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E-Book, Deutsch, 246 Seiten

Ortner Georg Elser

Der einsame Attentäter - Der Mann, der Hitler töten wollte

E-Book, Deutsch, 246 Seiten

ISBN: 978-3-939816-89-8
Verlag: Nomen Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Am 8. November 1939 um 21.20 Uhr explodiert eine Bombe im Münchener Bürgerbräukeller und reißt sieben Menschen in den Tod. Doch der, dem der Anschlag gilt, ist bereits früher als geplant aufgebrochen: Adolf Hitler. Noch am selben Abend wird der Schreinergeselle Georg Elser an der Schweizer Grenze festgenommen. Er hat die Bombe gebaut.

Eine jahrelange Odyssee als »besonderer Schutzhäftling« durch Gefängnisse und Konzentrationslager beginnt - sie endet mit seiner Ermordung in Dachau, 20 Tage vor dem Einmarsch der Amerikaner. Doch wer war der Mann, der Hitler töten wollte?

Auf der Basis von umfangreichen Recherchen sowie von Gesprächen mit Zeitzeugen rekonstruiert Helmut Ortner die Lebensgeschichte des Attentäters. Georg Elser war kein Held. Er war ein einfacher, mutiger Mann.
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Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


Die Verhaftung 9
Das Attentat 19
Die Verhöre 37
Ein Volk, ein Reich, ein Führer 47
Das Geständnis 59
Geheime Gestapo-Sache 73
Königsbronner Jahre 85
Aufbruch in die Fremde 97
Rückkehr in ein »deutsches Dorf« 111
Der Entschluß - der Plan 135
Die Nächte im Saal 163
»Verschärfte Vernehmung« 191
Der Tod des Schutzhäftlings E. 207
Georg Elser - Ein Mann ohne Ideologie 221

Zeittafel 229
Quellen- und Literaturverzeichnis 233
Nachwort zur Neuausgabe 240


Erstes Kapitel
Die Verhaftung
Die Grenze lag in leichtem Nebel. Der Zollbeamte Xaver Reitlinger blickte über die Büsche hinweg zum Maschenzaun, der im Licht der Bogenlampe eigenartig bizarr wirkte. »Wir stellen die Stühle hierher, da können wir den Abschnitt im Aug’ behalten und die Rede gut hören«, meinte Reitlinger und winkte Zapfer herbei, einen jungen Hilfszollangestellten, der ihm vor zwei Tagen zur Seite gestellt worden war. Zapfer rückte die beiden Stühle unter das Fenster. Wortlos setzten sie sich. Ihre Karabiner lehnten sie gegen die Hauswand. Von hier aus konnten sie den gesamten Kontrollabschnitt überblicken: den Garten des Wessenbergschen Kinderheims, zweihundertfünfzig Meter parallel zur Grenze und nicht breiter als fünfzig Meter. Hier gab es keinen Übergang. »Grüne Grenze« nannten die Zöllner den Grenzstreifen. Seit vier Jahren tat Xaver Reitlinger seinen Dienst. Besondere Vorkommnisse hatte er in dieser Zeit nicht erlebt. Jetzt aber, nach Kriegsbeginn, zog es Deserteure in die Schweiz. Manchmal stellte er sich vor, einen dieser illegalen Grenzgänger festzunehmen. Dann überlegte er, ob dieser Wunsch der zähen Langeweile von stundenlangen Patrouillengängen entsprang oder seinem heimlichen Bedürfnis, es möge doch einmal etwas Unvorhergesehenes, etwas Aufregendes passieren. Vielleicht verbarg sich hinter ihm auch nur der tiefe Wunsch nach Anerkennung. Einmal ein Lob für die Arbeit, wer brauchte das nicht? Wie aber konnte er gelobt werden, wenn an der Grenze nichts passierte? Reitlinger ging immer wieder seinen Träumen nach, wenn er stundenlang am Grenzzaun entlangstreifte, auf die immer gleichen Häuser, Bäume und Hügel schaute. Dann schien es, als sei die Zeit stehengeblieben. Wenn ihm danach war, erzählte er seiner Frau von seinen Gedanken und Träumen. Vor Wochen hatte er ihr beim Frühstück von einem nächtlichen Traum berichtet, der Festnahme eines Mannes. »Mir scheint, du brauchst Abwechslung, sonst wirst du noch phantasieren«, hatte sie kopfschüttelnd zu ihm gesagt. Nach dem Frühstück war er damals – trotz seines freien Tages – hinüber zum Zollhaus gegangen, um dem Postenführer seinen Traum zu erzählen. »Du solltest mal Nachtwache machen, da passiert mehr als am Tag – wenn was passiert«, riet ihm Trabmann. Danach berichtete der Postenführer, ein untersetzter Mann, dem man seine Fünfzig nicht ansah, wie er selbst vor Jahren mit einem Kollegen zwei illegale Grenzgänger unten am Kreuzlinger Tor gestellt habe. »Die wollten gerade über den Zaun, aber wir waren schneller«, erzählte er stolz. »Doch was haben wir dafür bekommen? Einen warmen Händedruck.« Trabmann lächelte spöttisch. Gestern, er hatte die Angelegenheit längst vergessen, war Reitlinger in das Büro des Postenführers gerufen worden. Trabmann fragte ihn, ob er noch immer Nachtdienst machen wolle. Ein Kollege sei ausgefallen. Reitlinger hatte sofort zugesagt. In der Früh war er mit Zapfer zum Vormittagsdienst angetreten, von acht bis zwölf. Routinearbeit. Danach hatte er freigehabt bis abends um acht Uhr. Im »Löwen«, gleich neben dem Zollhaus, hatten sie sich eine halbe Stunde vor Dienstbeginn getroffen. Über Politik wurde geredet, darüber, daß die Deutschen Lebensraum brauchten. Der Wirt rief: »Freilich, wie soll sich denn sonst ein so großes Volk wie unseres ernähren?« Der junge Zapfer nickte zustimmend. Nach dem Essen gingen sie ins Zollhaus und nahmen ihre Karabiner aus dem Regal. Reitlinger ließ sich vom Postenführer noch ein Nachtfernglas aushändigen. Dann brachen sie zu ihrem Postenbereich auf. »Heut abend werden wir keine Langeweile haben, wir werden uns die Bürgerbräu-Rede des Führers anhören«, sagte Reitlinger zu Zapfer, während sie langsam am Grenzzaun entlanggingen. »Ich habe schon mit der Leiterin gesprochen, sie hat es uns angeboten.« Jetzt saßen sie auf den Stühlen vor dem geöffneten Fenster und schauten hinüber zur Grenzwiese. Dünne Nebelschwaden lagen in der Luft. Im Kinderheim verfolgte das Personal aufmerksam Hitlers Rede aus dem Volksempfänger. An der Wand des kargen Raumes hing ein Bild des Führers. Das Licht brannte. »Wieso darf hier eigentlich Licht brennen?« fragte Zapfer überrascht. Reitlinger, der seinen Kopf in regelmäßigem Intervall nach rechts und links bewegte, nahm sein Fernglas von den Augen: »Heut müssen sie auf der anderen Seite ihr Licht ausmachen. Das wird jeden Abend gewechselt. Des ist wegen dem Feind. Schließlich wollen wir denen des hier in Konstanz nicht zu leicht machen. Des ist Vorschrift. Heut die, morgen wir …« Zapfer war es peinlich, die Frage gestellt zu haben. Als angehender Zollbeamter sollte er darüber Bescheid wissen. Doch Reitlinger war nicht nachtragend, das beruhigte Zapfer. Aus dem Volksempfänger dröhnte Hitlers markige Stimme: Unser Wille ist genauso unbeugsam im Kampfe nach außen, wie er einst unbeugsam war im Kampfe um diese Macht im Innern. So wie ich Ihnen damals immer sagte: Alles ist denkbar, nur eines nicht, daß wie kapitulieren, so kann ich das als Nationalsozialist auch heute nur der Welt gegenüber wiederholen: Alles ist denkbar, eine deutsche Kapitulation niemals! Wenn man mir darauf erklärt: Dann wird der Krieg drei Jahre dauern, so antworte ich: Er kann dauern, so lange er will, kapitulieren wird Deutschland niemals. Jetzt nicht und in alle Zukunft nicht … »Niemals!« rief eine Stimme im Raum. Die Zuhörer klopften mit ihren Handflächen auf den Holztisch. Reitlinger und Zapfer machten eher nachdenkliche Gesichter. Keiner von beiden sprach ein Wort. Die Wanduhr zeigte halb neun. Mittlerweile war die Sicht besser geworden. Auf der Schweizer Seite sah man zwei Laternen brennen, deren Lichtkegel bis zum Grenzzaun fielen. Als Reitlinger für einen Moment nach links blickte, glaubte er schemenhaft die Gestalt eines Mannes wahrzunehmen, der sich in Richtung schweizerische Grenze bewegte. War da jemand? Er nahm sein Fernglas: Tatsächlich, der Mann war jetzt stehengeblieben und schaute vorsichtig um sich. Reitlinger stieß Zapfer mit dem Arm an und reichte ihm das Fernglas: »Schau mal, siehst du den Mann?« Zapfer hielt es vor seine Augen: »Da müssen wir hin, da ist was faul …« Reitlinger reagierte unwirsch: »Ich geh’ da hin. Du bleibst hier sitzen.« Das war seine Sache, er trug hier die Verantwortung. Er sprang auf und ging von der Terrasse hinunter in Richtung Birnbaum nahe dem Zaun. Der Mann stand noch immer regungslos, so als würde er Geräuschen lauschen. Reitlinger schlich sich von hinten an ihn heran. »Hallo!« rief er ihn an. »Wo wollen Sie hin?« Der Mann drehte sich ruckartig herum. Stotternd antwortete er: »Ich glaub’, ich hab’ mich verlaufen.« Reitlinger sah ihm ins Gesicht: ein längliches, weiches Gesicht, bartlos, fast scheue Augen. Er trat einen Meter zurück und musterte den Mann. Dieser war von kleiner Gestalt, schmächtig und trug einen Mantel, aber keine Kopfbedeckung. Sein Haar war leicht gewellt und nach hinten gekämmt. Nein, aggressiv wirkte dieser Mann nicht … Er schien sich rasch von seinem Schrecken zu erholen. Mit ruhiger Stimme betonte er noch einmal, sich verlaufen zu haben: »Ich suche einen Mann mit dem Namen Feuchtlhuber, aber ich weiß es nicht mehr genau.« Reitlinger war für einen Augenblick verwirrt. Hierher konnte sich kein Mensch versehentlich verlaufen, das mußte schon absichtlich geschehen. Wer läuft im Dunkeln an der Grenze herum? »Ja, Sie können doch nicht hier suchen, hier ist doch niemand«, antwortete er knapp. »Haben Sie Ausweispapiere? Zeigen Sie mir mal Ihre Papiere.« Der Mann reagierte sofort und griff in seine linke Rocktasche. Konzentriert blickte Reitlinger auf die Hände des Fremden. Wollte dieser etwa eine Waffe ziehen? Ihn überrumpeln? Er hielt den Atem an. Der Mann zog umständlich eine rote Grenzkarte hervor. Im Schein seiner Taschenlampe sah Reitlinger sofort, daß die Karte längst abgelaufen war – ausgestellt von der Paßstelle des Stadtrates in Konstanz für eine Dauer von zwei Jahren: 1933–1935, ausgestellt auf den Namen Georg Elser. »Bist du das wirklich?« fragte Reitlinger skeptisch. Das Lichtbild auf der Karte zeigte einen jungen Burschen, der, in einen Trachtenanzug gekleidet, eine Ziehharmonika vor sich hielt. »Ja, das bin ich«, antwortete der Mann und nickte heftig. Reitlinger sah hinüber zu Zapfer, der noch immer vor dem Fenster saß und darauf wartete, von ihm ein Zeichen zu bekommen. Er fühlte sich gar nicht wohl in seiner Haut. Einerseits wirkte dieser Mann ganz und gar ungefährlich, ja geradezu schüchtern; andererseits konnte er sich nicht vorstellen, daß es sich bei ihm nur um einen harmlosen...


Helmut Ortner hat bislang mehr als zwanzig Bücher - überwiegend politische Sachbücher - veröffentlicht, u.a. »Der Hinrichter - Roland Freisler, Mörder im Dienste Hitlers«, »Fremde Feinde - Der Justizfall Sacco & Vanzetti« sowie »Ohne Gnade - Eine Geschichte der Todesstrafe« (2020). Zuletzt erschien sein vielbeachteter Essay-Band »Widerstreit – Über Macht, Wahn und Widerstand« (2021). Seine Bücher wurden bislang in 14 Sprachen übersetzt. Helmut Ortner ist Mitglied bei Amnesty International und im Beirat der Giordano-Bruno-Stiftung.


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