Mähler / Hasselhorn | Inklusion | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, Band 18, 230 Seiten

Reihe: Tests und Trends in der pädagogisch-psychologischen Diagnostik

Mähler / Hasselhorn Inklusion

Chancen und Herausforderungen

E-Book, Deutsch, Band 18, 230 Seiten

Reihe: Tests und Trends in der pädagogisch-psychologischen Diagnostik

ISBN: 978-3-8444-3147-6
Verlag: Hogrefe Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Die Umgestaltung des Systems der vorschulischen und schulischen Bildungsinstitutionen zu mehr Inklusion für alle Kinder und Jugendlichen, unabhängig davon, ob sie von Behinderungen betroffen sind oder sonderpädagogische Förderbedarfe haben, ist in Deutschland seit mehr als 10 Jahren in vollem Gange. Nach anfänglich eher von politischen Überzeugungen geprägten Schritten der Umgestaltungen ist in jüngster Zeit vermehrt wissenschaftliche Evidenz in die Gestaltungsentscheidungen eingeflossen. Dieses Buch widmet sich dieser evidenzorientierten Perspektive auf Inklusion.
Mähler / Hasselhorn Inklusion jetzt bestellen!

Zielgruppe


Psycholog:innen, Sozialpädagog:innen, Pädagog:innen, Lehrkräfte.

Weitere Infos & Material


|11|Kapitel 2
Inklusion aus sonderpädagogischer Perspektive
Clemens Hillenbrand und Gino Casale Zusammenfassung Das Thema Inklusion bildet ein aktuell breit diskutiertes Forschungsfeld, das in verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen, auf der Basis unterschiedlicher Begriffsverständnisse und normativer Positionen und zudem mit divergierenden forschungsmethodischen Konzeptionen bearbeitet wird. Eine Auswahl für eine überschaubare Darstellung der Forschungslage bleibt unerlässlich. Aus der Perspektive einer empirischen Sonderpädagogik versucht der Beitrag, die Begriffsverwendungen einzuordnen und kriteriengeleitet den Forschungsstand zusammenzufassen: Befunde zu Fragen des Input, der Prozesse und der Outcomes inklusiver Bildung werden zusammengefasst, um daraus Perspektiven zukünftiger Initiativen abzuleiten. 2.1  Einleitung
Inklusive Bildung ist auch über 10 Jahre nach der Unterzeichnung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen nach wie vor ein „Trend“ in Bildungsforschung, Bildungspolitik und Bildungspraxis. Der Inklusionsbegriff wird in pädagogischen Kontexten allerdings in sehr unterschiedlichen Bedeutungen verwendet. Eine zusammenfassende Übersicht über die Begriffsbedeutungen fällt nicht leicht, zumal die „sonderpädagogische Perspektive“ ebenfalls nicht eindeutig definiert wird und eine einheitliche disziplinäre Selbstdefinition bisher fehlt. Nicht nur, dass verschiedene Termini für die Bezeichnung dieses Teilgebiets der Pädagogik Verwendung finden – Heilpädagogik, Behindertenpädagogik, Rehabilitationspädagogik sowie Sonderpädagogik finden sich mit inhaltlichen Parallelen und deutlichen Unterschieden (vgl. Antor & Bleidick, 2006) –, auch die disziplinäre (Wember, 2003) und wissenschaftstheoretische Definition (Haeberlin, 2003) der Sonderpädagogik zeigt erhebliche Gegensätze, die trotz zahlreicher Bemühungen um einen fachlichen Diskurs (Grosche, Gottwald & Trescher, 2020) aktuell noch wenig Vereinheitlichung der Perspektive bieten. Der vorliegende Beitrag greift auf pädagogisch und psychologisch fundierte Forschungen zurück, die als empirische Grundlage für die Bearbeitung sonderpädagogischer Fragestellungen dienen können. Für diese gilt: Sonderpädagogische „Kernaufgaben haben immer mit der Förderung von Bildung und Erziehung unter erschwerten Bedingungen zu tun; dies macht die spezifisch sonderpädagogische Ausrichtung aus“ (Wember, 2003, S. 32). |12|Inhaltlich fokussiert die Darstellung auf Forschungen bei besonderen akademischen, emotionalen und sozialen Bedarfen in inklusiven Bildungssystemen, die in Publikationen und bildungspolitischen Texten oft als „sonderpädagogische Förderschwerpunkte“, Lernen oder emotionale und soziale Entwicklung bezeichnet werden (Kultusministerkonferenz, 2011). Diesen Themen kommt im Kontext inklusiver Bildungssysteme national wie international eine herausgehobene Bedeutung zu: Neben der hohen Prävalenz, den kritisch diskutierten diagnostischen Kriterien im Bildungssystem und der Frage des geeigneten schulischen Settings (vgl. Löser & Werning, 2013) muss zugleich aufgrund von Studien zur Perspektive von Lehrkräften (Lindsay, 2007) die praktische Herausforderung für die Professionellen (Lehrkräfte der Sonderpädagogik und der allgemeinen Schulen, Schulpsycholog*innen, Therapeut*innen) als hoch eingeschätzt werden. Wie ist der aktuelle Forschungsstand zur Realisierung inklusiver Bildung in diesem Kontext? Um die Frage faktenbasiert beantworten zu können, sollen – ausgehend von einer Übersicht der in diesem Kontext verwendeten Verständnisse von Inklusion – (1) die empirischen Befunde strukturiert dargestellt werden. (2) Die vorliegenden Erkenntnisse können dann Impulse für weitere Forschungsaktivitäten (3) zur Realisierung von Inklusion im Bildungssystem bilden. 2.2  Zum Inklusionsbegriff
Inklusion bezeichnet ein internationales, gesellschaftliches Projekt der Unterzeichnerstaaten der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, das inzwischen weltweit in Kraft ist (vgl. https://www.un.org/disabilities/documents/maps/enablemap.jpg). Die normative Bedeutung hebt der bekannte Zeithistoriker Rödder in seiner „Kurzen Geschichte der Gegenwart“ (2016) hervor, wenn er die aktuellen Veränderungen gesellschaftlicher Ordnungsvorstellungen als „Kultur der Inklusion“ bezeichnet und damit die neue Gesellschaftsvorstellung dieser politischen Programmatik deutlich macht: „Ihre Grundlage ist die Wertschätzung von Menschen in der Vielfalt ihrer Lebensweisen und Erscheinungsformen sowie die Anerkennung von Diversität als Normalität“ (ebd., S. 116). Die menschenrechtliche Dimension ist bedeutsam: Mit dieser Konvention geht es nicht mehr nur um die Verteidigung von Individualrechten, sondern zugleich um das Recht auf Unterstützung zur Teilhabe (Bielefeldt, 2010; Kiuppis, 2016; Lindmeier, 2011). Ein solcher normativer und wertgeladener Begriff, der die gesellschaftliche Situation von Menschen mit Behinderung für mehr Teilhabe und Autonomie in der gesamten Lebensspanne weiterentwickeln soll, stellt zugleich soziologische (Liesen, 2006), philosophische (Stojanov, 2019, Terzi, 2014) und ethische Fragen (Dederich, 2016; Burckhart & Jäger, 2016), diese beeinflussen dann oft den Diskurs um empirische Forschungen durch normative Anforderungen. |13|Die politische, auch bildungspolitische Programmatik der UN-Konvention basiert auf einem interaktionistischen Verständnis von Behinderung (Art. 1) und zielt darauf, Behinderungen der gesellschaftlichen Teilhabe, die aus der Interaktion von individuellen Merkmalen und sozialen Barrieren resultieren, gar nicht erst entstehen zu lassen, indem die Unterzeichnerstaaten „angemessene Vorkehrungen“ (Art. 2) treffen. Mit Blick auf die gesamte Lebensperspektive fordert die UN-Konvention also von den Staaten, Vorkehrungen für die umfassende Barrierefreiheit für alle Lebensbereiche und -phasen von Menschen mit Behinderungen zu treffen, damit das Menschenrecht auf Teilhabe angesichts von Barrieren und Benachteiligungen in Anspruch genommen werden kann (Bielefeldt, 2010). Der Artikel 24 fordert ein inklusives Bildungssystem auf allen Ebenen und ist in diesen Gesamtkontext einzuordnen: „States Parties recognize the right of persons with disabilities to education“ (United Nations, 2006, Art. 24). Der in der Nachfolge zur UN-Konvention verfasste Erste Weltbericht über Behinderung versteht unter inklusiver Bildung konsequenterweise „the right of all learners to a quality education that meets basic learning needs and enriches lives. Focusing particularly on vulnerable and marginalized groups, it seeks to develop the full potential of every individual“ (World Health Organization & World Bank, 2011, p. 304). Inklusive Bildung fordert damit barrierefreie Bildungssysteme mit qualitativ hochwertigen Bildungsangeboten („effective education“), die jedem Lernenden, aber insbesondere benachteiligten Personengruppen, die bestmögliche Chance zur Verwirklichung der individuellen Potenziale anbieten (Hillenbrand, 2014). Für den Inklusionsbegriff im pädagogischen Diskurs existiert „keine allgemein anerkannte Definition […], die trennscharf, logisch konsistent und widerspruchsfrei wäre“ (Grosche, 2015, S. 20). Dies ist nicht verwunderlich, bedenkt man den politisch-normativen Kontext des Begriffs und seiner Entwicklung (Kiuppis, 2016). Diese bildungspolitische Programmatik erfordert die spezifische Neuorientierung des Bildungssystems, dazu verortet die UNESCO in der wegweisenden Salamanca-Deklaration 1994 die sonderpädagogischen Unterstützungsangebote als zentralen Teil des allgemeinen Bildungssystems (UNESCO, 1994, S.iii). Die sonderpädagogischen Unterstützungsangebote erhalten damit eine wichtige Funktion im Rahmen der Entwicklung eines inklusiven Bildungssystems. Die aktuelle Definition der UNESCO (Deutsche UNESCO-Kommission, 2014, S. 9) hebt den Prozesscharakter hervor, der gerade für empirische Forschung zu den Fragen nach den Bedingungen und Möglichkeiten spezifischer Förderung essenziell ist. Eine Analyse zur Begriffsverwendung von „inclusive education“ in wichtigen Veröffentlichungen der am häufigsten zitierten englischsprachigen Publikationen Europas und...


Ihre Fragen, Wünsche oder Anmerkungen
Vorname*
Nachname*
Ihre E-Mail-Adresse*
Kundennr.
Ihre Nachricht*
Lediglich mit * gekennzeichnete Felder sind Pflichtfelder.
Wenn Sie die im Kontaktformular eingegebenen Daten durch Klick auf den nachfolgenden Button übersenden, erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Ihr Angaben für die Beantwortung Ihrer Anfrage verwenden. Selbstverständlich werden Ihre Daten vertraulich behandelt und nicht an Dritte weitergegeben. Sie können der Verwendung Ihrer Daten jederzeit widersprechen. Das Datenhandling bei Sack Fachmedien erklären wir Ihnen in unserer Datenschutzerklärung.