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E-Book, Deutsch, Band Band 9 9, 501 Seiten, Format (B × H): 220 mm x 148 mm, Gewicht: 1024 g

Reihe: Politik und Gesellschaft in der Schweiz

Ritz / Haldemann / Sager Blackbox Exekutive

Regierungslehre in der Schweiz

E-Book, Deutsch, Band Band 9 9, 501 Seiten, Format (B × H): 220 mm x 148 mm, Gewicht: 1024 g

Reihe: Politik und Gesellschaft in der Schweiz

ISBN: 978-3-03810-432-2
Verlag: NZZ Libro
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Regierungen sind in aller Munde, global und national. Doch wie funktioniert eine Regierung überhaupt? Von aussen betrachtet: als Blackbox. Der genauere Blickwinkel dieses Buchs aber offenbart eine Innensicht aus historischer, internationaler, politik-, rechts- und wirtschaftswissenschaftlicher Perspektive. 24 Beiträge zeigen auf, wie sich die Regierungstätigkeit in der Schweiz gewandelt hat. Sie positionieren das schweizerische Regierungssystem zudem im internationalen Vergleich. Die Autorinnen und Autoren thematisieren die Rollenteilung zwischen Regierung und Verwaltung, aber auch innerhalb eines Regierungsgremiums. Dabei wird aufgezeigt, wie Regierungen strategisch, finanziell und personell führen. Hierfür werden auch die Rolle der Regierungskommunikation und das Verhältnis zwischen Regierung und Medien beleuchtet. Schliesslich widmet sich das Buch dem einzelnen Regierungsmitglied und stellt die Anforderungen an das Regierungsamt dar. Mit Beiträgen von Fachleuten aus Theorie und Praxis.
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Zielgruppe


Studierende Politikwissenschaft, Politiker in der Exekutive, Mitarbeitende öffentliche Verwaltung

Weitere Infos & Material


1. Von der Koalitionsregierung von 1848 zur Konkordanzregierung von 1959
Urs Altermatt
Das politische System der Schweiz weicht stark von denjenigen der anderen europäischen Länder ab. Während der föderalistische Aufbau der Eidgenossenschaft mit ihren 26 Kantonen den meisten Europäern einigermassen verständlich ist, lösen die direktdemokratischen Institutionen von Referendum und Initiative zugleich Bewunderung und Misstrauen aus. Der Bundesrat als kollegiale Regierungsform bleibt in der Regel ein Mysterium, das ausserhalb der Schweiz kaum Beachtung und noch weniger Verständnis findet.1 Ohne Zweifel ist der Bundesrat die eigenartigste, wenn nicht die einzigartigste Institution, die die Verfassungsväter bei der Gründung der modernen Schweiz 1848 geschaffen haben. Wie es in der Bundesverfassung heisst, stellt der Bundesrat die «oberste vollziehende und leitende Behörde» der Eidgenossenschaft dar und setzt sich seit 1848 aus sieben Departementen (Ministerien) zusammen. Zwar veränderte sich die administrative Zusammensetzung der Departemente im Laufe der Geschichte mehrfach, ihre Zahl blieb aber seit 1848 gleich. In Bezug auf den grundlegenden Mechanismus der Regierung spricht die Verfassung ausdrücklich vom «Kollegial-» und vom «Departementalprinzip». Die sieben einander gleichgestellten Mitglieder der Landesregierung sind Vorsteher je eines Departements und fassen gemeinsam die Regierungsbeschlüsse. Die Schweiz kennt weder einen Regierungschef noch einen eigentlichen Staatspräsidenten. Der alljährlich wechselnde Bundespräsident führt zwar den Vorsitz, hat aber grundsätzlich dieselben Kompetenzen wie die anderen sechs Regierungsmitglieder. In erster Linie kommt ihm die formelle Leitung des Regierungskollegiums zu. Da er nicht Staatspräsident im üblichen Sinn der westlichen Demokratien ist, empfängt nicht er, sondern der Gesamtbundesrat ein ausländisches Staatsoberhaupt bei einem offiziellen Staatsbesuch. Die Aufgaben des Staatsoberhaupts übernimmt in der Schweiz der Gesamtbundesrat als Kollektiv. 1.1 Zunehmende Präponderanz des Departementalsystems
In den ersten Jahrzehnten des Bundesstaats nach 1848 stand das Kollegialsystem eindeutig im Vordergrund (Altermatt 1991b).2 Mitte des 19. Jahrhunderts waren die einzelnen Sachgeschäfte einigermassen überschaubar, was die Zusammenarbeit im Regierungsgremium erleichterte. Ausserdem wurde das kollegiale Regieren durch den Brauch gefördert, dass der für ein Jahr gewählte Bundespräsident sein angestammtes Departement verliess und das Politische Departement mit den auswärtigen Beziehungen übernahm. Deswegen musste sein bisheriges Departement für ein Jahr durch einen Stellvertreter geleitet werden. Diese Tradition wurde 1887 erstmals für wenige Jahre unterbrochen, dann wieder eingeführt und erst in der Zeit des Ersten Weltkriegs durch die Schaffung eines eigenständigen und von einem Bundesrat permanent geführten Aussenministeriums endgültig aufgegeben (C. Altermatt 1990). Schon in den ersten Jahrzehnten des Bundesstaats funktionierte die Kollegialbehörde nicht nach dem Buchstaben der Verfassung. Dominante Bundesratspersönlichkeiten suchten sich ihre Wunschdepartemente aus, in denen sie länger verblieben. Im Weiteren war in den Jahrzehnten nach 1848 die Reihenfolge bei der Wahl zum Bundespräsidenten nicht nach dem Anciennitätsprinzip geregelt. Dies hatte zur Folge, dass starke Bundesräte häufiger als andere die Funktion des Bundespräsidenten ausübten und weniger einflussreiche Bundesräte Stellvertreterdienste leisten und ihr Departement wechseln mussten. Mit der Totalrevision der Bundesverfassung von 1874 wurden die Aufgabenbereiche des Bundes und damit der Bundesregierung stark ausgeweitet. Dadurch erhielt die Schweiz ihre moderne Staatsform, und das Kollegialsystem machte einen fundamentalen Wandel durch. Weil die Departemente den Charakter von individuellen Zuständigkeitsbereichen einzelner Bundesräte annahmen, mischten sich die Regierungsmitglieder weniger in andere Ministerien ein, da ihnen diese Geschäfte weniger geläufig waren. Abgesehen von den auswärtigen Beziehungen wurde das Kollegialsystem in der Verfassungswirklichkeit zur partiellen Fiktion, was schon damals als «Minister-Anarchie» bezeichnet wurde. Im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts setzte sich de facto das Departementalprinzip mit kollegialer Beratung und Beschlussfassung durch. Die Not- und Ausnahmesituationen des Ersten und des Zweiten Weltkrieges verstärkten diese Entwicklung, und nach 1945 erhielt das Regierungssystem seine bis heute geltende Ausprägung. Als Fazit lässt sich festhalten, dass die Tendenz zur Departementalisierung im 20. und 21. Jahrhundert zunahm und das Kollegialitätsprinzip für die ordentliche Tagespolitik faktisch in den Hintergrund drängte. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass auch die Regierungen anderer Länder als Kollegium agieren. Allerdings besitzt dort in der Regel ein Minister- oder Staatspräsident Weisungsbefugnisse. In der Schweiz - und darin besteht das Spezifikum - fehlt dieser Ministerpräsident. 1.2 Das alljährlich wechselnde Bundespräsidium
Beim schweizerischen Regierungssystem fällt das jährlich rotierende Bundespräsidium auf (Altermatt 1991b; Altermatt 1992a; Altermatt 1993; C. Altermatt 1990; De Pretto 1988). Damit soll nach dem Willen der Gründerväter das Entstehen eines präsidialen Systems verhindert werden. Mit der innenpolitischen Befriedung, die nach dem Bürgerkrieg von 1847 ein halbes Jahrhundert brauchte und erst in den 1880er-Jahren Gestalt annahm, setzte sich um 1900 bei der Wahl des Bundespräsidenten das Anciennitätsprinzip durch. Daraus folgte, dass die sieben Mitglieder des Bundesratskollegiums erst jetzt wirklich gleichgestellt waren. Jeder Bundesrat durfte in der Reihenfolge seiner Wahl während eines Jahres den Glanz des Bundespräsidiums geniessen. Die Einführung der Anciennitätsregel bildete einen wichtigen Meilenstein auf dem Weg zur helvetischen Konkordanzdemokratie, was weder die Politik noch die Politikwissenschaft bisher angemessen gewürdigt haben. Die Stabilität der Regierung wurde auch durch die in den Geschichtsbüchern oft übersehene Tatsache gefördert, dass sich die Bundeskanzlei seit 1848 als stabiler Pfeiler der Exekutivgewalt herausbildete (Iten 1998; von Niederhäusern 2005; Häfliger 2011; Willi 2002). Mit der ausserordentlich langen Kontinuität ihrer Amtsinhaber sorgte die Kanzlei für Kontinuität, Qualität und Stabilität des Regierungssystems. Auch diesem Faktum wird gemeinhin zu wenig Beachtung geschenkt. Schon 1848 war die Bundeskanzlei de facto die zentrale Stabsstelle von Bundesrat und Parlament und wuchs von Jahrzehnt zu Jahrzehnt zum informellen Führungs- und Stabsorgan des Bundespräsidenten und des Bundesrats heran. Erst 1972 trennte man die Parlamentsdienste formell von der Bundeskanzlei ab, auch wenn diese organisatorisch weiterhin der Kanzlei unterstellt blieben. Als wesentliche Neuerung kamen seit 1978 Staatssekretäre als neue Spitzenbeamte in der Verwaltung hinzu. 1.3 Langjährige Tätigkeit der Regierungsmitglieder
Im Vergleich mit anderen europäischen Ländern und westlichen Demokratien sticht die langjährige personelle Kontinuität der Schweizer Regierung hervor.3 Im Durchschnitt blieben die Mitglieder der Landesregierung zehn bis elf Jahre im Amt. Diese lange Amtsdauer bildet ein wesentliches Merkmal des politischen Systems der Schweiz und ist in hohem Mass für dessen Stabilität verantwortlich. Die längsten Bundesratsmandate betrugen – von der Wahl bis zum Rücktritt – 31 Jahre, 7 Monate und 6 Tage (Carl Schenk); 29 Jahre und 3 Monate (Adolf Deucher) sowie 28 Jahre, 1 Monat und 9 Tage (Giuseppe Motta); die kürzesten 1 Jahr, 2 Monate und 4 Tage (Louis Perrier); 1 Jahr, 10 Monate und 12 Tage (Rudolf Friedrich) sowie 2 Jahre und 23 Tage (Victor Ruffy). Im politischen System der Schweiz fehlt die Institution des Misstrauensvotums. Obwohl seit 1874 beziehungsweise seit 1891 das Schweizer Volk mit Referenden und Initiativen Parlament und Bundesrat regelmässig an der Urne in die Minderheit versetzen und ihnen mit diesen direktdemokratischen Instrumenten politische Niederlagen bereiten kann, traten die Bundesräte in solchen Fällen – mit ganz wenigen Ausnahmen, zum Beispiel Bundesrat Max Weber 1953 – nicht zurück. Auf die Dauer gesehen erwiesen sich die Institutionen der direkten Demokratie in der Kombination mit dem Kollegialprinzip als stabilisierendes Element der Regierung, denn sie besitzen eine Ventilfunktion (Neidhart 1970). In ganz seltenen Fällen führten Affären oder Druck vonseiten der Parteien und der Medien zum vorzeitigen Rücktritt eines Bundesrats (beispielsweise im 20. Jahrhundert Arthur Hoffmann 1917, Marcel Pilet-Golaz 1944, Paul Chaudet 1966, Elisabeth Kopp 1989). Eigentliche Nichtwiederwahlen blieben in der 150-jährigen Geschichte des Bundesrats seltene Ausnahmen und erfolgten nur in Krisen- oder Wendejahren (Ulrich Ochsenbein 1854, Jean-Jacques Challet-Venel 1872, Ruth Metzler-Arnold 2003 und Christoph Blocher 2007). Nach 1872 dauerte es mehr als 130 Jahre bis zu den ersten Nichtwiederwahlen von Bundesratsmitgliedern. Das ist eine erstaunlich lange Zeit. Der Bundesrat wird nach den Nationalratswahlen durch die Bundesversammlung in Einzelschritten, das heisst individuell und nicht kollektiv, jeweils auf eine Amtszeit von vier Jahren – früher drei Jahren – gewählt. Bis 1999 enthielt die Bundesverfassung eine Klausel, nach der jeder Kanton nur durch ein Mitglied im Bundesrat vertreten sein durfte. Im Februar 1999 beschlossen Volk und Stände den Ersatz der sogenannten...


Adrian Ritz (* 1970), Prof. Dr., lehrt Public Management an der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Bern. Schwerpunktthemen seiner international publizierten Forschung sind die Reform staatlicher Organisationen, Leadership von Führungspersonen in Politik und Verwaltung sowie die Motivation öffentlicher Angestellter. Er war Gastprofessor an der Universität der Bundeswehr in München und forschte in den USA an der Indiana University und an der University of Georgia.
Theo Haldemann (* 1958), Dr.oec. publ., ist Leiter der Fachstelle Neues Führungsmodell für die Bundesverwaltung der Eidg. Finanzverwaltung. Er ist Berater für Politik und öffentliche Verwaltungen, Gastreferent an der Universität Bern und Lehrbeauftragter an der Fachhochschule Nordwestschweiz und hat mehrere Publikationen zu Verwaltungsführung und Reformen im öffentlichen Sektor verfasst.
Fritz Sager (* 1970), Prof. Dr., lehrt Politikwissenschaft am Kompetenzzentrum für Public Management der Universität Bern. Zuvor war er an der University of North Carolina at Chapel Hill und an der ETH Lausanne. Daneben arbeitete er als Projektleiter und später Geschäftsführer eines privaten Büros für Politikforschung und -beratung.


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