Lüderssen | Zum poetischen Werk von Salvatore A. Sanna | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 202 Seiten

Lüderssen Zum poetischen Werk von Salvatore A. Sanna

Col rosso in dominante

E-Book, Deutsch, 202 Seiten

ISBN: 978-3-8233-0231-5
Verlag: Narr Francke Attempto Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Dieser Band versammelt Aufsätze und Rezensionen zur Lyrik von Salvatore A. Sanna (1934-2018). Sannas erster Gedichtband erschien 1978 mit dem Titel Fünfzehn Jahre Augenblicke, es folgte 1984 Wacholderblüten, 1988 Löwen-Maul, 1991 Feste, 1999 Mnemosyne, 2009 Mare. I guess what you mean. Das Gesamtwerk erschien 2004 im Gunter Narr Verlag unter dem Titel Fra le due sponde/Zwischen zwei Ufern. Gedichte Italienisch Deutsch. Hrsg. von Thomas Amos, und auf Italienisch im Verlag Il Maestrale, Nuoro (2014). Sanna hat selbst den Begriff der "Letteratura de-centrata" geprägt, er verfasste seine Gedichte auf Italienisch, veröffentlichte seine Texte aber immer zweisprachig italienisch/deutsch, um auch das des Italienischen nicht mächtige Lesepublikum zu erreichen. Die hier vorgelegte Sammlung mit Texten in italienischer und deutscher Sprache erlaubt erstmals eine Zusammenschau der kritischen Texte über Sannas Lyrik.
Lüderssen Zum poetischen Werk von Salvatore A. Sanna jetzt bestellen!

Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


Einführung
Salvatore A. Sanna – Ein deutsch-italienischer Lyriker in Frankfurt1
Immacolata Amodeo Salvatore A. Sanna, der die Deutsch-Italienische Vereinigung in Frankfurt am Main ins Leben gerufen und ein halbes Jahrhundert lang geleitet hat, war als Kultur- und Kunstvermittler zwischen Deutschland und Italien nicht nur in Frankfurt sehr geschätzt. Weniger bekannt ist vielleicht, dass er auch ein hochangesehener Lyriker ist, der ein beachtliches Werk vorweisen kann. Er hat insgesamt sechs zweisprachige – italienisch-deutsche – Gedichtbände veröffentlicht. Der erste – Fünfzehn Jahre Augenblicke2 – ist 1978 datiert, 1984 erschienen die Wacholderblüten3. Es folgten 1988 die Sammlung Löwen-Maul,4 1991 Feste,5 1999 Mnemosyne.6 Der letzte Gedichtband – Mare7 – ist von 2009. Alle sechs Bände wurden zunächst als zweisprachige Ausgaben in Deutschland veröffentlicht. Einige sind später auch in Italien als rein italienische Ausgaben erschienen, z. B. La fortezza dell’aria, mit einer Einführung von Luigi Malerba8. Es liegt auch eine zweisprachige Gesamtausgabe – mit dem Titel Fra le due sponde/Zwischen zwei Ufern9 – vor, die 2004 erschienen ist, sowie eine rein italienische Gesamtausgabe mit dem Titel Fra le due sponde10 aus dem Jahr 2014. Salvatore A. Sanna wurde 1934 in Oristano/Sardinien geboren. Nach dem Studium der Germanistik und der Anglistik an der Universität Cagliari und einem Aufenthalt in England kam er 1958 mit einem Stipendium der sardischen Regierung nach Deutschland. Er lehrte zunächst als Austauschassistent Italienisch am Lessing-Gymnasium und an der Musterschule in Frankfurt und war schließlich von 1962 bis 1998 als Dozent für italienische Sprache und Literatur an der Johann Wolfgang Goethe-Universität tätig. 1966 gründete er die Deutsch-Italienische Vereinigung e.V., die er bis 2016 ehrenamtlich geleitet hat. Zudem hat er – bis 1996 gemeinsam mit Trude Müller – in der Frankfurter Westend Galerie seit 1967 zahlreiche Ausstellungen zeitgenössischer italienischer Künstler organisiert. Darunter waren international bekannte Künstler wie Piero Dorazio, Giulio Turcato, Carla Accardi, Giuseppe Santomaso, Fausto Melotti, um nur einige zu nennen. Salvatore A. Sanna gehörte auch zu den Gründern des Fachverbandes Italienisch in Wissenschaft und Unterricht (1976)11 und rief 1979 zusammen mit Arno Euler die Zeitschrift „Italienisch“ ins Leben, die er bis zu seinem Tod 2018 als Mitherausgeber betreut hat. 1992 entstand auf seine Initiative hin die Frankfurter Stiftung für deutsch-italienische Studien. Schließlich wurde er 1977 als „Cavaliere“, 2004 als „Commendatore dell’Ordine al Merito della Repubblica Italiana“ und 1996 mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande geehrt. Aus Salvatore A. Sannas umfangreichem lyrischen Werk seien im Folgenden einige Aspekte herausgegriffen, die mir – als Ergänzung, Kontrast oder Kontrapunkt zu seiner Tätigkeit als Kulturvermittler und Kulturmanager – besonders interessant und relevant erscheinen. 1. Salvatore A. Sanna als Lyriker der Erinnerung
Die Erinnerung, das „non dimenticare“, das Nicht-Vergessen, nimmt einen zentralen Platz in der gesamten Lyrik Salvatore A. Sannas ein. Bei der Lektüre seiner Gedichte hat man fast das Gefühl, als sei das Vergessen eine ständig präsente Gefahr, welcher der Mensch ausgesetzt ist, vor der er auf der Hut sein muss, insbesondere, wenn er sich von einem Ort zum anderen, von einem Land in ein anderes, verpflanzt hat. Das Dichten selbst wird zu einem wirkungsvollen Mittel, um diese Gefahr einzudämmen. Als Beispiel sei auf ein Gedicht aus dem Band Fünfzehn Jahre Augenblicke verwiesen, das mit den Zeilen „Dalla cima del monte/Vom Gipfel des Berges“ beginnt. In diesem Gedicht ist es eine sich schlängelnde Bergstraße, die in der Erinnerung als sinnlicher Eindruck so stark ist, dass sie das lyrische Ich sogar „den Zugriff des Meeres/vergessen“ lässt: Dalla cima del monte vedo una strada serpente che si slunga a metà costa Il colore bianco argento mi fa scordare la morsa del mare Al regno di Poseidon è il Gennargentu una porta chiara di schisti Vom Gipfel des Berges sehe ich eine Straße auf halber Höhe sich schlängeln Die weiß-silberne Luft läßt mich den Zugriff des Meeres vergessen Zum Reiche Poseidons ist der Gennargentu eine leuchtende Pforte aus Schiefer1. Der Eindruck, der in der Erinnerung von dem höchsten sardischen Bergmassiv in diesem Gedicht wiederaufgerufen wird, ist so stark, dass sogar das Meer in den Hintergrund tritt. Der Gennargentu gewinnt in dem Erinnerungsgedicht eine mythische Bedeutung, die über die Bedeutung des Meeres hinausgeht: „mi fa scordare la morsa/del mare“ („läßt mich den Zugriff des Meeres/vergessen“). Das ist, historisch gesehen, nicht erstaunlich, denn traditionellerweise sind die Sarden ein Volk, das eher auf das Land bezogen und stark mit dem Land verbunden ist; die Sarden werden traditionellerweise als Hirten gesehen und dargestellt, nicht als Seeleute. Sannas Gedicht, das zunächst als ein sehr persönliches daherkommt, transfiguriert die persönliche Erfahrung eines lyrischen Ichs, indem es sich in ein kulturgeschichtliches Gedächtnis einschreibt. Der in Frankfurt lebende Lyriker partizipiert somit mit seinem Gedicht an einem kollektiven Gedächtnis, welches sich auf eine geographisch gesehen entfernte Lokalität bezieht – das Bergmassiv Gennargentu –, die aber in der Erinnerungsarbeit des Dichters zeitlich und örtlich gewissermaßen ‚herangezoomt‘ wird. Deutlich wird durch dieses Beispiel auch, dass gerade aus der zeitlichen und örtlichen Ferne das Dichten Teil jener Vorsichtsmaßnahmen ist, die das Individuum vor dem Vergessen bewahren und zugleich dabei helfen, die Erinnerung aufzufrischen. Das, was an einem anderen Ort, zu einer anderen Zeit erlebt wurde, wird durch das Dichten wieder ins Gedächtnis gerufen, wiederbelebt, in das Leben im Hier und Jetzt integriert. Was zunächst als ein individuelles Bedürfnis, eine individuelle Verfahrensweise und als individueller Gewinn aussehen mag, gewinnt, aus der Vogelperspektive betrachtet, auch kollektiven Wert. Im Hinblick auf die Verfahrensweisen der Erinnerungsdichtung Sannas ist zunächst einmal festzuhalten: Erinnerung ist in Sannas Gedichten kein abstraktes oder rein kognitives Gebilde, sondern hat in erster Linie mit sinnlicher Wahrnehmung zu tun. Erinnerung wird an Sinneseindrücken festgemacht, an Bildern, Gerüchen, Geschmäckern, Tönen. Aus der Erinnerung geschildert, wird die Kindheit in Sardinien als eine sinnliche Erfahrung heraufbeschworen: Erwähnt werden die Karrenfahrten zum Weinberg und der Transport der Trauben zur Sammelstelle; die Gerüche, die bei der Traubenernte und bei der Weinproduktion entstehen; typische Speisen; und zwar auf eine Weise, die sie auch für den Leser des Gedichtes gegenwärtig, erfahrbar, lebendig machen: […] Rivedo i fichi bianchi sugli alberi, le corniole le vernacce, sento l’odore del mosto e delle vinacce il gusto dei minestroni di cavoli e di verdura […] […] Ich sehe die weißen Feigen wieder auf den Bäumen, die Hörnchen- und die Vernaccia-Trauben, rieche den Dunst von Most und Trester, spüre den Geschmack der Karfiol- und der Gemüsesuppen […]2. Der Mechanismus der Erinnerung funktioniert hier über sinnliche Eindrücke: sehen, schmecken, riechen. Diese konkreten Erfahrungen können – auch aus der zeitlichen und örtlichen Entfernung – abgerufen, wiederbelebt und dem Leser mitgeteilt, ja, sogar – sofern sich dieser darauf einlässt – mit dem Leser geteilt werden. In diesem großen Sardinien-Gedicht, aus dem ich hier nur einen Teil zitiere, wird – über die Beschreibung bzw. Rekapitulation von Sinneseindrücken – eine vergangene, aber nicht verlorene Zeit erinnert, besungen und damit vergegenwärtigt. In anderen Gedichten macht der Dichter Erinnerung an Orten, Landschaften fest. Ich nenne einige: Karbach3, Torre del Pozzo4, Cornovaglia bzw. Cornouaille5, Bagno Vignoni6, Vignoni Alto7, Val d’Orcia8, Lausanne9, Juan les Pins10, Praga bzw. Prag11. Alle diese Orte erweisen sich als Stationen einer Erinnerungsarbeit, bei der sich die zeitliche Dimension an einer örtlichen festmacht. Dabei nimmt Sardinien einen Sonderstatus ein. Sardinien steht für jenen Teil des Lebens des lyrischen Ichs, der sich in einem Anderswo abgespielt hat und dem das lyrische Ich während seiner Sardinienbesuche nachspürt. Sardinien steht für die Kindheit und Jugend: In questa terra ci vengo per ricercare una matrice spenta Ogni incontro d’uomini rimprovera il tratto straniero il diverso pensare C’è un mare ovale per la sua cornice che ti rimette l’infanzia e ti fa sognare un viaggio di là da essa. In dieses Land komme ich auf der Suche nach einer versiegten...


Caroline Lüderssen, Chefredakteurin der Zeitschrift Italienisch, lehrt italienische Literatur- und Kulturwissenschaft an der Goethe-Universität Frankfurt am Main.


Ihre Fragen, Wünsche oder Anmerkungen
Vorname*
Nachname*
Ihre E-Mail-Adresse*
Kundennr.
Ihre Nachricht*
Lediglich mit * gekennzeichnete Felder sind Pflichtfelder.
Wenn Sie die im Kontaktformular eingegebenen Daten durch Klick auf den nachfolgenden Button übersenden, erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Ihr Angaben für die Beantwortung Ihrer Anfrage verwenden. Selbstverständlich werden Ihre Daten vertraulich behandelt und nicht an Dritte weitergegeben. Sie können der Verwendung Ihrer Daten jederzeit widersprechen. Das Datenhandling bei Sack Fachmedien erklären wir Ihnen in unserer Datenschutzerklärung.