?B. „PARK1“, „PARK2“), die mit entsprechenden Genprodukten (hier: alpha-Synuclein und Parkin) und unterschiedlichen klinischen Charakteristika (mit/ohne Demenz, früher/später Beginn etc.) in Verbindung gebracht wurden. Dabei handelt es sich beim IPS nicht um eine zwangsläufig über die Generationen vererbbare Krankheit. Eine genetische Diathese begünstigt jedoch eine pathologische Anreicherung bestimmter Proteine und einen defekten intrazellulären Reparaturmechanismus. Über die Genexpression kommt es beispielsweise über das PARK1-Gen zur Synthese des alpha-Synuclein-Proteins. Dieses findet sich dann in den für das IPS typischen „eosinophilen intrazytoplasmatischen Einschlusskörperchen“ wieder, also den Lewy-Körpern, die das pathophysiologisch wichtige Protein alpha-Synuclein beinhalten. Die Lewy-Körper finden sich zwar bei allen Patienten mit einem IPS, jedoch sind sie auch bei anderen neurodegenerativen Erkrankungen und auch bei etwa zehn Prozent der über 60-jährigen gesunden Bevölkerung nachweisbar. Ob es sich hierbei um einen unspezifischen Biomarker der präklinischen Phase handelt, ist noch durch weitere Forschungen zu klären. Merke Persönlichkeitsauffälligkeiten beruhen auf präklinischen Veränderungen der Monoaminverfügbarkeit und nicht auf psychosozialen Faktoren der Kindheit. Zusammengefasst lässt sich sagen, dass pathologische Veränderungen des Kolon-Mikrobioms eine wichtige Rolle bei der Entstehung und dem Verlauf des IPS spielt. Hat die Pathologie aufsteigend die Regionen der Basalganglien und des Zwischenhirns erreicht, sind neben der dopaminergen Transmission viele andere Transmitter betroffen. Entsprechend vielfältig ist das rein über die motorischen Fehlfunktionen hinausgehende klinische Bild. Der pathologische Prozess beginnt bereits bis zu zwei Jahrzehnte vor der heute möglichen klinischen Diagnosestellung. Der normalerweise aktive zelleigene Reparaturmechanismus ist beim IPS aufgrund genetischer Mutationen verlangsamt. Des Weiteren führen Eisenablagerungen zur...


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