Rohe | Das islamische Recht | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 656 Seiten

Rohe Das islamische Recht

Geschichte und Gegenwart

E-Book, Deutsch, 656 Seiten

ISBN: 978-3-406-79040-9
Verlag: C.H.Beck
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Das islamische Recht ist im Westen durch spektakuläre Todesurteile und drakonische Körperstrafen in Verruf geraten, ansonsten aber weitgehend unbekannt. Was ist die Scharia? Was ist eine Fatwa? Kann es im Islam eine Gleichberechtigung der Geschlechter geben? Diese und andere Fragen behandelt Mathias Rohe in der ersten umfassenden Darstellung des islamischen Rechts seit Jahrzehnten.

Erstmals beschreibt in diesem Buch ein islamwissenschaftlich geschulter Jurist Entstehung, Entwicklung und gegenwärtige Ausformung des islamischen Rechts. Mathias Rohe erläutert die wichtigsten islamischem Rechtsquellen und Rechtsfindungsmethoden und schildert die Regelungsbereiche des klassischen islamischen Rechts: Ehe- und Familienrecht, Erbrecht, Vertrags- und Wirtschaftsrecht, Gesellschaftsrecht, Eigentumsrecht, Strafrecht, Staats- und Verwaltungsrecht, Fremden- und Völkerrecht. Dabei kommen auch grundlegende Unterschiede zwischen Sunniten, Schiiten und anderen Richtungen zur Sprache. Sein besonderes Augenmerk gilt den Regelungen für Muslime in einer nichtislamischen Umgebung, vor allem in Deutschland. Ein Ausblick auf Perspektiven des islamischen Rechts in einer globalisierten Welt beschließt das bewährte Standardwerk.
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I. Zu diesem Buch
Auch islamisches Recht ist Recht. Diese eigentlich selbstverständliche Aussage soll unterstreichen, dass es in Geschichte und Gegenwart über alle Kulturgrenzen hinweg vergleichbare Funktionen von Rechtsordnungen gibt, bei allen Unterschieden in Einzelheiten. Dies gilt unabhängig davon, ob eine einschlägige rechtstheoretische Debatte geführt wird oder nicht. Streben nach Gerechtigkeit ist Leitmotiv aller Rechtsordnungen. Sie verstehen sich zum einen als gesellschaftliches Leitbild. Die in ihnen enthaltenen Gerechtigkeitsvorstellungen sollen Maßstäbe setzen. Insoweit gibt es Unterschiede zwischen religiös ausgerichteten und säkularen Rechtsordnungen; erstere enthalten auch eine transzendente, jenseitsbezogene Dimension. Zudem können sich die Inhalte dessen, was für «gerecht» gehalten wird, in erheblichem Umfang nach Zeit, Ort und Kultur unterscheiden. Zumindest ebenso bedeutsam ist aber die Funktion des Rechts als Mechanismus für die Regelung zwischenmenschlicher Beziehungen, für Interessenausgleich (zum Beispiel im Vertragsrecht) und Schutz vor Übergriffen (zum Beispiel im Strafrecht und im zivilen Deliktsrecht; beides war lange Zeit kaum getrennt). Hier werden Aspekte wie die einheitliche Anwendung von Rechtsregeln auf alle von ihnen erfassten Situationen und allgemeiner die Durchsetzung einer Friedensordnung im zwischenmenschlichen Bereich wie auch in größeren politischen Einheiten bedeutsam. Solches kann nur gelingen, wenn die anzuwendenden Regeln einen gewissen Abstraktionsgrad haben, also über die Anwendbarkeit auf einen bestimmten Einzelfall hinausreichen. Das gilt unabhängig davon, ob eine Rechtsordnung eher auf mehr oder weniger intensiv kodifizierten Regeln basiert oder sich eher anhand von Präzedenzfällen fortentwickelt. Damit aber wird es erforderlich, den Umgang mit den Begriffen zu erlernen, aus denen die Regeln gebildet werden.[1] Gerade hierin liegt die typische juristische Arbeit. Ohne sie kann eine Rechtsordnung nicht verständlich werden. Auch wer vom islamischen Recht kaum etwas weiß, hat nicht selten präzise Vorstellungen davon. Handabhacken, Auspeitschen oder Steinigen von Ehebrechern, Tötung Andersgläubiger und Benachteiligung von Frauen sind einige der am weitesten verbreiteten Stereotype. Willkürliche «Kadijurisprudenz»[2] gilt als Markenzeichen. Das islamische Recht fügt sich so in das verbreitete Bild eines grausamen und rückständigen Orients. Entspricht aber dieses Bild der Realität, oder sagt es mehr über den Betrachter aus? Die Beschäftigung mit dem islamischen Recht außerhalb der islamischen Welt wurde seit ihren Anfängen zur Domäne der Orient- bzw. Islamwissenschaften. Juristen, die auch einen sprachlichen Zugang zu den Primärquellen haben, sind erst in den letzten Jahrzehnten stärker hervorgetreten. So ist ein großer Teil der vorliegenden Literatur von einem sprach- und gesellschaftswissenschaftlichen Ansatz gekennzeichnet. Eduard Sachau, der ein lange Zeit maßgebliches Werk über schafiitisches Recht vorgelegt hat, betont im Vorwort, er glaube nicht, die Arbeit eines Juristen machen zu können. Er beschränke sich vielmehr auf die möglichst texttreue philologische Arbeit.[3] Die moderne Rechtsentwicklung nimmt insgesamt gegenüber der frühen und klassischen Entwicklung noch einen vergleichsweise geringen Raum ein. Auch unter Wissenschaftlern ist deshalb eine historisierende Sicht verbreitet, die in wichtigen Aspekten kaum zu einer Strukturierung nach den Ordnungsaufgaben des Rechts[4] und ihrer jeweiligen Lösung gelangt. Problemlagen, welche sich eher aus der Conditio humana ergeben als aus räumlichen, zeitlichen oder kulturellen Besonderheiten (zum Beispiel das Zusammenleben in Familien, Aspekte des Minderjährigenschutzes, Zuordnung von Rechtspositionen und Vermögenswerten zu Personen und deren Schutz gegen Übergriffe, Bedürfnisse rechtlicher Bindung bei arbeitsteiligem Wirtschaften), werden nicht immer als solche gewürdigt. Es gibt jedoch eine Fülle kulturkreisübergreifender Problemlagen, die durch spezifisch juristische Ansätze gelöst werden.[5] Als Beleg hierfür seien die Ausführungen des bedeutenden hanafitischen Juristen al-Sara?si[6] (gest. 483/1090) zu Tötungsdelikten genannt. Er stellt zunächst die hohe Schädlichkeit solcher Taten unter Bezugnahme auf Aussagen des Korans und Muhammads heraus. Dann unterstreicht er die Bedeutung der diesseitigen Bestrafung der Täter: Wenn der Druck (auf mögliche Täter) sich auf jenseitige Bestrafung beschränken würde, dann würde sich nur ein sehr geringer Teil von Menschen davon abhalten lassen. Zur wirksamen Abschreckung sei deshalb das Regime der diesseitigen Strafe (?uquba) und entsprechender Vergeltungsmechanismen (qi?a?) eingeführt worden. Damit ist die rechtliche Ordnungsaufgabe – Sicherung des menschlichen Lebens durch wirksame Abschreckung – definiert. Selbst in damit zusammenhängenden, unmittelbar religionsrelevanten Fragen wie der nach rechtlicher Gleich- oder Ungleichbehandlung der Angehörigen unterschiedlicher Religionen finden sich differenzierende Äußerungen. Al-Sara?si[7] setzt sich etwa mit den unterschiedlichen Auffassungen zu der Frage auseinander, ob für Muslime und geschützte Nicht-Muslime (?immis; vgl. unten IV.9.d) derselbe Betrag («Wergeld», arab. diya; hierzu noch unten IV.7.c) für Tötung oder Verletzung zu entrichten ist. Diejenigen, die eine Ungleichbehandlung zu Lasten der Nicht-Muslime fordern (zum Beispiel Reduzierung des Betrags auf die Hälfte oder ein Drittel), stützen sich zentral auf koranische Aussagen, wonach es keine Gleichheit (musawat) zwischen Muslimen und Ungläubigen gibt (zum Beispiel Sure 59, 20), und weitere Überlieferungen. Al-Sara?si setzt solchen Aussagen andere Koranstellen und Überlieferungen entgegen, aber auch eine an Ordnungsaufgaben orientierte inhaltliche Begründung: Die für die Ungleichheit sprechenden Koranstellen beträfen jenseitige, nicht diesseitige Dinge. Der Inhalt des Schutzvertrags mit den ?immis fordere deren Gleichbehandlung im Diesseits. Zudem seien ?immis in gleicher Weise wie Muslime rechtlich fähig, Eigentum zu haben; dasselbe müsse für ihre körperliche Unversehrtheit (nafs) gelten. Ferner diene das Wergeld dem Zweck der Sicherheitswahrung (i?raz), und dieser sei auf das diesseitige Territorium (dar) ausgerichtet, nicht auf die Religion (din), und für Muslime wie Nicht-Muslime bestehe im Hinblick auf Leib und Eigentum dasselbe Sicherheitsbedürfnis. Selbstverständlich ist Recht auch in einen sozialen Kontext eingebettet und wird von ihm in erheblichem Maße geprägt. Eine Beschränkung auf abstrakte Normentexte ohne Rücksicht auf vorrechtliche Voraussetzungen oder Begleitumstände würde deshalb ein verzerrtes Bild einer jeden Rechtsordnung abgeben. Andererseits prägt das Recht auch gesellschaftliches Leben durch seine Eigengesetzlichkeiten und Institutionen. Deshalb wäre es ebenso verfehlt, Recht vorwiegend als soziale Erscheinung zu begreifen und ohne Kenntnis seiner spezifischen Instrumente und Argumentationsstrukturen erfassen zu wollen. Aber gibt es so etwas wie «islamisches Recht» überhaupt? Schon eine oberflächliche Erkundung führt zu der Erkenntnis, dass «das islamische Recht» im Sinne eines übergreifenden, einigermaßen klaren Gesetzeswerks mit kalkulierbaren Lösungen für Rechtsprobleme nirgends erkennbar wird. So wenig, wie «das europäische Recht» von der Antike bis zur Gegenwart einheitliche Lösungen anbieten kann, so wenig gilt dies für das islamische Recht. Man muss sich also von dem Gedanken verabschieden, hierüber ein lehrbuchartiges Werk zu verfassen, das alle Bereiche des Rechts ergebnissicher abhandeln könnte. Diejenigen einführenden Werke, welche einen solchen Anspruch erheben, stützen sich meist nur auf Aussagen einer bestimmten Rechtsschule (unter mehreren) zu einer bestimmten Zeit. Zudem beschäftigte sich die islamwissenschaftliche Literatur zum islamischen Recht über lange Zeit ganz überwiegend mit der klassischen Rechtsentwicklung und behandelte moderne Tendenzen sowie das angewandte Recht eher am Rande. Recht ist aber nicht zuletzt «law in action», jedenfalls aus Sicht der Betroffenen. Die langwährende Fixierung großer Teile der Wissenschaft auf die frühe und klassische Zeit hat neben der inhaltlichen Verengung auch ein weit über den Rechtsbereich hinausreichendes Vorverständnis mitgeschaffen, das die frühe und klassische Entwicklung als «den Islam» schlechthin versteht, während moderne Entwicklungen als nicht mehr dem «eigentlichen» Islam entsprechend abgetan werden. Dies trifft zwar im Rechtsbereich für die unter kolonialer Herrschaft zwangsweise durchgesetzten «westlichen» Gesetze zu. Es ist aber keineswegs selbstverständlich für die innermuslimische, teils von europäischem Gedankengut inspirierte Reformdebatte, die sich seit dem 19. Jahrhundert in großer Breite entfaltet hat. Dass die Auseinandersetzung mit Geistesgut aus nicht vom Islam geprägten Kulturen nicht «unislamisch» sein muss, zeigt bereits die Entwicklung in Theologie und Recht der ersten Jahrhunderte; eine Stütze hierfür findet sich in der häufig zitierten Aussage Muhammads, wonach man Wissen suchen solle, auch wenn man es in China fände.[8] Zudem bestehen noch erhebliche Forschungslücken für den Zeitraum vom 16.–18. Jahrhundert. Auch in dieser Zeit sind, etwa im Osmanischen Reich, beachtliche Entwicklungen zu verzeichnen, die einem oberflächlichen «Niedergangsparadigma»...


Mathias Rohe Jurist und Islamwissenschaftler, ist Professor für Bürgerliches Recht, Internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung an der Universität Erlangen-Nürnberg sowie Gründungsdirektor des Erlanger Zentrums für Islam und Recht in Europa. Bei C.H.Beck erschien von ihm zuletzt "Der Islam in Deutschland" (2018).


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