Kreisstrukturen als Organisationsprinzip zur Stärkung der Mitverantwortung des Einzelnen
E-Book, Deutsch, 208 Seiten
ISBN: 978-3-8006-5417-8
Verlag: Franz Vahlen
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)
Autoren/Hrsg.
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IXEinleitung
Bereits im Frühling 2015, zwei Jahre nach der Gründung des Soziokratie Zentrums Österreich (SoZeÖ) war uns klar, dass wir ein Buch, das die Soziokratische KreisorganisationsMethode beschreibt, für den deutschsprachigen Raum benötigten. Bei der ersten globalen Soziokratie-Konferenz außerhalb Hollands im Juni 2016 lag es dann als Konferenzausgabe auch schon auf dem Büchertisch. Annewiek Reijmer, John Buck, Gilles Charest und Pieter van der Meché, die mit Gerard Endenburg die TSG – The Sociocracy Group 2011 gegründet haben, waren nach Wien gereist, um die wachsende Soziokratie-Bewegung kennenzulernen. Gerard Endenburg konnte aus gesundheitlichen Gründen leider nur per Videoübertragung eine kurze Botschaft senden. Die damalige Konferenzausgabe wurde zu dem Buch weiterentwickelt, welches Sie nun in Ihren Händen halten. Wir haben es für ein breiteres Publikum geschrieben, weil das Interesse und die Fragen zur Soziokratie in den letzten Jahren rasant zugenommen hatten. Immer mehr „Nachahmer“ der Methode waren auf den Markt gekommen und es entstand die Gefahr, dass die von Gerard Endenburg entwickelten Prinzipien für Selbstorganisation und Mitverantwortung verwässert oder missverständlich interpretiert werden konnten. Die ersten drei Soziokratie-Experten im SoZeÖ konnten bald nicht mehr alle Anfragen beantworten und jeden Implementierungsprozess persönlich begleiten. Die Strategie in Österreich war es daher, rasch einen Pool von Soziokratie-Expertinnen aufzubauen. Mittlerweile fand schon der 3. CSE-Jahrgang angehender Certified Sociocratic Experts statt; anfangs begleitet von Pieter van der Meché vom SCN – Sociocratisch Centrum Nederland, aber bald schon übernommen von Barbara Strauch als erste österreichische CSE und Auditorin für die Soziokratie-Expertinnen-Ausbildung. Bis heute konnten zahlreiche neue Standorte, an denen man Soziokratie erlernen und erleben kann, im ganzen deutschsprachigen Raum entstehen. Die Zeit ist reif für die Soziokratie
Nach nunmehr 30 Jahren ist Annewiek Reijmer, Leiterin der globalen Soziokratie-Organisation TSG, immer noch von der Soziokratie überzeugt, weil sie sieht, was mit den Menschen geschieht, die soziokratisch arbeiten. Sie konnte das Vorurteil vieler Führungskräfte entkräften, dass Mitarbeiter keine Verantwortung tragen wollen, und das Vorurteil der Mitarbeiter, dass ihre Führungskräfte ihre Macht nicht abgeben möchten. „Soziokratie funktioniert nicht“, hört man dann, wenn die Leute vergessen, dass es nur dann funktionieren kann, wenn sie ihr Problem in die geschützte Umgebung des Kreises einbringen. Um das zu können, ist die Sicherheit einer verlässlichen Besprechungs- und Entscheidungsstruktur notwendig. Es geht um einen Lernprozess von der XGeschäftsführung bis zu den Mitarbeiterinnen, wobei überall Fehler gemacht werden. Das ist nicht schlimm, solange man sich in dem Prozess verbessert. Denn dann wird es wirklich ein gemeinsames Handeln. Für Barbara Strauch war die Soziokratische KreisorganisationsMethode SKM von Gerard Endenburg das wichtigste aus vielen partizipativen Werkzeugen, welche sie zwischen 2000 und 2010 im Austrotopia-Netzwerk für gemeinschaftliche Lebensformen kennengelernt hatte. So viele Initiativen für gemeinschaftliches Bauen und Wohnen sind aufgrund von Konflikten und Reibereien gescheitert. Das gewöhnliche Vereinsrecht bietet keine partizipative Struktur, alle Macht liegt beim Vorstand. Weder Mehrheitsentscheidungen noch stundenlange Plenumsdiskussionen werden dem einzelnen Menschen gerecht. Die Soziokratie bietet da etwas ganz anderes. Gesellschaftlich betrachtet ist die Zeit heute reif geworden, um im Konsent aller Beteiligten und mithilfe einer intelligenten Kreisstruktur mit eingebauten Feedbackschleifen gemeinsame Entscheidungen zu treffen. Und zwar in allen Bereichen der Gesellschaft, in den Unternehmen, im Bildungswesen oder in Regierungsorganisationen. Man kann sie nicht aus Büchern lernen!
Mit diesem Buch möchten wir allen Lesern unsere Erfahrungen zur Verfügung stellen, um sich ein gutes Bild von den Auswirkungen der Soziokratie bei sachgemäßer Anwendung machen zu können. Wir wollen Ihnen einen Geschmack davon geben, wie die Grundprinzipien der Soziokratie wirken. Die Soziokratische KreisorganisationsMethode (SKM) verändert die Machtverhältnisse in Organisationen. Wenn alle gleichwertig bei der Beschlussfassung sind, entstehen Vertrauen, Kreativität, Respekt, Authentizität und Empathie ganz von selbst. Das entspannt alle Beteiligten, schafft Räume für die Entfaltung jedes und jeder Einzelnen und ermöglicht Co-creation und damit das Entstehen von kollektiver Weisheit. Hunderte, vielleicht sogar tausende Organisationen haben die SKM weltweit in den letzten 47 Jahren, seit Gerard Endenburg die Methode in seinem eigenen Unternehmen Endenburg Elektrotechniek in Holland entwickelt hat, angewendet. Allein in Österreich haben von 2013 bis 2017 56 Organisationen die SKM eingeführt. Ein Film darüber ist im Entstehen. Wenn Sie in diesem Buch viele Themen wiederholt finden, dann sind diese Redundanzen von uns beabsichtigt. Das eigene Wertesystem ändert man nicht einfach beim Lesen einer Kurzbeschreibung. Jedoch haben wir für jene Leserinnen, die keine vertiefende Beschäftigung benötigen, auch eine Kurzbeschreibung (? 2.3 Kurzbeschreibung der SKM) verfasst. XIAuf dem Weg zur Selbstorganisation
Fündig wird man auf der Suche nach Methoden für Selbstorganisation am ehesten im Bereich der IT-Entwicklung. Scrum und Agile Teams sind seit Jahren bekannt. Bisher endet die Selbstorganisation im agilen IT-Bereich jedoch gewöhnlich beim Scrum Master oder dem Product Owner. Es fehlen oft die Feedbackschleifen hinauf zur Führungsebene. Mit Selbstorganisation beschäftigte sich auch Stafford Beer (1926-2002). Beer gilt als Begründer der Managementkybernetik. Seine Bücher waren auch Endenburg bekannt. Die Kybernetik und die Systemtheorie sind zwei Quellen der SKM. Stafford Beer entwickelte das Viable System Model (VSM), übersetzt als „Modell lebensfähiger Systeme“. Auch Niels Pfläging muss erwähnt werden, wenn es um Selbstorganisation geht. Er vertritt die „Beyond Budgeting“-Idee. Danach machen zu viel Planung und Finanzziele heute keinen Sinn mehr. „Wer heute erfolgreich sein will“, sagt Pfläging 2010 im Interview mit Brandeins, „muss eigentlich hochflexibel reagieren können, um sich an die schnell verändernden Bedingungen der Märkte anpassen zu können.“ Viele kennen sein „Pfirsich-Modell“ einer sich selbst organisierenden Betriebseinheit. Stafford Beer und Niels Pfläging stehen exemplarisch für eine ganze Bewegung, die sich aufgemacht hat, neue Paradigmen für unsere Zeit zu erschaffen. Viele Beispiele von Organisationen der Zukunft werden auch im Buch von Frederic Laloux „Reinventing Organizations“ beschrieben. Nur wer sich selbst regieren kann, kann sich auch selbst organisieren
Suchende nach mehr Partizipation und Beteiligung finden heute vieles, was ihnen Ideen gibt und eine Richtung weisen kann, aber niemand von den Vordenkern hat sich mit den üblichen Machtstrukturen in Organisationen beschäftigt, welche Partizipation und Beteiligung strukturell verhindern. Was muss eine Firmenleitung tun, um aus ihrem linearen Führungsmodell eine Organisation aus sich selbst organisierenden Teilen zu machen? Gerard Endenburg gibt uns mit der Soziokratischen KreisorganisationsMethode eine Antwort auf die Frage, wie wir zu partizipativen Machtstrukturen kommen. Der Weg zur Selbstorganisation muss die Gleichwertigkeit bei der Beschlussfassung einschließen. Nur wer sich selbst regieren und sich dabei mitverbinden kann, kann sich auch selbst organisieren! Diesen Weg zu effektiver Selbstorganisation vom Individuum bis in die gesamte Gesellschaft hinein hat Endenburg in seinem eigenen Unternehmen konstruiert, erprobt, evaluiert, verbessert, erneut erprobt und weiterentwickelt. Der SKM-Implementierungsprozess ist ein begleiteter Prozess, bei dem gemeinsam mit der Organisation ein Weg kreiert wird, Selbstorganisation mithilfe von Gleichwertigkeit bei der Beschlussfassung – erzeugt durch die 4 XIIBasisprinzipien – individuell und mit den Möglichkeiten der handelnden Personen umzusetzen. Wir freuen uns, wenn Sie dieses Buch als Inspiration nutzen, Ihre bisherigen Modelle („wie es laufen muss“) um die im Buch enthaltenen Perspektiven zu erweitern. Barbara Strauch und Annewiek Reijmer
November 2017 Rollenverteilung zwischen den Autorinnen
Das Buch wurde in deutscher Sprache von Barbara Strauch entworfen. Annewiek Reijmer, die in den vergangenen 30 Jahren im Sociocratisch Centrum Nederland an der Entwicklung und Vermittlung der Soziokratie nach Gerard Endenburg federführend mitwirkte, hat jede Zeile gelesen, manchmal etwas verbessert und an vielen Stellen ihr Wissen und ihre Erfahrungen einfließen lassen. Um eine gute Lesbarkeit zu gewährleisten, wurde im Text auf die Unterscheidung der Urheberschaft verzichtet. Gender-Regel
In diesem Buch werden die weibliche und die männliche Form immer abwechselnd und synonym verwendet, je nach Textfluss, Sinn und Lesbarkeit. Außer bei namentlich erwähnten Personen ist immer auch das jeweils andere...