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E-Book, Deutsch, 327 Seiten

Leschziner Nachtaktiv

Albträume, das Gehirn und die verborgene Welt des Schlafs

E-Book, Deutsch, 327 Seiten

ISBN: 978-3-407-86580-9
Verlag: Beltz
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)



Für die Patienten von Dr. Guy Leschziner gibt es nachts keine Erholung für Körper und Seele. Der Neurorologe erforscht im Schlaflabor seit vielen Jahren Schlafstörungen und entschlüsselt, welche Pannen im Gehirn diese verursachen. Er erzählt von Menschen, die keine Nacht mehr durchschlafen, die im Schlaf exzessiv essen, ihren Partner mit unkontrollierbaren Fußtritten terrorisieren oder sogar ermorden. Die in extremen Fällen jede Nacht unter furchteinflösenden Halluzinationen, Atemstillständen oder bewusst erlebter Schlaflähmung leiden. Die Fallgeschichten zeigen aber nicht nur die Abgründe von Schlaf, sondern auch, was die Neurowissenschaften herausgefunden haben über die zentrale nachtaktive Rolle des Gehirns. Leschziner schildert seine Schlüsselfunktion beim Lernen, Vergessen, Verarbeiten oder Erholen und welche biologischen und psychologischen Bedingungen gegeben sein müssen, damit wir ruhig und erholsam schlafen können.
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Einführung
Die gängige Vorstellung vom Schlaf ist die einer Ruhephase, in der das aktive Denken abgeschaltet ist und das Bewusstsein eine Pause macht, um sich zu erholen. Das Schlafen stellen wir uns als passiven Zustand vor, eine angenehme Form von Bewusstlosigkeit, die mit dem herrlichen Gefühl erneuerter geistiger Frische beim Aufwachen belohnt wird. Den einzigen Hinweis darauf, dass sich während der Nacht doch noch ein bisschen mehr ereignet, liefern uns Erinnerungssplitter an Träume unmittelbar nach dem Aufwachen. So geht es jedenfalls den meisten Menschen. Die Patienten unserer Schlafklinik erleben jedoch ganz anderes. Wir untersuchen dort im Schlaflabor, was sich während ihres Schlafs ereignet und was ihren Schlaf stört – Schnarchen, Schreie, Zuckungen aller Art und andere unwillkürliche und sogar gefährliche Bewegungen. Außerdem beobachten wir, was passiert, wenn Menschen schlecht, viel zu wenig oder sogar gar nicht schlafen können – was äußerst qualvoll ist. In all den Jahren in der Klinik habe ich Hunderte von Patienten mit Schlafstörungen gesehen, die zu Schlaflosigkeit, dementsprechender extremer Müdigkeit tagsüber und bizarren und erschreckenden Zuständen während der Nacht führten. Die wenigsten von ihnen erwachen dann mit dem Gefühl, für einen neuen Tag bereit zu sein. Das Gleiche gilt übrigens für ihre Partner. Unsere Schlafpatienten leiden an allen möglichen Störungen wie Furcht einflößenden Halluzinationen, bewusst erlebter Schlaflähmung, Ausagieren von Traumerlebnissen oder wirklich kräftezehrender Schlaflosigkeit. Das Bewegungsspektrum während des Schlafs entspricht ganz dem Bewegungsverhalten im Wachzustand. Für diese medizinischen Probleme gibt es manchmal eine »natürliche« biologisch-physiologische Erklärung, manchmal auch eine psychologische Erklärung. Es ist unsere Aufgabe in der Klinik, die Ursachen für die Schlafstörungen unseren Patienten zu erkennen und, falls möglich, zu behandeln und zu beseitigen. Zur Schlafforschung bin ich eher durch Zufall gelangt. Wie die meisten Ärzte meiner Generation habe ich während der Ausbildung so gut wie nichts über Schlaf oder Schlafstörungen gehört. Bis zu meiner Facharztausbildung als Neurologe zehn Jahre nach meinem allgemeinen medizinischen Examen kann ich mich an keine einzige Lehrveranstaltung zu diesem Thema erinnern. Im Alter von 19 Jahren hatte ich mich für einen einjährigen Kurs in Neurowissenschaften eingeschrieben und verfasste dafür eine Seminararbeit zum Thema »Die Funktionen des Schlafs«. Als etwas naiver, aber durchaus wissbegieriger und gegenüber allem Neuen aufgeschlossener Teenager war ich einfach davon ausgegangen, dass es Sinn und Zweck des Schlafes ist, hinterher wieder wach und fit zu sein. Das entsprach meiner persönlichen Erfahrung bis dahin: War ich abends müde ins Bett gegangen, war diese Müdigkeit nach dem Aufwachen wie von Zauberhand verschwunden. Bei den Recherchen zu dieser Seminararbeit fiel mir indes ein Artikel in die Hände, der von Francis Crick mitverfasst worden war, einem der drei Entdecker der Doppelhelix-Struktur der DNA (Medizin-Nobelpreis 1962). In seinen späteren Jahren beschäftigte sich Crick dann weniger mit Molekularbiologie, sondern ausführlicher und zunehmend interessierter mit Neurowissenschaften und menschlichem Bewusstsein. Cricks Interesse verdankte sich im Wesentlichen einem 1962 absolvierten Forschungssemester am Salk Institute, San Diego – einem weltweit führenden Forschungszentrum für Neurowissenschaften. In ihrem Aufsatz stellten Crick und sein Mitautor Mitchison einige Theorien über die Funktion des Träumens auf; seinerzeit war man noch der Ansicht, dass der Mensch nur während der sogenannten REM-Phase (REM für Rapid Eye Movement = schnelle Augenbewegung) träumt. Ihrer Ansicht nach bildete das Träumen weniger einen »Königsweg zum Unbewussten« im freudschen Sinn, vielmehr sahen sie es als eine Art Hausputz des Gehirns. Demnach dient das Träumen dem Auslichten von neuronalen Zellverbindungen, die sich im Lauf des Tages gebildet haben. Sozusagen ein Säubern der Festplatte beziehungsweise ein »umgekehrtes Lernen«, um nutzlose Informationen zu entfernen. Wie stichhaltig diese Theorie ist, wird bis zum heutigen Tag kontrovers diskutiert; aber mir als einem auf diesem Gebiet noch unbeleckten, neugierigen Medizinstudenten ging bei dieser Lektüre ein Licht auf. Dass es beim Schlaf nicht nur darum geht, anschließend weniger müde zu sein, und dass es sich nicht um einen irgendwie unbewussten Zustand zwischen Einschlafen und Aufwachen, sondern um einen komplexen Ablauf von Gehirnzuständen handelt – das wirkte auf mich regelrecht elektrisierend. Dieses Schlüsselerlebnis brachte mich anschließend dazu, in die faszinierende und bisweilen bizarre Welt der Schlafforschung einzutauchen. In den nachfolgenden Kapiteln werden Sie etliche meiner Patienten kennenlernen, die ihr Einverständnis erklärt haben, dass ich ihre (Kranken-)Geschichten hier wiedergebe. Diese sind teils recht dramatisch, manchmal erschreckend, oft sehr erhellend und gelegentlich durchaus amüsant. Sie werden erfahren, wie Schlafstörungen auch das Leben der Angehörigen in Mitleidenschaft ziehen, vor allem natürlich der (Ehe-)Partner und Kinder. Aber wieso schreibe ich überhaupt über diese Patienten? Und: Warum sollten Sie diese Geschichten lesen? Die meisten dieser Berichte behandeln Fälle von Patienten mit wirklich extremen Schlafstörungen, die manchmal bis an die Grenzen des Erträglichen gehen. Doch gerade aus diesen drastischen, zugespitzten Beispielen können wir die besten Erkenntnisse auch für die weniger schweren Fälle gewinnen. Indem wir besser verstehen, wie Schlafstörungen sich auf die Patienten auswirken, lernen wir auch etwas über unseren Schlaf. Viele dieser Probleme oder Störungen kommen gar nicht so selten vor: Einer von zehn Erwachsenen leidet beispielsweise unter chronischer Schlaflosigkeit. Einer von fünfzehn hat Schlafapnoe und einer von zwanzig RLS (Restless-Legs-Syndrom). Man kann beinahe mit Sicherheit sagen, dass praktisch jeder, der zu diesem Buch greift, an mindestens einer der genannten Störungen leidet oder jemanden in seinem engeren Umfeld hat, bei dem dies der Fall ist. Ärzte lieben Fallgeschichten. Wir erzählen sie gerne und wir hören ihnen gerne zu. Sie dienen uns sowohl zur Belehrung als auch zur Unterhaltung. Aus dem, was uns die Patienten über ihre Beschwerden und Symptome, über die Entwicklung ihrer Krankheit berichten, destillieren wir Ärzte die sogenannte Anamnese. Das ist die Fallgeschichte im engeren, medizinischen Sinn. Darauf werden die Medizinstudenten und die jungen Ärzte als Allererstes getrimmt: Symptome einzuordnen und richtig zu deuten. In den medizinischen Aufzeichnungen, Krankenblättern und bei Besprechungen geht es hauptsächlich um Fallgeschichten. Indem wir uns diese Geschichten gegenseitig mitteilen, fördern wir den Wissensaustausch und verbreitern unsere medizinischen Kenntnisse. Ich wurde in allererster Linie zum Neurologen ausgebildet; die Analysefähigkeiten, die ich dabei erworben habe, lassen sich aber auch ohne Weiteres bei der Behandlung von Schlafstörungen anwenden. Im National Hospital of Neurology in London fand regelmäßig am Donnerstagnachmittag ein ehrwürdiges Ritual statt: die sogenannte Gowers-Runde. In erster Linie natürlich zu Lehrzwecken, ein bisschen aber auch zur Unterhaltung, versammelten sich alle Beteiligten im großen anatomischen Vortragssaal mit seinen steilen Zuhörerbänken. Die Oberärzte der Neurologie mussten in der zweiten Reihe Platz nehmen und wurden wie bei einem Examen vor der versammelten ärztlichen Kollegenschaft vom Leitenden Arzt ins Kreuzverhör genommen. Man kam sich vor wie in einer römischen Arena, wenn die Sklaven hungrigen Löwen zum Fraß vorgeworfen wurden. Einige der gewieften Oberärzte sorgten im Vorfeld dafür, einen Patienten an der Hand zu haben, der während der Gowers-Runde notfallmäßig auf der Station behandelt werden musste, sodass sie erst verspätet eintrafen und sich dann nur noch weiter oben auf den Rängen inmitten der Massen von Assistenzärzten, Medizinstudenten und auswärtigen ärztlichen Besuchern niederlassen konnten. Ganz besonders einfallsreiche Kollegen trafen Vorkehrungen mit einem befreundeten Arzt, der sie nach Möglichkeit kurz nach Beginn der »Vorstellung« anpiepste, sodass sie wegen eines angeblichen Notfalls mit zur Schau getragener Miene des Bedauerns den Ort des Geschehens vor aller Augen »leider« vorübergehend verlassen mussten; und wenn sie zurückkehrten, schlichen sie sich ebenfalls weiter oben herein und nahmen möglichst unauffällig wieder Platz. Die Zuhörer warteten jedes Mal...


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