Lutkat / Schultze | Märchen von Bäumen | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 192 Seiten

Lutkat / Schultze Märchen von Bäumen

Zum Erzählen und Vorlesen

E-Book, Deutsch, 192 Seiten

ISBN: 978-3-86826-422-7
Verlag: Königsfurt-Urania Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Im Märchen sind auch Bäume etwas Wundersames: Die einen wachsen bis in den Himmel und stellen so eine Verbindung zwischen zwei Welten her, andere tragen besondere Früchte, wieder andere sprechen oder singen und einige helfen den Protagonisten, ihr Ziel zu erreichen. Es kommen Verwandlungen von Menschen in Bäume vor und es gibt noch manch anderen ungeahnten Aspekt, von dem diese Sammlung internationaler Volksmärchen erzählt.
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Vorwort
Bäume sind faszinierende, wundersame, achtunggebietende Wesen, denen wir voller Staunen und Ehrfurcht in unserem Alltag, aber auch im Märchen und Mythos begegnen. »Mitnichten ist der Baum zuerst Same, dann Spross, dann biegsamer Stamm, dann dürres Holz. Man darf ihn nicht zerlegen, wenn man ihn kennen lernen will. Der Baum ist jene Macht, die sich langsam mit dem Himmel vermählt.«1 So hat es Antoine de Saint-Exupéry ausgedrückt. Zerlegen lässt sich auch der Baum im Märchen und im Mythos sicher nicht. Wir müssen ihn im Ganzen zu ahnen versuchen. Allumfassend ist er. Er reicht tief ins Dunkle der Erde, ist verwurzelt im Urgrund des Lebens. Aber er strebt mit seinen Ästen auch dem Licht zu, den himmlischen Gefilden. So wie ich mich mit dem Baum verwurzeln kann im Urgrund des Lebens, kann ich mit ihm auch hinaufstreben in die himmlischen Gegenden, in die Bereiche der spirituellen Erfahrungen. Auf diese Art und Weise verkörpert der Baum als Symbol die grundlegenden Erfahrungsbereiche des Menschen. Denn zwischen diesen beiden Polen ist unsere menschliche Existenz aufgespannt, zu uns gehört sowohl die materielle als auch die spirituelle Welt. Indem der Baum beide Pole in sich vereint und sie miteinander verbindet, ordnet er das Leben und ist weltumfassend. Nicht umsonst ist vom »Weltenbaum« die Rede, dem Baum, der nicht nur die ganze Welt umspannt, durchdringt, sondern zugleich ihr Mittelpunkt und ihre Achse ist. Der wohl bekannteste Weltenbaum ist die Esche Yggdrasil der nordgermanischen Mythologie.2 Deshalb ist der Sammlung ein Text zur Beschreibung des Weltenbaums einleitend vorangestellt. Doch auch im Märchen begegnen uns solche Weltenbäume. Besonders schön und anschaulich ist das im italienischen Märchen Schöner als Himmel und Erde, aufgeschrieben von Silvia Studer-Frangi. In ihm steigt ein Märchenheld sowohl an seinen Wurzeln in die Tiefe als auch an seinen Ästen in die Höhe – er durchquert also die entgegengesetzten Ebenen des Seins, um am Ende sein Glück in der Mitte, in der Menschenwelt zu finden. Vor allem in den osteuropäischen Überlieferungen sind Märchen vom himmelhohen Baum tradiert. Dieser Baum wird bestiegen, der Märchenheld kommt in andere Welten und erfährt Wesentliches; oft genug findet er dort oben seine Jenseitsbraut (Die Prinzessin auf dem Baum, Die Frucht des hohen Baumes). Doch auch von anderen Erfahrungen berichten die Märchen, in denen der Märchenheld den Weltenbaum besteigt (Der Wunderbaum zum Himmel, Der Wunderbaum). Im letztgenannten Märchen möchte der Märchenheld nach seiner Hochzeit den Baum seiner Frau zeigen. Auf ihm hatte er drei Welten vorgefunden, eine kupferne, eine silberne, eine goldene, aus denen er entsprechende Zweige mitgebracht und seine kupfernen Füße, seine silbernen Hände und seine goldenen Haare erhalten hat. Doch der Baum ist verschwunden. Wenn man die Besteigung des himmelhohen Baumes mit spirituellen Erfahrungen gleichsetzt, scheint es nur folgerichtig zu sein, dass der Baum nicht mehr da ist. Spirituelle Erfahrungen können nicht eins zu eins wiederholt und auch nicht von anderen nachgeahmt werden; und sie können auch nur begrenzt auf die Erde herabgeholt werden. Wichtig in diesem Zusammenhang ist noch, dass die himmelhohen Bäume der ungarischen und angrenzenden Überlieferung weniger mit der Weltenesche Yggdrasil in Verbindung gebracht werden als vielmehr mit der Schamanenreise. Der Weg des Märchenhelden wird von der Märchenforschung mit der Schamanenreise verglichen. Kovács schreibt in der »Enzyklopädie des Märchens«: »Besteigt der Schamanenkandidat die Stufen des Baumes, verschafft er sich die wichtigsten Zaubermittel (Trommel, Pferd etc.); erklimmt der Schamane selbst den Baum, zieht er die Geister der Ahnen zu Rate oder wendet sich mit den Wünschen der Gemeinschaft an den Hauptgott, der auf dem Wipfel wohnt.«3 Ein weiteres Beispiel für einen Weltenbaum: »In der Volksdichtung der Jakuten, eines nordostasiatischen Steppenvolkes, wird jener Baum besungen, der Himmel und Erde, Menschen und Götter miteinander verbindet: ›Am gelben Nabel der achteckigen Erde steht ein üppiger Baum mit neun Ästen. Seine Runde und Knospen sind silbern, die Blätter sind so groß wie eine Pferdehaut. Auf dem Wipfel des Baumes fließt schäumend der göttliche, gelbe Saft. Wenn die Vorübergehenden davon genießen, werden die Müden erfrischt und die Hungernden satt.‹«4 Zusammenfassend schreibt Ward in der »Enzyklopädie des Märchens« über den Baum, dass er, »auf Grund seiner Größe, seines oft hohen Alters, seiner Fruchtbarkeit, seiner jährlichen Wiederbelebung oder seines Immergrüns (Koniferen) zum Mittelpunkt zahlreicher kosmogonischer, anthropogonischer oder mit Vergehen, Auferstehung und ewigem Leben verbundener religiöser Vorstellungen werden musste.«5 Die Vielfalt der Bäume, die Tatsache, dass manche ihre Blätter abwerfen und manche nicht, ihr unterschiedliches Aussehen, all das hat die Menschen schon immer beeindruckt, und es gibt viele ätiologische Märchen, die von der Entstehung besonderer Eigenschaften der Bäume oder bestimmter Baumsorten selbst erzählen. Dabei kommt immer wieder zur Sprache, dass auch die Bäume eigentlich beseelte Wesen sind (Warum die Bäume nicht mehr reden). Warum die Kiefern so struppig sind und Märchen von der Eiche erklären ein bestimmtes Aussehen dieser Bäume, während Steineiche und Steinbuche und Vom Ursprung des Kokosnussbaumes die Entstehung dieser Baumsorten thematisieren. Ebenso fasziniert waren und sind die Menschen von der Vielzahl der wunderbaren Früchte an den Bäumen. Wie die Früchte insgesamt auf die Erde kamen, davon erzählt Der Wunderbaum Allepantepo. Überaus kostbar ist der Baum, der goldene Äpfel trug und oft genug weisen die Äpfel den Weg zum Partner/zur Partnerin. Einen Birnbaum säen erzählt davon, dass die Gaben, die uns durch die Bäume und die Natur geschenkt werden, und der Geiz unaufhebbare Gegensätze sind. Und die Frucht in Alle tausend Jahre reift die flache Pfirsichfrucht ist glückverheißend schlechthin. Bäume haben in der Regel in den Märchen eine positive Funktion. In unserer Sammlung gibt es nur ein Märchen, in dem die Bäume eher dämonisch wirken (Die verzauberten Weiden). Wenn die Erfahrungen mit Bäumen sonst negativ sind, hängt das eher mit Verzauberung und Verwünschung (Die Zauberesche) oder mit dem mangelndem Respekt vor ihnen zusammen (Der Schneider im Baum). Einige Bäume helfen den Guten und bestrafen die Bösen (Der Fichtling, Der Zauberwald, Die Jungfrau geht nach dem Feuer). Es gibt eine Fülle von Bäumen, die den Märchenhelden und Märchenheldinnen helfen und oft hängt ihr Gedeihen mit dem Glück derselben zusammen (Die Töchter des Holzhauers, Das Makassarische Aschenbrödel, Springendes Wasser, sprechender Vogel, singender Baum). Für Gerd Haerkötter »verkörpern die Bäume die uralte Sehnsucht des Menschen nach dem sich immer erneuernden ewigen Leben. Denn ihre Fähigkeit, ihre Lebenskraft von Jahr zu Jahr zu regenerieren, macht sie zum Sieger über den Tod.«6 Das ist etwas, was über den Menschen und das Menschenmögliche hinausgeht. Die Worte Ehrfurcht und Demut kommen einem beim Nachdenken über Bäume und ihren Symbolgehalt unweigerlich in den Sinn, sie stehen in unabdingbarem Zusammenhang mit Bäumen. Zu anderen Pflanzen muss ich hinabschauen, zu Bäumen muss ich hinaufschauen! In den hier nicht aufgenommenen Grimmschen Märchen von Aschenputtel und Einäuglein, Zweiäuglein und Dreiäuglein, aber auch in Von dem Machandelboom sind Motive der Verbindung zwischen Mensch und Baum und ihrer Lebenskraft enthalten. Bäume spenden nicht nur Gaben, sondern im Brauchtum und im Märchen gibt es die Lebensbäume, die Sympathiebäume, die Grabbäume. Die Märchen Das Makassarische Aschenbrödel und Der Wacholderbaum greifen diese Gedanken auf. Dass aus dem Grab zweier Geschwister Bäume wachsen, die sich über dem Kirchendach berühren und so auf ihre Unschuld hinweisen, ist ein besonders schönes Motiv (Die beiden Ebereschenbäume). Aber auch andere magische Wesen können zum magischen Baum und aus dem verbrannten Baum kann wiederum zauberkräftige Asche werden (Der alte Mann, der die Bäume zum Blühen brachte). Zwischen Mensch und Baum besteht ein enger Zusammenhang. Auch unsere Sprache spiegelt solches wider. Wir sprechen vom Stammbaum, Stammhalter, Zweig der Familie, unserer Abstammung. Aber auch sonst benutzen wir in unserer Sprache oft Bilder, die mit Bäumen zu tun haben: baumstark, stämmig, verwurzelt, entwurzelt, aus gutem Holz geschnitzt, astrein,...


Sabine Lutkat hat Erziehungswissenschaften, Germanistik und Psychologie studiert, ist in der Erwachsenenbildung und als Märchenerzählerin tätig sowie als Reiseleiterin in Irland. Seit 2012 ist sie Präsidentin der Europäischen Märchengesellschaft.


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