Muigg | Polizei im Friedenseinsatz | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, Band 2, 260 Seiten

Reihe: Peacekeeping-Studien

Muigg Polizei im Friedenseinsatz

Das österreichische UN-Polizeikontingent in Zypern, 1964 bis 1977

E-Book, Deutsch, Band 2, 260 Seiten

Reihe: Peacekeeping-Studien

ISBN: 978-3-7065-6258-4
Verlag: Studien Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Internationale Friedensoperationen werden meist mit militärischen Einsätzen und den sogenannten „Blauhelmen“, den Friedenssoldaten der Vereinten Nationen, verbunden. Weit weniger bekannt sind hingegen die polizeilichen Aspekte dieser Missionen. Obwohl polizeiliche Komponenten bereits in den ersten Friedensoperationen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts eine Rolle spielten, wurde ihnen im Vergleich zu den militärischen Kontingenten wenig Beachtung geschenkt. In Forschung und Literatur deutlich unterrepräsentiert, ist die Präsenz polizeilicher Einheiten im Rahmen internationaler Friedenseinsätze auch im öffentlichen Bewusstsein kaum vorhanden.
Das vorliegende Buch gibt einerseits einen Überblick über die Geschichte internationaler Friedenseinsätze, insbesondere die Rolle von Polizeieinheiten, und schildert andererseits detailliert den ersten Einsatz österreichischer Polizeikontingente im Rahmen der UN-Zypernmission (1964–1977). Insgesamt haben bis heute rund 1.500 österreichische Polizistinnen und Polizisten an weltweit über 30 Missionen teilgenommen.
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II. Die Rolle der Polizei in internationalen Friedenseinsätzen46
1. Rahmenbedingungen und Aufgaben
Obwohl polizeiliche Komponenten, wie erwähnt, schon in den Einsätzen im 19. und frühen 20. Jahrhundert eine Rolle spielten, werden internationale Friedensoperationen gemeinhin mit militärischen Einsätzen und den allseits bekannten „Blauhelmen“ – den Friedenssoldaten der Vereinten Nationen (und anderer Organisationen) – verbunden. Den polizeilichen und anderen zivilen Elementen dieser Missionen wurde im Vergleich zu den militärischen Komponenten wenig Beachtung geschenkt.47 In Forschung und Literatur deutlich unterrepräsentiert, scheint die Präsenz polizeilicher Komponenten im Rahmen internationaler Friedenseinsätze auch im öffentlichen Bewusstsein äußerst gering bis gar nicht vorhanden zu sein. Dies mag einerseits verständlich erscheinen, weil sie zahlenmäßig eine geringere Rolle als Militärs spielen, ist andererseits aber umso befremdlicher, weil gerade die Polizei ein sehr wesentliches Element innerhalb der internationalen Friedensmissionen darstellt. Vor allem in Einsätzen nach „inneren“ Konflikten (im Gegensatz zu „traditionellen“ Friedensoperationen nach zwischenstaatlichen Auseinandersetzungen) wurde die Rolle der Polizei in den letzten Jahrzehnten immer wichtiger.48 Nach dem Ende des Kalten Krieges haben Anzahl und Bedeutung von Polizeieinsätzen im Rahmen internationaler Friedenseinsätze deutlich zugenommen. Neben dem jahrzehntelangen Engagement der UNO sind seit vielen Jahren auch EU und OSZE verstärkt an Polizeimissionen beteiligt. Während die Vereinten Nationen bereits 1960 (Kongo) erstmals reguläre Polizeieinheiten im Rahmen einer UN-Friedensmission eingesetzt hatten, konnte die EU ihre ersten dahingehenden Erfahrungen in den Jahren 1994 bis 1996 im Rahmen der EU-Verwaltung der bosnisch-herzegowinischen Stadt Mostar sammeln. Organisiert wurde das damalige internationale Polizeikontingent von der Westeuropäischen Union (WEU).49 Wenig später, im Jahr 1998, beteiligten sich in Kroatien erstmals Polizisten an einer Feldoperation der OSZE.50 UNO, EU und OSZE führen bis heute internationale Polizeimissionen mit verschiedenen Schwerpunktsetzungen durch, wobei ihr zahlenmäßiger Anteil am insgesamt eingesetzten Personal für Friedensmissionen bei rund zehn Prozent liegt.51 Der tatsächliche Bedarf ist freilich höher anzusetzen, doch in der Praxis zeigt sich wiederholt, dass gerade die Rekrutierung von gut ausgebildeten und qualifizierten Polizistinnen und Polizisten mit großen Schwierigkeiten verbunden ist. Während die Streitkräfte und militärischen Einheiten der verschiedenen Entsende- und Mitgliedstaaten internationaler Organisationen in Friedenszeiten gewissermaßen „in Bereitschaft“ stehen und damit für internationale Missionen prinzipiell „verfügbar“ sind, sieht die Situation im polizeilichen Bereich anders aus: Polizeikräfte sind tagtäglich „im Einsatz“, werden im eigenen Land meist dringend benötigt und können daher nur eingeschränkt und zeitlich begrenzt für zusätzliche Aufgaben im Rahmen internationaler Friedensmissionen herangezogen werden. Das hat sich bisher nicht geändert, obwohl gerade die veränderten Konfliktszenarien der letzten Jahrzehnte mit einem Rückgang zwischenstaatlicher Konflikte und einer Zunahme innerstaatlicher Auseinandersetzungen und Bürgerkriege dazu führten, dass polizeiliche Komponenten im Rahmen internationaler Friedenseinsätze immer wichtiger geworden sind.52 Insbesondere Bürgerkriege (meist Sezessions- und/oder Antiregimekriege, denen politische, ethnische, religiöse und/oder tiefere soziale Ursachen zugrunde liegen können) verdienen besondere Aufmerksamkeit, zumal sie sich in vielerlei Hinsicht von konventionellen, zwischenstaatlichen Auseinandersetzungen unterscheiden. Bürgerkriege sind in der Regel langwierige Konflikte, die ohne Rücksicht auf völkerrechtliche Bestimmungen auch gegen die Zivilbevölkerung äußerst brutal geführt werden. Dies bedeutet, dass nach Beendigung der Kriegshandlungen die schwer traumatisierte Bevölkerung aufgrund der ihr widerfahrenen Gewalt ein sehr hohes Sicherheitsbedürfnis aufweist, welches durch das allgemeine Misstrauen gegenüber staatlichen Institutionen, sofern diese nicht ohnehin gänzlich zusammengebrochen sind, oder der Orientierungs- und Schutzlosigkeit eines gewaltsamen Umfelds noch verstärkt wird. Zudem sind bürgerkriegsgezeichnete Staaten nach Kriegsende häufig nicht in der Lage, die öffentliche Sicherheit, Ruhe und Ordnung zu gewährleisten. Kriminelle Strukturen, die sich im Verlauf des Krieges herausbilden und verfestigen, werden nicht zerschlagen; Flüchtlinge und Vertriebene können kaum oder gar nicht geschützt werden. Im gesamten Sicherheitsbereich (Militär, Polizei, Gerichtswesen, Strafvollzug etc.) klafft eine große Lücke.53 Die Herausforderungen, um diese zu schließen, sind enorm und ohne internationale Hilfe in vielen Konflikt- und Krisenregionen dieser Welt nicht zu bewerkstelligen. Eine bedrohliche Situation entsteht unter anderem dadurch, dass in Kriegsgebieten in der Regel keine funktionierende, unparteiisch und nach rechtsstaatlichen Prinzipien agierende Polizei mehr existiert. Lokale Polizeibeamte sind vielfach korrupt, nicht mehr zuverlässig bzw. missbrauchen schlicht ihre Amtsgewalt. Zudem sind lokale Polizeieinheiten nach offenen Kriegshandlungen häufig paramilitärisch organisiert und waren oft direkt in kriegerische Auseinandersetzungen verwickelt. Ein massiver Vertrauensverlust der Bevölkerung ist die logische Folge. Hier gilt es, den Hebel anzusetzen, denn für eine stabile Nachkriegsordnung ist es unerlässlich, wirkungsvolle Maßnahmen zu setzen, um die öffentliche Sicherheit und Ordnung schnellstmöglich wiederherzustellen und aufrechtzuerhalten. Zu diesen Maßnahmen zählt der Einsatz internationaler Polizeikontingente.54 Die konkreten Aufgaben von Polizeieinheiten in internationalen Friedensoperationen sind vielfältig und immer vom Mandat und dem jeweiligen Auftrag abhängig. Zudem waren und sind Polizeieinsätze einem stetigen Wandel unterzogen, werden kontinuierlich weiterentwickelt und den jeweiligen Konfliktszenarien angepasst. Neben den ursprünglichen Einsätzen von internationalen Polizeibeobachtern zur Überwachung und Unterstützung bereits bestehender, lokaler Polizeikräfte (wie dies in Zypern seit 1964 oder in Südwestafrika/Namibia 1989/1990 der Fall war) spielen seit den 1990er Jahren die Reform, Ausbildung und aktive Unterstützung beim Aufbau neu entstehender bzw. massiv reformierter sowie nach demokratischen und rechtsstaatlichen Prinzipien funktionierenden Polizeiorganisationen eine immer wichtigere Rolle. Während das „Monitoring“ (Beobachtung) darauf abzielt, die Arbeit der lokalen Polizei lediglich zu beobachten und zu dokumentieren, beinhaltet das „Mentoring“ (Beratung) bereits eine konkrete Anleitung und Beratung von im Dienst befindlichen lokalen Polizeikräften durch internationale Polizistinnen und Polizisten. Mit „Training and Advising“ (Ausbildung und Beratung) von bereits vorhandenen lokalen Einheiten oder neu angeworbenen Polizeikräften sollen die Effektivität und Effizienz der Polizeiarbeit im Missionsgebiet insgesamt gesteigert werden. Bei „Reform and Restructuring“ (Reform und Restrukturierung) geht es neben der angestrebten Wirkungssteigerung insbesondere um eine Durchsetzung von rechtsstaatlichen und demokratischen Prinzipien innerhalb der lokalen Polizeiarbeit. Hier kommen zur allgemeinen Beobachtung, Beratung und Ausbildung noch spezifische Aufgaben wie die Überarbeitung von lokalen polizeilichen Verhaltensregeln sowie eine Überprüfung und Reform diverser Polizeieinrichtungen, des Polizeirechts und der Dienstvorschriften hinzu. Sollte keine lokale Polizei mehr existieren und beispielsweise im Rahmen einer internationalen Übergangsverwaltung ein „Rebuilding“ (Neuaufbau) der Polizei vorgesehen sein, so setzen sich internationale Missionen unter anderem mit der Rekrutierung und Auswahl von geeigneten Polizeikräften, Gründung von Ausbildungszentren sowie der Erarbeitung polizeilicher Verhaltensregeln nach rechtsstaatlichen Standards auseinander. Die damit möglicherweise einhergehende längere Übernahme exekutiver Polizeibefugnisse („Executive Policing“) oder sogar die vorübergehende Ausübung der staatlichen Hoheitsgewalt durch internationale Polizei (wie im Kosovo und in Osttimor) wird hingegen eher die Ausnahme bleiben, ist aber naturgemäß besonders anspruchsvoll.55 Das angeführte und kurz umrissene Aufgabenspektrum lässt sich grob in zwei Kategorien unterteilen, in „polizeiliches Peacekeeping“ und „polizeiliches Peacebuilding“.56 Zum Bereich des polizeilichen Peacekeeping zählt die Beobachtung, Beratung und Ausbildung lokaler Polizeieinheiten, sofern diese ausschließlich auf eine Effektivitäts- und Effizienzsteigerung der Polizeiarbeit abzielen, sowie eine vorübergehende Übernahme polizeilicher Aufgaben durch internationale Polizei zur raschen...


Mario Muigg (geb. 1978), Dr. phil., seit 2007 am Institut für Wissenschaft und Forschung und seit 2009 als Sprachlehrer an der Sicherheitsakademie im Bundesministerium für Inneres beschäftigt. Mitglied des „Austrian Center for Intelligence, Propaganda and Security Studies” (ACIPSS), Vortragender an der Universität Wien. Zahlreiche Publikationen, Vorträge und Ausstellungsführungen zur Polizei- und politischen Geschichte des 20. Jahrhunderts.


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