Paull | Das Eis | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 448 Seiten

Paull Das Eis

Roman

E-Book, Deutsch, 448 Seiten

ISBN: 978-3-608-11046-3
Verlag: Klett-Cotta
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Die schmelzenden Gletscher der Arktis geben eine Leiche frei. Der leblose Körper gehört Umweltaktivist Thomas Harding, der drei Jahre zuvor spurlos im Eis verschwand. Von der gemeinsamen Expedition kehrte damals nur ein Mann zurück: Hardings bester Freund. Ein elektrisierender Abenteuerroman über Freundschaft, Verrat und unseren Umgang mit der Natur.

Die Eisdecke in der Arktis schmilzt unaufhörlich. Raffgierige Unternehmen wittern ihre Chance und wetteifern um einen Platz im ewigen Eis. Als ein Kreuzfahrtschiff im arktischen Wasser eine Leiche entdeckt, ist schnell klar, um wen es sich handelt: Tom Harding, Polarforscher und einer der besten Kenner der Arktis, der drei Jahre zuvor nach einem Unfall im Eis verschwand. Der Letzte, der ihn lebend gesehen hat, ist sein bester Freund und Geschäftspartner Sean Cawson. Die Männer planten gemeinsam die Eröffnung einer exklusiven arktischen Lodge, die sich gleichzeitig dem Schutz des Nordmeers verpflichtete. Als die Untersuchungen zu Hardings Tod beginnen, wächst der Druck auf Cawson. Waren ihre Vorstellungen von Naturschutz und Profitgier letztlich doch zu verschieden?
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1
Sie waren reich. Sie konnten es kaum erwarten. Und sie gierten nach einem Bären. Nun waren schon neun Tage ihrer zweiwöchigen Reise auf der Vanir verstrichen, dem luxuriösesten Kreuzfahrtschiff, das in der Arktis unterwegs war, und ihre anfängliche Begeisterung hatte sich erst in geduldiges Abwarten und dann in Enttäuschung verkehrt. Mittlerweile konnten sie sich des Gefühls nicht mehr erwehren, eine Niederlage erlitten zu haben. Weil es sich bei ihnen um erfahrene, kultivierte Reisende handelte, wussten sie, dass auch alles Geld der Welt keine Garantie dafür war, dass man Eisbären zu Gesicht bekam. Dennoch glaubten sie fest an das Naturgesetz, welches besagt, dass Reichtum zur Erfüllung jeglicher Ansprüche berechtigt. Und das schloss die Begegnung mit einem ursus maritimus unbedingt mit ein. »Im Reich des Eiskönigs« stand in der Broschüre. Darin waren wettbewerbsprämierte Fotos von glitzerndem Eis und von Eisbären mit ihrem Nachwuchs oder den von ihnen erlegten Tieren zu sehen – Bilder, die andere Passagiere noch vor Kurzem auf ebendieser Route aufgenommen hatten. Aber im Augenblick war der Himmel weder strahlend blau noch unendlich weit, sondern einfach nur bewölkt. Statt in den Genuss einer klirrenden, belebenden Kälte von minus drei oder gar minus zehn Grad zu geraten (sie konnten es alle kaum erwarten, ihre neue Thermokleidung zu tragen), mussten sie ein widerwärtiges, böig schwüles Wetter erdulden. Ein Wetter, das die Arktis genauso unangenehm nasskalt werden ließ wie einen englischen Sommer und für das es partout keine geeignete Kleidung gab. Auch das endlose Tageslicht war bedrückend. Es wurde dadurch nahezu unmöglich, zur rechten Zeit an die Einnahme seiner Medikamente zu denken. Uhren wurden bedeutungslos. Unter den Passagieren befanden sich auch mehrere Rechtsanwälte. Sie forderten den Reiseleiter auf, sich an der Bar zu ihnen zu gesellen, mit ihnen gemeinsam die Broschüre anzusehen und sich ihre förmliche Beschwerde anzuhören. Die Reise war nicht adäquat dargestellt worden. Man hatte ihnen etwas Falsches verkauft. Sie hatten nun wahrlich die Schnauze voll von diesen Strandausflügen, bei denen man halbverfallene Hütten und irgendwelche von Walfängern hinterlassene Müllhaufen bewundern sollte. Auch von den Vögeln hatten sie genug. Damit würden sie sich nicht länger abspeisen lassen. Schließlich hatten sie alle für etwas ganz anderes bezahlt, nämlich die Sichtung eines oder mehrerer im Eise heimischer Säugetiere. Genau darum und um nichts anderes war es sowohl im Text als auch in der Bebilderung der Broschüre gegangen, und besagte Broschüre hatte als Verkaufsbeleg mit einer rechtlichen Verpflichtung zur Genauigkeit zu gelten. Eisberge gab es auch keine. Nur ein paar schmutzige Gletscher. Man erwäge, so sagten die Anwälte, eine Sammelklage einzureichen, um eine Entschädigung zu fordern. Die Passagiere zogen sich in den Salon zurück und spielten den Film ab, den sie sich mit geradezu neidzerfressener Besessenheit schon zahllose Male angesehen hatten. Bei heruntergelassenen Jalousien, die das tyrannische Tageslicht verbannten, starrten sie gierig die Eisbären auf der Leinwand an: ein Exemplar, das auf einer purpurrot gefärbten Eisfläche stand und von dem rotleuchtenden Kadaver eines Seehunds das Fleisch in Fetzen herunterriss, und dann noch die Mutter, die mit ihrem Jungen zwischen den Eisschollen hindurchschwamm. Aber am besten war das wahrhaft riesige Männchen, das sich auf die Hinterbeine erhoben hatte und mit seiner blutrot gefärbten Schnauze direkt in die Kamera starrte. Das war es, was sie sehen wollten. Der Reiseleiter rannte zur Brücke, um sich mit dem Kapitän und dem Eislotsen zu beraten. Zur Einstellung des Letzteren waren sie gesetzlich nach wie vor verpflichtet, auch wenn es in den Sommermonaten schon seit zwei Jahren kein Meereseis mehr gab. Gemeinsam starrten sie hinaus auf die graue Fläche der Barentssee, die von kleinen hastigen Wellen durchzogen wurde. Sie alle wussten – auch wenn sie es aus Angst, ihren Job zu verlieren, niemals laut ausgesprochen hätten –, dass die Tiere so gut wie ausgestorben waren und dass das Filmmaterial im Salon schon mehrere Jahre alt war. Es gab eine Lösung. Sie war zwar verboten, doch jedes Reiseunternehmen kannte sie als letzten Ausweg. Man musste eine Drohne in die Luft schicken und mit ihrer Hilfe einen Bären ausfindig machen. Etwa drei Kilometer an der Küste entlang, im Innern eines tiefen, m-förmigen Fjords, stand eine große, silbrig schimmernde Holzhütte, die mit den schwarzen Kieseln des angrenzenden Strandes verschmolz. An ihre Rückwand und an beide Seiten schloss sich ein moderner Anbau an, der aus dem Gestein des sich dahinter auftürmenden Berges errichtet worden war. Bei näherem Hinsehen konnte man auch einige Fenster erkennen, in denen sich Meer, Himmel und Felsgestein spiegelten. Doch es gab niemanden, der es gewagt hätte, in so aufdringlicher, unwillkommener Weise näher hinzusehen, denn dies war Midgard Lodge am Midgardfjord. Hier galten – aufgrund einer direkten Intervention seitens der Osloer Regierung beim Büro des Sysselmanns von Spitzbergen – ganz besondere Regeln. Was diejenigen, die darüber Bescheid wussten, an den Sonderregeln am meisten empörte, war, dass sich eine von ihnen über alle Naturschutzverordnungen hinwegsetzte und Midgard Lodge gelegentliche Hubschrauberflüge zwischen dem Flughafen von Longyearbyen und dem winzigen Strand vor dem Haus gestattete, der gerade groß genug war, dass ein zwölfsitziger Dauphin darauf landen konnte. Eine weitere Sonderregel hinderte alle Kreuzfahrtschiffe daran, über einen gewissen Punkt im Wijdefjord-Bereich hinauszufahren, wodurch die spektakulären Gesteinsformationen des Midgardfjords und sein eigenartig aufgespaltener Midgardbreen-Gletscher, der auf einer Seite blau und auf der anderen weiß war, dem Tourismus unzugänglich blieben. Was dem auf Spitzbergen doch eigentlich so autonom herrschenden Sysselmann jedoch die größte Sorge bereitete, war der Umstand, dass diese Vorschriften zwar von ganz oben abgesegnet, aber nur verbal überbracht worden waren, und zwar durch die stellvertretende Verteidigungsministerin, die sich hartnäckig weigerte, das Ganze schriftlich zu bestätigen. Der amtierende Sysselmann hatte zuvor noch nie von ihr gehört. Sie hingegen schien ihrerseits viel zu viel über ihn zu wissen. Er stellte daher pflichtgemäß sicher, dass Frau Larssens Forderungen in allen Punkten eingehalten wurden, und Midgard Lodge blieb weiterhin vollkommen unbehelligt. Abgesehen vom heutigen Tag. Heute nämlich gab der geschäftsführende Direktor Danny Long, der im Büro des Gebäudes Dienst hatte und auf den Fjord hinunterschaute, einem plötzlichen Impuls nach und warf noch einmal einen genauen Blick auf den Bildschirm des AIS-Radars. Er hatte eben erst die mittleren Frequenzen überprüft und die kleinen, farblich voneinander abgesetzten Pfeilspitzen betrachtet, die darauf zu sehen waren: rosa und violett für Fischereifahrzeuge und Segelschiffe, grün für Frachtschiffe und – Gott bewahre! – rot für Tanker, die der Küste zu nahe kamen. Er betrachtete den Bildschirm noch eingehender. Irgendetwas stimmte nicht. Als er die grünen Pfeile anklickte, entdeckte er nichts, womit er nicht gerechnet hätte – es waren lauter asiatische Frachter, die auf der neuen Trans-Polar-Route unterwegs waren. Er klickte wahllos ein paar von ihnen an: die Hao Puren, unterwegs von Rotterdam nach Shanghai. Die Zheng He, die in entgegengesetzter Richtung von Dalian nach Algier fuhr. Auch bei den anderen, die er überprüfte, verhielt sich alles so, wie es sein sollte. Dann betrachtete er die vereinzelten blauen Pfeile, die für die Kreuzfahrtschiffe standen. Inzwischen war der vom Eis befreite, flüssig gewordene Nordpol nur ein weiterer Teil des Meeres, wie jeder andere auch. Es lohnte sich nicht mehr, ihn zu fotografieren. Die atemberaubende Küste von Spitzbergen hingegen konnte sich im Sommer der Fülle des Schiffsverkehrs kaum noch erwehren. Die Kapitäne versuchten, ihre Routen aufeinander abzustimmen, um Engpässe zu vermeiden, aber weil nur noch so selten Tiere gesichtet wurden, waren die Reiseveranstalter übereingekommen, auf Kanal 16 alle Informationen miteinander zu teilen – obwohl dies unter den Kreuzfahrtschiffen unweigerlich zu einer Art Wettrennen führte, wer wohl als Zweiter am Ort des Geschehens eintreffen würde. Die Küstenwache kontrollierte das Ganze, soweit ihr dies möglich war, und nahm dankbar jegliche Hilfe an, die Midgard Lodge beim Such- und Rettungsdienst leisten konnte. Doch auf diese Hilfe wurde nur im äußersten Notfall zurückgegriffen. Da: Jetzt...


Laline Paull, studierte Englisch und Theaterwissenschaften in Oxford, Los Angeles und London, wo sie auch für das Royal National Theatre tätig war. Sie lebt mit ihrer Familie in England. Nach dem großen Erfolg von 'Die Bienen' ist nun auch ihr zweiter Roman, 'Das Eis', bei Tropen.
Dorothee Merkel lebt als freie Übersetzerin in Köln. Zu ihren Übertragungen aus dem Englischen zählen Werke von Edgar Allan Poe, John Banville, John Lanchester und Nickolas Butler.

Laline Paull, studierte Englisch und Theaterwissenschaften in Oxford, Los Angeles und London, wo sie auch für das Royal National Theatre tätig war. Sie lebt mit ihrer Familie in England. Nach dem großen Erfolg von "Die Bienen" ist nun auch ihr zweiter Roman, "Das Eis", bei Tropen erschienen.


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