Meyer | Was schulden wir künftigen Generationen? Herausforderung Zukunftsethik | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 240 Seiten

Meyer Was schulden wir künftigen Generationen? Herausforderung Zukunftsethik

E-Book, Deutsch, 240 Seiten

ISBN: 978-3-15-961397-0
Verlag: Reclam Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Was wir heute tun oder unterlassen, hat erheblichen Einfluss auf das Leben kommender Generationen. Sind wir deshalb nicht verpflichtet, in unserem Handeln auf die Interessen unserer Nachfahren Rücksicht zu nehmen?Es stellen sich damit elementare Fragen: Welchen Wert hat Existenz als solche? Was sind grundlegende menschliche Bedürfnisse? Und kann man diese gegeneinander aufrechnen? (Wie) kann man Glück berechnen? Was bedeuten Fairness und Menschlichkeit? Und welche Rechte und Ansprüche können zukünftige Generationen überhaupt haben?
Kirsten Meyer nimmt diese Fragen ernst und untermauert ihre Argumentation mit Zahlen und Statistiken zu einem Thema, das jeden etwas angeht. Ihr Fazit: Wenn sich gute, überzeugende Gründe finden lassen, warum wir auch uns ferner stehenden Menschen moralisch etwas schuldig sind, dann beeinflusst das unser Handeln. Es gibt also durchaus Anlass zum Optimismus.
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Einleitung

1. Eine gute Zukunft? Währung der Zukunftsethik
1.1 Wohlergehen
1.2 Grundbedürfnisse und menschliche Fähigkeiten
1.3 Der Wert der Existenz

2. Das Gute maximieren – Grundlage der Zukunftsethik?
2.1 Konsequentialismus in der Zukunftsethik
2.2 Einwände gegen konsequentialistische Positionen
2.3 Quantität gegen Qualität

3. Rechte respektieren – Rätsel der Zukunftsethik
3.1 Können zukünftige Personen jetzt Rechte haben?
3.2 Das Problem der Nicht-Identität
3.3 Künftige Personen und individuelle Ansprüche

4. Ansprüche künftiger Personen
4.1 Der Anspruch darauf, nicht geschädigt zu werden
4.2 Der Anspruch darauf, ein basal gutes Leben führen zu können
4.3 Der Anspruch auf eine gerechte Verteilung natürlicher Ressourcen

5. Wie lassen sich diese Ansprüche begründen?
5.1 Eigentum, Aneignung und natürliche Ressourcen
5.2 Verträge zwischen Generationen?
5.3 Fairness und Menschlichkeit

6. Theoretische und praktische Herausforderungen
6.1 Steigende Bevölkerungsgrößen
6.2 Risiken und Unsicherheiten
6.3 Konflikte der Gerechtigkeit: Gegenwart versus Zukunft

7. Was sollen wir tun?

Anmerkungen
Literaturhinweise
Zur Autorin
Danksagung
Personenregister


1.1 Wohlergehen
Eine verbreitete Antwort auf die Frage, was gut für eine Person ist, besagt, das hänge in erster Line davon ab, was sie selbst für gut erachtet. In der philosophischen Diskussion findet sich diese Grundintuition in zwei sehr einflussreichen Perspektiven auf das gute Leben wieder: dem Hedonismus und der Wunschtheorie. Beiden Theorien geht es darum, was das individuelle Wohlergehen einer Person ausmacht. Auch wenn die freudvollen Erfahrungen, um die es dem Hedonismus geht, möglicherweise nicht das einzige Kriterium sind, anhand dessen sich die Güte eines Lebens bemessen lässt (und dies gegen den Hedonismus spricht), so hat der Hedonismus doch immerhin das Potential, bestimmte Wünsche besser einordnen und vorwegnehmen zu können als die Wunschtheorie. Das gilt auch für die potentiellen Wünsche künftiger Generationen. Der individualethische Hedonismus nimmt an, dass sich die Güte des Lebens an unseren individuellen Erfahrungen und deren subjektiver Qualität bemisst. Es geht hier also um die freud- und leidvollen Momente im Leben einer Person. Hedonisten gehen in der Regel davon aus, dass die Frage nach dem guten Leben mit Blick auf die Freude-Leid-Bilanz zu beantworten ist. Ein Leben sei umso besser, je stärker insgesamt die freudvollen Momente die leidvollen Momente überwiegen. Dabei ist sowohl die Intensität als auch die Dauer der freud- bzw. leidvollen Erfahrungen relevant. Zudem zeichnet sich diese Position dadurch aus, dass nur Freude und Leid bei der Bewertung eines Lebens zählen, auf diese Weise also bereits alles über die Güte eines Lebens gesagt ist. Doch was ist dabei mit »Freude« gemeint? Man könnte einwenden, die hedonistische Freude sei kein eigenständiges Phänomen. Stattdessen handele es sich um eine heterogene Ansammlung von verschiedenen Erfahrungen, die weder als ein Gefühl zu bezeichnen sind, noch von einem Gefühl der Freude begleitet werden. Man denke etwa an die Freude, im Gras zu liegen und in den Himmel zu schauen; an die Freuden des Musikhörens; die Freude daran, ein intellektuelles Problem zu lösen; oder an die Freude, die sich einstellt, wenn man seinen Durst löscht. Wir können uns über sehr viele verschiedene Dinge freuen: Wir freuen uns über ein Geschenk, einen Schulabschluss, über unsere Kinder, unser Lieblingsessen oder darüber, dass es endlich Frühling wird. Der Unterschiedlichkeit der freudvollen Erfahrungen scheinen kaum Grenzen gesetzt. Was also haben all diese Erfahrungen gemeinsam? Geht es hier überhaupt um ein irgendwie einheitliches Phänomen, welches mit dem Ausdruck Freude herausgegriffen werden kann? Dieses Problem wurde bereits von HenrySidgwick formuliert, der selbst eine hedonistische Position vertritt.Sidgwick räumt ein, dass es kein einheitliches Gefühl zu geben scheint, welches allen Erfahrungen, die wir als freudvoll betrachten, gemeinsam sei. Nun kann ein Hedonist allerdings versuchen, eine Theorie der Freude zu entwickeln, die nicht auf der Idee eines einheitlichen Gefühls basiert. AuchSidgwick verfolgt diese Strategie: Er sieht eine Lösung für das Heterogenitätsproblem darin, dass alle diese Erfahrungen wünschenswert (»desirable«) seien. Dies sei also ihre grundlegende Gemeinsamkeit. Allerdings provoziertSidgwicks Vorschlag mehrere Einwände. Zunächst enthält der Ausdruck »wünschenswert« eine Wertung, die ihrerseits wiederum erklärungsbedürftig ist. Außerdem sind Wünsche und Freuden nicht dasselbe. Manchmal wünschen wir uns Dinge, die uns keine Freude bereiten. Und manchmal haben wir Freude an Dingen, die wir uns nicht gewünscht haben. Eine mögliche Replik auf diese Einwände besteht darin, zur Erklärung der relevanten Freuden nicht alle Wünsche, sondern nur bestimmte Wünsche heranzuziehen, und zwar die sogenannten »intrinsischen Wünsche«. Intrinsische Wünsche treten zum Zeitpunkt des Erlebens ein und beziehen sich nur auf die konkrete Qualität des Erlebens. Man wünscht sich dann während einer Erfahrung, dass man die jeweilige Erfahrung zu diesem Zeitpunkt auch tatsächlich erlebt. Was hätte man aber mit einer solchen Erklärung von Freude durch gegenwartsbezogene Wünsche gewonnen? Es stimmt zwar, dass wir meistens dann, wenn wir irgendeine Art von Freude erleben, dieser Erfahrung gegenüber positiv eingestellt sind. Falls diese positive Einstellung jedoch als Bewertung der Erfahrung zu verstehen ist, bleibt offen, warum die jeweilige Erfahrung so bewertet wird. Eine mögliche Antwort besteht darin, diese positive Einstellung über das subjektive Erleben zu erklären. Doch in diesem Falle stellt sich das Heterogenitätsproblem erneut. Eine Erklärung von Freude, die besagt, dass Freude in einer Art des positiven Erlebens besteht, ist offenbar eine Gefühlstheorie der Freude. Gefühlstheorien der Freude sind jedoch stärker als sie angesichts des Heterogenitätsproblems zunächst zu sein scheinen. Denn obwohl es auf den ersten Blick schwierig ist, Freude als ein eigenständiges Gefühl auszumachen, könnte es sich bei ihr immerhin um einen Aspekt unserer Erfahrungen handeln. In der Literatur wird dieser Aspekt auch als »hedonischer Ton« bezeichnet. Dieser hedonische Ton ›färbt‹, metaphorisch gesprochen, unsere Erfahrungen auf eine bestimmte Weise ein. Das würde auch erklären, warum wir kein von den Erfahrungen abgrenzbares Freudeerleben ausmachen können. Man muss das Heterogenitätsproblem also nicht zu stark machen. Die positiven Erfahrungen, die ein Hedonist in den Blick nimmt, sind zwar voneinander deutlich verschieden. Dennoch weisen sie eine gewisse Ähnlichkeit auf, die mit dem Ausdruck Freude herausgegriffen wird, wobei die Rede von ›positiv getönten Erfahrungen‹ der möglichen Heterogenität dieser Erfahrungen besser gerecht würde. Zudem wird diese Rede dem Umstand gerecht, dass unsere Freuden meistens auf etwas gerichtet sind, dass wir also an etwas Freude haben. Die Rede von einem »hedonischen Ton«, die nur auf einen Aspekt unseres Erlebens gerichtet ist, fängt dies jedoch nicht ein. Im Gegensatz dazu sehen die Wunschtheorien keine irgendwie getönten Erfahrungen, sondern bestimmte Wünsche und deren Erfüllung selbst als die basale Größe für die Güte eines Lebens an. Zur Verbreitung der Wunschtheorien hat maßgeblich die Wohlfahrtsökonomie beigetragen. Ökonomen haben zunächst selbst auf hedonistische Überlegungen Bezug genommen. Seit dem 20. Jahrhundert werden jedoch größere Ansprüche an eine empirische Überprüfbarkeit der Einschätzung von Wohlergehen gestellt. Eine solche Überprüfung ist in Bezug auf Freude als relevante Einheit schwierig, denn Freude und Leid sind als innere Phänomene schwer zu messen. Ökonomen versuchen daher, das Wohlergehen einer Person an der Befriedigung ihrer Wünsche festzumachen. Die Stärke dieser Wünsche sei in Form von Vorlieben bzw. Präferenzen (als Wahlakte zwischen mehreren Optionen) empirisch gut überprüfbar. Die relative Stärke eines Wunsches wird also über die Präferenz der Erfüllung dieses Wunsches anstelle der Erfüllung eines anderen konkurrierenden Wunsches erfasst. Unter der Annahme, dass monetäre Güter ein Mittel zum Zweck der Erfüllung vieler Wünsche sind, könne deren Verwendung darüber Aufschluss geben, wie sehr jemand an der Erfüllung eines bestimmten Wunsches interessiert ist. Wunschtheorien werden in der zeitgenössischen Philosophie vor allem von Utilitaristen vertreten, also von denjenigen, die in moralischen Fragen für eine Maximierung des Wohlergehens plädieren. Diese sind dann nicht hedonistische Utilitaristen, sondern sogenannte Präferenzutilitaristen. Wunschtheorien werden aber auch vor dem Hintergrund anderer normativer Theorien vertreten. Allgemein lässt sich daher sagen, dass uns die Wunschtheorien ebenso wenig wie der individualethische Hedonismus auf eine bestimmte normative Theorie festlegen. Sie können also getrennt von der Plausibilität dieser normativen Theorien untersucht werden. Doch was ist nun aus philosophischer Perspektive die einsichtigere Theorie des Wohlergehens – die Wunschtheorie oder der Hedonismus? Gegen die Wunschtheorie spricht, dass sie die Beantwortung der Frage offenlassen muss, was eigentlich an der Wunscherfüllung gut ist. Denn die individuellen Wünsche und deren Befriedigung bilden dieser Theorie zufolge ja die basale Größe, anhand derer sich die Güte eines Lebens bemisst. Zwar kann die Wunschtheorie auch so verstanden werden, dass wertvolle Dinge das Leben gut machen. Und wertvoll sei eben das, auf das sich unsere Wünsche richten (z. B. wenn man sich wünscht, selbstbestimmt zu leben). Demnach ist nicht die Wunscherfüllung selbst gut, sondern die wertvollen Dinge (also z. B. ein selbstbestimmtes Leben). Allerdings erlaubt auch dies keine andere Aussage über das gute Leben künftiger Generationen als die, dass das eben davon abhängt, worauf sich ihre Wünsche richten werden. Und auch hier bleibt der Zusammenhang zwischen den faktischen Wünschen und den dadurch konstituierten wertvollen Bestandteilen eines guten Lebens offen. Der Hedonist kann dagegen sagen, gut an der Wunscherfüllung sei, dass diese einem freudvollen Leben zuträglich ist und ein leidvolles Leben verhindert. Wenn zentrale Wünsche unerfüllt bleiben, dann gehe das mit Leid oder negativen Empfindungen, und die Erfüllung...


Kirsten Meyer, geb. 1974, ist Professorin an der Humboldt-Universität zu Berlin.


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