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E-Book, Deutsch, 256 Seiten

Malleier / Pallaver / Lanzinger Erbgesund und kinderreich

Südtiroler Umsiedlerfamilien im "Reichsgau Sudetenland"

E-Book, Deutsch, 256 Seiten

ISBN: 978-88-7283-812-9
Verlag: Edition Raetia
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Im Zuge der Option 1939 wurden Südtiroler im annektierten Böhmen und Mähren, dem "Reichsgau Sudetenland", angesiedelt, um die Reichsgrenzen auszuweiten und die Slawen zu vertreiben. Anhand von Fallbeschreibungen werden der Ablauf der Auswanderung, die Lebenssituation der Umsiedlerfamilien vor Ort, ihre Verquickung mit dem NS-Regime und ihr Verhalten gegenüber der einheimischen Bevölkerung beschrieben.
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Die Südtirol-Option und die Ansiedlung im „Mustergau Sudetenland“
„Woher hast du denn das, was du da redest, Hansl?“, forschte ich. „Woher? Das sagen doch alle. Der neue Ortsrat sagt, vielleicht kommen wir nach Böhmen. Dort wächst es, ohne dass man sät, und die Ackerfurchen sind so lang wie unser ganzes Tal. Dein Taufpate, der dort gewesen ist, in Böhmen, beim Militär, der sagt es auch. Die Tschechen, sagt er, wird man fortschicken, weil man aus denen doch keine Deutschen machen kann, und dafür kommen wir hin, weil sie frisches Blut brauchen. Das sagt auch der Ortsrat, oder wie sie ihn heißen, den jungen Paller. Das sind dir Felder, mein Lieber, in Böhmen, keine Steinewirtschaft wie da bei uns, Furchen so lang wie das ganze Tal, und Zuckerrüben bauen sie, sagt der Konrad.“ Claus Gatterer: Schöne Welt, böse Leut. Kindheit in Südtirol, Wien 31992, 363. Die Option des Jahres 1939 in Südtirol beschränkt sich nicht auf die Dramatik der Entscheidung, die Staatsbürgerschaft des nationalsozialistischen Deutschen Reichs anzunehmen und das Land verlassen zu wollen oder weiterhin die italienische Staatsbürgerschaft beizubehalten und damit im Lande zu bleiben. Der Entscheidung und allem, was sich im Vorfeld dieser Entscheidung abspielte, folgte bei rund einem Drittel der Südtiroler/-innen die tatsächliche Abwanderung und für einen kleineren Teil davon nach Ende des Zweiten Weltkrieges die Rücksiedlung zurück nach Südtirol. Über die Option als Entscheidungsphase ist ausgiebig geforscht und publiziert worden. Etwas weniger intensiv stand bislang die Umsiedlungsphase im Blickfeld des Interesses. Die nackten Zahlen sagen uns, dass etwa 75.000 Südtiroler/-innen auf rund 200.000 Deutschland-Optant/-innen auch tatsächlich ausgewandert sind. Die „Wiederansiedlung“ ist, wiederum in nackten Zahlen ausgedrückt, vor allem in der „Ostmark“, d. h. in den ehemaligen österreichischen Bundesländern erfolgt. Das betraf etwa 60.000 Personen, davon blieben rund 38.000 Optant/-innen in Tirol (ca. 51 %), knapp 6.000 in Vorarlberg (ca. 7,5 %). In anderen Regionen Deutschlands in den Grenzen des Jahres 1937 siedelten sich knapp 11.000 Südtiroler/-innen an. Neben Bayern als sprachlich-kulturell verwandtem Land waren dies auch die Länder Baden-Württemberg, Hessen und Nordrhein-Westfalen. Aber Südtiroler/-innen kamen, wenn auch in geringerer Anzahl, auch nach Rheinland-Pfalz, Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Sachsen-Anhalt oder Berlin. Ein kleinerer Teil, an die 3.700 Personen (ca. 5,0 %), wurde in „außerdeutschen“, d. h. in besetzten bzw. annektierten Gebieten außerhalb des „Altreichs“ und der „Ostmark“ angesiedelt, wie in Luxemburg, Elsass und Lothringen, in Oberkrain und in der Untersteiermark, im Protektorat Böhmen und Mähren und im „Reichsgau Sudetenland“. Diese territoriale Auflistung zeigt uns bereits, dass die Siedlungsgebiete unterschiedlichen Typologien zuzuordnen sind. Schon während der Propagandaschlacht für die Auswanderung wurde den Südtiroler/-innen versprochen, in einem geschlossenen Siedlungsgebiet eine neue Heimat zu finden. Vor Kriegsbeginn und in den ersten Kriegsjahren sprach man unter anderem von den Beskiden, dem polnischen Galizien, dann von Burgund, von der Untersteiermark oder von der Krim. All diese Pläne, die an die Vertreibung der einheimischen Bevölkerung gekoppelt waren, kamen nicht zustande. Bei den tatsächlich erfolgten Ansiedlungen können wir unterscheiden zwischen rein deutschsprachigen Gebieten und solchen, in denen auch eine anderssprachige Bevölkerung lebte, wie dies für das Sudetengebiet zutrifft, in dem neben Deutschen auch Tschech/-innen und andere sprachliche Minderheiten, z. B. Pol/-innen, lebten. Auch im Sudetengau musste die einheimische tschechische Bevölkerung den neuen Ansiedler/-innen aus Südtirol Platz machen. Sie wurden schlicht und einfach mit Gewalt von ihren Höfen, ihren Handwerksbetrieben, Geschäften, Gaststätten, Hotels, ihren Häusern und Wohnungen vertrieben. Die Umsiedlung und Wiederansiedlung von Optant/-innen aus Südtirol stand in direkter Verbindung mit dem geplanten und dann auch durchgeführten Eroberungskrieg des Dritten Reiches im Osten Europas. Als Erste davon betroffen war die Tschechoslowakei. Für die von den Nationalsozialisten verfolgte Eroberung und Neuordnung des osteuropäischen „Lebensraumes“ unter rassischen und strategischen Gesichtspunkten benötigte das NS-Reich entsprechendes „Menschenmaterial.“ Man fand dieses überall in den in Europa verstreut lebenden „Volksdeutschen,“ zu denen auch die Südtiroler/-innen gezählt wurden. Diese sollten „erbgesund und kinderreich“ und nach den Vorstellungen der Nazis „erfahren im Grenzlandkampf“ sein, wobei viele Familien den ideologischen NS-Ansprüchen offenbar nicht entsprachen. Von den im „Reichsgau Sudetenland“ angesiedelten Südtiroler/-innen blieb nach 1945 so gut wie niemand mehr dort. Sie wollten bereits wenige Monat nach der Bekanntschaft mit der neuen Realität wieder weg aus dem „gelobten Land“ und flüchteten bei Kriegsende. In den einzelnen Abhandlungen dieses Bandes werden unterschiedliche Aspekte der Umsiedlung von Südtiroler/-innen in den „Reichsgau Sudetenland“ anhand von Beiträgen aus Südtirol, Österreich, Deutschland und der Tschechischen Republik beleuchtet. Dabei werden politische, wirtschaftliche und geschlechterpolitische Fragestellungen behandelt. Zugleich wird ein detaillierter Blick auf die Organisation der Umsiedlung und das Schicksal der Umsiedler/-innen selbst geworfen, die sowohl eigenständig Handelnde als auch „Verschubmasse“ der nationalsozialistischen Bevölkerungsideologie waren. Was im Zuge der Vorbereitung für diese Publikation mehrfach sichtbar wurde, waren Forschungslücken in Bezug auf unterschiedlichste geschlechterspezifische Aspekte. Dies gilt sowohl für die Frage der Aktivitäten von Frauen in Organisationen wie dem VKS, der AdO und der ADERSt in Südtirol, aber auch für die Sudetendeutsche Partei sowie den „Reichsgau Sudetenland“, ebenso für weibliche Aktivitäten innerhalb des Umsiedlungsgeschehens und in der Formierung des nationalsozialistischen „Deutschtums im Osten“, wie dies Liz Harvey für Polen erforscht hat. Im ersten Beitrag unter dem Titel „Umsiedeln heißt umpflanzen“ beschäftigt sich Elisabeth Malleier (Wien/Meran) mit der Ansiedlung, oder, wie es im Nazijargon hieß, mit der „Ansetzung“ der Südtiroler/-innen. Diese „Ansetzung“ diente, wie die anderer „Volksdeutscher“, der geplanten „Germanisierung des Ostens“ und war zugleich verbunden mit der Vertreibung der jüdischen, der tschechischen und der politisch widerständigen Bevölkerung im „Reichsgau Sudetenland“. Südtiroler/-innen sollten vor allem als imaginierte „grenzlanderfahrene“ und „erbgesunde, kinderreiche Bauernfamilien“ ins Land kommen. Dabei machten die sogenannten „Sudetenoptant/-innen“ nur einen sehr kleinen Teil der Südtiroler Umsiedler/-innen aus. Bereits in seiner Rede vom 30. Mai 1939 hatte Heinrich Himmler Nordmähren als potenzielles Ansiedlungsgebiet für Südtiroler/-innen genannt und von einem „wertvollen Zuwachs von 200.000 gutrassigen, sehr bewusst deutschen und kämpferischen Volkselementen“ schwadroniert. Mit der Schaffung des SS-Ansiedlungsstabes Sudetenland am 5. September 1942 bestimmte Konrad Henlein das „Ostsudetenland“ in Nordmähren, nahe der polnischen Grenze und der Stadt Ostrava (Mährisch-Ostrau) als Hauptsiedlungsgebiet für Südtiroler/-innen, ein ländlich geprägtes Gebiet, in dem sich vor allem Bauernfamilien ansiedeln sollten. Zugleich wurden konkrete Vorbereitungen zur Vertreibung und Enteignung der tschechischen Besitzer/-innen in die Wege geleitet. Günther Pallaver (Bozen) vergleicht die Südtirol-Option im Kontext volksdeutscher Umsiedlungen. Ausgehend von Entwicklungen lange vor der Machtergreifung Hitlers in Deutschland und seinem „Erlass zur Festigung deutschen Volkstums“ (1939) werden die normativen Grundlagen des Bevölkerungstransfers der einzelnen „deutschen Volksgruppen“ untersucht, wobei es nicht immer vertragliche Vereinbarungen gab. Aufschlussreich sind vermögensrechtliche Abmachungen wie die Klärung steuerrechtlicher Fragen oder die Ablösung unbeweglicher Sachen bis hin zur Schätzung von Lebendvieh und Obstbäumen. Mitunter wurde minutiös auf den Pachtwert, die Bodenpreise, zurückgelassene Wirtschaftsvorräte und Inventarstücke und auf vieles andere mehr eingegangen. Die Behandlung der „Volksdeutschen“ erfolgte nicht überall gleich. Unter ihnen gab es privilegierte Gruppen, zu denen die Südtiroler/-innen zählten. Dieses „Privileg“ kam vor allem bei Kriegsende zum Ausdruck, als die Südtiroler/-innen weitgehend von Entnazifizierungsmaßnahmen verschont blieben und wieder in ihre Heimat zurückkehren konnten. Außerdem erhielten...


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