Lisiak | Trauerrituale – in neuer Form verbunden | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 272 Seiten

Lisiak Trauerrituale – in neuer Form verbunden

E-Book, Deutsch, 272 Seiten

ISBN: 978-3-7495-0558-6
Verlag: Junfermannsche Verlagsbuchhandlung
Format: EPUB
Kopierschutz: Kein



Wer einen geliebten Menschen verloren hat, trauert um ihn. Auch wenn die Trauer nicht mehr ganz so tief ist, und wenn man akzeptiert, dass der / die Verstorbene physisch nicht mehr da ist, spürt man trotzdem eine Verbindung. In Mexiko besuchen die Lebenden am 'Tag der Toten' die Gräber ihrer Verstorbenen: Ein Ritual, das ihnen hilft, mit dem Verlust zurechtzukommen und das gleichzeitig die Verbindung zwischen Toten und Lebenden stärkt. Joanna Lisiak bietet 88 Trauerrituale an, von denen einige sehr einfach und ohne große Vorbereitungen durchzuführen sind, andere sind komplexer und nicht immer und überall umzusetzen. Aber jeder Mensch trauert anders und braucht eigene Formen, mit dem Verlust eines lieben Menschen umzugehen. 'Rituale in der Trauer bringen die vorhandene lähmende Starre und Hilflosigkeit in Bewegung.' – Joanna Lisiak
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Warum Rituale für mich wichtig sind
Nach einem persönlichen Verlust suchte ich Wege, um auf möglichst verschiedene Weisen in Verbindung mit meinem geliebten Menschen zu sein. Ich fand viele Möglichkeiten, wobei die Rituale einen ganz besonderen Platz im Prozess einnahmen, wie ich nach und nach merkte. Rituale sind per se von einem bleibenden Wert. Sie sind zugänglich und durchführbar, wann immer ich es möchte. Es gibt keinen „Trauerprozess“, der sich in dieser oder jener Weise entwickeln könnte, sondern im Gegenteil: Rituale trotzen den Prozessen, sie sind etwas ganz und gar Eigenes. Sie verdeutlichen den sichtbaren und gangbaren Weg, um der Verbundenheit und der Liebe, die bleiben, Ausdruck zu verleihen. Einen Ausdruck, der zu einem neuen Eindruck wird und welcher sich fortsetzt. Die Trauer bringt alles durcheinander. Alles ist anders. Nichts kann je wieder so sein, wie es war. Vieles ist infrage gestellt. Die Strukturen zerfallen. Die Zukunft sieht ohne den geliebten Menschen unwirklich und düster aus. Das Lebensgefühl ist das eines verlorenen Kampfes, einer persönlichen Niederlage. Man fühlt sich so allein wie der letzte Mensch auf Erden. Ein Mensch, der untröstlich bleibt und dem nichts und niemand helfen kann. Außer, wenn die Umkehrung des Unumkehrbaren sich vollzöge. Das Fühlen ist in dieser Zeit ein diffuses Durcheinander. Das Denken verkommt zu purem Chaos. Man fühlt sich ohnmächtig und spürt in sich die Lethargie und die Leere wachsen. Wünsche und Hoffnungen werden zu Hohlkörpern und man wünscht sich irgendetwas, das einem eine Stütze sein könnte. Die Lyrikerin Hilde Domin sprach von einer „Rose als Stütze“. Auch wenn wir diese Rose noch nicht sehen können, sie vielleicht nicht zu wünschen wagen, so hoffen wir innerlich doch, irgendetwas zu fassen zu bekommen, egal wie klein und zart es auch ist: einen Halm, ein undeutliches Zeichen, ein bisschen Ordnung, ein Mü Hoffnung. Man wünscht sich, wieder zuversichtlich zu sein, denn genau das ist einem anscheinend durch die Trauer und den Verlust abhandengekommen. Vor allem fehlt einem die geliebte Person so unermesslich und unendlich. Wir möchten mit ihr im Austausch sein, mit ihr teilen. Wir vermissen ihren Beistand, ihren Rat oder ihre wohlwollende Art, die uns Sicherheit gab. Dass der geliebte Mensch physisch nicht mehr ist, ist schier oder überhaupt unbegreiflich und in gewissen Momenten kaum auszuhalten. Hier kann ein Ritual, das physischer Natur und in sich etwas Abgeschlossenes ist, das sich in Raum und Zeit abspielt, entgegenwirken. Es kann mich aus meinen inneren Räumen entführen und in neue Räume überführen – die da sind, wenn ich sie öffne. Ich fand viele Wege, die gut für meine Trauer waren und sind, die sich weiterhin bewähren und die ich nicht missen möchte: Gespräche, innere bewusste Reisen, Meditieren, das Schreiben in vielen Formen, ob literarisch, ob als Tagebuch, in Zusammenfassungen meiner spirituellen Erfahrungen oder durch das Verändern alter Gewohnheiten. Doch es entwickelte sich in mir auch der große Wunsch nach Ritualen, insbesondere an speziellen Tagen, die ich mehr hervorheben, als dass ich sie vorbeiziehen lassen wollte. Zunächst war mir nicht bewusst, dass es Rituale waren, die ich suchte. Ich wollte solche Tage dann aber gestalten, ihnen Form und Absicht verleihen, sie in einen Ablauf betten, sie mit einem bestimmten Gefühl, einer Sprache jenseits der Sprache verbinden. Ich wollte das, was ich ohnehin lebe – die Verbindung mit meinem geliebten Menschen zu pflegen –, zusätzlich in einer äußeren Form darlegen. Das heißt nichts anderes als die Verbindung zu leben, zu fühlen, zu intensivieren und durch das Gestaltungselement Ritual alles nochmalig steigern, leicht umwandeln, in eine neue Sichtweise rücken. Die Rituale fanden mich nach und nach von selbst. Sie boten sich an, während ich meine innere Reise machte. Bald gab es mehr Rituale als Tage. Sie kamen wohl auch deswegen mit einem gewissen Tempo und einer Dringlichkeit, weil sie alle derselben Familie entstammen und weil sie vielleicht nicht mir allein galten, sondern auch anderen Trauernden respektive Liebenden helfen könnten. Ich mag das Wort „Trauerarbeit“ nicht, und gerade die Rituale sind für mich nicht darunter einzugliedern. Sie haben hierfür einen zu eigenständigen und einen viel zu erhebenden Charakter. Sie sind auch nicht der Fluss, der strömt, sondern sie sind gewissermaßen der aufgestaute Fluss, in den man bewusst baden geht. Sie sind das, was man „Erinnern mit Form“, „Verbinden durch Gestaltung“ nennen könnte. Rituale sind für mich persönlich Samen geworden, die ich gerne über eine große weite Wiese säe, die dann mehr und mehr erblüht, die zunehmend in immer weiteren Farben prächtig strahlt. Es ist eine geschaffene, eine neue Natur und auch eine Natur, die für sich und aus sich heraus lebt und weiterwächst. Ich bin an ihrer Entstehung beteiligt. Ich darf an ihrer Entwicklung und Entfaltung teilhaben. Ich kann ihr helfen, zu sein, so, wie mir diese Natur hilft, einen gewissen inneren Frieden zu finden. Bereits der Anblick ihrer Pracht ist ein Geschenk an mich. Das Wissen, dass sie als Ort existiert, besänftigt mich. Meine Saat ist mein Geschenk an diese Natur und sie gibt es mir auf ihre Weise in vielfacher Art zurück. Ein Ritual kann die Hand sein, die unsichtbar nach einem greift und eine Richtung weist. So kurz ein Ritual auch immer währt, es kann eine erste kleine Oase sein, auf der man ausruhen darf. Ein Ritual ist eine Brücke, über die ich zum anderen Ufer gehen kann und die mich von meiner eigenen Uferseite nicht wegdrängt. Rituale sind temporäre, friedliche Zufluchtsorte. Sie sind Wunder, auch wenn sie die Trauer nicht abschaffen können. Doch sie setzen ihr etwas Feierliches entgegen. Sie laden zum Perspektivwechsel ein. Rituale lassen die Trauernden sich als Menschen wieder anders spüren: distanzierter und innerlicher in einem. Ein Ritual ist ein bewusster Akt und wer es ausführt, ist zumindest währenddessen aufgehoben und geschützt vor der aktuellen Wirrnis in seinem Leben; sie kann ihn nicht überwältigen. Dies bedeutet allerdings nicht, dass Rituale selbst einen nicht überwältigen können. Sie tun es durchaus. Aber auf wundersame Weise: liebevoll, heilend, harmonisch, kräftig. Rituale in der Trauer bringen die vorhandene lähmende Starre und Hilflosigkeit in Bewegung. Diese äußere Bewegung hat eine Auswirkung auf das Innere der Trauernden. Ein Ritual konfrontiert den Menschen, was nicht ohne Wirkung bleibt. Es kann ein lichtvoller Türöffner zu anderen Wahrnehmungen sein und manchmal sogar in andere Welten entführen. Wir verlassen die Welt der Ratio, geben uns hin und lassen uns auf die Form ein: körperlich, geistig, seelisch. Oftmals kommt dabei eine Klarheit heraus, die man durch rein rationelles Denken nicht erreichen würde, die aber am Ende zu Teilen just in diese Ratio führt. Ein Ritual ist immer eine mehrdimensionale Reise. Nicht nur vom Ereignis oder vom Alltag hebt sich ein Ritual ab; es verdeutlicht überhaupt, was alles zum Leben dazugehören kann. Woraus es sich zusammensetzt, gerade, wenn es zersplittert erscheint. Ein Ritual kann ein anderes Denken hervorbringen und auch die Empfindungen in andere Bahnen lenken. Es kann das Festgefahrene von innen her auflockern. Es lässt die Trauer, das Chaos, das Profane des Alltags hinter sich, um sich demütig und durch Zuwendung zum Moment hin zu erhöhen, zu steigern, zu vertiefen. Die Qualität von Ritualen lässt sich schwer bemessen, aber eine Wirkung haben sie, das ist Fakt. Raum für Rituale zu schaffen bedeutet auch, mehr Raum für sich selbst zu schaffen. Wenn man sie mit und für den geliebten Menschen macht, heißt das im Folgeschluss nicht weniger, als in diesem Raum Zeit mit der geliebten Person zu verbringen und Zeit für sich zu gewinnen. Auch wenn einige Rituale rein äußerlich verlaufen, so zeigen sie doch Wege ins Innere. Sie erleichtern den Druck des erlittenen Schmerzes, den man selbst vielleicht (noch) gar nicht wahrnimmt. Zudem sorgen bewusst ausgeführte Rituale für eine besondere Langsamkeit, die für sich genommen einen Genuss in sich trägt. Und Rituale schaffen noch etwas anderes: Der Gedankenballast und der „Overload“ der Gefühle können geradezu mühelos zur Seite gelegt werden, was mit bewusstem, sprich rationalem Arbeiten oftmals nicht gelingt. Man führt in einem Ritual etwas zusammen, das auseinander zu liegen scheint, und Verklumptes zerlegt man in einzelne Stücke. Das Ergebnis ist nie klar einheitlich und absehbar. Es gibt keine Noten zu vergeben und keine Erfolge einzuheimsen. Wer jedoch aufrichtig und mit Offenheit an ein Ritual herangeht, wird am Ende etwas finden, das man mit Attributen wie „wirkungsvoll“ oder gar „heilsam“ versehen kann. Wenn die Trauer nicht mehr so stark spürbar ist, sind Rituale, die man ausüben möchte, in einer Form aufgehoben, die die Verbundenheit mit dem geliebten Verstorbenen wieder intensiviert und gestaltend weiterträgt. Sie sind weder Fesseln, noch haben sie etwas mit dem allgemein gepredigten Loslassen zu tun. Und nichtsdestotrotz ist die Anbindung zum geliebten Menschen via Ritual ein Befreiungsschlag. Man merkt: Man muss hier nicht loslassen, was man nicht loslassen möchte. Man kann der geliebten Person im rituellen Rahmen nah sein. Man hat die Möglichkeit, sie auf andere Weise zu ehren und das, was einen mit ihr verbindet, kann man im Ritual hüten und wahren. In Bezug auf Trauerarbeit hielt man es früher in der Psychotherapie für angemessen, die geliebten Menschen ziehen zu lassen. Das ist inzwischen richtigerweise nicht mehr so, denn das Herz möchte die Verbindung, die ja ohnehin ist und bleibt, beibehalten....


Joanna Lisiak, geboren in Polen, lebt seit 1981 in der Schweiz; seit 2000 zahlreiche Buchveröffentlichungen. Sie schreibt u. a. Lyrik, Kurzprosa, Theaterstücke und Essays und ist Mitglied im PEN und bei den Autorinnen und Autoren der Schweiz (A*dS). Ihre intensive Beschäftigung mit Trauerritualen basiert auf eigenen Erfahrungen.


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