Mönter / Heinz / Utsch | Religionssensible Psychotherapie und Psychiatrie | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 246 Seiten

Mönter / Heinz / Utsch Religionssensible Psychotherapie und Psychiatrie

Basiswissen und Praxis-Erfahrungen

E-Book, Deutsch, 246 Seiten

ISBN: 978-3-17-035627-6
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Globalisierung und Migrationsbewegungen tragen zu einer verstärkten Beachtung religiöser und spiritueller Fragen in unserer Gesellschaft bei. Das bringt auch für die Psychotherapie und die psychiatrische Behandlung verschärfte Herausforderungen mit sich. In diesem Werk werden das Hintergrundwissen zu diesem Veränderungsprozess wie auch Krankheits- und Gesundungsmodelle der verschiedenen religiösen und spirituellen Traditionen vorgestellt und Beispiele angewandter religionssensibler Psychotherapie kritisch bewertet. Der Herausgeberband beleuchtet damit einen lange übergangenen und zunehmend wichtigen Aspekt psychotherapeutischer und psychiatrischer Praxis.
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Geleitwort
      In diesem Band beschäftigen sich eine Reihe von engagierten KollegInnen unter der Herausgeberschaft von N. Mönter, A. Heinz und M. Utsch mit dem eher ungewöhnlichen Thema religiöser Aspekte in der psychiatrisch-psychotherapeutischen Arbeit. In welchem Verhältnis steht das Psychische, das meistens naturwissenschaftlich verstanden wird, zu dem Seelischen, das im weiteren Sinne auch religiös gesehen werden kann? Psyche und Seele sind zwei benachbarte Begriffe. Den einen verwenden Psychologen, Psychiater, Psychotherapeuten, den andern gebrauchen Pfarrer und religiös orientierte Menschen. Freilich ist das nicht überall so, Schweizer Psychiater sprechen auch in ihrem beruflichen Kontext meistens von der Seele. Die griechischen Vorläufer unserer abendländischen Kultur zeichnen die Psyche als ein zartes, geflügeltes (weibliches) Wesen, nicht selten bezogen auf den knabenhaften Gott Amor, d. h. es repräsentiert die Welt der liebevollen Gefühle, aber auch die Lebendigkeit schlechthin. Im Unterschied dazu umfasst unsere wissenschaftliche Vorstellung von Psyche vor allem das rationale Denken und das realitätsgerechte Handeln auf der einen Seite und andererseits das Erleben von emotionaler Bewegtheit und bedürfnishaftem Verlangen. Als Aufgabe der Psyche gilt es, sich selbst und die Welt zu verstehen, das eigene Handeln verantwortlich zu steuern und eigene Vorstellungen verwirklichen zu können. Als Voraussetzung dafür gilt die Fähigkeit zur Selbstreflexion und die Bereitschaft, sich an sozial vereinbarten Regeln zu orientieren. Die Verfügbarkeit über alles dies ist gleichbedeutend mit psychischer Gesundheit; der Ausfall oder die Deformierungen eines der Bereiche kennzeichnen den Leidenszustand des psychischen Krankseins. Wenn die Psyche dies alles abdeckt, was bleibt dann noch für die Seele? Ein Kind sagt während des Abendessens zu seiner Mutter: »Mama, warum bin ich auf der Welt?« Das könnte eine Wissensfrage sein, die sich auf Sexualität, Zeugung, Geburt etc. bezieht. Wenn das Kind aber gerade in dem philosophiefähigen Alter von 4–6 Jahren angekommen ist, kann es sich um eine Sinnfrage handeln: »Ich werde mir bewusst, dass ich existiere und frage mich warum und wozu?« Eltern würden vielleicht antworten: »Nun rede nicht, iss fertig, es wird Zeit, ins Bett zu gehen.« Das Kind spürt, die Eltern haben keine Antwort, es bleibt mit seiner Frage allein. Vielleicht bringt die Oma das Kind ins Bett, sie spürt die Verlassenheit und sagt: »Du kannst ruhig schlafen, der liebe Gott passt auf Dich auf.« Da wird ein verlässliches Gegenüber etabliert: Die Geburt der Religion aus dem Geist der Verlorenheit. Wir hätten uns auch eine Beerdigungsszene denken können, deren Unerträglichkeit durch die Vorstellung eines Weiterlebens in einer anderen Welt gemildert wird. Unter solchen Voraussetzungen gewinnt alles wieder seinen Sinn und seine Ordnung, die von religiösen Menschen geglaubt und von religiösen Gemeinschaften soziokulturell ausgestaltet wird. (Nebenbei bemerkt zeigen Menschen, die Sinnüberzeugungen haben, in soliden empirischen Untersuchungen ein deutlich besseres psychisches Befinden). Viele Menschen stellen sich irgendwann die Frage: »Wie soll ich leben und welche Wertvorstellungen geben meinem Leben einen Sinn?« Es sind die Religionen, die darauf antworten und diese Antworten fallen ähnlich aus. Hans Küng hat in seiner Idee des Welt-Ethos herausgearbeitet, dass sich alle religiösen Überzeugungen auf eine begrenzte Anzahl von Welterklärungen und ethischen Postulaten beziehen, auf eine Selbstverpflichtung des Menschen im Blick auf verbindende Werte, die in allen Religionen gleichermaßen zum Ausdruck kommen1. Damit wird das Psychische, mit dem wir begonnen haben, auf der Seite des Seelischen und Religiösen vor allem zum Ethischen hin erweitert. Es entsteht ein Menschen-Verständnis, das sich vom Psychologischen über das Soziale bis hin zum Philosophischen und Ethischen erstreckt. In einem Dialog mit J. Ratzinger äußert J. Habermas, die Philosophie habe aktuell gute Gründe, sich gegenüber religiösen Überzeugungen lernbereit zu verhalten. Dem modernen naturwissenschaftlich, ökonomisch und sozialwissenschaftlich begründeten Weltverständnis (und den daraus abgeleiteten pessimistischen Perspektiven) stelle die religiöse Dimension ein anderes Bild entgegen: hier ist der Mensch und dort ist Gott als sein persönliches Gegenüber, mit der Eröffnung von optimistischen Perspektiven von Hoffnung, Trost durch ein Prinzip des Guten, Barmherzigen2. Diese Sicht gibt dem Menschen eine Bestimmung, setzt ihn Prüfungen aus und verspricht ihm letztlich Geborgenheit. Von der religiösen Ebene aus gesehen ist die moderne Welt ein nihilistisches Elend. Von der Moderne her gesehen kann man (mit Freud) die religiöse Dimension für eine tröstliche Illusion halten. Gleichwohl scheint das eine ohne das andere ein unvollständiger Ansatz zu bleiben. Als Psychiater und Psychotherapeuten sollten wir unseren Blick nach beiden Seiten richten können. Dabei landen wir keineswegs in schöngeistigen Gefilden, sondern werden in der Regel konfrontiert mit der harten sozialen und kulturellen Realität, die das Leben vieler unserer Patienten und ihre Überzeugung geprägt hat, etwa durch Heimatverlust, Migration, Traumatisierung, Schwierigkeiten der Integration in eine unvertraute Gesellschaft. An dieser Stelle wird deutlich, dass Religiosität in starkem Maße ein Thema von sozialen Gemeinschaften ist. Immer wieder diskutieren Veröffentlichungen die Bedeutung religiöser Überzeugungen im Hintergrund von Gewalttaten3. An dieser Stelle kippt das Thema der religiösen Sinngebung und Wertüberzeugung und es werden Intoleranz, Entwertung und wütende Aggressivität gegen solche sichtbar, die etwas anderes glauben und sich anders verhalten. Da genügen Symbole wie Kopfbedeckungen oder Essensgewohnheiten, um Menschen als Fremde, Ungläubige oder Feinde zu markieren. Fremdenfeindlichkeit macht sich besonders leicht an religiösen Überzeugungen der anderen fest. Möglicherweise kosten Zweifel und Ambivalenz bezüglich des eigenen Glaubens viel Kraft, sodass jene, die diesen Glauben nicht teilen, besonders heftig bekämpft werden müssen. Schon die frommen christlichen Kreuzfahrer des Mittelalters waren stolz darauf, unter der Parole »Gott will es« im Blut der Ungläubigen, ob Krieger, Frauen oder Kinder, »gewatet zu sein« und dankten Gott für diese Gnade. Wir trösten uns im Blick auf die Gegenbewegung der Aufklärung. Sie betont auf nichtreligiöser Grundlage den humanistischen Gedanken, dass der andere so ist wie Du und daher unverbrüchlich respektiert werden muss. Zum Fremden kann er nicht nur durch eine andersartige Überzeugung, sondern auch durch das Befremdliche einer psychischen Krankheit werden. Mit beiden Themen müssen Psychiater sachkundig und wohlwollend umgehen können. Psychotherapeuten sind sich einig, dass für die Entwicklung eines Patienten zweckmäßig ist, in einer Behandlung alles zur Sprache zu bringen was den Patienten beschäftigt. Das setzt freilich voraus, dass auch die Therapeuten in ihrer Ausbildung gelernt haben, sich mit heiklen Themen, etwa emotionaler oder sexueller Art auseinanderzusetzen. Weniger selbstverständlich ist der Umgang mit religiösen Themen. Vereinzelte Therapeuten beantworten die Gretchenfrage »wie hältst du’s mit der Religion?« mit einem Zusatz auf dem Türschild: »Christliche Psychotherapie«. Ob das als Werbung oder als Warnung verstanden werden soll, mag offenbleiben. Wünschenswert wäre es, dass Therapeuten, unabhängig von solchen Festlegungen, in der Lage sind, sich gemeinsam mit ihren Patienten auch über weltanschauliche, religiöse und ethische Themen ernsthaft Gedanken zu machen. Die Berücksichtigung von Psyche hier und Seele dort und die Verknüpfung beider erlaubt es, Themen ins Auge zu fassen, die für jeden Menschen wichtig sind: Fragen des Weltbildes, der Kultur, der eigenen Geschichte, der persönlichen Wertvorstellungen, der eigenen Identität und Lebensziele: alles Fragen an den Sinn des eigenen Daseins, die nicht nur depressive Patienten umtreiben. Wer es erst einmal wagt, sich im Gespräch mit Patienten auf dieses Feld zu wagen, wird mitunter verwundert sein, wie viel das für sein Gegenüber im Sinne der Nutzung latenter Potenziale bedeutet. Den Herausgebern und Autoren dieses Buches ist für dieses couragierte Projekt und seine Anregungen sehr zu danken. Gerd Rudolf Heidelberg, im Oktober 2019 1     Küng H (2009) Was ich glaube. München: Piper. 2     Habermas J, Ratzinger J (2005) Dialektik der Säkularisierung. Über Vernunft und Religion. Freiburg:...


Dr. Norbert Mönter, Arzt für Neurologie und Psychiatrie, Psychotherapie, Psychoanalyse; Initiator des Berliner psychiatrisch-religionswissenschaftlichen Colloquiums.
Prof. Dr. Dr. Andreas Heinz, Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Charité Campus Mitte, derzeit Präsident der DGPPN.
Prof. Dr. Michael Utsch, Psychologe und Psychotherapeut, Referent der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen in Berlin, Leiter des DGPPN-Referats "Religiosität und Spiritualität".

Mit Beiträgen von:
Norbert Mönter, Andreas Heinz, Michael Utsch, Susanne Ackers, Jihad Alabdullah, Elif Alkan Härtwig, Peter Antes, Hans Jörg Assion, Thomas Beelitz, Lasse Brandt, Raul Ceylan, Joachim Demling, John Haynes, Angelika Heiden, Andreas Heinz, Beate Jakob, Mahmud Martin Kellner, Gunther Klosinski, Wielandt Machleidt, Lieselotte Mahler, Christiane Montag, Hamid Peseschkian, Konrad Pfeifer, Samuel Pfeifer, Martin Plöderl, Walter Rothschild, Ibrahim Rüschoff, Sabrina Scherzenski, Meryam Schouler-Ocak, Nicolai Stern, Gerald Virtbauer, Gertrud Wagemann, Christian Zechert und Hartmut Zinser.


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