Pauly | Die Hebamme von Sylt | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 496 Seiten

Pauly Die Hebamme von Sylt

Roman

E-Book, Deutsch, 496 Seiten

ISBN: 978-3-641-29468-7
Verlag: Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Sylt 1872: Die junge Geesche ist die einzige Hebamme auf der Nordseeinsel. Als in einer stürmischen Nacht zwei Frauen vor ihrer Tür stehen, die beide ihre Hilfe brauchen, fällt sie eine schicksalhafte Entscheidung. Die Jahre vergehen, Marinus, ein angesehener Ingenieur, der beim Bau der Inselbahn mitwirkt, hält um ihre Hand an, und Geesches Glück scheint perfekt. Doch dann zeigt sich, dass die vergessen geglaubten Ereignisse der Sturmnacht ihr Leben für immer verändern werden.
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Prolog
Es war das Jahr 1872, als sich Geesche Jensens Leben grundlegend veränderte. Ein kalter Sommer, der noch nicht viele heiße Tage gehabt hatte! Das Unwetter, das über die Insel fuhr, war nicht das erste dieses Sommers, aber das schlimmste. Der Sturm jagte die Wellen gegen den Strand, das Tosen der Brandung war auf der ganzen Insel zu hören. Viele Klänge hatte er, dieser Wind, er heulte in den Fenstern und Türen, pfiff im Reet der Dächer und fuhr mit dem Schrei einer Möwe nieder, als hätte der Sturm einen spitzen Schnabel und scharfe Krallen. Am schlimmsten aber war das Fauchen des Meeres, das ferne Grollen der Wellen, ihr Brüllen, wenn sie sich überschlugen, sich auf den Sand warfen und sich zischend zurückzogen, als wollten sie eine Warnung hinterlassen. Aus einem schwülen, drückenden Tag war dieser Sturm entstanden, einem Tag, an dem jeder auf ein reinigendes Gewitter gehofft hatte. Dass daraus ein solches Wüten, eine derartige Wucht, eine so kalte, vernichtende Kraft entstehen würde, hatte niemand erwartet. Auch die alten Seefahrer nicht, die sich mit allen Wetterlagen auskannten, die nur lange in den Himmel blicken mussten, um dann an den Wolkenbildungen, der Windrichtung und dem Verhalten der Möwen zu erkennen, was der Insel bevorstand. Sie alle hatten diesmal versagt. Geesche fragte sich, wie viele Fischer hinausgefahren sein mochten. Jens Boyken hatte sich aufgemacht, wie sie wusste. Gegen Mittag war sie an seinem Haus vorbeigekommen, da hatte er seine Netze vorbereitet und die Reusen zusammengelegt. »Willst du Freda wirklich allein lassen?«, hatte sie ihn gefragt. »Du hast gesagt, es kann noch eine Woche dauern, bis das Kind kommt«, hatte Jens in seiner mürrischen Art zurückgegeben. »Soll ich eine Woche auf den Fang verzichten? Und was, wenn es zwei Wochen werden?« Es konnte aber auch schon in der nächsten Nacht losgehen. Gerade in den Sturmnächten wurden viele Kinder geboren. Wenn sich in der Natur etwas veränderte, setzten die Wehen oft früher ein, wenn das Wetter umschlug, der Mond wechselte oder eine Gefahr näher kam. Freda würde Angst vor dem Alleinsein haben, vor allem wenn Ebbo den Vater begleitet hatte. Ob Geesche zu ihr gehen sollte, um nach ihr zu sehen? Nachdenklich ging sie zum Fenster der Küche und blickte hinaus. Die Nacht war schwarz, kein Stern zu sehen, der Mond lag hinter den Wolken verborgen. Sie jagten vermutlich über den Himmel, aber so dicht waren sie, dass sie kein Licht hindurch ließen. So war der Sturm nur zu hören, nicht zu sehen. Wo mochte Andrees sein? Hoffentlich war er nicht von seinem Vater gebeten worden, mit hinauszufahren. Andrees ließ sich gerne bitten, das wusste Geesche. Eigentlich war er immer noch Fischer mit Leib und Seele, hatte nie etwas anderes sein wollen. Dass er nun dabei half, die Trasse zu bauen, auf der irgendwann einmal eine Inselbahn fahren sollte, war sein größtes Unglück. Doch ein Fischerboot ernährte nur eine Familie, und selbst das nur mit Müh und Not. »Soll ich warten, bis mein Vater zu alt und zu schwach ist, um die Netze zu heben? Warten, dass er mir sein Boot überlässt?«, hatte er sie oft gefragt. Dass dieser Tag kommen würde, war zwar eine kleine Hoffnung, aber keine wirkliche Perspektive. Und dem Vater ein Ende des Fischfangs zu wünschen, das war sogar eine Sünde. Nein, Andrees brauchte dringend ein eigenes Boot, um als Fischer sein Auskommen zu haben. Die Arbeit an der Trasse der Inselbahn machte einen anderen Menschen aus ihm. Jeden Tag ein bisschen mehr. Morgen würde er wieder ein wenig unglücklicher sein als gestern und übermorgen erneut davon reden, dass das Leben keinen Sinn hatte, wenn er nicht täglich auf das Meer hinauskonnte. Und erst recht nicht, wenn er sein Geld mit etwas so Sinnlosem verdiente wie der Idee, dass irgendwann eine Eisenbahn über die Insel fahren und Sommerfrischler vom Hafen Munkmarsch nach Westerland bringen sollte. Niemand glaubte an die ehrgeizigen Pläne von Dr. Julius Pollacsek, der aus Westerland ein blühendes Seebad machen wollte. So hatte der selbst ernannte Kurdirektor auch nur wenig Unterstützung auf Sylt gefunden. Kaum jemand war bereit, ihm dabei zu helfen, die Voraussetzungen für die Inselbahn zu schaffen, die Dr. Pollacsek sogar selbst finanzieren wollte. Lediglich einen Haufen junger Männer gab es, die froh über jede Beschäftigung waren. Sogar einige Strandräuber waren darunter, die jede Gelegenheit nutzten, um zu Geld zu kommen. »Was ist das für eine Arbeit!«, klagte Andrees oft. »Ich tu was Sinnloses, nur um nicht zu verhungern. In zwanzig Jahren wird niemand mehr wissen, warum etwas so Überflüssiges wie diese Eisenbahntrasse gebaut wurde. Eine Inselbahn? Sinnlos! Alles sinnlos!« Jedes Mal, wenn er das sagte, hatte Geesche Angst, dass er bald auch keinen Sinn mehr darin sehen könnte, sich eine gemeinsame Zukunft mit ihr auszumalen. Manchmal fürchtete sie sogar, dass er in seiner eigenen Zukunft keinen Sinn mehr sah. Was sollte geschehen, wenn er den Sinn des Lebens aus den Augen verlor? Sie riss sich vom Fenster los, verließ die Küche und trat auf den Flur, der das Haus in Wohn- und Wirtschaftsteil gliederte, wie es in friesischen Häusern üblich war. Aber Geesche hatte diese Aufteilung verändert. Aus der Kammer des Wirtschaftsteils hatte sie den Raum gemacht, in dem die Frauen gebären konnten, die bei ihr, der einzigen Hebamme der Insel, Hilfe suchten; aus der Dreschtenne sollte demnächst ein Raum werden, der an Sommerfrischler zu vermieten war. Immer mehr kamen nach Sylt, manche blieben sogar den ganzen Sommer. Und wenn die Inselbahn zwischen dem Fährhafen Munkmarsch und Westerland wirklich einmal fahren sollte, würden es noch mehr werden. Vielleicht konnte sie dann auch den Stall umbauen, der an der Westseite die ganze Tiefe des Hauses einnahm. Sommerfrischler brachten Geld auf die Insel, und Geesche brauchte Geld, damit Andrees sich sein eigenes Fischerboot kaufen konnte. Aber sie brauchte es bald. Bis die Inselbahn ihre erste Fahrt machte, würden noch viele Jahre vergehen. Wenn die Pläne von Dr. Pollacsek überhaupt in die Tat umzusetzen waren! Andrees glaubte nicht daran. Ein so gespenstisches Heulen fuhr unter der Eingangstür her, dass Geesche sich erschrocken an die Wand drängte. Wenn Andrees doch nur daran glauben könnte, dass es für Sylt eine neue Zukunft gab, wenn immer mehr Fremde auf die Insel kamen! Dr. Pollacsek behauptete, es kämen fette Jahre auf diejenigen zu, die Fremdenzimmer zu vermieten hatten. Und ihr Haus war groß genug dafür! Sie würden ihr Auskommen haben, wenn auch Andrees sich auf Dr. Pollacseks Ideen einließ. Aus dem Stall drang aufgeregtes Gackern, als der Wind einen schweren Eimer gegen die Stalltür schlug. Wie lange würde Andrees sein Unglück noch ertragen? So lange, bis sie den Stall zu Fremdenzimmern gemacht hatte? Geesche schüttelte den Kopf. Nein, so viel Zeit würde ihr das Schicksal wohl nicht lassen. Noch war der Stall in dem Zustand, in dem er gewesen war, als ihr Vater das Haus von seinen Eltern übernommen hatte. Zu seinen Lebzeiten waren dort Schweine und Federvieh gehalten worden. Als er starb und auch die Mutter bald das Zeitliche segnete, hatte Geesche sich entschlossen, die Schweine abzuschaffen. Nun hielt sie nur noch ein paar Hühner und Enten dort. Die Schafe, die sie außerdem besaß, kamen nicht in den Stall, sie blieben bei jeder Wetterlage auf der Weide. Wenn sie den Hühnern und Enten einen Verschlag im Garten bauen ließ, würde sie in dem Stall ebenfalls Fremdenzimmer einrichten können. Geesche nahm die Petroleumlampe mit ins Gebärzimmer und leuchtete es aus. Ja, alles war an seinem Platz. Sollte Freda Boyken heute noch niederkommen, würde sie hier frische Laken vorfinden, einen sauberen Bottich für das Wasser, das Geesche auf der Feuerstelle ihrer Küche warmhielt, und alles, was für den Säugling gebraucht wurde, wenn er auf der Welt war. Auch Brot, Getreidegrütze und Bier hielt sie bereit, falls die Mutter nach der Geburt bereit war für eine Stärkung, wie Geesche sie gern empfahl. Sie ging zurück in den Flur, wo ein großes wollenes Tuch auf einem Haken hing. Das legte sie sich gerade um, als sie spürte, dass jemand auf das Haus zukam. Schritte waren nicht zu hören, dazu war das Fauchen und Heulen des Windes zu laut, aber dass der Kies knirschte, blieb Geesche dennoch nicht verborgen. Sie kannte die Geräusche der Insel, wusste jeden Ton zu deuten, den sie erlauschte. Schon wieder raschelte es im Kies. Andrees? Warum kam er leise und heimlich zu ihr? Oder schleppte er sich mühsam zu ihrer Tür? Ging es ihm schlecht? Noch schlechter? So schlecht, dass er es nicht mehr aushielt? Derart heftig stieß Geesche die Tür auf, als käme es auf jede Minute an. Als könnte Andrees im nächsten Augenblick noch zu retten sein und schon im übernächsten davon reden, dass er ins Watt gehen würde, weil das Leben keinen Sinn mehr hatte, wenn er kein Fischer sein durfte. Mit aller Kraft hielt sie die Tür fest, damit der Sturm sie ihr nicht aus der Hand schlug. Aber sie konnte nicht verhindern, dass er mit gierigen Böen ins Haus fuhr. Freda Boyken war es, die mit schweren Schritten auf das Haus zukam. Geesche sah sofort, dass ihre Stunde gekommen war. Sie streckte Freda die Hand entgegen, ergriff sie, kaum dass sie die Schwangere erreichen konnte, ohne die Tür dem Wind zu überlassen, und zog sie ins Haus. »Seit wann hast du Wehen?« Freda richtete sich stöhnend auf und griff sich in den Rücken, als Geesche die Tür geschlossen hatte. »Noch nicht lange«, keuchte sie. »Aber ich dachte, es ist besser, wenn ich schon jetzt zu dir komme. Falls der Sturm noch schlimmer wird …« ...


Pauly, Gisa
Gisa Pauly hat zwanzig Jahre lang als Berufsschullehrerin gearbeitet, ehe sie das Unterrichten an den Nagel hängte und sich ganz dem Schreiben widmete. 1994 erschien ihr erstes Buch "Mir langt's - eine Lehrerin steigt aus!", darauf folgten zahlreiche Drehbücher und Romane. Mit den Sylt-Krimis rund um Mamma Carlotta erobert sie Jahr um Jahr die Bestsellerlisten und die Herzen der Leserinnen und Leser. Gisa Pauly zählt heute zu den erfolgreichsten Autorinnen im deutschsprachigen Raum.


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