Paulus | Große Pleiten | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 225 Seiten

Paulus Große Pleiten

und die Wege des Insolvenzrechts

E-Book, Deutsch, 225 Seiten

ISBN: 978-3-406-81179-1
Verlag: C.H.Beck
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Insolvenzen sind stetiges Thema medialer Berichterstattung. Von jeher mit einem Stigma behaftet, wirkt das wie eine Dauerberieselung negativer Nachrichten. Wie oft bei solchen Vorurteilen steckt dahinter eine drastische Vereinfachung, die den Details nur eingeschränkt gerecht wird. Das gilt besonders für die Entwicklung des Krisenrechts, das sich seit gut drei Jahrzehnten anschickt, dem Schuldner „aus der Klemme“ zu helfen. Damit erweist sich das Insolvenzrecht als spannender Motor und Begleiter gesamtwirtschaftlichen Fortschritts.

Das Buch zeigt an konkreten Fällen diese Zusammenhänge. Es eignet sich als Lektüre für jeden an diesen größeren Bögen Interessierten wie auch für jeden, der selbst ein Geschäft oder Unternehmen leitet. Es will dem Leser vor Augen führen, dass sich das Recht in geradezu dramatischer Weise bemüht, für die Wirtschaft zu verwirklichen, was jedes Kind weiß: Aus Schaden wird man klug. Christoph G. Paulus, Prof. (a.D.) der Humboldt-Universität zu Berlin, ist national und international anerkannter Experte für diese Fragen.
Paulus Große Pleiten jetzt bestellen!

Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


17Die Fakten
Das Kaufhaus Hertie gibt es nicht mehr. 1993 wurde es an Karstadt verkauft, das einzelne Filialen noch unter dem Namen Hertie weiterführte, bevor dann deren letzte im August 2009 geschlossen wurde. Damit war eine einstige Ikone der deutschen Warenhäuser vom Markt verschwunden. Der erinnerungsträchtige Name setzt sich zusammen aus den Kürzeln des Vor- und des Nachnamens von Hermann Tietz (Her-Tie), der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts als Geld- und Ideengeber für seinen Neffen Oscar Tietz Glanzpunkte deutscher Kaufhauskultur geschaffen hatte. Davon ist hier deswegen zu berichten, weil das Schicksal dieses Kaufhauses nicht nur mit Rekordmarken verbunden ist, sondern auch mit düstersten Schattenseiten des Konkurs- bzw. Insolvenzrechts. Insbesondere in der unseligen Zeit des Dritten Reichs zeigt sich geradezu exemplarisch das Bedrohungspotential dieses Rechtsinstituts. Da dieses von zeitloser Aktualität ist, soll genau dieser Abschnitt in der Geschichte des Kaufhauses im Vordergrund stehen, auch wenn das damals noch so genannte Konkursverfahren gar nicht erst eröffnet wurde. Beginnen wir aber mit einem kurzen Abriss der Entwicklung des Kaufhauses. Hermann Tietz wurde 1837 in Birnbaum in der damaligen preußischen Provinz Posen geboren; er war jüdischer Abstammung. Das ist hier deswegen zu erwähnen, weil dieses für eine Pleitengeschichte an sich komplett belanglose Faktum in der nachfolgenden Entwicklung entscheidende Bedeutung erhielt. 18Hermann jedenfalls war agil und unternehmungslustig; er ging als junger Mann für zwei Jahrzehnte in die USA. Die dort gewonnenen Einsichten in das Wirtschaftsleben wie zum Beispiel der eminente Wert festgelegter Preise und eines breiten Warenangebots vermittelte er seinem in Deutschland lebenden Neffen Oskar Tietz, dem er überdies 1882 die Gründung eines Einzelhandelsgeschäfts für Textilien in Gera finanzierte. Beide zusammen waren Gesellschafter der dieses Geschäft führenden Hermann Tietz OHG. Der Name wurde auch dann noch beibehalten, als Hermann – noch im gleichen Jahr – wieder aus der Gesellschaft ausschied. Das Geschäft florierte und expandierte; nach nur vier Jahren wurde ein weiteres Warenhaus in Weimar gegründet, drei Jahre danach folgten Bamberg und München, 1896 Hamburg. Zur Jahrhundertwende wurde dann der Sitz des Unternehmens nach Berlin verlagert, wo in der Leipziger Straße alsbald ein Kaufhaus errichtet wurde, das kurze Zeit später – nicht ohne bewundernden Unterton – Konsumtempel genannt wurde. Weitere Gründungen erfolgten in Berlin, in Hamburg (das spätere, zunächst nur von den Nazis so bezeichnete Alsterhaus am Jungfernstieg; zuvor ging man „zu Tietz“) und anderenorts. 1926 kam durch einen Zukauf auch noch das Kaufhaus des Westens (KaDeWe) in den Verbund, so dass das Warenhaus Tietz mehr oder minder im ganzen Reich verbreitet gewesen ist. Zu dieser Zeit, zu der sich die Firmenpublikation damit schmücken konnte, „größter Warenhauskonzern in Eigenbesitz“ zu sein, war ein Zenit erreicht, nach dem die unheilvolle Entwicklung einsetzte. Nach einem Jahresumsatz von 300 Millionen Reichsmark im Jahre 1928 kam es ein Jahr später, im Oktober 1929, zu dem berüchtigten Börsencrash in New York, der die Weltwirtschaftskrise auslöste. Dass diese Kennzeichnung zutreffend ist, zeigte sich daran, dass auch Deutschland in den Katastrophenstrudel hineingerissen wurde, der auf der anderen Seite des Atlantiks begonnen hatte. Es kam überall zu Firmenzusammenbrüchen, zu Bankenschließungen 19und zur Massenarbeitslosigkeit; letztere stieg binnen 4 Jahren von 1.3 Millionen auf über sechs Millionen. Auch wenn das alles nicht den Bestand des Warenhauskonzerns in Frage stellte – zumindest nicht anfangs dieser Niedergangsperiode –, war nicht zu verkennen, dass die vorherige Expansion der Hermann Tietz OHG zu weiten Teilen auf Fremdkapital basierte. Das ist ein Phänomen, das im Kontext von Konkurs- und Insolvenzverfahren immer und immer wieder zu beobachten ist. In Zeiten des tatsächlichen oder auch nur eines vermuteten bzw. erhofften Wohlstandes werden Schulden erheblichen Ausmaßes angehäuft, um sich nach dem Motto „big is beautiful“ zu vergrößern. Bei einer auch nur kleinen Veränderung der Rahmenbedingungen – etwa der Erhöhung des Zinssatzes, einer Veränderung der Nachfrage oder einer neuen Politik – erweisen sich bisherige Hoffnungen schnell als Kartenhäuser oder –schlösser. Und die haben es bekanntlich so an sich, recht schnell in sich zusammenzufallen. Der Firmengründer Oscar Tietz jedenfalls hatte noch die nachfolgenden, neuen Geschäftsführer, seine Söhne Georg und Martin Tietz sowie seinen Schwiegersohn Hugo Zwillenberg, vor solch einer Schuldenanhäufung gewarnt. Wie berechtigt seine Sorge war, hat die Hermann Tietz OHG auf einer wirtschaftlichen und persönlichen Ebene erfahren müssen. Denn eine der Folgen der Weltwirtschaftskrise war bekanntlich der rasante Aufstieg der Nazis mit ihrer antisemitischen Ideologie, die eine Arisierung auch und besonders der deutschen Wirtschaft anstrebte – und umsetzte. Der Schuldner der Darlehen war die Hermann Tietz OHG, die als jüdisch galt. Die Gläubiger waren u.a. die Dresdner Bank und die Deutsche Bank; sie wie auch die weiteren am Bankenkonsortium beteiligten Banken waren demgegenüber „arisch“. Wenn in Zeiten einer sich anbahnenden bzw. bereits etablierten Nazi-Herrschaft die ohnedies am langen Hebel sitzenden Gläubiger Arier sind, der Schuldner dagegen jüdisch, sind die Machtverhältnisse noch viel weiter zu Gunsten der Gläubiger verschoben. 20Auch wenn Hitler selbst offenbar noch Anfang 1933 so etwas wie ein Einverständnis signalisiert haben soll, dass die OHG einen neuen (und dringend benötigten) Kredit erhalten solle, war das wenige Monate später vergessen. Die Banken hatten, wie gleich zu berichten sein wird, Vorsorge getroffen und liefern damit eine mögliche Erklärung für eine Entwicklung, die auf den ersten Blick überraschend ist. Die Konkursstatistik der damaligen Zeit weist nämlich eine Merkwürdigkeit auf: Sie schwankt in den Jahren seit 1925 zwischen jährlichen Zusammenbrüchen von 10.000 und 19.000 (das Jahr 1927 weicht davon ab – aus welchen Gründen auch immer), weist aber für das Jahr 1933 plötzlich nur noch 7.954 Fälle aus, um von da an bis auf 3.740 im Jahre 1938 kontinuierlich abzusinken. Merkwürdig ist das deswegen, weil es offenbar in der Presse ständig Berichte von Konkursen gegeben hatte. Das scheint reichsweit der Fall gewesen zu sein, so dass eine sinkende Konkursstatistik dazu nicht recht passen mag. Eine mögliche Erklärung für diese Merkwürdigkeit wird sich wohl aus dem Schicksal der Warenhaus Tietz OHG ergeben. Denn deren „Konkurs“ lief so ab, dass die gesetzlichen Vorgaben der Konkursordnung gar nicht erst zur Anwendung kamen – ja, nicht einmal eine Rolle spielten und somit auch gar nicht in der Konkursstatistik auftauchten. Es war nämlich alles vorbereitet – und übrigens auch schon recht lang davor sehr explizit angekündigt: In der Münchener Wochenschau vom 11. Juni 1932 etwa wird unter der Überschrift „Was die Nationalsozialisten mit den Juden vorhaben“ in aller Ausführlichkeit eine Rede Görings zitiert, in der er sehr deutlich und sehr explizit zur beabsichtigten Behandlung der Juden und des „Judentums“ Stellung bezieht – neben vielen weiteren Ungeheuerlichkeiten auch deren Entfernung aus allen leitenden Stellungen in Wirtschaft, Kultur, Bildung, etc. Zunächst einmal kam es am 1. April 1933 zu den reichsweit erfolgenden Boykottaufrufen, wobei es bekanntlich nicht beim Rufen verblieb, sondern die hinlänglich bekannten Braunhemden Blockadeposten vor den Eingängen jüdischer Geschäfte und eben auch 21Warenhäuser aufstellten und Leute aller Couleur Fensterscheiben einschmissen und Schäden in massivem und ungeheuerlichem Umfang anrichteten. Wie gespenstisch das gewesen ist, lässt sich recht gut rekonstruieren. Etwa durch Lektüre von Büchern etwa von Grass über das eindringlich beschriebene „Geschäftsende“ des Verkäufers von Blechtrommeln, s. den übernächsten Abschnitt, oder auch durch überlieferte Augenzeugenberichte. Besonders erschütternd ist der des Journalisten und Schriftstellers Gösta von Uexküll, der über den Boykott des „Warenhauses Hermann Tietz“ berichtet: „Kurz nach der Machtergreifung war ich am Jungfernstieg. Da war Tietz, heute heißt es Alsterhaus. Davor stand ein einziger, man muß sich vorstellen, ein einziger SA-Mann, der hatte einen Karton auf dem Bauch und da stand ‚Kauft nicht bei Juden!‘. Und es war tatsächlich so, daß alle braven Hamburger scheu vorbeischlichen an diesem Mann. Und dieses Warenhaus, das sonst einen Strom von Kunden hatte, war praktisch verwaist. Ich will jetzt nicht sagen, daß ich ein Held war, ich war nur neugierig, wollte mal sehen, wie es drinnen aussah. Ich ging an diesem Mann vorbei, sah innen Reihen von Ständen und wurde fast wie ein Held begrüßt. Ich wollte nur sagen, man konnte unendlich viel tun, ohne daß es direkt gefährlich war.“ Der Boykott führte natürlich zu gravierenden Umsatzeinbußen. Dadurch war die OHG gewissermaßen „weidwund“ geschlagen, was den, wie beschrieben, ohnedies am längeren Hebel sitzenden Gläubigern durchaus zupass kam. Die Gläubigerbanken gründeten denn auch im Juli 1933 eine GmbH, die Hertie Kaufhaus-Beteiligungs-Gesellschaft m.b.H. Mit diesem auf den Gründer anspielenden Namen, so die zynischgeistvolle Überlegung, sollte zum einen Kontinuität wie auch Neuanfang signalisiert werden. Nur eine Woche später legten die Banken der OHG nicht etwa einen Vertragsentwurf vor – darüber hätte man schließlich noch diskutieren, und es hätten Einzelheiten abgewandelt, ergänzt...


Ihre Fragen, Wünsche oder Anmerkungen
Vorname*
Nachname*
Ihre E-Mail-Adresse*
Kundennr.
Ihre Nachricht*
Lediglich mit * gekennzeichnete Felder sind Pflichtfelder.
Wenn Sie die im Kontaktformular eingegebenen Daten durch Klick auf den nachfolgenden Button übersenden, erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Ihr Angaben für die Beantwortung Ihrer Anfrage verwenden. Selbstverständlich werden Ihre Daten vertraulich behandelt und nicht an Dritte weitergegeben. Sie können der Verwendung Ihrer Daten jederzeit widersprechen. Das Datenhandling bei Sack Fachmedien erklären wir Ihnen in unserer Datenschutzerklärung.