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E-Book

E-Book, Deutsch, 908 Seiten

Paul Finstertann

Das Lager

E-Book, Deutsch, 908 Seiten

ISBN: 978-3-7562-0572-1
Verlag: Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Deutschland, in den letzten Kriegstagen 1945: Der Offizier Stefan Preußler wird in das Konzentrationslager Finstertann im Bayerischen Wald versetzt. Er bemerkt früh, dass hier nichts so ist, wie es sein sollte. In den Baracken tauchen immer wieder Menschen auf, die längst tot sind, und im Wald treibt sich eine unheimliche Kreatur herum, die Jagd auf die Soldaten macht. Stefan wird von dem Kommandanten Manfred Lorenz damit beauftragt, die mysteriösen Vorfälle zu untersuchen. Während seiner Ermittlungen lernt er die Jüdin Rachel Blumberg kennen - und lieben. Gemeinsam mit ihr stößt er auf einen uralten Fluch, der die Toten nicht ruhen lässt und ganz Finstertann zu vernichten droht. Stefan setzt alles daran, die Häftlinge im Lager zu retten. Er ahnt jedoch nicht, dass sich unterhalb von Finstertann ein weiteres Geheimnis verbirgt. Eines, das ihn an den Rand seiner Vorstellungskraft bringt - und den Krieg entscheidend verändern kann ...

Thomas Paul, Jahrgang 1980, lebt und arbeitet in der Nähe von Stuttgart. Er schreibt nicht nur Fantasy-Romane und Thriller für Erwachsene, sondern auch Jugendbücher. Mehr Infos über seine neuesten Projekte finden Sie auf seiner Homepage. E-Mail: thomaspaul-autor@web.de Internet: thomaspaul-autor.de
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Autoren/Hrsg.


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Prolog
Die Dusche unter der Erde
  Die Soldaten kamen um Mitternacht und holten die Häftlinge aus Baracke 17. Zum Duschen, dachte Samuel. Doch er wollte nicht duschen. Er war erst neun Jahre alt und verstand nicht allzu viel von dem, was hier vor sich ging, aber er hatte längst erkannt, dass mit den Duschen irgendwas nicht stimmte. Jedes Mal, wenn die Erwachsenen darüber sprachen, tuschelten sie ängstlich hinter vorgehaltener Hand. Sein Freund Joshua war letzte Woche zum Duschen gegangen und seitdem verschwunden, und Samuels Vater musste gestern ebenfalls in diese komische Dusche unter der Erde. Und auch er hatte sich bis jetzt nicht zurückgemeldet. Nein, fand Samuel, mit den Duschen in diesem Konzentrationslager stimmt etwas ganz und gar nicht. Er hatte ja schon immer gewusst, dass Waschen ungesund war! Die deutschen Soldaten sahen das natürlich vollkommen anders. Sie schwärmten nahezu von ihrer Dusche und sorgten gewissenhaft dafür, dass die Körperpflege ihrer Gäste nicht zu kurz kam. Warum sonst hätten sie mitten in der Nacht in die Baracke kommen sollen? Sie sprengten mit einem Stiefeltritt die Tür auf und stürmten brüllend ins Innere; schwer bewaffnet mit Gewehren sowie zwei Schäferhunden, die an ihren Ketten zerrten und ein wütendes Gebell anstimmten. »Alle aufstehen!«, schrie der befehlshabende SS-Offizier. Auf seiner Uniform und der Mütze glitzerten Schneeflocken, und sein Atem dampfte in der Kälte wie der eines menschenfressenden Drachen. »Wird’s bald?« Gleichzeitig betätigte ein Soldat den Lichtschalter neben der Tür. An der Decke sprangen mehrere Glühlampen an und rissen die Baracke aus ihrer schläfrigen Dunkelheit. Die Frauen und Kinder hatten sich erst vor einer Stunde in die Stockbetten gepfercht, um sich von dem arbeitsreichen Tag auszuruhen, und deshalb hoben die meisten von ihnen im ersten Moment nur müde die Köpfe. Der Offizier zeigte jedoch keine Geduld mit ihnen. Er trat an das erstbeste Bett heran, packte zwei Mädchen und zog sie ungestüm in die Höhe. »Aufstehen, habe ich gesagt!« Die Mädchen kreischten und schlugen so hart auf den Holzboden, dass zwischen den Brettern eine Staubwolke emporstieg. Ihr Schmerz schien wie ein Lauffeuer über die anderen Frauen und Kinder zu rasen, denn plötzlich beeilten sich alle umso mehr, aus ihren Betten zu klettern. Hastig schlugen sie die Wolldecken beiseite, streiften sich die Schuhe über, angelten ihre Jacken von den Wandhaken. Trotzdem reagierten sie nicht schnell genug. Der Offizier brüllte pausenlos weiter. Die Hunde kläfften in einer donnernden Lautstärke und die Soldaten verteilten wahllos Faustschläge, um die Frauen und Kinder zu einem noch höheren Tempo anzutreiben. Samuel bekam von alledem nicht viel mit. Er lag mit seiner Mutter Judith ganz hinten in der Baracke und konnte nur einzelne Umrisse von den Soldaten erkennen. Vielleicht wäre er sogar wieder eingeschlafen, wenn Judith ihn nicht rigoros aus dem Bett gedrängt hätte. »Mach schon, beeil dich!«, forderte sie, während sie Samuel rasch die Jacke und Schuhe überstülpte. Zum Schluss nahm sie seine blauweiß-gestreifte Mütze und zog sie ihm so weit über den Kopf, dass Samuel kaum mehr etwas sah. Ob sie das wohl mit Absicht tat? Denn in ihren Augen flackerte ein seltsamer Ausdruck; einer, den Samuel nie zuvor bei ihr gesehen hatte, aber der ihn sofort in Unruhe versetzte. »Kann ich nicht hierbleiben? Ich habe mich doch schon vorhin gewaschen.« Samuel präsentierte ihr zum Beweis alle zehn Fingerchen. »Siehst du? Ich bin ganz sauber.« Judiths Mundwinkel zuckten. Vielleicht hätte ein Lächeln daraus werden sollen, doch es starb gleich wieder ab. »Ich fürchte, das geht nicht«, sagte sie bedrückt. Gleichzeitig ballte sie ihre Hand fest um die von Samuel zusammen. Nicht, um ihn zu schützen, sondern um Halt zu suchen. Denn ihr Herz klopfte so stark, dass Samuel ihren Puls wie einen leichten Stromschlag auf der Haut spüren konnte. »Komm jetzt, wir dürfen die Soldaten nicht warten lassen.« Judith drehte sich mit Samuel um. Die anderen Häftlinge hatten sich inzwischen vor den Stockbetten brav in einer Reihe aufgestellt. Viele Mädchen weinten, einige Jungen zitterten. Die meisten Frauen dagegen blieben stumm und trugen denselben düsteren Gesichtsausdruck, der auch von Judith Besitz ergriffen hatte. Als ob man sich hier mit Reißnägeln duschen müsste, fand Samuel. Er wandte sich wieder seiner Mutter zu und stellte fest, dass ihre Lippen bibberten. Jene Lippen, die früher so schön rot gewesen waren, aber jetzt in der Kälte so grau und spröde wie ein alter Putz aussahen. Und auch ihr restlicher Körper bebte unter der Jacke so sehr, dass Samuel beinahe ihre Knochen klappern hörte. Er lächelte aufmunternd. »Keine Sorge, Mama«, sagte er. »Wir müssen doch nur duschen. Ich glaube sogar, dass das Wasser dort warm ist.« Judith lächelte jetzt ebenfalls. Kurz und wehmütig. »Ja, Schatz«, bestätigte sie. »Ich bin mir sicher, dass wir es gleich warm haben werden.« Sie sah schüchtern nach vorne, lotete die Situation aus. »Hör zu, Samuel. Du musst mir versprechen, dass du deine Augen schließen und dir die Ohren zuhalten wirst, wenn ich es dir sage.« »Aber warum soll ich ...?« »Versprich es mir einfach!« Judiths Stimme war nur ein gedämpftes Flüstern, aber so scharf wie ein Messer. Samuel hatte auch diesen Ton noch nie von ihr gehört, und deshalb antwortete er aus reinem Reflex: »In Ordnung, Mama. Ich verspreche es.« Judith nickte und lächelte ein zweites Mal, jetzt viel authentischer. »Ich liebe dich. Bitte vergiss das niemals.« Sie beugte sich zu ihm herab und drückte einen Kuss auf seine Stirn. Ihre Lippen kratzten wie ein Stück Schleifpapier. »Bäh, Mama!«, protestierte Samuel. »Jetzt brauche ich wirklich eine Dusche ...« »Ruhe da hinten!«, fauchte eine Stimme. Samuel verschluckte den Rest seiner Worte, und auch sonst wurde es auf einmal drückend still in der Baracke. Niemand schluchzte oder heulte mehr, und kaum jemand zitterte noch. Alle standen nur stocksteif da und machten sich gefasst auf ... nun, was immer gleich passieren mochte. Allzu lange mussten sie sich nicht gedulden. Der Offizier erteilte den Häftlingen in der vordersten Reihe einen knappen Befehl, worauf sich diese gehorsam in Bewegung setzten. Die anderen trotteten ihnen im Gänsemarsch hinterher, durch die Tür ins Freie. Sie wurden von der eisigen Kälte empfangen, die das Lager seit Wochen in der Gewalt hatte. Aber sehr viel schlimmer als das war der raue Wind, der durch die Nacht pfiff. Als Samuel aus der Baracke trat, befürchtete er kurz, einer der Schäferhunde hätte ihn gebissen. Denn der Wind fuhr mit hundert spitzigen Zähnen durch seine Jacke und raubte ihm binnen eines Atemzugs jegliche Wärme. Spätestens jetzt hätten sich die Frauen und Kinder auf eine heiße Dusche freuen und schneller vorangehen müssen. Stattdessen versteiften sie mit jedem Meter ein bisschen mehr, den sie sich von der Baracke entfernten. Die Soldaten sorgten jedoch dafür, dass keiner von ihnen stehenblieb oder unterwegs verlorenging. So viel Fürsorge hätte Samuel den Deutschen gar nicht zugetraut. Normalerweise mochte er sie nämlich nicht. Aber – pst! – das musste geheimbleiben, verstanden? Die Deutschen sahen immer so grimmig drein, waren überaus streng und zwangen Samuel, diese albernen Klamotten mit den Streifen und dem Judenstern zu tragen. Dabei hätte er viel lieber eine schnieke Uniform wie die Deutschen gehabt. Eine, die aus reißfestem Drillich genäht war und am Kragen diese silbernen Totenkopf-Abzeichen besaß. Bestimmt fror man in diesen Uniformen auch nicht so erbärmlich ... Unterdessen stapfte Samuel mit den anderen über die Hauptstraße des Lagers. Von den Wachtürmen schwenkten mehrere Suchscheinwerfer herum und leuchteten ihnen den Weg. Und aus den Fenstern der anderen Baracken linsten zahllose Häftlinge und sahen ihnen heimlich hinterher. Samuel winkte den Frauen und Männern hinter den Glasscheiben zu, aber keiner von ihnen winkte zurück oder lächelte. Nun denn, dachte er. Offenbar mögen auch sie die Dusche nicht. »Samuel!«, zischte Judith. Sie zog ihn so ruppig weiter, dass er beinahe ausgerutscht wäre. Auf der Straße hatte sich eine zentimeterdicke Eiskruste gebildet, und von den tiefhängenden Wolken stoben dicke Schneeflocken herab, als würde Frau Holle gerade alle Betten der Wehrmacht ausschütteln. In einer Nacht wie dieser konnte man sich hier draußen sprichwörtlich den Hintern abfrieren. Bloß gut, dass Samuel und die anderen gleich am Ziel waren. In der Ferne tauchte schon das Backhäuschen auf, in dessen Keller sich die Dusche befand. Samuel zweifelte jedoch seit Tagen daran, ob es wirklich ein Backhäuschen war. Seine Mutter hatte das Ziegelsteingebäude am Rande des Lagers einmal so genannt, als er sie danach gefragt hatte. Aber komischerweise hatte noch nie jemand auch nur einen Laib Brot aus diesem Häuschen gebracht, obwohl es zwei Schornsteine und vier Öfen besaß. Die Deutschen schienen offenbar nicht allzu viel vom Backen zu verstehen ... Plötzlich ging ein spürbarer Ruck durch die Frauen und Kinder. Beim Anblick des Häuschens gerieten einige so jäh ins Stocken, dass die anderen hinter ihnen einen Schritt zur Seite weichen mussten, um sie nicht anzurempeln. Eine alte Frau murmelte ein hebräisches Gebet. Eine Mutter schlug ein Kreuz vor der Brust. Und allmählich begannen nicht nur die Mädchen zu weinen, sondern auch die meisten Jungen. Samuel hatte noch immer keine Ahnung, warum sich alle so seltsam benahmen, aber in der nächsten Sekunde wurde er...


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