Oermann / Wolff | Wirtschaftskriege | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 320 Seiten

Oermann / Wolff Wirtschaftskriege

Geschichte und Gegenwart

E-Book, Deutsch, 320 Seiten

ISBN: 978-3-451-82981-9
Verlag: Verlag Herder
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Wirtschafts- und Handelskriege sind in den vergangenen Jahren wieder fester Bestandteil der Weltpolitik geworden. Ob in der Auseinandersetzung zwischen den westlichen Demokratien und Russland oder im Konflikt mit China – überall spielen Sanktionen oder andere wirtschaftliche Strafmaßnahmen eine wichtige Rolle. Das hat massive Folgen für den Wohlstand der Nationen und die internationale Stabilität.

Nils Ole Oermann und Hans-Jürgen Wolff haben ihr 2019 erstmals erschienenes Standardwerk zur Geschichte und Gegenwart der Handels- und Wirtschaftskriege mit Blick auf die aktuellen Entwicklungen völlig überarbeitet und stark erweitert.
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Kapitel 1
Wirtschaftlicher Wettbewerb, Handelskriege und ihre Ursachen in der Moderne
Enge Verbindung: Wirtschaft, Wettbewerb und Wettstreit
Es gibt zu viele, die vom Wohlstand durch Globalisierung schwärmen und achselzuckend über deren Verlierer hinwegsehen; die den Freihandel loben und ihn zum eigenen Vorteil verhindern; die eine regelbasierte internationale Ordnung preisen, darin aber bloß Trittbrettfahrer sein wollen und die Instandhaltungskosten anderen überlassen. Oliver Cromwell verlangte von seinem Porträtmaler ein ungeschöntes Gemälde: Es solle ihn zeigen mit allen Unzulänglichkeiten, „warts and all“ (mit allen Warzen). Solchem Realismus fühlen auch wir uns verpflichtet bei der Beschreibung der Zusammenhänge zwischen Wirtschaft, Wettstreit und Krieg. Die meisten Menschen wollen mehr als nur leben – sie wollen gut leben. Dafür arbeiten sie, dafür arbeiten sie mit anderen zusammen, und dafür arbeiten sie gegen andere an. Schon im friedlichen Handel und Wandel steckt harter Wettkampf, ja strukturelle Gewalt: Wer bietet die beste Ware, produziert am günstigsten, macht den höchsten Gewinn? Wer schlägt die Konkurrenten aus dem Feld? Was Ordnungshüter „die Fähigkeit zur Aggression“ („the gift of aggression“)1 nennen, das kennzeichnet auch so manchen ehrbaren Unternehmer und sein Handeln; es hat zu Begriffen wie „schöpferische Zerstörung“ (Joseph Schumpeter) geführt. Die Zerstörung alter Strukturen durch fähige Unternehmer erhöht meist die allgemeine Wohlfahrt. Die Spinning Jenny zum Beispiel, die weltweit erste Spinnmaschine für Baumwollfasern, vervielfachte die Produktivität bei der Herstellung von Webgarn. Sie machte dadurch Tuch und Kleidung viel erschwinglicher für alle, und sie half den Weg zu bahnen für die Exportmacht der englischen Textilindustrie. Aber Jenny und die ihr folgenden Textilmaschinen raubten in England, auf dem europäischen Festland und in Übersee auch ungezählten handwerklich arbeitenden Menschen Lohn und Brot, und die Betroffenen haben die Gewalt dieser Veränderung oft erlitten und empfunden wie ein Kapitalverbrechen. Gewiss, in der längeren Frist wurden die vorindustriellen Webersleute Europas frei, in neuen Berufen ein weniger karges Dasein zu fristen. Zuerst aber brachte ihnen der technische Fortschritt noch größeres Elend, und Hilfen auf dem Weg zu neuem Auskommen suchten sie meist vergebens. Die englische Textilindustrie jedoch wurde so produktiv und politisch einflussreich, dass England seinen Indienhandel entsprechend manipulierte: Das blühende indische Textilgewerbe wurde mit hohen Abwehrzöllen auf Distanz gehalten und ausgezehrt, die indischen Einfuhrzölle für Textillieferungen der britischen Kolonialherren minimiert, die indische Baumwolle nach England gebracht, die daraus gefertigte Ware zum großen Teil teuer den Indern verkauft, und Hunderttausende indische Weber hungerten, weil ihre Handspinnräder zum Stillstand gezwungen waren. Mahatma Gandhi hat darum das Spinnrad zum Symbol des Widerstands gegen Ungerechtigkeit gemacht. So gleitend kann er sein, der Übergang von unternehmerischem Fortschritt und allgemeinem Wohlfahrtsgewinn zu räuberischen internationalen Handelsbedingungen mit kriegsähnlicher Not im Gefolge.2 Selbst ein vollkommen friedlich und fair erreichter, großer volkswirtschaftlicher Erfolg entwickelt nicht selten ein Eigenleben und erzeugt immer weiter ausgreifende und angreifende Sachzwänge, die zu Konfliktursachen werden können: Je erfolgreicher ein Land sich industrialisiert, desto mehr Rohstoffe müssen her und desto größere Absatzgebiete, und immer längere Liefer- und Vertriebswege verlangen nach immer mehr Infrastruktur. Je weiter das entsprechende Netz von Handelsniederlassungen und Auslandsinvestitionen, von Schürf- und Transportrechten, Lieferverträgen und Wirtschaftsabkommen, Häfen und Kanälen, Eisenbahntrassen und Flugplätzen ausgebaut wird, desto stärker wird dieses Netz wie von selbst zu einem internationalen Einflussfaktor und gewinnt Freunde, Verbündete und Abhängige, und desto mehr erscheint das Erreichte seinen Erbauern schützenswert und schutzbedürftig – was nahelegt, spätestens jetzt auch militärische Macht zu projizieren. All das weckt nur zu leicht den Argwohn anderer. Die erblicken womöglich selbst in fairen Handels- und Finanzbeziehungen ein Austauschverhältnis, von dem sie relativ weniger als die Gegenseite profitieren, eine Leiter, auf der der Gegner von morgen ihnen über den Kopf steigt und die er umstößt, sobald er sich auf den „kommandierenden Höhen der Weltwirtschaft“ festgesetzt hat, von denen schon Lenin sprach. Darum lautet beim Thema Wirtschaftskriege ein Schlüsselbegriff: Latenz. Latenz bedeutet das allmähliche, zunächst kaum wahrnehmbare Reifen von Entwicklungen, das sachte Heranrücken der Ereignisse, das langsame Erkennen der im Gegebenen schlummernden Möglichkeiten.3 Wenn sich täglich die Fläche der Seerosenblätter auf dem Teich verdoppelt, dann mag das lange Zeit recht idyllisch und biodivers aussehen, und das noch am vorletzten Tag – aber dann kippt das Biotop plötzlich um. Für die Latenz vor dem Umschlag haben Groß- und Hegemonialmächte meist empfindlichere Fühler und ein wacheres Bewusstsein als Klein- und Mittelmächte. Die neigen mangels Gestaltungsmacht mehr dazu, sich in den Gegebenheiten einzurichten und zu hoffen: Meine Nische wird schon nicht verschwinden. Die Anfänge im 16. Jahrhundert – Entdeckungen, Plünderung und Krieg
Bereits im friedlichen Handel und Wandel also stecken viel Druck und Stress, persönliches Leid und riskante internationale Dynamik. Oft bleibt es aber nicht friedlich, wo es um Handel, Rohstoffe und Märkte geht. Durch die Jahrhunderte wurden Zwischenhändler physisch ausgeschaltet, fremde Handelsstationen zerstört, Monopole aller Art errichtet, exklusive Wirtschafts- und Fischereizonen behauptet und mit Gewalt durchgesetzt, Länder okkupiert und Völker unterdrückt – alles für den Machterhalt und die weitere Expansion. Dabei wirken Staatsgewalt und Privatwirtschaft eng zusammen. Mal übernimmt die eine, mal die andere das operative Geschäft, und obendrein sind sie Gestaltwechsler: Hier verkappt sich der Staat als Unternehmen,4 dort übernehmen Firmen Hoheitsgewalt und stellen dafür ganze Armeen auf, wie es zum Beispiel die Britische Ostindien-Kompanie (East India Company, EIC) und ihr niederländisches Pendant getan haben. Welche Akteure sind mit wirtschaftlichen Zielen oder Mitteln aggressiv, und was versprechen sie sich davon? Das hängt von der jeweiligen politischen Ordnung ab, vom Stand der Produktivkräfte und von den volkswirtschaftlichen Erkenntnissen und Denkgewohnheiten, von den logistischen und militärischen Möglichkeiten, von der öffentlichen Meinung (falls zugelassen), von der relativen Stärke der beteiligten Staaten und vom Weltbild und von den Erwartungen der Entscheider. Da liegt natürlich jeder historische Fall etwas anders, und die Faktoren der jeweiligen Willensbildung lassen sich im Nachhinein oft nur schwer rekonstruieren, gewichten und eindeutig bewerten. Doch es lassen sich mit Blick auf Wirtschaftskriege und ihre Ursachen immerhin unterschiedliche Epochen und eine wichtige geistesgeschichtliche Zäsur erkennen, und eine beliebte Theorie über den Kapitalismus und die Kapitalisten als angebliche Haupttreiber der meisten Konflikte lässt sich ausschließen. Die Geschichte der Handels- und Wirtschaftskriege ab etwa 1500 wird ausführlicher in Kapitel 3 erzählt werden. Hier liegt der Schwerpunkt auf den Motiven, Ideen und Interessengruppen, welche diese Kriege antrieben, und auf den Zusammenhängen zwischen wirtschaftlichen Faktoren, Handelskrieg, Eroberung und bewaffnetem Konflikt. Anfänglich wurden die Handelskriege befeuert von Draufgängertum und Profitgier in ihrer räuberischsten und brutalsten Form. Handel, Krieg und Piraterie gingen wirklich so ineinander über, wie es Mephistopheles behauptet. Im 16. Jahrhundert waren die meisten Handelsschiffe bewaffnet, und ihre Besatzungen waren bereit, je nach Gelegenheit Handel zu treiben, zu kämpfen, zu kapern und zu plündern5 (umso mehr, sobald sie europäische Gewässer verlassen hatten). Falls nötig, schlugen sie auch die Seeschlachten ihrer Länder – die meisten Schiffe in der Begegnung zwischen der spanischen Armada und der englischen Flotte (1588) waren Handelsschiffe.6 Wann immer fremde Reiche in Übersee oder ganze Kontinente erobert wurden, bildete den ersten Zyklus der Ausbeutung wüste Plünderei,7 gefolgt von allmählicher territorialer Vorherrschaft, die dann zu Zwangsabgaben, Zwangsarbeit (bis weit ins 20. Jahrhundert hinein)8 und Sklaverei führte. Konkurrierende Handelsnationen und Handelsniederlassungen wurden angegriffen, ob sie nun zu den „Ungläubigen“ gehörten oder zur europäischen Christenheit. Diese noch halb private gewalttätige Gier wurde von den europäischen Monarchien geduldet und ermutigt, weil diese noch nicht mit eigenen Schiffen und Armeen vorrücken konnten. Stattdessen gewährten sie „Kapitulationen“ (Verträge zwischen Ungleichen), verliehen Handelsprivilegien und verteilten Kaperbriefe, um an der Beute beteiligt zu werden und Anspruch auf alle Gebiete zu erheben, die „entdeckt“ und „erobert“ werden mochten.9 Jede Seereise bedeutete neues unternehmerisches Risiko und unbeständiges Kriegsglück, und weil Schiffsraum noch sehr knapp war, konzentrierten sich Handel, Überfälle und Beutezüge auf Luxusgüter mit geringem Stauraum wie Gold und Silber, Seide und Gewürze, Zucker, Pelze und Parfum. Doch die Netzwerke...


Wolff, Hans-Jürgen
Dr. Hans-Jürgen Wolff, geb. 1958, studierte Rechtswissenschaften in München, Bonn und Oxford und promovierte mit der rechtshistorischen Studie „Kriegserklärung und Kriegszustand nach Klassischem Völkerrecht“. Er war von Anfang 1989 bis 1991 in der Verfassungsrechtsabteilung des Bundesministeriums des Innern tätig, von 1991 bis 1995 in der Wirtschaftsabteilung des Bundeskanzleramts für Fragen der europäischen Wirtschafts- und Währungspolitik zuständig, und arbeitete von 1995 bis 2010 im Bundespräsidialamt, zuletzt als Chef des Bundespräsidialamts. Er ist als Berater in Berlin tätig und lebt in Niedersachsen.

Oermann, Nils Ole
Univ.-Prof. Dr. Dr. Nils Ole Oermann, geb. 1973, lehrt Ethik an der Leuphana Universität Lüneburg und an der Oxford University. Seit 2010 ist er zudem als Gastprofessor mit Schwerpunkt Wirtschaftsethik in St. Gallen tätig. Als Rhodes Scholar wurde er in Oxford mit einer kolonialgeschichtlichen Arbeit promoviert und im Bereich Makroökonomie, Internationale Beziehungen und Ethik in Harvard u. a. bei Jeffrey Sachs ausgebildet. Er gilt laut „Handelsblatt“ als einer der „profiliertesten deutschen Wirtschaftsethiker“. Von 2004-2007 war er der Persönliche Referent des Bundespräsidenten. Von 2009 bis 2017 war er beratend für den Bundesminister der Finanzen tätig. Oermann lebt mit seiner Familie in der Altmark.

Univ.-Prof. Dr. Dr. Nils Ole Oermann, geb. 1973, lehrt Ethik an der Leuphana Universität Lüneburg und an der Oxford University. Seit 2010 ist er zudem als Gastprofessor mit Schwerpunkt Wirtschaftsethik in St. Gallen tätig. Als Rhodes Scholar wurde er in Oxford mit einer kolonialgeschichtlichen Arbeit promoviert und im Bereich Makroökonomie, Internationale Beziehungen und Ethik in Harvard u. a. bei Jeffrey Sachs ausgebildet. Er gilt laut „Handelsblatt“ als einer der „profiliertesten deutschen Wirtschaftsethiker“. Von 2004-2007 war er der Persönliche Referent des Bundespräsidenten. Von 2009 bis 2017 war er beratend für den Bundesminister der Finanzen tätig. Oermann lebt mit seiner Familie in der Altmark.
Dr. Hans-Jürgen Wolff, geb. 1958, studierte Rechtswissenschaften in München, Bonn und Oxford und promovierte mit der rechtshistorischen Studie „Kriegserklärung und Kriegszustand nach Klassischem Völkerrecht“. Er war von Anfang 1989 bis 1991 in der Verfassungsrechtsabteilung des Bundesministeriums des Innern tätig, von 1991 bis 1995 in der Wirtschaftsabteilung des Bundeskanzleramts für Fragen der europäischen Wirtschafts- und Währungspolitik zuständig, und arbeitete von 1995 bis 2010 im Bundespräsidialamt, zuletzt als Chef des Bundespräsidialamts. Er ist als Berater in Berlin tätig und lebt in Niedersachsen.


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