Papier | Freiheit in Gefahr | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 288 Seiten

Papier Freiheit in Gefahr

Warum unsere Freiheitsrechte bedroht sind und wie wir sie schützen können. Ein Plädoyer von Deutschlands höchstem Richter a.D.

E-Book, Deutsch, 288 Seiten

ISBN: 978-3-641-27480-1
Verlag: Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Freiheit ist die Grundbedingung gelingender Gesellschaften. Diese Erfolgsformel scheint leichtfertig in Vergessenheit zu geraten. Mit Sorge beobachtet Hans-Jürgen Papier, wie unsere einst hart erkämpften Freiheitsrechte Stück für Stück beschnitten werden. Für den ehemaligen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts gilt: Auch und gerade in Krisenzeiten, bei der notwendigen Sicherstellung von Gesundheit, beim Schutz vor Bedrohungen durch Terrorismus, Klimawandel und wirtschaftliche Krisen darf die Freiheit nicht aufs Spiel gesetzt werden. Hans-Jürgen Papier zeigt auf, welchen Herausforderungen wir uns heute gegenübersehen und welche Lösungen erforderlich sind, um unser legitimes Bedürfnis nach Sicherheit nicht gegen die Freiheit auszuspielen. Für den Bundesverfassungsrichter selbst war das Prinzip der Freiheit stets Grundlage und Leitgedanke all der Entscheidungen, an denen er mitgewirkt hat; darunter einige wegweisende Urteile, die die Bürgerrechte in unserem Land gegen versuchte Übergriffe dauerhaft geschützt und gestärkt haben.
Papier Freiheit in Gefahr jetzt bestellen!

Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


Einleitung Die Sache mit der Freiheit Ob in Hamburg, München, Frankfurt oder Dresden, in Wustrow, Füssen, Mettmann oder anderswo – für uns Bürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik Deutschland ist Freiheit vor allem eins: eine Selbstverständlichkeit. Selbst wenn den meisten von uns bewusst ist, dass wir nicht jede spontane Idee jederzeit sofort verwirklichen können, gehen wir doch davon aus, dass wir grundsätzlich die freie Wahl haben, das heißt in unseren Entscheidungen über die Gestaltung unseres Lebens und unseres Alltags frei sind. Selbstverständlich bestimmen wir, wo wir wohnen oder wann wir das Haus verlassen; mit wem wir einen Kaffee oder ein Bier trinken, selbstverständlich lassen wir uns nicht diktieren, wen wir lieben und mit wem wir befreundet sein sollen. Ob wir in die Kirche, die Moschee oder die Synagoge gehen, ist in unser eigenes Ermessen gestellt. Wie wir unsere Meinung bilden, sie äußern und verbreiten, ist unserer Entscheidung überlassen. Selbstverständlich sind uns auch die freie Wahl der Ausbildung, des Studiums, des Berufs, der Arbeitsstätte sowie das Recht auf freien Erwerb von Eigentum und nicht zuletzt das Recht auf freie Wahl der Partnerschaft anheimgestellt. Und reisen können wir im Großen und Ganzen, wie und wohin wir wollen. Wie bedeutsam unsere Freiheit und die Grundrechte, die sie absichern, für unsere Lebensgestaltung sind, wird sofort und schmerzlich spürbar, wenn sie eingeschränkt werden. Genau diese Erfahrung machen wir in Deutschland seit Mitte März 2020, nachdem von einem Tag auf den anderen als Reaktion auf die pandemische Ausbreitung des neuartigen SARS-CoV-Virus öffentliches Leben und Wirtschaft in der Bundesrepublik flächendeckend heruntergefahren und die meisten unserer Freiheitsrechte, über die wir uns im Alltag kaum Gedanken machen, ausgesetzt oder stark eingeschränkt wurden. Diese Zeit der Restriktion war zwar zunächst nur von einer begrenzten Dauer, Lockerungen folgten, und die schrittweise Rückkehr in Richtung Normalität wurde angestrebt. Doch im Herbst 2020 folgte der nächste sogenannte Lockdown, und trotz aller Bemühungen und entgegen der ursprünglichen Beteuerungen der Regierenden war Ende April – sechs Monate später – immer noch kein Ende in Sicht. Es zeigte sich, dass der Weg bis zur Aufhebung aller Restriktionen auch mit Zulassung der ersten Impfstoffe noch einige Zeit in Anspruch nehmen würde. Wie kein anderes Ereignis machte die Pandemie uns deutlich, dass es uns mit unseren Grundrechten beziehungsweise Freiheitsrechten in etwa so geht wie mit der Luft zum Atmen: Sind sie vorhanden, nehmen wir sie nicht wahr, fehlen sie, leiden wir unter diesem Mangel. Friedrich Schiller hat diese paradoxe Erfahrung bereits vor über zweihundert Jahren in Worte gefasst, als er schrieb: »… die schönsten Träume von Freiheit werden ja im Kerker geträumt.«1 Ist uns, weil wir als Gesellschaft so lange daran gewöhnt sind, frei zu sein, das Bewusstsein für Freiheit und ihren Wert abhandengekommen? Verstehen wir Freiheit nur noch im konsumistischen Sinn von Freisein in der Wahl von Konsumgütern? Haben wir, während wir uns ständig mit den neuesten Kleidermoden und Einrichtungstrends, Freizeit- und Reisemöglichkeiten beschäftigen und permanent aufgefordert sind, uns zwischen dieser und jener Bedürfnisbefriedigung zu entscheiden, aus den Augen verloren, dass Freiheit auch eine politische Dimension hat? Vielleicht. Wir brauchen nur einen Blick auf die ehemalige DDR und die anderen untergegangenen Systeme des Ostblocks zu werfen: Dort war der Wunsch nach Reise- und Meinungsfreiheit die wesentliche Triebkraft für das Erstarken der Bürgerrechtsbewegungen; dazu herrschte aber auch in vielen anderen Bereichen des Lebens häufig schmerzlich empfundene Unfreiheit, so für viele etwa bei der Studien- und Berufswahl oder der Möglichkeit, sich außerhalb des bestehenden Parteiapparats mit seinen Hierarchien und Zwängen politisch zu betätigen. Und schauen wir uns um: Es gibt immer wieder Länder und Weltregionen, in denen die herrschenden Regime ihre Politik auf unmittelbare Gewalt oder religiöse Dogmen gründen. Im Iran oder im Königreich Saudi-Arabien, aber auch in Ägypten, dem Jemen, den palästinensischen Gebieten, Indonesien, Pakistan, Malaysia, dem Sudan und in Teilen weiterer afrikanischer Staaten existieren etwa islamische Religionspolizeien, die aus der Scharia abgeleitetes Recht zur Unterdrückung abweichender Meinungen durchsetzen, wobei die Anwendung von Körperstrafen keine Seltenheit ist. Insbesondere den Frauen werden hier viele von uns als selbstverständlich erachtete Rechte vorenthalten. Welche Freiheiten statthaft sind und für wen sie gelten, ist und war immer umkämpft und hängt von vielen Faktoren, wie dem Stand des Wissens und der Wissenschaften sowie den vorherrschenden gesellschaftlichen Einstellungen, ab. So verfügten die Bürger in den antiken Demokratien über ethisch wohlbegründete Freiheitsrechte, die sie vor tyrannischer Willkür und Unterdrückung schützten, was aber nicht für die Sklaven galt, die unter Zwang deren Wohlstand erarbeiten mussten. Sie hatte man aus dem philosophischen und rechtlichen Diskurs über die Freiheit ausgegrenzt, und so kamen sie auch nicht in den Genuss ihrer Segnungen. Wer meint, bei diesem Beispiel handle es sich um eine längst überholte Fragestellung, ein philosophisches und rechtliches Problem, das sich seit vielen Jahrhunderten erledigt habe, braucht nur in unser Nachbarland Schweiz zu schauen, das sich selbst als Musterland der Demokratie begreift und erst 1971 das Wahlrecht für Frauen eingeführt und somit das Recht auf politische Mitbestimmung auf den weiblichen Teil der Bevölkerung ausgeweitet hat. Mich persönlich hat das Thema Freiheit mein gesamtes berufliches Leben begleitet. Als Staatsrechtswissenschaftler, insbesondere aber als Richter, als Richter des Bundesverfassungsgerichts und schließlich als dessen Präsident, war ich immer wieder damit befasst, zu untersuchen und zu beurteilen, was Freiheit für das Zusammenleben der Menschen bedeutet, wie sie in unserer Verfassung, dem Grundgesetz, verankert ist und unser Rechtssystem überhaupt erst begründet. Viele Male galt es dabei abzuwägen, wie die Spannungen ausbalanciert werden können und sollen, die sich ergeben, wenn staatlich garantierte Freiheitsrechte des Individuums gegenüber der Staatsgewalt mit Belangen des Gemeinwohls, etwa den ebenfalls wichtigen Sicherheitserfordernissen, in Konflikt geraten – wenn es zum Beispiel darum geht, das Leben von Bürgerinnen und Bürgern vor terroristischer Bedrohung oder den Folgen von Umweltzerstörungen und anderen Katastrophen zu schützen. Das ist selten eine leichte Aufgabe für die Entscheider – wie jetzt in der Corona-Pandemie beobachtet und erfahren werden kann. Ganz pauschal möchte ich aber schon an dieser Stelle sagen, dass die wesentliche Bedeutung der Freiheit für unsere staatliche Ordnung und unser Selbstverständnis immer als Maßstab genommen werden muss. Was es bedeutet und wie entscheidend es ist, frei zu sein, erfuhr ich bereits in jungen Jahren. Aufgewachsen im West-Berlin des Kalten Krieges, habe ich den Mauerbau und viele weitere Aspekte des DDR-Unrechtsregimes aus nächster Nähe erlebt. Angesichts militärisch aufgerüsteter Grenzanlagen und langer Stunden Wartezeit im Transit bekam die Idee von Freiheit für mich eine besondere und persönliche Bedeutung. Ich erinnere mich noch heute, wie wir in den Sechziger- und Siebzigerjahren mit unserem VW-Käfer bisweilen stundenlang am Grenzübergang Babelsberg auf die Einreise in die DDR oder, wenn wir, aus dem Bundesgebiet kommend, die DDR durchquert hatten, auf die Einreise in unsere Heimatstadt warteten. Hier mussten wir, als die Reihe endlich an uns war, unser gesamtes Gepäck ausladen, und die Grenzsoldaten durchsuchten akribisch den Wagen. Dabei hoben sie sogar die Rückbank wegen darunter vermuteter geschmuggelter Waren, Dokumente oder gar Republikflüchtlinge an. Selbstverständlich waren wir und insbesondere unsere Kinder immer froh, wenn wir das hinter uns hatten und an den Grenzsoldaten mit ihren Maschinenpistolen vorbei waren. Hätte ich nur wenige Kilometer weiter östlich gelebt und meinen Bildungsweg statt in West-Berlin in Ost-Berlin, der Hauptstadt der DDR, absolvieren müssen, wäre mir das Studium der Rechtswissenschaft mit Sicherheit verwehrt gewesen, da meine Eltern nach DDR-Diktion nicht zur Arbeiterklasse gehörten. Als Sohn einer Bäckermeisterfamilie hätte ich wohl als Angehöriger der »Bourgeoisie« gegolten und als solcher aller Wahrscheinlichkeit nach nicht studieren dürfen. Nach meiner ersten juristischen Staatsprüfung 1967 in Berlin machte ich dort mein Referendariat und wurde Assistent bei Staatsrechtsprofessor Karl August Bettermann an der Freien Universität Berlin. Es war die Zeit der APO und der Studentenunruhen. Als Referendar hatte ich nur wenig direkte Berührungspunkte mit den Protesten. Ich erinnere mich aber, dass ganze Semester lang wichtige Lehrveranstaltungen ausfallen mussten, weil die Hörsäle verbarrikadiert waren. Für Studentinnen und Studenten hieß das unter anderem, dass Klausuren nicht geschrieben und Scheine nicht gemacht werden konnten, sie also in ihrem Fortkommen empfindlich behindert wurden. Professor Bettermann erging es wie vielen seiner Kollegen auch, er wurde bei den sogenannten Streiks mitunter sogar durch physische Gewalt an der Lehre gehindert. Heute wundere ich mich angesichts dieser Ereignisse manchmal, wenn es heißt, Radikalisierung und Spaltung der Gesellschaft nähmen rasant zu. Als 1967 der Besuch des Schahs von Persien bevorstand, der wegen schwerer Menschenrechtsverletzungen international in...


Papier, Hans-Jürgen
Prof. em. Dr. Dres. h.c. Hans-Jürgen Papier wurde im Februar 1998 zum Vizepräsidenten und im April 2002 zum Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts ernannt. Wegweisend in seiner Amtszeit war unter anderem das Urteil gegen die Vorratsdatenspeicherung – ein weitreichender Richterspruch zum Schutz der Freiheitsgarantien der Bürger. Nach 12 Jahren schied Prof. Papier 2010 aus dem Bundesverfassungsgericht aus und nahm seine frühere Tätigkeit als Professor an der Ludwig-Maximilians-Universität in München wieder in vollem Umfang auf. Seit 2011 ist er emeritiert und nach wie vor in der Lehre tätig.


Ihre Fragen, Wünsche oder Anmerkungen
Vorname*
Nachname*
Ihre E-Mail-Adresse*
Kundennr.
Ihre Nachricht*
Lediglich mit * gekennzeichnete Felder sind Pflichtfelder.
Wenn Sie die im Kontaktformular eingegebenen Daten durch Klick auf den nachfolgenden Button übersenden, erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Ihr Angaben für die Beantwortung Ihrer Anfrage verwenden. Selbstverständlich werden Ihre Daten vertraulich behandelt und nicht an Dritte weitergegeben. Sie können der Verwendung Ihrer Daten jederzeit widersprechen. Das Datenhandling bei Sack Fachmedien erklären wir Ihnen in unserer Datenschutzerklärung.