Pütter / Bieker | Soziale Arbeit und Polizei | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 264 Seiten

Pütter / Bieker Soziale Arbeit und Polizei

Zwischen Konflikt und Kooperation

E-Book, Deutsch, 264 Seiten

ISBN: 978-3-17-039232-8
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Polizei und Soziale Arbeit: Treffen hier nicht Gegenspieler aufeinander? Auf der einen Seite die mit staatlicher Autorität ausgestatteten Polizistinnen und Polizisten, auf der anderen Seite Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter, die auf der Basis von Vertrauen und Freiwilligkeit unterstützen und helfen wollen. Begleitet von einer langen Debatte über Unterschiede und Gemeinsamkeiten haben sich mittlerweile sehr verschiedene Formen der Zusammenarbeit, des Dialogs und gegenseitiger Abgrenzung entwickelt. Das Buch zeichnet die Verhältnisse zwischen Polizei und Sozialer Arbeit in unterschiedlichen Kriminalitätsformen und gegenüber verschiedenen Zielgruppen nach. Dabei werden die Grenzen der Kooperation deutlich. Zugleich wird der Blick auf Risiken und unerwünschte Wirkungen geschärft, die für die Soziale Arbeit und ihre Klientel entstehen.
Pütter / Bieker Soziale Arbeit und Polizei jetzt bestellen!

Weitere Infos & Material


2          Kriminalität, Sicherheit und Soziale Arbeit
      Was Sie in diesem Kapitel erwartet
In diesem Kapitel erfahren Sie, was Soziale Arbeit mit Kriminalität zu tun hat oder haben sollte. Zunächst werden die zwei Bezugspunkte etwas genauer vorgestellt: Was verbirgt sich hinter »Kriminalität« und der mit ihr verbundenen »Kriminalisierung«. Und was ist mit »Sicherheit« (vor Kriminalität) gemeint. Im zweiten Schritt wird der Beitrag erläutert, den die Soziale Arbeit im Feld von Sicherheit und Kriminalität leisten soll. Was kann, was verspricht sie, dass sie kriminalpolitisches Interesse auf sich zieht. Daran anschließend werden die rechtlichen Grenzen benannt, die einer zu engen Zusammenarbeit gezogen sind. Am Ende des Kapitel werden die Merkmale von Sozialarbeit und Polizei idealtypisch gegenübergestellt. 2.1       Kriminalität und Sicherheit
Polizeiliches Handeln ist auf zwei Phänomene ausgerichtet: Auf die Verfolgung von Kriminalität und auf die Abwehr von Gefahren für die öffentlicher Sicherheit (oder »innerer Sicherheit« im Unterschied zur »äußeren Sicherheit«, die in die Zuständigkeit des Militärs fällt) ( Kap. 1.1). 2.1.1     Kriminalität und Kriminalisierung
»Kriminalität« ist eine soziale Kategorie. Eine Handlung ist nicht wesensmäßig kriminell oder nicht kriminell, sondern sie wird das erst durch Zuschreibungen. Die einfachste und bedeutungsvollste Form dieser Zuschreibung ist die durch den Gesetzgeber: Ein allgemeingültiges Gesetz legt fest, diese oder jene Handlung ist verboten und wer sie gleichwohl begeht, wird mit einer Strafe bedroht. Primäre Kriminalisierung
Diese »primäre Kriminalisierung « unterliegt historischen und gesellschaftlichen Wandlungen. In dem Unter-Strafe-Stellen kommt ein besonderes Unwerturteil zum Ausdruck. Die verbotene Handlung gilt als so schädlich, dass sie mit den Mitteln des Strafrechts unterbunden werden bzw. – wenn das nicht gelingt – bestraft werden soll. Ob eine Handlung mit Strafe bedroht wird, hängt von einer Reihe von Faktoren ab. Die wichtigsten sind die Folgenden. •  Die gewandelten gesellschaftlichen Anschauungen über die Schädlichkeit oder Verwerflichkeit von Handlungen: Dass Betteln keine Straftat, sondern Ausdruck einer sozialen Notlage ist, setzte sich erst 1974 in der Bundesrepublik durch; besonders im Sexualstrafrecht (z.B. Strafbarkeit der Homosexualität) fanden die dominierenden moralischen Überzeugungen einen strafrechtlichen Ausdruck. •  Der technische und soziale Entwicklungsstand einer Gesellschaft, der es erst ermöglicht, Dinge zu tun, durch die anerkannte (Rechts-)Güter beeinträchtigt werden: Der internationale Rauschgifthandel ist an die Existenz globaler Handelsströme gebunden; »Cyber-Mobbing« ist ohne das Internet undenkbar. •  Die gewandelten Formen der Begehung von Straftaten: Die Strafbarkeit der Geldwäsche soll verhindern, dass illegal erworbene Reichtümer in legalen Besitz überführt werden; wenn Personen sich zu Gruppen zusammenschließen, um Anschläge zu verüben, dann liegt es nahe, bereits die Bildung dieser Gruppe und nicht erst die Vorbereitung eines Anschlags unter Strafe zu stellen. Schließlich sind es politische Entscheidungen, die bewirken oder verhindern können, dass sich die gewandelten Herausforderungen, Anforderungen und Anschauungen im positiven Recht niederschlagen. »Kriminalität« ist eine soziale Tatsache, die erst dadurch entsteht, dass bestimmte gesellschaftliche Überzeugungen und Einrichtungen unter staatlichen Schutz gestellt werden. Sie ist deshalb Ausdruck der Macht- und Herrschaftsverhältnisse in einer Gesellschaft. Wem es gelingt, seine Ansichten (über ›anständiges‹ Verhalten) oder seine Interessen (über den Schutz von Eigentum oder Gesundheit) unter den Schutz des Strafrechts zu stellen, der/die hat den Staat als unmittelbar eingreifenden Staat, mit Polizei und Strafjustizsystem, auf seiner/ihrer Seite. Die Wandlungen dessen, was »Kriminalität« bedeutet, resultieren aus drei Prozessen, die zu unterschiedlichen Zeiten, aber auch gleichzeitig in unterschiedlichen gesellschaftlichen Feldern stattfinden können. 1.  Prozesse der Kriminalisierung: Vormals straffreies, legales Verhalten wird unter Strafe gestellt. Beispiele: Geldwäsche, terroristische Vereinigung, Stalking, Cyber-Mobbing, Vermummung bei Demonstrationen. 2.  Prozesse der Entkriminalisierung: Vormals unter Strafe gestelltes Verhalten wird legalisiert, d.h. nicht weiter mit Strafe bedroht. Beispiele: Betteln, Kuppelei. 3.  Prozesse der Entpönalisierung: Ein Verhalten wird weiterhin mit Strafe bedroht, aber diese Strafe (lat. poena) wird nicht verhängt. Beispiele: Besitz von Betäubungsmitteln zum »Eigenbedarf«; Abtreibung (§ 218 StGB). Mit der primären Kriminalisierung legt der Gesetzgeber jene gesellschaftlichen Ausschnitte fest, in denen den Strafverfolgungsbehörden Eingriffe erlaubt sind. Dabei ist in Deutschland eine dreistufige Hierarchie verbotener Handlungen entstanden. In diesen Abstufungen soll der unterschiedliche Grad der Verwerflichkeit, der Schädlichkeit oder der Gefährlichkeit einer Tat zum Ausdruck gebracht werden, indem die Stufen mit abgestuft hohen Strafandrohungen versehen werden. Zugleich sind die Stufen mit unterschiedlichen Zuständigkeiten, Verfahrensgrundsätzen und Eingriffsbefugnissen verbunden ( Kap. 1.1). Die unterste Stufe rechtswidrigen Verhaltens sind Ordnungswidrigkeiten. Sie werden definiert als »rechtswidrige und vorwerfbare Handlungen«, die (maximal) mit einer Geldstrafe geahndet werden können (§ 1 Abs. 1 OWiG). Im Rahmen von Kriminalisierungs-/Entkriminalisierungsprozessen kann es geschehen, dass Ordnungswidrigkeiten zu Straftaten ›hochgestuft‹ oder Straftaten zu Ordnungswidrigkeiten ›herabgestuft‹ werden. § 12 StGB unterscheidet zwischen »Verbrechen und Vergehen«. Als Verbrechen werden solche Handlungen definiert, »die im Mindestmaß mit einer Freiheitsstrafe von einem Jahr oder darüber bedroht sind«. »Verbrechen« sind demnach besonders schwere Straftaten. Insgesamt ist deren Zahl im Strafgesetzbuch überschaubau. Es handelt sich vor allem um Delikte aus dem Bereich des Staatsschutzes (Hochverrat, Landesverrat, terroristische Vereinigung) und um schwere Delikte gegen Menschen (Mord, Totschlag, schwere Körperverletzung, Vergewaltigung, sexueller Missbrauch) oder Sachwerte (Raub, Brandstiftung, Geldfälschung). Die meisten Straftatbestände in Deutschland sind Vergehen. § 12 StGB definiert sie als rechtswidrige Taten, »die im Mindestmaß mit einer geringeren Freiheitsstrafe (also einem Jahr, NP) oder die mit Geldstrafe bedroht sind«. Der Raum des Strafbaren wird durch das Strafgesetzbuch und die »strafrechtlichen Nebengesetze« bestimmt. Mit diesem Ausdruck werden Strafbestimmungen überschrieben, die in den Regulierungen bestimmter Bereiche enthalten sind. Prominente Beispiele sind das Betäubungsmittelgesetz oder Umweltschutzgesetze. Sekundäre Kriminalisierung
Die Umsetzung strafrechtlicher Normen in die gesellschaftliche Praxis bezeichnet man als »sekundäre Kriminalisierung«. Ergibt sich die primäre Kriminalisierung (Normsetzung) aus den Entscheidungen der Gesetzgeber, so resultiert die sekundäre aus den Tätigkeiten der Behörden (Normanwendung). Dieser Umstand ist aus zwei Gründen besonders wichtig. Einerseits für die kriminell Handelnden: Betreffen ihre Handlungen einen Bereich, der für die Strafverfolgungsbehörden schwer zugänglich ist oder an dem sie kein aktives Interesse haben, so bleiben die Strafbestimmungen totes Recht, ihre Handlungen bleiben unentdeckt oder werden nicht verfolgt. Damit bleiben auch jene Folgen aus, die mit der Strafverfolgung verbunden sind: Ermittlungen, Gerichtsverfahren, Strafen etc. Zweitens beeinflusst die sekundäre Kriminalisierung das gesellschaftliche Bild von Kriminalität. Die Öffentlichkeit kennt nicht den durch strafrechtliche Bestimmungen abstrakt abgesteckten Raum; sie nimmt vorwiegend zur Kenntnis, was als »Kriminalität« entdeckt und von den zuständigen Behörden entsprechend behandelt wird. Auch die sekundäre Kriminalisierung ist kein stabiler Vorgang, denn sie wird von verschiedenen Faktoren beeinflusst. Die wichtigsten sind die Folgenden. •  Art des Delikts: Zentral ist hier die Gruppe sog. opferloser...


Dr. Norbert Pütter ist Professor für Politische Zusammenhänge Sozialer Arbeit am Institut für Soziale Arbeit der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg und Redakteur der Zeitschrift "Bürgerrechte & Polizei/CILIP".


Ihre Fragen, Wünsche oder Anmerkungen
Vorname*
Nachname*
Ihre E-Mail-Adresse*
Kundennr.
Ihre Nachricht*
Lediglich mit * gekennzeichnete Felder sind Pflichtfelder.
Wenn Sie die im Kontaktformular eingegebenen Daten durch Klick auf den nachfolgenden Button übersenden, erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Ihr Angaben für die Beantwortung Ihrer Anfrage verwenden. Selbstverständlich werden Ihre Daten vertraulich behandelt und nicht an Dritte weitergegeben. Sie können der Verwendung Ihrer Daten jederzeit widersprechen. Das Datenhandling bei Sack Fachmedien erklären wir Ihnen in unserer Datenschutzerklärung.