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E-Book, Deutsch, 272 Seiten

Ortner Das klerikale Kartell

Warum die Trennung von Kirche und Staat überfällig ist

E-Book, Deutsch, 272 Seiten

ISBN: 978-3-939816-96-6
Verlag: Nomen Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



DEUTSCHLAND IST KEIN KIRCHENSTAAT. Jedenfalls in der Theorie. Wir leben in einem säkularen Verfassungs-Staat. Es herrscht Glaubensfreiheit. Gläubige, Andersgläubige und Ungläubige müssen miteinander auskommen. Alle Bürger dürfen ihren Gott, auch ihre Götter haben, der Staat selbst aber muss gottlos sein. Doch genau daran hapert es.

Obwohl die Kirchen hierzulande seit Jahrzehnten rapide an Mitgliedern verlieren und inzwischen weniger als die Hälfte der Bevölkerung Mitglied in einer der beiden christlichen Großkirchen ist, bestehen die Kirchen auf jahrhundertealten Privilegien. Und der Staat gewährt sie ihnen – in Form von Sonderrechten, zweifelhaften Subventionen und steuerlichen Vergünstigungen.

Helmut Ortner beschreibt faktenreich die andauernde Verletzung des Verfassungsgebots staatlicher Neutralität – und was dagegen zu tun ist. Darüber hinaus wirft er einen Blick auf kirchliche Kuriositäten, die überdeutlich zeigen, wie weit die Kirche vom aufgeklärten Geist des 21. Jahrhunderts entfernt ist.
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PROLOG
11 — Götterglaube und Seelenheil

DER GLAUBE, DIE KIRCHE UND DER STAAT
23 — Erst der Bürger, dann der Gläubige
33 — Herr Steinmeier, der Garten Eden und der Kirchentag
43 — Flucht aus der Kirche
47 — Seid umschlungen, Milliarden!
57 — Der permanente Verfassungsbruch
65 — Klerikale Vertuschung
73 — Lautes Schweigen
89 — Kniefall des Rechtsstaats
99 — Ratzingers Wahrheit
105 — Ethik statt Religionsunterricht – ohne Kruzifix und Kopftuch
111 — Karfreitag – nicht mit Heidi
123 — Der Amtsrichter, die Verfassung und das Kreuz
135 — Der »Dritte Weg« ins Abseits
141 — Im Täuschungslabyrinth
147 — Lob des Laizismus
159 — Ein imaginäres Verbrechen
169 — Allah, der Staat, die Linke und die Aufklärung

EPILOG
199 — Das klerikale Kartell und der gottlose Staat

NACHWORT
213 — Staatskirche oder Rechtsstaat?

ANHANG
233 — Manifest
239 — Anmerkungen und Quellen
261 — Abdruckhinweise
263 — Literatur
265 — Mitarbeit und Textbeiträge
266 — Dank
269 — Finis


Erst der Bürger, dann der Gläubige
Deutschland ist ein Verfassungsstaat und kein Gottesstaat. Alle Bürger dürfen ihren Gott, auch ihre Götter haben – der Staat aber muss in einer modernen, säkularen Grundrechtsdemokratie gottlos sein. Unser Land darf weiterhin auf göttlichen Beistand hoffen. Im Dezember 2021 verwendeten im Berliner Reichstag neun der 16 Minister und Ministerinnen den freiwilligen religiösen Zusatz »So wahr mir Gott helfe«. Auch Kanzler Olaf Scholz verzichtete als zweiter Amtsinhaber nach Gerhard Schröder bei seiner Vereidigung zum Bundeskanzler auf den Gottesbezug in der Eidesformel. Und: Anders als Ex-Kanzler Schröder ist Scholz nach seinem Austritt aus der evangelischen Kirche der erste konfessionslose Regierungschef in Deutschland. Mit oder ohne Gottesschwur: Gott mischt kräftig mit in der deutschen Politik. In den Parlamenten, den Parteien, den Institutionen. Dabei wird so getan, als hätte er ein ganz natürliches Anrecht darauf, als gehörte er zur politischen Grundausstattung, zum politischen Personal der Bundesrepublik, zur deutschen Demokratie. Dass unsere heutige Demokratie unbestritten auf einem Menschenbild gründet, das viel mit dem Christentum zu tun hat, will niemand infrage stellen. Aber die Geschichte zeigt, dass die christlichen Kirchen nicht unbedingt Trägerinnen der Demokratie waren – und sind. Was heute Staat und Staatsbürger ausmacht, ist gegen die christlichen Kirchen erkämpft worden. Das wollen wir festhalten. Hierzulande herrscht Glaubensfreiheit. Ob jemand Christ oder Muslim, Buddhist oder Jude ist, darf keine Rolle dabei spielen, ob er als Bürger dieses Landes willkommen ist. Das Ideal eines Staatsbürgers sieht so aus: Er sollte die abendländische Trennungsgeschichte von Staat und Kirche akzeptieren, die Werte der Aufklärung respektieren und die Gesetze dieses Staates achten. Das reicht. Wer Beamter, Staatsanwalt oder Richter werden möchte, schwört auf die Verfassung, nicht auf die Bibel oder den Koran. Deutschland, darauf hat der Rechtsphilosoph und Staatsrechtler Horst Dreier hingewiesen, ist ein Verfassungs- und kein Gottesstaat, und das ist die Voraussetzung für Religionsfreiheit. Alle Bürger dürfen ihren Gott, auch ihre Götter haben – der Staat aber muss in einer modernen, säkularen Grundrechtsdemokratie gottlos sein.1 Wenn Verfassungsrechtler vom »säkularen Staat« sprechen, dann meinen sie keineswegs einen areligiösen, laizistischen Staat (wie etwa in Frankreich), sondern einen Staat, der Religions- und Weltanschauungsfreiheit garantiert und religiös-weltanschauliche Neutralität praktiziert. Entscheidend sind nicht religiöse Präferenzen, sondern Verfassungstreue. Die Zeiten, als die beiden großen christlichen Konfessionen über Jahrzehnte das gesellschaftliche, politische Leben hierzulande beherrschten und Religion aufgrund der kulturellen Harmonie eine integrierende und stabilisierende Größe war, gehören der Vergangenheit an. Die großen Konfessionen verlieren stetig an Mitgliedern – und an Vertrauen. Im Jahr 2022 kehrten danach 522.821 Menschen ihrer Kirche den Rücken. 2021 – im bisherigen Rekordjahr – waren es 359.000 Personen, die aus der katholischen Kirche austraten. Auch die von der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) veröffentlichten Mitgliederzahlen belegen, dass mit 380.000 die Zahl der Ausgetretenen rund ein Drittel höher ist als im Vorjahreszeitraum. Damit sind erstmals die Mitglieder der beiden großen Kirchen in Deutschland in der Minderheit.2 Deutschland ist ein pluralistisches, multiethnisches, multireligiöses Land. Gläubige, Andersgläubige und Ungläubige müssen miteinander auskommen. In unserem Grundgesetz heißt es: »Es besteht keine Staatskirche.« Dieser entscheidende Satz in Artikel 137 Absatz 1 der Weimarer Reichsverfassung ist in unser Grundgesetz durch Artikel 140 übernommen worden. Er ist die Grundlage für das Verhältnis von Kirche und Staat in Deutschland. Das Bundesverfassungsgericht hat diesen Artikel dahingehend präzisiert, dass das Grundgesetz »dem Staat als Heimstatt aller Bürger ohne Ansehen der Person weltanschaulich-religiöse Neutralität auferlegt. Es verwehrt die Einführung staatskirchlicher Rechtsformen und untersagt auch die Privilegierung bestimmter Bekenntnisse.«3 Dennoch: Die beiden großen Kirchen genießen nach wie vor eine Vielzahl von Privilegien, die eklatant gegen das staatliche Neutralitätsgebot verstoßen. Die Trennung von Kirche und Staat findet nicht statt: nicht in der Gesetzgebung, nicht in der Fiskalpolitik, nicht in der Medienpolitik, schon gar nicht in den Hochämtern und Niederungen der Politik. Aktuelles Beispiel? In Berlin, dem letzten noch konkordatfreien Bundesland, steht ein neuer Staatsvertrag mit dem »Heiligen Stuhl« kurz vor seinem Abschluss. Dazu der Hinweis: Die Idee von Staatsverträgen zwischen Kirchen und Nationalstaaten oder einzelnen Gliederungen davon stammt noch aus einer Zeit, in der Kirche und Staat gemeinhin als eine Einheit betrachtet wurden. Kaiser und König galten als »Herrscher von Gottes Gnaden«. Solche historischen Überbleibsel haben auch heute noch Gültigkeit und erlauben es den Kirchen, weltliche Gesetze – wie etwa das Arbeits- und Streikrecht – in ihren Einrichtungen nicht vollumfänglich umzusetzen. Religiöse Gemeinschaften berufen sich hier gerne auf »kirchliches Selbstbestimmungsrecht«. Allerlei Privilegien wie zum Beispiel bei Vermögensangelegenheiten sind häufig noch einmal gesondert festgehalten. Auch im pädagogischen und schulischen Bereich garantiert der Berliner Staatsvertrag der katholischen Kirche zahlreiche Privilegien und sichert ihren Einfluss, etwa durch vertraglich festgehaltene Erziehungsziele wie: »Die Jugend ist in der Ehrfurcht vor Gott und im Geiste der christlichen Nächstenliebe zu erziehen.« Ein an der staatlichen Humboldt-Universität geplantes Zentralinstitut für Katholische Theologie ist ebenfalls Gegenstand des ersten katholischen Staatsvertrags des Landes. Dort sollen das »Studienangebot, die organisatorische Verankerung des Instituts an der Universität sowie die Berufung von Professorinnen und Professoren« fortan unter Federführung der christlichen Organisation stattfinden. Das Verfassungsgebot der Trennung von Kirche und Staat, wird also auch hier von der rot-grünen Landesregierung ignoriert. Keine Frage: Das staatliche Neutralitätsgebot wird massiv und beständig missachtet. Ob Subventionen für Kirchentage, Finanzierung theologischer Fakultäten an staatlichen Universitäten, Kirchenredaktionen in Landesrundfunkanstalten bis hin zum wöchentlichen »Wort zum Sonntag« – eines der ältesten Fernsehformate des deutschen Fernsehens. Jeden Samstagabend, meist nach den Tagesthemen und vor dem Spätfilm, gibt es für die christlich-abendländische TV-Nation vier Minuten geistige Durchlüftung. Mal darf ein evangelischer Pfarrer über die Wohltaten Luthers referieren, mal ein katholischer Kollege die Jungfrau Maria loben. Rabbiner, Imame, Buddhisten, Atheisten haben kein Rederecht. Der ehemalige EKD-Ratsvorsitzende Nikolaus Schneider hielt die Sendung für eine »wohltuende Unterbrechung im Getriebe des Alltags« und einen »niedrigschwelligen Berührungspunkt mit dem Evangelium«.4 Sie gleicht eher einem vierminütigen religiösen Frontalunterricht. Das alles ist in unseren Rundfunkgesetzen geregelt. Diese verpflichten die Sender dazu, Gottesdienste, Morgenandachten und allerlei andere Kirchenbotschaften auszustrahlen. Die Öffentlich-Rechtlichen produzieren und finanzieren diese Sendungen selbst – will heißen: mit Geldern aus GEZ-Gebühren, die alle bezahlen, auch Konfessionslose und Ungläubige. Noch einmal: Deutschland ist ein säkularer Verfassungsstaat. Ob eine religiöse Gemeinschaft oder ein Einzelner dennoch Sonderrechte beanspruchen kann, darüber herrscht mitunter Unstimmigkeit. Ist eine rituelle Genitalbeschneidung bei Jungen ein akzeptables religiöses Ritual oder eine schmerzhafte Körperverletzung? So hatte das Landgericht Köln im Mai 2012 über einen operativen Notfall zu urteilen, bei dem es nach einer Beschneidung aufgrund von Nachblutungen zu Komplikationen gekommen war. Die Richter hatten entschieden: »Die operative Entfernung der Penisvorhaut des minderjährigen Patienten hatte ohne medizinische Notwendigkeit stattgefunden.« Und weil die Amputation eines gesunden Körperteils zwingend der Aufklärung und schriftlichen Einwilligung des Patienten bedarf, der in diesem Fall nicht einwilligungsfähig war, warf die Staatsanwaltschaft dem »Beschneider« vor, »eine andere Person mittels eines gefährlichen Werkzeugs körperlich misshandelt und an der Gesundheit geschädigt zu haben«. Das Gericht folgte der Anklage und entschied: Die rituelle Beschneidung erfüllt den Tatbestand einer Körperverletzung.5 Ein Sturm der Entrüstung brach los – im Epizentrum die brisante Frage: Was wird in Deutschland höher bewertet – das Recht männlicher Kinder, die religiöse Eltern haben, auf körperliche Unversehrtheit oder das Recht religiöser Eltern, ihre Rituale auf ihre Söhne zu übertragen, auch wenn dies einen schmerzhaften Eingriff zur Folge hat? Kindeswohl contra Religionsfreiheit? Diese sahen die religiösen Eltern mit dem Kölner Urteilsspruch in Gefahr und sie bekamen lautstarke Unterstützung von Seiten ihrer offiziellen Religionsfunktionäre – ob Zentralrat der Juden, muslimische Gemeinden, deutsche Bischöfe. … Sie alle werteten das Urteil als eklatanten Angriff auf die Ausübung ihres Glaubens. Jüdische Glaubensfunktionäre behaupteten, die ganze Welt akzeptiere die Beschneidungspraxis, nur die Deutschen nicht. Wer sich für das Kindeswohl einsetzte, galt schnell als Antisemit. Auch wenn es hier nicht um...


HELMUT ORTNER, Jahrgang 1950, hat bislang mehr als zwanzig Bu¨cher, u¨berwiegend politische Sachbu¨cher und Biografien veröffentlicht. Im Nomen Verlag erschienen: »Der Hinrichter – Roland Freisler, Mörder im Dienste Hitlers«, »Der einsame Attentäter – Georg Elser«, »Fremde Feinde – Sacco & Vanzetti, ein Justizmord« sowie »Ohne Gnade – Eine Geschichte der Todesstrafe«, »EXIT – Warum wir weniger Religion brauchen – Eine Abrechnung« und »Widerstreit – Über Macht, Wahn und Widerstand«. Zuletzt veröffentlichte er den Essayband »Volk im Wahn – Hitlers Deutsche oder Die Gegenwart der Vergangenheit«. Seine Bu¨cher wurden bislang in 14 Sprachen u¨bersetzt.


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