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E-Book, Deutsch, 160 Seiten

Müller Am Yisrael Chai

Gedanken über das jüdische Volk im einundzwanzigsten Jahrhundert

E-Book, Deutsch, 160 Seiten

ISBN: 978-3-7519-4560-8
Verlag: Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Im zwanzigsten Jahrhundert hat sich die Situation des jüdischen Volkes so schnell wie noch nie verändert. Doch wie wird die Zukunft aussehen? Wird man die aktuellen Schwierigkeiten bewältigen können? Dieses Buch stellt eine Übersicht über die wichtigsten Entwicklungen dar und liefert Antworten auf die aktuell bedeutendsten Fragen zum jüdischen Volk.
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2. Modernität der Tradition: Aktuelle Strömungen „Zwei Juden – Drei Meinungen“ -Sprichwort SPRICHT MAN HEUTE über „das Judentum“, so wird man schnell feststellen, dass es das eigentlich gar nicht gibt. Gemeint ist, dass das Judentum und das jüdische Volk keine homogenen sozialen Strukturen sind. Im Gegenteil: Das Judentum weist eine Vielzahl an religiösen, sozialen und politisch-ideologischen Strömungen auf. Redet man von den religiösen Strömungen, so ist dabei aber zu betonen, dass die Lebensweise der Anhänger verschiedener Strömungen zwar sehr unterschiedlich sein kann, die religiösen Praktiken aber an sich wenig voneinander abweichen. Man kann die jüdischen Strömungen also nicht mit den christlichen Konfessionen vergleichen, deren Traditionen teilweise große Unterschiede zueinander aufweisen. Zudem sehen sich zwei Mitglieder verschiedener christlicher Konfessionen nicht als Teil einer gemeinsamen sozialen Struktur, was beim Judentum allerdings der Fall ist. Um besser verstehen zu können, was die unterschiedlichen Strömungen des Judentums unterscheidet und miteinander verbindet, wollen wir den Vergleich mit den christlichen Konfessionen näher beleuchten. Die christlichen Konfessionen des Protestantismus, des Katholizismus und der Orthodoxie weisen erhebliche Unterschiede im Verständnis ihres Glaubens und auch in der Rolle der kirchlichen Institutionen auf. Am wichtigsten ist jedoch, dass diese Konfessionen nicht nur keine gemeinsame Leitung beziehungsweise übergeordnete Organisation haben, sondern sich einander nicht wirklich zugehörig fühlen, eher im Gegenteil. Somit ist die Spaltung des Christentums immens. Im Judentum dagegen ist das religiöse Verständnis der Schriften weitestgehend gleich, da dieses auf dem Talmud basiert. Was die einzelnen Strömungen unterscheidet, sind meistens Formalitäten und die Rolle, welche die Religion im Leben der Mitglieder einnimmt. Was allerdings alle vereint ist die Zugehörigkeit zum jüdischen Volk, eine sehr wichtige Gemeinsamkeit. Im Folgenden wollen wir uns ansehen, welche Strömungen im Judentum gegenwärtig bedeutsam sind. Grob lassen sich die Strömungen und damit auch die religiöse Identität der Juden in vier große Gruppen aufteilen: Das orthodoxe Judentum, das konservative Judentum, das liberale oder Reformjudentum und der Säkularismus. Nach der Zugehörigkeit zu diesen Gruppen werden meistens Umfrage erstellt und auch viele Veröffentlichungen nutzen diese Klassifizierung. Allerdings werden wir sehen, dass es auch innerhalb dieser Gruppen wenig Homogenität gibt, sondern viele verschiedene Lebensweisen. Das orthodoxe Judentum
Das Wort „Orthodoxie“ kommt aus dem Griechischen und bedeutet „richtiger Glaube“. In Bezug auf Religionen wird damit eine strenggläubige beziehungsweise traditionelle Lebensweise verbunden. Im Judentum bedeutet orthodox zu sein vor allem, die 613 Mitzwot zu befolgen, halachischer Observant zu sein und die Auslegung der Torah und andere Traditionen nicht zu verändern. Grundlage für die Halacha bildet meistens das Werk Schulchan Aruch aus dem 16. Jahrhundert als Zusammenfassung der religiösen Regeln. Im Besonderen bedeutet das, dass orthodoxe Juden den Schabbat als Ruhetag einhalten, eine Kopfbedeckung tragen (Männer eine Kippah und Frauen in der Öffentlichkeit etwas, um ihre Haare zu verdecken) und oft an Gottesdiensten teilnehmen. Grundlage für einen orthodoxen Lebensstil ist also der Glaube an Gott, was auch eine Mitzwa darstellt. Innerhalb des orthodoxen Judentums gibt es zwei große Gruppen, zwischen denen die Abgrenzung aber ebenfalls schwammig ist: Das ultraorthodoxe Judentum und modern-orthodoxe Judentum. Die ultraorthodoxen Juden, auch Haredim genannt, sind eine Gruppe, die nur die Religion und Gott als Sinn des Lebens ansieht und deren Wirken allein auf die Religion beschränkt ist. Die Ultraorthodoxie entstand als betont eigenständige Gruppe erst im 18. und 19. Jahrhundert als Gegenpart zur Haskalah, welche eine Säkularisierungs- und Aufklärungsbewegung innerhalb des Judentums war, zu der auch Moses Mendelssohn zählte. Man wollte die eigene Religion nicht aufgeben und nicht assimiliert werden, weshalb man sich deutlich zu den Ideen der Haskalah abgrenzte. Als „Ultraorthodoxe“, welche selbst diese Bezeichnung ablehnen, bezeichnet man also traditionelle strenggläubige Juden. Wer nur als orthodox und wer als ultraorthodox gilt, ist Definitionssache. Allerdings haben Ultraorthodoxe oft eigene Kleidung, es werden schwarze Anzüge und Hüte getragen, zu Feiertagen oft auch Pelzhüte. Der Sinn davon ist es, sich vom oft säkularen Rest der Welt abzugrenzen und somit auch die eigene Gemeinschaft zu vereinheitlichen. Diese aschkenasische Tradition kommt aus den Schtetelech Osteuropas. Auch innerhalb der Ultraorthodoxie unterscheidet man wiederum zwei große Gruppen: Die Chassidim und die Mitnagdim. Die Chassidim bildeten sich als eigene religiöse Bewegung um etwa 1740 heraus. Als Gründer der Bewegung gilt Israel ben Elieser „Baal Schem Tov“, der in der heutigen Westukraine lebte. Als der Chassidismus eine Neuerscheinung war, galt dieser als liberal und revolutionär, da sich die Lehre stärker auf die individuelle Verbindung zu Gott als auf die Deutung von Schriften fokussierte. Der Chassidismus basiert auf der Idee, dass man jegliche Art von Freude in spirituelle Gefühle umwandeln könne. So sei es möglich, durch Freude die individuelle Verbindung zu Gott zu stärken. Der wahre Glaube an Gott sei zudem wichtiger als die Lehre der religiösen Regeln. Schnell fand die neue Bewegung starken Zulauf in ganz Osteuropa, und mit der später einsetzenden Auswanderung nach Eretz Israel und Amerika wurde sie in der ganzen Welt präsent. Die neuartige Bewegung stieß aber auch auf Widerstand: Dem Chassidismus wurde vorgeworfen, dass der Bildung zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt werde und man sich stattdessen zu einer „religiösen Ekstase“ verleiten lasse. Zudem wurde die Bewegung häufig als Sekte bezeichnet, da einige chassidische Gemeinden bis heute eine starke vertikale Hierarchie aufweisen. Der bekannteste Ablehner des Chassidismus war Elijah ben Salomon Salman, genannt der Gaon von Wilna. Er war ein wichtiger jüdischer Gelehrter, welcher großen Wert auf die wortgetreue und rationale Auslegung der Schriften legte. Ihm waren die Ideen Baal Schem Tovs, die er als gefährlich ansah, fremd. Daher traf er für die litauischen jüdischen Gemeinden, die in seinem Einfluss standen, Maßnahmen, um der Verbreitung des Chassidismus entgegenzuwirken. Beispielsweise wurde die Heirat mit Chassidim verboten und Fleisch, welches von Chassidim geschächtet wurde, für nicht koscher erklärt. Das hatte zur Folge, dass sich eine Gegenbewegung zum Chassidismus, die sogenannten Mitnagdim (hebräisch für Gegner), herausbildete. Diese Bewegung wird in Anlehnung an ihren Ursprungsort auch als Judentum litauischer Prägung bezeichnet. Allerdings währte diese extreme Feindschaft nur bis zum Aufkommen der Haskalah, welcher beide Bewegungen kritisch gegenüberstanden. Kommen wir aber noch einmal zum Chassidismus zurück. Die Idee des Chassidismus war im 18. Jahrhundert revolutionär. Doch wie sieht es heute aus? Es gibt heute verschiedene chassidische Gemeinschaften, die sich auf die Ideen ihrer Gründer, jüdischer Gelehrter aus dem 18. und 19. Jahrhundert, berufen. Am präsentesten und bekanntesten ist die Chabad-Lubawitsch Bewegung, obwohl sie der Anhängerzahl nach nicht die größte ist. Das liegt daran, dass die Lubawitscher innerhalb des Judentums missionieren, also versuchen, Juden für ihre Ideen zu begeistern. Konkret bedeutet das, dass die Bewegung zahlreiche Gesandte in verschiedene Städte und jüdische Gemeinden schickt, um dort Bildungs- und Kulturangebote aufzubauen. Das hat dazu geführt, dass es heute in so gut wie allen für das jüdische Leben mehr oder weniger wichtigen Städten Schulen, Kulturzentren und Synagogen von Chabad gibt. Die Lubawitscher führen ihre Lehre auf Schneur Salman zurück. Während der Schoah wurde auch die Chabad-Bewegung fast ausgelöscht, bis Rabbi Menachem Mendel Schneerson die Führung übernahm und sie wieder präsent machte. Er setzte sich zudem allgemein sehr stark für Bildung ein. Ein wichtiger Streitpunkt in der heutigen Chabad-Lubawitsch Bewegung ist, dass nach Schneersons Tod 1994 ihn einige Mitglieder der Bewegung für den Messias erklärten. Auch heute ist diese messianische Bewegung innerhalb von Chabad nicht zu übersehen. Aus Sicht der jüdischen Religion ist das sehr problematisch, auch das israelische Oberrabbinat hat sich davon distanziert. Ein weiteres gegenwärtig interessantes Phänomen ist der chassidische Kult um Rabbi Nachman. Er gründete die Bewegung der Breslower Chassidim. 1811 wurde erstmals behauptet, dass das Grab von Rabbi Nachman in der Stadt Uman in der Ukraine „heilsam“ wirken soll. Seitdem ist es bei vielen Chassidim Tradition, an Rosch Haschana nach Uman zu Nachmans Grab zu pilgern. In den letzten Jahren kamen zehntausende...


Müller, Philipp
Philipp Müller wurde 2002 in Göttingen geboren. Er engagiert sich in öffentlichen Organisationen für jüdisches Leben und für Israel. 2017 erschien sein erfolgreiches erstes Buch "Ein Israel" über den Nahostkonflikt. Sein aktuelles Buch "Am Yisrael Chai", ein Abriss über die gegenwärtige Situation des jüdischen Volkes, wurde 2020 veröffentlicht.


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