Manenzhe | Wir Zerrissenen | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 352 Seiten

Manenzhe Wir Zerrissenen

Roman

E-Book, Deutsch, 352 Seiten

ISBN: 978-3-641-30237-5
Verlag: Penguin
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Gibt es einen Platz auf der Welt, an dem wir ankommen können, wenn man uns das Wichtigste genommen hat?
Die Ehe zwischen Abram und seiner Frau Alisa ist nicht ohne Probleme, doch mit ihren beiden Töchtern führen sie ein komfortables Leben auf einer Farm Südafrika. Als 1927 ein Gesetz erlassen wird, das die Beziehung zwischen Schwarzen und Weißen unter Strafe stellt, geraten sie in große Gefahr, denn plötzlich sind die Kinder der Beweis für eine verbotene Beziehung. Abram ist ratlos, wie er seine Familie vor der Maschinerie des Gesetzes schützen kann, bisher sind sie durch ihren Wohlstand der schlimmsten Diskriminierung entgangen. Doch sein Zögern treibt das Paar immer weiter auseinander, immer stärker tut sich zwischen ihnen ein Graben auf. So weit, dass Alisa schließlich keinen anderen Ausweg mehr sieht, als ihre Familie in den Abgrund zu reißen. In einer einnehmenden und doch klaren Sprache erzählt uns Re?oket?we Manenzhe von einem Land, so reich an Mythen und Geschichten und doch tief verwundet. Wir Zerrissenen ist das Debüt einer begnadeten jungen Erzählerin, die uns die Unmenschlichkeit eines rassistischen Systems in den Auswirkungen auf jeden einzelnen spüren lässt.

Re?oket?we Manenzhe arbeitete nach ihrem Uniabschluss als Ingenieurin für eine südafrikanische Zementfirma, veröffentlichte nebenher aber immer schon Kurzgeschichten und Gedichte, die in verschiedenen Magazinen und Anthologien erschienen sind. Ihr Debütroman »Wir Zerrissenen« wurde mit verschiedenen Preisen ausgezeichnet, 2021 stand sie auf der Shortlist für die Sunday Times CNA Literary Awards. Re?oket?we Manenzhe lebt in Kapstadt - ein Umstand, der sie selbst verblüfft, da sie sich ganz klar als Dorfbewohnerin sieht.
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Intermezzo des Schweigens
Es war einmal ein Wahnsinniger, dem der Krieg durch die Adern floss. So erzählte man es sich zumindest. Sein Großvater hatte im ersten Burenkrieg gekämpft, sein Vater im zweiten, und er selbst übertrumpfte sie noch, indem er in einer fatalen – oder auch triumphalen – Steigerung dieser Flugbahn im Großen Europäischen Krieg mitkämpfte. Falls es einen erneuten Versuch geben sollte, die Witwatersrand-Minen zu befreien oder falls in Europa ein weiterer Konflikt ausbrechen sollte, so war anzunehmen, dass ein etwaiger Sohn dieses Mannes das blutige Vermächtnis fortführen würde, das seine Vorfahren so erfolgreich weitervererbt hatten. Aber am 29. März des Jahres 1927, einem sonnenlosen, von zahlreichen düsteren Vorboten begleiteten Tag, hatte dieser Mann noch keinen Sohn. Man konnte nur hoffen, dass die Welt und Südafrika sich noch eine Weile beherrschten und keine weiteren Revolutionen anzettelten, damit besagter Mann genügend Zeit hatte, um jenen vom Schicksal verdammten Sohn zu bekommen und großzuziehen und auf diesem Wege seine irdische Bestimmung zu erfüllen. Der Name dieses Mannes war John Ashby. Meistens war er in der Stadt zu finden, in der Nähe des Auktionshauses oder an der Ecke der Burg Street, wo er den Passanten Zeitungen verkaufte. Dort suchte ihn Abram van Zijl auf. »Und was sagt der Generalgouverneur heute?«, fragte Abram. »Guten Morgen, Mr van Zijl.« Abram besann sich auf seine guten Manieren und rang sich einen Gruß ab. Daraufhin las der Verkäufer von dem Plakat ab, das er zuvor noch durch die Luft geschwenkt hatte. »Verabschiedung des Unsittlichkeitsgesetzes. Das Parlament verbietet den Geschlechtsverkehr zwischen Europäern und Eingeborenen.« Ein Automobil raste um die Ecke und wirbelte eine Staubwolke auf, sodass sich mehrere Fußgänger über die Rücksichtslosigkeit des Fahrers echauffierten und den allgemeinen moralischen Verfall beklagten, unter dem die Stadt zu leiden hatte. Abram hatte sich vor Schreck die Hände an die Brust gepresst, fasste sich jedoch im nächsten Moment wieder. »Lassen Sie mich mal sehen«, sagte er und holte ein paar Münzen aus der Tasche. Im Gegenzug reichte ihm John ein Exem­plar der Zeitung, und Abram begann sofort, sie durchzublättern, bis er endlich zu Seite 14 kam, auf der folgende Schlagzeile zu lesen war: FÜNFTES GESETZ VON 1927. HIERDURCH WIRD DAS VERBOT DES GESCHLECHTSVERKEHRS ZWISCHEN EUROPÄERN UND EINGEBORENEN IN KRAFT GESETZT, SOWIE DAS VERBOT ANDERER, DAMIT IN VERBINDUNG STEHENDER HANDLUNGEN. Mit diesen wenigen Worten wurde Abrams Leben von einem Moment auf den anderen ins Chaos gestürzt. Die düsteren Vorahnungen, die in letzter Zeit immer häufiger aufgetreten waren, stürmten unerbittlich auf ihn ein, als hätten sie die Geduld verloren. Und so kam es, dass Abram dort am Straßenrand neben einem Wahnsinnigen stand, der zu ihm sagte: »Ich habe gehört, dass der Generalgouverneur eine Guillotine herbringen lassen will.« Die Stimme des Mannes kam Abram wie ein Echo vor, als würde er sich an einen Traum erinnern. Einen bösen Traum. Einen Traum, aus dem er unbedingt aufwachen musste. »Danke, John«, sagte er, schüttelte den Kopf und hob grüßend den Hut zum Abschied. »Ich mache mich dann mal auf den Heimweg.« »Es war mir eine Freude, Sir«, sagte John und lüftete seinerseits den Hut. Abram überquerte die Straße und ging zu Farouk hinüber, einem seiner Arbeiter, der mit dem Auto auf ihn wartete. »Wo soll’s hingehen, Sir?« Es war immer noch recht früh am Morgen, und Abram hatte eigentlich vorgehabt, zum Parlament zu fahren. Aber er hatte nicht die Kraft dazu. Jetzt, da ihm das Herz gebrochen worden war, konnte er der Welt unmöglich gegenübertreten. Doch es war auch nicht ratsam, sich furchtsam in eine Ecke zu ducken, an einem Ort, wo ihn die mitleidlosen Blicke etwaiger Beobachter treffen könnten. Also: »Nach Hause.« Farouk nickte und startete den Wagen. Die Stadt breitete sich vor ihnen aus wie ein Geschichtsbuch. Die Gebäude glichen Kapiteln, ein jedes erzählte von einer anderen Ära der Einwanderung und der Mode. Zusammen mit den Menschen, die aus der Alten Welt nach Kapstadt geströmt waren, hatte sich auch ihre Architektur eingefunden: die neugotischen Kirchen, die Hotels, deren Fassaden das viktorianische London nachahmten, und die farblosen Parodien des holländischen Baustils, die so rasch charakteristisch für das Kap geworden waren. Sie säumten die Stadt wie Anschauungsmodelle in einem Museum, als wollten sie Vorschläge machen, wie man die hier aufeinanderprallenden Kulturen miteinander versöhnen könnte. Kurz gesagt: Die Stadt wirkte wie eine Ausstellung zur menschlichen Evolution. Der Weg über die Main Road wäre sicherlich schneller. Er hatte weniger Kurven und bot weniger Anlass zu profanen Sorgen. Aber der andere Weg wäre ruhiger. Dieser führte am Castle of Good Hope vorbei zum Fuß des Devil’s Peak, zu der Stelle, wohin die Universität von Kapstadt umgesiedelt werden sollte, und dann weiter über Mosterts Mühle bis zu ihrem Ziel im Constantiatal. Auf diesem Weg war die Gefahr geringer, irgendwelchen Bekannten zu begegnen, weshalb er weniger Anlass zu existenziellen Sorgen bot. »Farouk«, sagte Abram. »Nicht über die Main Road.« Farouk hatte nichts dagegen einzuwenden. Er fuhr los, ließ den Tafelberg rechts liegen und lenkte das Auto in die kleinen, steilen Hügel hinauf. Der Berg ragte eindrucksvoll in den Himmel, als wollte er sich zum Verkünder seiner eigenen Pracht aufschwingen. Von Südosten kam Wind auf, und mit ihm zog eine Wolkendecke heran, die sich über der Ebene ausbreitete. Wenn in der Dämmerung das erlöschende Licht der Sonne vom Berg herabglitt, würden sich seine Umrisse dunkel vor dem Himmel abzeichnen. Seine kieferbestandenen Hänge würden hinter einem Nebel aus Dingen verschwinden, deren Name und Funktion nur Wissenschaftlern geläufig waren. Der Berg würde den Eindruck erwecken, als wäre er nur noch eine Silhouette, als zwänge ihn ein unabänderliches Schicksal, sich gemeinsam mit dem Tag zu zerstören. Abram lebte bereits seit über zwei Jahrzehnten in Kapstadt, doch dieses simple Wunder flößte ihm noch immer Ehrfurcht ein. Im nächsten Moment fuhren sie über eine Bodenwelle, und er wurde aus seinen Träumereien gerissen. Es gab Momente, da kam es ihm so vor, als sei das Auto ein lebendiges Wesen, als würde es sich ärgern und protestieren, doch sie fuhren ohne Unterbrechung weiter. Während der Fahrt bildete Abram die ganze Zeit Sätze, zerstörte sie und setzte sie wieder zusammen – Sätze, die er zu seiner Frau sagen könnte. Alisa war zu einer schwierigen Frau geworden. Ganz gleich, was er sagte, sie würde es als niederträchtig empfinden. Und noch viel wichtiger waren die Dinge, die er nicht sagte, oder vielmehr die Dinge, von denen sie wollte, dass er sie sagte. Also bildete er Sätze, zerstörte sie und bildete sie wieder neu. Das Auto schlängelte sich durch das üppige Grün am Fuß des Constantiabergs. Hier, wo sich die Welt von der Spitze des Berges zu den zerstreuten Farmen hinabsenkte, war eine einzig­artige Vegetation entstanden, eine scheintropische Flora, in der es von Pflanzen wimmelte, die sich nirgendwo sonst fanden. Aber der Schein ist eben nicht dasselbe wie die Wirklichkeit und weist notwendigerweise Mängel auf, die ihn vom Original unterscheiden. Das Tal am Fuß des Berges bildete da keine Ausnahme. Es regnete nahezu ausschließlich im Winter, und im Sommer war es heiß und trocken. Daher war die herrliche Vege­tation, die sich in diesem seltsamen Winkel der Welt ausgebreitet hatte, gezwungen, sich auf die ein oder andere Weise anzupassen. So hatten sich zum Beispiel die Fynbospflanzen, die widerstandsfähiger waren als der Rest, in den verschiedensten Variationen aus Gebüsch oder Heidekraut ausgebreitet. Vom Constantiaberg aus bog das Auto nach Osten ab und fuhr an einer langen Reihe von Weingütern entlang, die die Berghänge säumten. Fast am Ende dieser Reihe schmiegte sich das Anwesen der van Zijls in den Hang. Die Auffahrt, die zum Herrenhaus führte, wurde von imposanten Eichen flankiert, deren Schatten in der Mitte des Weges miteinander verschmolzen und die Strahlkraft der Sonne ein wenig abschwächten. Als die in makellosem Weiß erstrahlenden, von seinem Schicksal nichts ahnenden Mauern des Gutshauses vor Abram aufragten, wusste er immer noch nicht, was er zu seiner Frau sagen sollte. Alisa saß im Schatten der Trauerweide, ganz, wie er es erwartet hatte. Doch entgegen seinen Erwartungen war sie nicht damit beschäftigt, in ihr Tagebuch zu schreiben. Sie hatte den Kopf an den Baumstamm gelehnt, das Gesicht den Weinbergen zugewandt, die Hände im Schoß verschränkt, die Augen geschlossen. Es sah fast so aus, als würde sie schlafen, doch als sie ihn hörte, drehte sie sich um, und ihre Blicke trafen sich. Damals, als sie sich kennengelernt hatten,...


Manenzhe, Rešoketšwe
Rešoketšwe Manenzhe arbeitete nach ihrem Uniabschluss als Ingenieurin für eine südafrikanische Zementfirma, veröffentlichte nebenher aber immer schon Kurzgeschichten und Gedichte, die in verschiedenen Magazinen und Anthologien erschienen sind. Ihr Debütroman »Wir Zerrissenen« wurde mit verschiedenen Preisen ausgezeichnet, 2021 stand sie auf der Shortlist für die Sunday Times CNA Literary Awards. Rešoketšwe Manenzhe lebt in Kapstadt – ein Umstand, der sie selbst verblüfft, da sie sich ganz klar als Dorfbewohnerin sieht.

Merkel, Dorothee
Dorothee Merkel lebt als freie Übersetzerin in Köln. Zu ihren Übertragungen aus dem Englischen zählen Werke von Edgar Allan Poe, John Banville, John Lanchester und Nickolas Butler.


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