Lorenz | Situationsdynamik systemtheoretisch beobachtet | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 450 Seiten

Reihe: Verlag für systemische Forschung

Lorenz Situationsdynamik systemtheoretisch beobachtet

Eine Rekonstruktion des sozialphänomenologischen Ansatzes nach Herbert Euschen

E-Book, Deutsch, 450 Seiten

Reihe: Verlag für systemische Forschung

ISBN: 978-3-8497-9058-5
Verlag: Carl Auer Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Die (Über-)Komplexität des Hier und Jetzt einer Situation geht über Motive der personalen Akteure und deren Beziehungen hinaus und wird zusätzlich aufgeladen durch Einflüsse organisationaler Kontexte und die Sinnkonstruktionen von deren Referenzsystemen. Diese Sichtweise brachte Herbert Euschen dazu, in seinem Ansatz der Situationsdynamik den personalen Aspekt des Ich mit dem Wir einer sozialen Situation zu verbinden und diese im Kontext von Sachaspekten, die Beziehungen unmittelbar beeinflussen, zu betrachten. Diese Betrachtung wird in die Sinn-Konstruktion eines Beobachters unter dem Aspekt Intentionalität eingebettet.

Die Dynamik der Situation wird in Differenz gesetzt zur Struktur des Alltags, so dass sich die Konturierung der Situation als System nur in der relevanten Umwelt Alltag denken lässt. Die jeweiligen (sozial-)phänomenologischen Ansätze Habitus, kollektive Deutungsmuster, Gesellschaft als Lebens- und Systemwelt und Diskursanalyse werden mit systemtheoretischen Überlegungen in Bezug gesetzt und so die Handlungslogiken rekonstruiert, die Situationen dynamisieren.
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Einblicke
Mit dem vorliegenden Buch wird ein Versprechen eingelöst. Ein Versprechen an Herbert Euschen, die Grundlegungen seiner Theorie der Situationsdynamik und die damit verbundenen Gedankengebäude niederzuschreiben, um einen Diskurs zur Situationsdynamik über sein Leben hinaus, zu eröffnen. Situationsdynamik als Theorieentwurf zu fixieren, wäre für ihn selbst unmöglich gewesen, weil er damit – nach seiner Interpretation – eine Endgültigkeit für die Situationsdynamik formuliert hätte, die die Dynamik des Vorläufigen und den permanenten Anspruch nach Weiterentwicklung paradoxiert hätte. Insofern fällt es nun uns – seiner Frau, seinen Freunden, Wegbegleitern und auch Kollegen – zu, die wir im wörtlichen Sinne durch gemeinsames Lesen, Diskutieren bei Theorietagen, Anwenden in Trainingsmaßnahmen und Beratung ebenso wie durch das Reflektieren in gemeinsamer STAFF-Arbeit, die von Herbert gewünschte Dynamik des Vorläufigen mit ihm gemeinsam gelebt hatten, nach seinem Leben einen vorläufigen Endpunkt seiner Wirklichkeitstheorie schriftlich zu markieren. Ein Endpunkt, der aber auch als Startpunkt gesehen und verstanden werden soll. Zum einen soll mit dem vorliegenden Buch die Anschlussfähigkeit an bestehende phänomenologische und sozialphilosophische Theoriegebäude aufgezeigt werden, zum anderen aber auch der eigenständige Nukleus der Theorie als Wirklichkeitstheorie, der in der komplexitätssteigernden situativen Vernetzung aller Aspekte liegt, betont werden. Die in der Situation herrschende Überkomplexität und die gleichzeitig daraus erwachsende Reduktion von Komplexität durch Beobachtung sind der philosophische Ansatz in der Situationsdynamik, die Herbert oft mit Blochs Metapher der Dunkelheit des Augenblicks beschrieb. Dunkelheit, da wir nicht alles sehen und durch die Einführung des Lichts sich eine Differenz ergibt, die das sichtbare Ausgeleuchtete als Figur auf der Bühne des Unsichtbaren tanzen lässt. Die Reflexion an systemtheoretischen Überlegungen als metatheoretische Verortung greift diese Differenz auf und transformiert sie in der Formtheorie nach Spencer Brown in System und Umwelt. Diese Überlegungen haben die Arbeit an der Weiterentwicklung der Situationsdynamik in den zurückliegenden Jahren stark beeinflusst. Zum anderen verfolgte Herbert neben der theoretischen Auseinandersetzung als zentralen Punkt der Weiterentwicklung der Situationsdynamik die Anwendung des Ansatzes in der Praxis, wobei er Praxis stets als Gestaltungsort der Theorie fokussierte, da für ihn Theorie ohne Praxis leer und Praxis ohne Theorie blind war. Wie wichtig ihm die praktische Anwendung und an seine Arbeit gebundene Mission der Befreiung von gelebten Zwängen und Gebunden-sein an gesellschaftliche Ligaturen und unreflektierten Konventionen war, zeigte sich in der Phase seiner schweren Erkrankung, in der er bis zuletzt in Trainings das sogenannte Selbstverständliche kritisch hinterfragte und in sokratischen Dialogen als Scheinwahrheiten entlarvte. Gleichzeitig zeichnete ihn aber auch der grundsätzliche Respekt vor dem Anderssein aus, wenn er selbst nicht nachvollziehbare Lebenslügen als Überlebenswahrheiten würdigte. Durch Anwendung in der Reflexion von Führungssituationen, in Beratungskontexten und in der agogischen Bildungsarbeit bekam in den zurückliegenden Jahren der Denkansatz von Herbert Euschen Hand und Fuß und wurde für viele Teilnehmer in Supervisions- und Organisationsberatungsausbildungen, Studium und Führungstrainings in der Praxis erlebbar. Insofern dürfte für viele Menschen, die Herbert als Trainer und Lehrer erlebten, mit dem Buch auch Erinnerung neu belebt werden. Mein Dank gilt in der Entwicklung des Buches Anke Euschen für das sorgfältige Sammeln und Strukturieren von Herberts gesammelten Fragmenten, Damian Lorenz und Matthias Schäfer als junge Philosophiestudenten für die Mitwirkung beim Lektorat und ihr kritisches Nachfragen. Bettina Mutz-Lorenz für die redaktionelle Aufbereitung und Nachbearbeitung der Grafiken, die den Anspruch haben das Geschriebene zu veranschaulichen. Und allen gemeinsam für die abendlichen Diskussionen und das Querbürsten von Selbstverständlichem. Im Entstehen des Buches hatte ich in den Seminaren mit den Studierenden der Berufspädagogik an der BAGSS (Berufsakademie für Gesundheit und Sozialwesen Saarland) sowohl in Saarbrücken als auch in Warnemünde die Theorieansätze von Kapitel III und IV lebhaft diskutiert und auf die Relevanz für den pädagogischen Alltag erörtert. All dies waren Ermutigungen in dem langen Jahr des Schreibens und willkommene Feedbacks, die vor allem in die Bearbeitung der Grafiken eingeflossen sind. Als Lesetipp bei der Durcharbeitung des Buches kann die eigene Lust und Interessenslage der zentrale Startpunkt des Einstiegs ins Buch sein. Die einzelnen Kapitel sind in sich abgeschlossen und markieren jeweils verschiedene Aspekte der Annäherung an die Situationsdynamik. Kapitel I klärt die Position des Beobachters in der Situationsdynamik und die erkenntnistheoretische Fundierung im Konstruktivismus und seinen verschiedenen Spielarten. Ebenso werden die Grundlegungen zur Entwicklung der Systemtheorie durch die verschiedenen Epochen – ausgehend von dem Grundverständnis rückkoppelnder Systeme über die System/Umwelt-Differenz bis zur autopoietischen Wende und der damit einhergehenden Re-definition von Fremd und Selbstreferenz – beschrieben. Kapitel II rekonstruiert den Situationsbegriff aus dem Begriff des Alltags. Einerseits wird die Phänomenologie nach Alfred Schütz und sein Konzept der Lebenswelt in der gesellschaftlichen Perspektive von Berger/Luckmann rekonstruiert, andererseits der Begriff der Situation aus einer etymologischen Herleitung konturiert und zum Alltagsbegriff kontrastiert. Daran schließt sich ein Exkurs zu französischen Situationisten an, denen Herbert in seiner Betonung des Vorläufigen nahestand. Des Weiteren wird über transkribierte Interviews die phänomenologische Herleitung und die Verortung des Situationsbegriffs im Unterschied zu Alltag in Herbert Euschens Ansatz rekonstruiert und positioniert. Wie der Unterschied zwischen gelebtem Alltag und erlebter Situation in der Situationsdynamik sich im lebensweltlichen Kontext Familie anfühlt, beschreibt Anke Euschen in nachfolgendem Interview, das ich als Hinführung zur Situationsdynamik bewusst als Form gewählt habe, um aufzuzeigen, wie sehr Theorie bewusst gelebte Situation irritiert und umgekehrt das Projekt „Wir-Leben“ als dynamischer Prozess theoretische Überlegungen relationiert. Für beide Prozesse gilt das Primat der Vorläufigkeit. Kapitel III stellt die Situationsdynamik in ein Bezugsystem von wissenschaftlichen Vorstellungen, die Herbert in der Darstellung der unterschiedlichen Ebenen von Komplexität aufgegriffen hat. Die klassische Psychoanalyse verstand er als Aufklärung der Aufklärung dahingehend, dass bei Kant die Aufklärung und die damit verbundene Befreiung aus selbstverschuldeter Unmündigkeit noch auf Vernunft basierend formuliert wurde, bei Freud mit der Einführung des Vor- bzw. Unbewussten und der damit verbundenen Psychodynamik nach der Selbstbestimmung die Selbstentfaltung als Individuum ermöglicht wurde. Das selbstentfaltete Individuum war für Herbert nur als Person in Sozialgefügen denkbar. Daher auch seine Aversion gegen die psychologisierende Gruppendynamik, die er als weniger förderlich für die Entwicklung von Personalität sah, sondern eher auf die Ich-Entwicklung ausgerichtet einordnete. In der gruppendynamischen Arbeit hat Herbert immer das Hier und Jetzt des Momentum als dynamisches Merkmal betont und das Modell Gruppenuhr nach Tuckmann kritisch eingestuft, sofern es in der Trainingsmaßnahme von Trainer*innen als Struktur- oder Diagnoseinstrument mit daraus folgenden Therapievorschlägen an die Gruppe eingesetzt wird. Sofern es auf Beobachtung zur Herstellung einer Differenz und zum Gewinn von Information im systemtheoretischen Sinne herangezogen wurde, war es für ihn eine Unterscheidung, die eine Unterscheidung macht, ohne die Faktizität des Normativen und damit Statischen. Unter dem prozessualen Aspekt, dass Kommunikation ereignishaft Kommunikation kommuniziert war die Kopplung zum Primat des Dynamischen gegeben. Unter der Fokussierung des Dynamischen favorisierte er das Dependez-Counter-Interdependenz Modell nach Bennis und Shepard. Ferner kritisierte er eine Gruppendynamik, die die Situation rein auf die Beziehungsebene reduziert und Sachaspekte wie Umwelteinflüsse (Raumtemperatur, Gerüche, Baulärm etc.) ausblendet, wobei sie Beziehungsdynamiken beeinflussen, aber nicht Beziehung erklären, es sei den Mann/Frau kennt den Hausmeister. Ebenso und durchaus gleich-gültig sah er die Bedeutung von Funktionalitäten, die Personen über ihre Identität in die Aktualität der situativen Beziehungsdynamik einbringen. Diese unterkomplexe Behandlung der Situation in der Gruppendynamik war für ihn Motor zur Entwicklung der Situationsdynamik. In...


Franz Lorenz, Prof. Dr., war nach seiner Tätigkeit als Lehrer im Gesundheitswesen seit 1992 als Referent für Krankenhäuser mit Arbeitsschwerpunkten Beratung, Weiterbildung und politische Vertretung von Pflege- und Sozialberufen beim Diözesancaritasverband Trier tätig. 2000 war er Mitbegründer der Lernstatt Zukunft im DICV Trier; ab 2006 Tätigkeit im Generalsekretariat der Caritasgemeinschaft für Pflege und Sozialberufe, von 2009 bis 2012 deren Bundesgeschäftsführer; ab 2012 Gründungsrektor der Berufsakademie für Gesundheit- und Sozialwesen Saarland gGmbH und ab 2014 Rektor der Berufsakademie; seit 2021 durch die Kooperation mit der FOM Hochschule Professor für Sozialwissenschaften und Führung an der FOM Hochschule.


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