Möller | Ovid. 100 Seiten | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 100 Seiten

Reihe: Reclam 100 Seiten

Möller Ovid. 100 Seiten

Reclam 100 Seiten

E-Book, Deutsch, 100 Seiten

Reihe: Reclam 100 Seiten

ISBN: 978-3-15-961147-1
Verlag: Reclam Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Man kommt nicht um ihn herum. Welches Museum, welches Schloss wir auch betreten: irgendwo hängt immer ein Gemälde, das die Stoffe illustriert, denen er in seinen "Metamorphosen" die prägende Gestalt gegeben hat, ob es nun der Mythos von Daedalus und Ikarus ist oder die amourösen Abenteuer des alten Schwerenöters Jupiter. Generationen von Lateinschülern haben sich durch seine brillanten Hexameter gequält, nur um später – mit etwas mehr Begeisterung – seine Liebeslehren zu verschlingen.Dating-Coach, Frauenversteher, Geschichtenerzähler: Melanie Möller porträtiert den Dichter Ovid und verortet ihn in seiner Zeit. Sie stellt seine Werke vor und zeigt, wie sie später rezipiert wurden. Und sie versucht Antworten auf bis heute diskutierte Fragen, darunter: Hatte Ovid wirklich etwas mit der Affäre der Augustus-Enkelin Julia zu tun – und musste deshalb in die Verbannung gehen? Und hat er dort, im Exil am Schwarzen Meer, wirklich seine Zeit mit dem Schreiben von Lehrbüchern über das Angeln zugebracht?
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Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


Einführung: Ovid und Europa
Lebensgeschichten: Wer ist Naso?
Dichter liebt Frau? Die Amores
Wie man (nicht) lieben soll: Liebeskunst und Gegengifte (Ars amatoria, Remedia amoris)
Ovid, der Frauenversteher: Die Heroides
Wenn die Kunst zum Mythos wird: Die Metamorphosen
Weltgestaltung als Zeitverwaltung: Die Fasti
Ovids "letzte Welt": Die Exilelegien
Zum Schluss: Ein Magier der Moderne

Im Anhang Lektüretipps


Dichter liebt Frau? Die Amores
Am Beginn von Ovids literarischer Tätigkeit stehen die Amores, drei Bücher mit Liebeselegien, die in der Hauptsache um Ovids Liebe zu einer Hetäre namens Corinna kreisen. Wirklich? Die Dinge liegen natürlich komplizierter. Schon das dem Werk vorangestellte, an den Leser adressierte Epigramm sorgt für Verunsicherung, was die literarhistorischen Fakten angeht, wenn dort behauptet wird, durch nachträgliche Redaktion seien aus ursprünglich fünf Büchern drei geworden. Das ist unwahrscheinlich, da sich von diesen beiden anderen Büchern überhaupt keine Spuren erhalten haben. Auf uns gekommen sind, auf nämliche drei Bücher verteilt, 50 (49) Elegien in auffallend ringkompositorischer Anordnung (Buch 1: 15 Elegien, Buch 2: 20 Elegien, Buch 3: 15 [14] Elegien). Der Umfang dieser Elegien bewegt sich zwischen 9 (2,3) und 57 Distichen (1,8). Auch die Substruktur ist symmetrisch: So lesen wir z. B. sechs poetologische Gedichte je am Anfang und (fast) am Ende der drei Bücher (1,1, und 1,15; 2,1 und 2,18; 3,1 und 3,15). In den Elegien werden alle vorstellbaren Situationen der Liebe durchgespielt. Wir lesen von den in der Tradition der Gattung stehenden Aufs und Abs im Leben eines liebenden elegischen Ichs. Im Verhältnis zur angebeteten Corinna zeichnet sich aber auch eine Entwicklung ab: Zwar gibt es im Unterschied zu den elegischen Vorgängern mehr glückliche Phasen der Liebesbeziehung, jedoch distanziert sich das Ich zunehmend, um seiner Corinna schließlich den Laufpass zu geben. Dabei zeigt es sich souverän – die gelegentliche Traurigkeit ist kaum mehr als ein Tribut an die Gesetze des Genres, ebenso wie die mythologischen Elemente, die die Gelehrsamkeit des Autors konsequent vor Augen führen. Die zahlreichen dialogischen Partien (denen auch die Selbstanreden nachempfunden sind) weisen eine deutliche Affinität zur Gattung Komödie auf. Lawrence Alma-Tadema: Ask me no more (1906) Warum sollte man diese doch irgendwie gekünstelten Liebestiraden eines Dichters, der sich nur mit der persona des Liebhabers bekleidet hat, überhaupt lesen? Nun, sie gehören zu den raffiniertesten Stücken der lateinischen Literatur, ja der Literatur überhaupt. Das zeigt schon der Auftakt der Amores, der mich stets aufs Neue fasziniert. Denn von Beginn an stellt Ovid klar, dass die ganze Liebelei ein äußerlich motivierter Prozess ist: Hier ist es Amor, der Liebesgott höchstselbst, der sich mit einem neckischen, aber forcierten Spiel der Kunst des Dichters bemächtigt. Während sich der Dichter gerade, so gibt er vor, der Abfassung eines hexametrischen Epos herkömmlicher Prägung, also der (womöglich nationalrömischen) Großdichtung widmen will, klaut ihm der närrische Liebesgott einen Versfuß – eben jenen, der aus dem Hexameter den Pentameter macht, und beide zusammen ergeben das Versmaß der Elegie. Schon wieder zollt Ovid der alexandrinischen Poetik Tribut. Die Rolle des amator ist nur gespielt, sie funktioniert nirgends ohne die des poeta, des Dichters (vgl. Niklas Holzberg, Die römische Elegie). Vor diesem Hintergrund ist auch die Herangehensweise an die Liebesthematik zu beachten: Da ist zunächst, in 1,1 und 1,2, der Liebesgott, der den Dichter manipuliert. Dann folgt, in 1,3, die Liebe selbst als Thema: Der Dichter will lieben. Und dieses Liebenwollen bedarf einer Protagonistin, der puella, des Mädels, das in 1,3 dann auch die Kunstwelt betritt. Anders als vor allem bei Properz geht es zunächst gar nicht um eine bestimmte Herzdame: Bei Properz ist Cynthia, der Name der Geliebten, das erste Wort, und sie ist diejenige, die die Dichtung motiviert. Anders Ovid: Die zunächst namenlose puella scheint ein beliebiger Gegenstand, eine Projektionsfläche für das Spiel mit der noch jungen, aber intensiven elegischen Tradition. In 1,5 erhält die Dame dann schließlich doch ihren Namen: Corinna. Doch ihr unvermitteltes Auftauchen (ecce: »siehe da«) unterstreicht ihre Beliebigkeit als Objekt. Betörend ist ihre Schönheit, nachgerade makellos – doch ist sie von Zwielicht umgeben. Diese diffuse Sphäre schafft nicht nur den idealen Rahmen für ein verbotenes Stelldichein, sondern rückt auch den Gegenstand – das Dichten über die Liebe – ins rechte (Zwie-)Licht der Phantasie. Wenig überraschend erfahren wir, dass die Auserwählte gesellschaftlich den Standards der hetärischen puella genügt: Sie ist an einen anderen gebunden, erotischen Abenteuern zugeneigt und zudem literarisch gebildet. Der Dichter skizziert in 1,4 die Situation, ihr im Beisein ihres Gatten auf einer Gesellschaft begegnen zu müssen: Diese inszenierte Unerreichbarkeit rückt den Gegenstand der Kunstliebe in noch weitere Ferne, bevor er bzw. sie überhaupt ein Gesicht erhält. Unter diesen dichtungstheoretischen Voraussetzungen erst entfaltet der Dichter den Reigen der Liebesleidenschaft in seinen Höhen und Tiefen und unter Ausschöpfung des vollständigen elegischen Arsenals: Er stellt sich als den Sklaven seiner Herrin vor, betreibt einen Kriegsdienst der Liebe, wird betrogen und betrügt selbst, wird manchmal ran-, oft aber außen vor gelassen, er liebt und leidet, betet an und verflucht, gibt sich extro- und introvertiert, bricht mit den Konventionen und sehnt sie doch auch herbei. Im 1. Buch schon spult der liebende Dichter den Großteil dieser Elemente einer rasenden Leidenschaft ab: In 1,7 hat der Dichter sein Mädchen im furor geschlagen und bereut dies zutiefst. In 1,8 werden die Lehren einer Kupplerin vorgestellt, die im Falle der Zurückweisung Abhilfe schaffen sollen: Auch solche Figuren gehören zum Inventar der Liebeselegie und werden nicht nur um Hilfe ersucht, sondern bei Misserfolg auch verflucht oder für die Untreue der Geliebten verantwortlich gemacht. Unser poeta nun entpuppt sich auch hier als Meister der indirekten Beteiligung am erotischen Geschehen: Er ist hinter einer »Doppeltür« (me duplices occuluere fores, V. 22) verborgen und lauscht unbeobachtet, bis zum Schluss, wo ihn dann sein Schatten verrät (V. 109: cum me mea prodidit umbra). Ähnlich präsentiert er sich schon in 1,6, einem Paraklausithyron (»Türgedicht«), wobei die Tür das Ausgeschlossensein des Geliebten ins Bild setzt. Es gibt verschiedene Variationen: Mal spricht der exclusus, der »Ausgeschlossene«, mit der Tür, bettelt und klagt über seine hartherzige Geliebte, die ihn nicht einlässt. Ein andermal klagt die Tür über das Lotterleben ihrer Besitzerin. Ovid färbt auch diesen Klassiker mit einer neuen Nuance ein, wenn er den ignoranten Türhüter (ianitor) anfleht, ihn doch wenigstens durch einen winzigen Spalt an dem internen Geschehen teilhaben zu lassen. Auf formvollendete Schilderungen seiner militia amoris, seines »Kriegsdienstes der Liebe«, folgt Kritik am konsumgeleiteten Verhalten der Geliebten. Zu den berückendsten Stücken gehört die in 1,11 entworfene Semiotik der Liebe, die er zusammen mit einer Magd (ancilla) entwickelt: Diese Magd wird nicht nur als Botin einer schriftlichen Nachricht – einer Liebesbotschaft –, also als »Textträgerin« im Wortsinne, eingesetzt, sondern fügt sich auch durch ihre Talente ins narrative Gefüge: Sie ist eine geschickte Friseurin, und die Haare der Geliebten – bald kunstvoll geordnet, bald natürlich fallend, bald unordentlich zerrauft – sind wichtige Zeichenträger der erotischen Situation. Auf die Zurückweisung des Mädchens in 1,12 (auch dieses eine semiotische Lektüre, nur eben ex negativo – schlechte Vorzeichen verrieten den Misserfolg) folgt die Lobpreisung des perfekten Augenblicks mit der Geliebten im Angesicht Auroras. Ähnlich seinen elegischen Vorgängern rät er seiner Liebsten in 1,14 von künstlicher Schönheit, also Schminke, ab, um der Natur zu huldigen: Selbstironie des kunstliebenden Dichters. So endet das 1. Buch denn auch nicht etwa mit einem erotischen Gruß, sondern mit einer selbstbewussten Message: vivam, parsque mei multa superstes erit (»ich werde leben, ein beträchtlicher Teil von mir wird [auch nach dem Tod] übrigbleiben«): Dieser beträchtliche Teil ist sein Werk. Ovid dichtet von Beginn an (für) sich selbst. Der Tenor bleibt auch im zunehmend dramatischen 2. Buch erhalten; auch hier treten zunächst wieder der konstruierte Charakter der Lovestory und die Komplizenschaft des Autors mit dem Leser in den Vordergrund, wenn Naso sich als Dichter seiner eigenen Nutzlosigkeit (poeta nequitiae meae) bezeichnet. Gleichwohl bekräftigt er sein Bekenntnis zur Elegie. Die Themenwahl bleibt ähnlich vielfältig wie im 1. Buch: Koketterien (2,2 und 7), Überwachungsstrategien (2,3), verbotene Blicke...


Melanie Möller, geb. 1972, ist Professorin für Klassische Philologie an der Freien Universität Berlin. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der spätrepublikanischen und augusteischen Literatur sowie der Rezeption der antiken Literatur. Für die FAZ schreibt sie regelmäßig zu aktuellen Themen ihres Fachs.


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