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E-Book, Deutsch, 185 Seiten

Noller Theorien des Bösen zur Einführung

E-Book, Deutsch, 185 Seiten

ISBN: 978-3-96060-095-4
Verlag: Junius Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Dieser Einführungsband nähert sich dem Bösen auf interdisziplinäre Weise und beleuchtet das Phänomen aus theologischer, philosophischer, ästhetischer, politischer und naturwissenschaftlicher Sicht. Den Hauptteil des Buchs bilden die verschiedenen philosophischen Interpretationen des Bösen u.a. bei Augustinus, Thomas von Aquin, Hobbes, Leibniz, Rousseau, Kant, Schelling, Nietzsche und Hannah Arendt, aber auch bei neueren Autorinnen wie Susan Neiman und Bettina Stangneth. Abschließend unternimmt der Band den Versuch, die verschiedenen Dimensionen des Bösen zusammenzudenken und davon ausgehend einen Begriff des Bösen zu entwickeln, der sich einerseits von neurowissenschaftlichen Reduktionen abgrenzt und andererseits auch in säkularen Gesellschaften noch eine diagnostische Bedeutung beanspruchen kann.
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1. Einleitung
1.1 Gründe des Bösen
Wozu ein Begriff des Bösen? Sollte man nicht lieber neutralere Begriffe verwenden, vom »Schlechten« oder »Kranken« sprechen, das in der Welt zweifellos existiert und das zum »Guten« und »Gesunden« verbessert werden kann? Oder gar nur von »Schwächen«, »Fehlern« und »Defiziten« – Phänomene, deren Begriffe implizieren, dass sie bei ausreichender Anstrengung, Pflege und Übung überwunden werden können? Besteht nicht die Gefahr, dass mit der Verwendung des Begriffs des Bösen einzelne Menschen, Gesellschaften oder gar ganze Teile der Welt zu Gegenständen eines Schwarz-Weiß-Denkens gemacht und auf diese Weise diskriminiert oder dämonisiert werden? Und schließlich: Ist der Begriff des Bösen in Zeiten weiter fortschreitender Säkularisierung und Aufklärung nicht überholt und sollte als ein metaphysisches Relikt aus dunklen Zeiten aufgegeben werden? Aber wie verhält sich die zweifellos vorhandene »Faszination des Bösen«, von der die hohen Einschaltquoten allabendlicher Krimis und das gemeine Interesse an blutigen Sensationen zeugen, zu diesen Bedenken? Es scheint, dass eine Auffassung des Bösen als bloßes Defizit oder als Mangel dem Phänomen nicht gerecht werden kann. Vielmehr legt seine Faszination nahe, dass eine seiner herausragenden Eigenschaften gerade im Gegenteil eines Mangels, einer besonders perfiden Intelligenz etwa, besteht, das zugleich gefürchtet und bewundert werden kann. Erst wo das Böse in diesem Sinne – also als willentliche und zurechenbare Aktivität – verstanden wird, wird es uns zum Problem. Denn es betrifft dann nicht nur bestimmte gegebene Charakterzüge oder Äußerlichkeiten, sondern zielt mitten hinein ins Zentrum menschlicher Existenz. Seine Gründe sind Abgründe. Mehr noch, zu dem Bösen hypostasiert lässt es sich gar als eine dunkle Macht denken. Als einer der am stärksten wertenden Begriffe unserer Sprache ist die Verwendung des Begriffs des Bösen nicht nur eine Beschreibung oder Feststellung von Tatsachen in der Welt, sondern die Zuschreibung dieser Eigenschaft zu einer Person oder Sache eine Handlung, die diese Person oder dieses Ding, die betreffenden Willensakte und Taten in ein unverrückbar negatives Licht stellt und sie stigmatisiert. Dass niemand als böse etikettiert werden möchte, ist deshalb nur zu verständlich. Das Böse ist ein Unwort. Sollten wir es also nicht lieber ganz aus unserem Wortschatz streichen? Speziell aus philosophischer Perspektive wird behauptet, dass die gegenwärtige Philosophie das Böse als Thema »verloren« habe (Höffe 2009: 328). Allerdings stellt sich die Frage, ob sie es denn jemals besessen hat. Um das Böse als Thema zu besitzen, müsste die Philosophie einen Begriff oder eine ausgearbeitete Theorie davon haben – eine ›Wissenschaft des Bösen‹. Kann es eine solche Theorie des Bösen aber überhaupt geben? Ist das Böse nicht vielmehr unfasslich und entzieht sich dem Begriff – ein Unbegriff? Könnte der Grund der Beobachtung, dass die Philosophie das Böse als Thema verloren habe, am Ende nicht auch darin liegen, dass es sich dem Begriff immer schon entzieht, dass es das System sprengt, es also gar keine Theorie davon geben kann? Und sollte das Böse seinen Platz dann nicht am besten ausschließlich in Märchen, Mythen oder Schauergeschichten haben? Wäre dem so, würde sich ein Buch mit dem Titel »Theorien des Bösen« zweifellos erübrigen. Dass es so einfach nicht ist, zeigt gerade die Tatsache, dass uns das Böse empört und eine gedankliche Reaktion provoziert – sei es, weil wir glauben, dass es verhindert werden sollte, oder weil wir überhaupt seinen Begriff für unnötig halten. Dass die Philosophie überhaupt einen Begriff des Bösen besitzen kann, ist von verschiedenen Seiten infrage gestellt worden. Der amerikanische Philosoph Richard Bernstein etwa betont, dass sich das Böse philosophisch gar nicht fassen lasse. »I am deeply skeptical of the possibility of the very idea of a theory of evil«, bekennt er und fügt hinzu: »There is […] something about evil that resists and defies any final comprehension.« (Bernstein 2002: 6f.) Der deutsche Philosophieschriftsteller Rüdiger Safranski geht noch weiter, wenn er in seinem Buch Das Böse oder Das Drama der Freiheit behauptet: »Das Böse gehört nicht zu den Themen, denen man mit einer These oder einer Problemlösung beikommen könnte.« Und fährt fort: »Das Böse ist kein Begriff, sondern ein Name für das Bedrohliche, das dem freien Bewußtsein begegnen und von ihm getan werden kann.« (Safranski 1997: 14) Der Berliner Philosoph Wilhelm Schmidt-Biggemann schließlich konstatiert: »Das Böse hat keine Logik, man kann es nicht deduzieren und definieren. Man kann das Böse nicht mit der Logik des Guten, seines Gegenteils, bannen; wenn das gelänge, wäre das Böse abschaffbar […] eine systematische Theorie des Bösen ist nicht denkbar.« (Schmidt-Biggemann 1993: 10) Diese Liste von Ansichten über die Unbegreiflichkeit und Unbegrifflichkeit des Bösen ließe sich lange fortsetzen. Worin liegt also der Grund, dass wir das Böse nicht in den Griff bekommen? Der Grund scheint weniger in unserem fehlenden Begriffsvermögen als im Phänomen des Bösen selbst – seiner Abgründigkeit – zu liegen. Bei all diesen Schwierigkeiten möchte das vorliegende Buch dazu beitragen, den Begriff und das Phänomen des Bösen weiter aufzuklären. Erfolgen kann der Zugang dabei angesichts der Komplexität des Phänomens jedoch nicht allein mit den Mitteln der Philosophie oder Theologie – den traditionellen Zugängen zu diesem Thema –, sondern nur multiperspektivisch und interdisziplinär. Ziel des Buches ist es, durch verschiedene Annäherungen einen Begriff des Bösen zu profilieren, der seine Berechtigung darin hat, dass er dessen Phänomene und Handlungen auf ihren Grund in der Praxis der menschlichen Freiheit – sei sie moralisch oder ästhetisch – hin transparent macht.1 Das Buch verfolgt dieses Ziel in Auseinandersetzung mit der Wirkungs- und Kulturgeschichte des Begriffs, die überaus fruchtbar ist und nichts von ihrer Faszination verloren zu haben scheint, so dass gelegentlich sogar von einer »Renaissance des Bösen« (Schuller/Rahden 1993) die Rede ist. 1.2 Probleme des Bösen
Eine begriffliche Analyse des Bösen bedarf zunächst einiger grundlegender Unterscheidungen, die seine alltägliche – vage negative – Bedeutung aufnehmen und weiter differenzieren. So kann das Böse zum einen im Sinne des Schlechten oder des Übels (lat. malum) verstanden werden, etwa in Gestalt von Krankheiten oder anderen natürlichen Defekten. In der theologischen und philosophischen Tradition wird diese Form des Bösen als natürliches Übel (malum physicum) bezeichnet. Es folgt nicht aus der menschlichen Freiheit, kann also keinem Willen zugerechnet werden, sondern stellt ein passives Übel dar, welches Menschen und anderen Lebewesen zustößt, ihr Leben gefährdet und beeinträchtigt. Zum anderen kann das Böse aber auch freiheitstheoretisch im Sinne eines bewussten, willentlichen und aktiven Zufügens von Schaden begriffen werden, was im Ausgang von Augustinus als moralisches Übel (malum morale) bezeichnet wird. Und schließlich lässt sich das Böse durch die generelle Endlichkeit des Menschen als Geschöpf bestimmen, dem durch diese Eigenschaft immer schon ein Mangel – sei es das malum physicum oder das malum morale – anhaften muss. Diese generelle Form des Bösen wird in der philosophischen Tradition nach Leibniz das metaphysische Übel (malum metaphysicum) genannt. Im Fokus der meisten Betrachtungen des Bösen steht das malum morale als dasjenige Böse, welches der willentlichen Aktivität des Menschen zurechenbar ist. Als etwas, was nicht sein soll, aber dennoch irgendwie ist, steht zunächst seine Existenzweise infrage. Existiert das Böse, insofern es nicht sein soll, auf dieselbe Weise wie das Gute, das sein soll, besitzt es also denselben Grad an Wirklichkeit oder ist es gegenüber dem Guten weniger real? Dazu gibt es mindestens zwei Ansichten: Zum einen wird die These vertreten, dass das Böse etwas prinzipiell Defizitäres ist, das sich aus menschlichem Unvermögen, Schwäche oder einem Mangel an Freiheit und Reflexion speist (Privationstheorie des Bösen). Dem gegenüber steht die Auffassung, dass das Böse dem Guten hinsichtlich seiner Realität gleichrangig ist. Das Böse ist demnach kein Mangel an Sein oder Freiheit, sondern nur eine andere Seinsweise, die die gute Ordnung nicht bekräftigt, sondern diese vielmehr aktiv auf den Kopf stellt, also pervertiert und damit letztlich zerstört (Perversionstheorie des Bösen). Mit dieser Auffassung des Bösen geht die Annahme der vollen moralischen Verantwortlichkeit des...


Jörg Noller ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Ludwig-Maximilians-Universität München; Forschungsaufenthalte an der University of Notre Dame (Indiana) und Chicago. Zur Zeit arbeitet er an seiner Habilitationsschrift über personale Lebensformen.


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