Roberts | Die Wurzeln des Menschen | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 480 Seiten

Roberts Die Wurzeln des Menschen

Wie der Dschungel die Erde formte, das menschliche Leben hervorbrachte und unsere Zukunft bestimmt

E-Book, Deutsch, 480 Seiten

ISBN: 978-3-423-43949-7
Verlag: dtv Verlagsgesellschaft
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Die grüne Wiege der Menschheit
Das Schicksal der Menschheit ist schon immer mit dem der Tropenwälder verbunden. Der Anthropologe und Archäologe Patrick Roberts nimmt uns mit auf eine spannende Reise durch die Jahrmillionen. Er schildert, wie die Wälder entstanden und das Aussehen unseres Planeten entscheidend prägten. Erst durch sie fanden Amphibien den Weg an Land, entwickelten sich neue Pflanzen- und Tierarten – und schließlich der Mensch. Roberts zeigt, welch bedeutende Rolle die Tropenwälder bei unserer Evolution spielten und dass die Wurzeln des 'Anthropozäns' weiter zurückreichen als 6000 Jahre, da der Mensch schon damals die Wälder in größerem Stil veränderte. Und er warnt eindrücklich vor den Folgen der Zerstörung dieses für uns so wichtigen Ökosystems.
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Vorwort
Als mein StudentVictor Caetano Andrade und ich uns im Juli 2019 durch das Herz der brasilianischenNeotropis schlugen, mussten wir Giftschlangen abwehren, aber auch riesige Mücken, die sogar die zähe Haut von Krokodilen durchstechen können, und die Hitze ließ uns den Schweiß bächeweise in die Augen rinnen. In den letzten zehn Jahren hatte mich meine Freilandarbeit in den Tropen von den egelverseuchten feuchten RegenwäldernSri Lankas bis in die leicht brennbaren, trockenen WälderAustraliens und die vonVulkanen gesäumten NebelwälderMexikos geführt. Dennoch hatte mich nichts auf das wimmelnde Leben, das stickige Klima und das endlose Grün amAmazonas vorbereitet, dem nach der Wassermenge größten Fluss der Welt. Allein um die Freilandstation im Dorf unserer Gastgeber zu erreichen, mussten wir 523 Kilometer auf einer »langsamen Fähre« (recreio) zurücklegen, eine Reise, die atemberaubende 36 Stunden dauerte. Anschließend folgte noch eine zweistündige Fahrt auf einem kleinen, offenen Boot. Mit uns reisten mehrere sperrige Kisten voller wissenschaftlicher Ausrüstung, einer Handvoll Gerätschaften für den Aufenthalt vor Ort und so viel Kleidung, wie der verbleibende Platz und die Willenskraft uns mitzunehmen erlaubten. Victor musste im Lauf der sommerlichen Forschungsarbeiten nicht nur eine Episode des Dengue-Fiebers erdulden, sondern auch eine eiternde, entzündete Blase von der Größe einer kleinen Pflaume an der Hand und den Ausfall eines Flugzeugmotors bei der Landung auf einer lokalen Piste. Das alles passt, insbesondere für die Bewohner Europas und Nordamerikas, zu den Vorstellungen von tropischen Wäldern oder »Dschungeln«, die viele von uns durch Spiel- oder Dokumentarfilme und Romane gewonnen haben – von den Prüfungen in Apocalypto bis zu Mogli, der mit Tieren um die Wette läuft. Für uns sind die tropischen Wälder eine Art terra incognita. Sie mögen künstlerische Metaphern und natürliche Ressourcen liefern, aber sie sind gewiss nicht das, was wir uns unter einem »Zuhause« vorstellen. Im Gegenteil: Die meisten europäisch-amerikanischen Bücher, Serien und Kinokassenschlager, die im »Dschungel« spielen, vermitteln den Eindruck, tropische Wälder seien grundsätzlich nicht in der Lage, große menschliche Gesellschaften nachhaltig und gefahrlos zu ernähren. Solche Vorstellungen prägen nicht nur das laienhafte, sondern auch das wissenschaftliche Denken. Tropische Wälder wurden bei der Erörterung der Menschheitsgeschichte wie auch der Geschichte des Lebendigen auf der Erde häufig an den Rand gedrängt. So besagt beispielsweise das beherrschende Narrativ über die Evolution des Menschen, dass unsereHomininen-Vorfahren die Gefahren und die frugale Kost des Waldes hinter sich ließen, sobald sie dazu in der Lage waren, und hinaus auf die offeneSavanne strebten, wo sie mit neuenWerkzeugen die reichhaltigen Wildbestände einer solchen Umwelt ausbeuten konnten.[1] Ebenso konzentrierte man sich auf offeneGraslandschaften und Küstenstreifen[2], wenn man nach den Ursprüngen unserer eigenen Spezies Homo sapiens und deren schnellen »Verbreitungsrouten« rund um den Erdball suchte. Ähnliches gilt auch, wenn wir uns mit der Entstehung von Landwirtschaft oder Städten beschäftigen: Wieder werden die tropischen Wälder oft als »unproduktiv« außer Acht gelassen, weil man annimmt, es gebe dort grundsätzlich nur schlechten, unproduktiven Boden, Naturgefahren, schwer zu jagende Tiere und ein extremes Klima, in dem sich die Landwirtschaft und die Städte, wie wir sie aus unserer eigenen, angeblich »komplexen« Gesellschaft kennen, unmöglich aufrechterhalten lassen.[3] Angesichts der scheinbar unaufhaltsamen Zerstörung durch industrielle Landwirtschaft und Stadtbevölkerung fragen wir uns, wie solche Lebensräume jemals die Grundlage für weitläufige Felder mitMonokulturen, riesige Weideflächen und geschäftige Metropolen hätten bilden können. Stattdessen sprechen Berichte über Lebensgemeinschaften in tropischen Wäldern häufig von kleinen, oftmals angeblich »isolierten« Gruppen, die zum Überleben auf das Jagen und Sammeln angewiesen sind.[4] Solche Annahmen prägen nicht nur unsere Kenntnisse über die Geschichte der tropischen Wälder, sondern auch unsere Bemühungen, sie zu schützen. Traditionelle Naturschutzanstrengungen gehen häufig davon aus, dass Menschen in tropischen Wäldern schlicht nicht nachhaltig leben können; deshalb, so heißt es, könne man sie am besten schützen, wenn man sie als ökologische »Wildnis« mit möglichst wenigen Eingriffen und Störungen durch Menschen behandelt.[5] Selbst das Wort »Dschungel«, das häufig für tropische Wälder verwendet wird – es geht auf das Hindi-Wort »jangal«[6] zurück – bezeichnete ursprünglich einen Bereich außerhalb menschlicher Siedlungen und häuslichen Komforts. Gegenüber den Geschichten, die wir so oft über tropische Wälder hören, sollten wir also skeptisch sein. Meine Expedition insAmazonasbecken veränderte mein Leben. Insbesondere zwei ganz unterschiedliche Erlebnisse mit tropischen Wäldern sind mir im Gedächtnis geblieben – und die waren viel eindringlicher als alle Kämpfe, dieVictor und ich unter den Baumkronen ausfechten mussten. Beide Begegnungen machen nicht nur deutlich, wie langlebig und eng die Wechselbeziehungen zwischen den Menschen und dieser majestätischen Umgebung sind, sondern auch welche Bedeutung die tropischen Wälder nach wie vor für uns alle haben, ganz gleich, ob wir in den Tropen leben oder nicht. Die erste Erfahrung machte ich eines Morgens, als wir zum sanften Schaukeln des betagten recreio und dem Lärm der Papageien aufwachten. Victor, ein altgedienter Reisender im Amazonasgebiet und brasilianischer Staatsbürger, deutete auf die Baumwipfel und sagte: »Wir werden bald ein Dorf sehen.« Ich folgte seinem Finger mit den Blicken, konnte aber kein Anzeichen von Menschen oder Häusern entdecken, ja noch nicht einmal eine Lichtung, die auf irgendeine Form der Gegenwart von Menschen hingedeutet hätte – alles schien einfach wild und grün zu sein. Dann machte mich Victor darauf aufmerksam, welche Pflanzen plötzlich an den Flussufern vorherrschten. Bei näherem Hinsehen zeigte sich im Gegensatz zu dem früheren Bewuchs eine dichte Konzentration von zwei bestimmten Pflanzen: Açai-»Beeren« tragende Palmen undParanussbäume (die man richtiger »Amazonasnüsse« nennen sollte). Mit seinen langjährigen Erfahrungen als Ökologe und häufiger Besucher der Siedlungen entlang der Ufer imAmazonasbecken wussteVictor, dass diese Pflanzen eine Art lebender Wegweiser zu einer menschlichen Siedlung sind. Und tatsächlich tauchte langsam ein Dorf aus dem Gewirr der dichten Vegetation am Flussufer auf, das den passenden Namen »Ponta da Castanha« (»Ort der Amazonasnussbäume«) trug. Wie Victor und die Einheimischen, einschließlich unseres großzügigen Gastgebers Jucelino, ganz genau wussten, liegen die heutigen Siedlungen am Flussufer fast immer über prähistorischen Siedlungsstätten. Hier haben frühere Gesellschaften über Jahrtausende die Fruchtbarkeit des Bodens und die Zusammensetzung der Pflanzenwelt verändert, und das so stark, dass die gleichen Stellen auch heute noch die einheimischen Lebensmittelproduzenten anziehen. Wäre das Amazonasgebiet wirklich eine »unberührte« Landschaft und im Wesentlichen frei von menschlicher Geschichte, wie könnte ich dann an einer Stelle stehen, die seit Jahrtausenden immer wieder Siedlungen beherbergt hat? Und das zweite Erlebnis: Am Ende unseres Besuchs stießen wir in einem kleinen Motorboot vom Ufer ab. Während wir knapp oberhalb der Wasserlinie saßen und unsere Habseligkeiten und Ausrüstung krampfhaft auf dem Schoß festhielten, blickte ich hinauf zum Himmel. Dort sah ich eine schnell wandernde Wolkendecke, die so dicht über dem Amazonas-Regenwald und seinen menschlichen Siedlungen dahinsegelte, dass es schien, als könne man sie mit den Händen greifen. In diesem Augenblick konnte ich vielleicht zum ersten Mal die Bedeutung der tropischen Wälder für die Region, den Kontinent und die ganze Welt wirklich einschätzen. Würden diese Wälder verschwinden, der Verlust des von Milliarden und Abermilliarden Blättern verdunsteten Wassers würde die dichte Wolkendecke zu einem fadenscheinigen Lumpen machen. Nur den wenigsten Menschen ist klar, dass die tropischen Wälder für einen beträchtlichen Anteil des Niederschlags über den Landflächen der ganzen Welt verantwortlich sind.[7] Würden die tropischen Wälder desAmazonasbeckens verschwinden, der Niederschlag würde nicht nur lokal abnehmen, sondern über weiten Teilen des...


Roberts, Patrick
Dr. Patrick Roberts, Jahrgang 1991, ist Anthropologe und Archäologe und Gruppenleiter am Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte in Jena. Für seine Forschungen reiste er bisher u.a. ins Amazonasbecken, nach Sri Lanka und Australien. Er hat zahlreiche international renommierte Forschungsstipendien erhalten und war Mitglied mehrerer Gremien der UNESCO, die Ideen für die nachhaltige Nutzung der Regenwälder entwickeln.

Dr. Patrick Roberts, Jahrgang 1991, ist Anthropologe und Archäologe und Gruppenleiter am Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte in Jena. Für seine Forschungen reiste er bisher u.a. ins Amazonasbecken, nach Sri Lanka und Australien. Er hat zahlreiche international renommierte Forschungsstipendien erhalten und war Mitglied mehrerer Gremien der UNESCO, die Ideen für die nachhaltige Nutzung der Regenwälder entwickeln.


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