Quinn | Frau ohne Ausweg | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 378 Seiten

Quinn Frau ohne Ausweg

Kriminalroman

E-Book, Deutsch, 378 Seiten

ISBN: 978-3-948392-86-4
Verlag: Polar Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)



Eine verkohlte Leiche, ein ausgebrannter Wagen und eine Reihe von Fußspuren im Schnee führen Celcius Daly in die zwielichtige Welt des Menschenhandels. Die Grenze zwischen Nordirland und der Republik ist ein rauer Ort: kalt, windgepeitscht und dunkel. Für die aus Osteuropa hierher gebrachten Mädchen kann es genauso gut ein Kriegsgebiet sein. Ein Bauernhaus-Bordell in der Nähe von South Armagh erweist sich als Hölle für die Frauen. Eines Nachts nimmt ein Zuhälter eine von ihnen mit auf eine Spritztour. Sie plant gerade ihre Flucht, als das Auto explodiert. Am nächsten Morgen ist nichts mehr übrig als der verkohlte Körper des Zuhälters und die Fußspuren der Frau im Schnee. Während seine Forensiker ihre Aufmerksamkeit auf die verbrannte Leiche richten, ist Inspektor Celcius Daly besessen von den Fußspuren. Wo genau kam die Frau her und wohin ging sie? Es ist die Art von Frage, die nur in den Grenzgebieten gestellt wird – zwischen Nord und Süd, zwischen Leben und Tod. Inspector Celcius Daly macht sich auf der Suche nach der vermissten kroatischen Frau, Lena Novak. Daly findet sich zusammen mit ihr und einem Killer in einer Verfolgungsjagd auf Leben und Tod wieder. Seine Ermittlungen führen sie tief ins Grenzland, ein wildes Terrain aus sich auflösenden Wegen und gesprengten Brücken, verlassenen Geistersiedlungen und dichten Wäldern – der ultimative Zufluchtsort für alle, die nicht gefunden werden wollen.
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2
An Wochenenden riss der abendliche Strom an Scheinwerfern, die über die von dichten Hecken gesäumten Feldwege von und zu dem grenznahen Bordell schlichen, kaum einmal ab. In einem fort kurvten Jeeps und deutsche Nobelkarossen heran, und so hastig die Fahrer unterwegs rauf und runter schalteten, so Hals über Kopf parkten sie in ihrer kaum zu zügelnden Ungeduld: Reifen versanken im Schlamm und rutschten in gluckernde Gräben, Handbremsen wurden jäh angezogen, Motorhauben taten einen letzten Satz vorwärts in das tropfende Schlehdorngebüsch. Nach nichts war Jack Fowler in diesem Moment weniger als nach Zurückhaltung. Er donnerte in seinem dicken Mercedes auf das Farmhaus zu, ohne sich darum zu scheren, ob dabei der Seitenspiegel eines Land Rovers oder BMWs dran glauben musste. In seinem teuren Anzug entsprach er ganz dem Bild des cleveren Geschäftsmanns, der gekommen war, um einen Teil seines sauer verdienten Geldes auf den Kopf zu hauen. Als er auf das Haus zuging, folgte ihm ein Schwarm Fliegen. Trotz des leichten Schwankens und des Schweißes auf der Stirn wirkte er wie ein Mann, der alles im Griff hatte, sich selbst ebenso wie den Rest seiner Welt. Aber auf seiner Zunge lag der bittere Geschmack von Niederlage. Jetzt bedauerte er seine Gier und eine Reihe von Fehlentscheidungen auf dem Immobilienmarkt. Doch mittlerweile war es zu spät für einen Richtungswechsel, die Korrektur seines größten Fehlers, der Habsucht. Der Wert seiner Investitionen rutschte jeden Tag tiefer in den Keller, während eine Hiobsbotschaft die nächste jagte, täglich mehr Arbeitsplätze verloren gingen, Geschäfte dichtmachten und ihn der Pleite näherbrachten. Er hatte bereits einige Whiskey gekippt, bevor er zu dem geheimen Fluchtort an der Grenze aufgebrochen war, und hinter seiner Stirn begann sich wummernder Schmerz zusammenzuballen. Das Cottage kam ihm entgegen, und wie von einer Windböe erfasst flog die Tür auf. Ein Gefühl von Schuld fuhr in ihn. Er schloss die Tür hinter sich und wartete, bis sich seine Augen an das gedämpfte Licht gewöhnt hatten. Anfangs wollte er nur mit jemand reden. Die Frauen, die hinter dem roten Samtvorhang flüsterten, stammten alle aus Osteuropa. Kaum eine konnte so gut Englisch, dass sie ein Gespräch führen konnte. Er entschied sich für ein Mädchen namens Lena, weil ihr Blick klar war, frei von Hass oder Ekel, und ihre Augen verrieten keine Anzeichen von Drogenkonsum. Auf seinen Gesprächsversuch ging sie nicht ihm zu Gefallen ein, sondern weil sie einsam war. Manchmal verbrachte sie den ganzen Tag, ohne mit einer Menschenseele zu sprechen. Als ihnen der Gesprächsstoff ausging, bezahlte er sie und ging. Es war das teuerste Gespräch über das Wetter, das er in seinem zweiundvierzigjährigen Leben geführt hatte. Bei seiner Rückkehr in der folgenden Woche fragte er ausdrücklich nach ihr. Diesmal hatten sie Sex, und danach schlief er auf dem Bett ein. Als seine Zeit um war, weckte sie ihn. Er stand sofort auf und suchte nach seiner Kleidung, aber etwas ließ ihn innehalten. Beunruhigt beugte er sich zu ihr. »Habe ich dir wehgetan?« Er klang wie über sich selbst erschrocken. Sie zögerte einen Augenblick. »Nein.« »Diese blauen Flecken.« Er streckte die Hand aus, um die Blutergüsse zu berühren, violette Striemen auf dem hellen Marmor ihres Brustkorbs. Sie hatte versucht, sie zu verbergen, aber es waren zu viele. Sie zog die Decke um ihre Schultern. »Der Mann, der das Haus bewacht, ist gestern Nacht zu mir gekommen. Er heißt Sergej. Weil ich hier bin, fühlt er sich wie ein Feigling. Deswegen ist er wütend und lässt das ab und zu an mir aus.« Sie streckte die Hand nach einer Zigarette aus. »Warum bleibst du dann hier?« Sie gab keine Antwort. »Ich bin hergekommen, um mich zu vergnügen. Stattdessen …« Er öffnete den Mund, schloss ihn, begann erneut. Es kam kein Wort heraus. Verwirrung sprach aus seinen Augen. Er glich einem Untergehenden, der nicht ertrinken wollte. Sie beendete den Satz für ihn. »Stattdessen hast du nur Schmerz gefunden.« Sie zündete sich eine Zigarette an. »Die hässlichste Art von Schmerz. Denjenigen, den Männer verursachen, die Frauen hassen.« Ihre Stimme hatte einen anderen Klang angenommen, so als genösse sie die Worte wie den Tabakrauch, den sie inhalierte. »Gibt es denn verschiedene Arten von Schmerz? Ist er nicht immer hässlich?« Er wollte sie berühren, aber sie entzog sich seiner Hand. Ja, die gab es. Schmerz, den die Natur verursachte, war nie hässlich, etwa wenn man barfuß durch den Schnee lief, aber das sagte sie ihm nicht. »Du hast recht. Hier gibt es nichts als Schmerz.« Sie ließ seine Grübeleien nicht an sich heran. »Wie hältst du das hier nur aus?« Sie nahm einen tiefen Zug von ihrer Zigarette, ohne den Blick von der Wand gegenüber zu wenden. »Du kennst doch den Spruch – dass man Privates und Berufliches besser trennt.« »Den Sinn davon hab ich nie verstanden.« »Die Wahrheit ist, dass ich mich vor gar nichts mehr fürchte.« Er stand auf und wandte sich zum Gehen, blieb aber an der Tür stehen. »Wie lange bist du schon hier?« Sie klopfte die Asche ab. »Das wüsste ich selber gern. Keine Ahnung. Zwei, drei Monate. Fühlt sich aber an wie ein Jahr.« Sein Schweigen war unangenehmer als das Schweigen, in das ihre Freier sonst verfielen. Sie versuchte, ihn mit einem Blick zu verabschieden. »Wenn du allein sein möchtest, sag’s einfach.« »Ja. Das heißt nein. Ich will nicht allein sein. Warum bist du noch hier? Was willst du noch?« Er ließ sich auf den Stuhl in der Ecke gegenüber dem Bett fallen. »Ich will dir helfen.« »Dann befrei mich aus dieser Hölle.« Einige Minuten verstrichen, ohne dass einer ein Wort sprach. Das befrei mich schien zwischen ihnen in der Luft zu schweben. Sie war seine Gefangene, die ihm für die Vertraulichkeit das Versprechen von Freiheit abringen wollte. »Im Moment kann ich nichts tun«, sagte er schließlich. Im Halbdunkel wirkte er andächtig wie ein Priester. Er setzte sich zu ihr aufs Bett. Ihre Miene war ausdruckslos. Er zog sie an sich, seine Finger strichen über sie, zuerst sanft, dann kräftig. Er wollte seine Arme um sie legen. Fast wäre es ihm gelungen. Mehrmals war sie kurz davor, sich der Umarmung zu überlassen, doch dann rutschte sie ans Bettende. Erleichtert stellte sie fest, dass sie immer noch das Herz eines Mannes erreichen, an seinen Beschützerinstinkt appellieren konnte. Vielleicht gibt es doch einen Weg zurück in ihr altes Leben, dachte sie. Eine kräftige Windböe ließ die Fensterscheibe leise klirren. »Hier ist es gefährlich«, sagte sie. »Die Leute, die im Haus das Sagen haben, sind böse und brutal.« Er sah aus dem Fenster und nickte. Je näher man der Grenze kam, desto tiefer geriet man in den zwielichtigen Machtbereich von Terroristen und Kriminellen. Er war unruhig. In der Dunkelheit hörte er das Stöhnen des Windes und das Klagen einer Eule. Er wusste, dass draußen ein wildes Reich lag, in dem Straßen im Nichts endeten, Brücken gesprengt und Farmen verlassen waren, die dichten Wälder ein Paradies für Schmuggler und ein ideales Versteck für Schlepper. Als er seine Jacke nahm und zur Tür ging, war sein größter Wunsch, einfach mit ihr hinauszugehen. Aber das war zu gefährlich. Er musste sich etwas Raffinierteres einfallen lassen. Die Lösung lag weniger im Dunkel des Grenzlands, eher in den düsteren Winkeln seiner Vergangenheit. »Wirst du mir helfen?«, fragte sie. »Dazu müsste ich den Kontakt zu ein paar alten Kameraden reaktivieren«, antwortete er. »Außerdem wird es mich was kosten. Und damit meine ich nicht nur Geld.« Er sah sie an. Bildete er sich das ein oder war sie blasser geworden? Zum ersten Mal bemerkte er die dunklen Ringe unter ihren Augen. Er fragte sich, wer diese Frau war, die ihn dazu brachte, alles, womit er mühsam abgeschlossen hatte, erneut in sein Leben zu lassen. Sie hatte einen schönen Körper und ein nettes Gesicht, aber das gab es dort, wo er verkehrte, auch nicht so selten. Obwohl sie ihn offen ansah, hatte er das ungute Gefühl, dass er für sie kaum mehr war als ein Schatten, genau wie die unzähligen anderen, die in dieses Zimmer kamen und wieder gingen. Ihn beschlich der Verdacht, dass sie ihm die blauen Flecken mit Absicht gezeigt hatte, um bei ihm Mitleid zu erwecken. Wenn er bei Sinnen wäre, würde er jetzt gehen und nie wiederkommen, weil ihn hier nichts außer Schmerz und Verzweiflung erwartete. »Ich komm in drei Tagen wieder«, sagte er. »Bis dann sollte ich einen...


Anthony J. Quinn ist ein irischer Schriftsteller und Journalist. Seine neun Romane wurden von der Kritik hoch gelobt. Unter anderem von der Sunday Times, The Guardian, The Independent und Der Spiegel. Sein Debütroman Disappeared (dt. Auslöschung, 2021) wurde für den Strand Literary Award in den Vereinigten Staaten nominiert. Kirkus Reviews führt ihn als einer der zehn besten Thriller des Jahres 2012 auf. In Großbritannien wurde Disappeared zu einem der besten Romane des Jahres gewählt. 2014 erhielt er vom Northern Ireland Arts Council ein ACES-Stipendium für Literatur. Er promovierte an der School of English der Queen's University Belfast, wo er im MA in Creative Writing lehrt. Anthony J. Quinn lebt im County Tyrone mit seiner Frau Clare und seinen Kindern.


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