Rosseaux / Brodersen / Kintzinger | Städte in der Frühen Neuzeit | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 159 Seiten

Rosseaux / Brodersen / Kintzinger Städte in der Frühen Neuzeit

E-Book, Deutsch, 159 Seiten

ISBN: 978-3-534-71535-0
Verlag: wbg Academic in Herder
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Die Stadt der Frühen Neuzeit war der Motor der Wirtschaft und des Fortschritts, sie war kulturelles Zentrum und Heimstätte des sich entwickelnden Bürgertums. Aufbauend auf einer systematischen Darstellung der frühneuzeitlichen städtischen Demographie und der verschiedenen Stadttypen behandelt Ulrich Rosseaux all diejenigen entscheidenden Vorgänge, die die weitere Entwicklung von Bürgertum und Stadt bis ins 19. Jahrhundert hinein am nachhaltigsten geprägt haben. Er zeichnet die Entwicklung von Wirtschaft, Gesellschaft und Politik nach, schildert das Verhältnis von Stadt, Kirche und Religion sowie von Stadt und Umwelt und behandelt abschließend ausführlich das alltägliche Leben in der Stadt. Die frühneuzeitliche Stadt ist ein überreicher Kosmos, dessen Strukturen hier klar und anschaulich offen gelegt werden.
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[Menü] I. Einleitung
Das Heilige Römische Reich sei ein Land, in dem es fast unzählbar viele Städte gebe, schrieb der Theologe und Humanist Johannes Cochlaeus (1479 – 1552) in seiner 1512 veröffentlichten „Brevis Germanie descriptio“, und brachte damit seine Bewunderung für die reiche und vielgestaltige Städtelandschaft Deutschlands um 1500 zum Ausdruck. Lobende und bewundernde Äußerungen über die Gestalt der deutschen Städte finden sich auch in vielen Reiseberichten des 16. Jahrhunderts. Der Italiener Antonio de Beatis, der als Sekretär und Begleiter eines Kardinals in den Jahren 1517 und 1518 Oberitalien, Südwestdeutschland, die Niederlande und Nordfrankreich bereiste, fand Augsburg „groß“ und „reich an schönen Plätzen, Straßen und Häusern“, in Nürnberg faszinierten ihn die dort gehandelte Waren sowie die zahlreichen in- und ausländischen Kaufleute, in der „volkreichen Stadt“ Straßburg bewunderte er das Münster und die vielen wasserführenden Gräben und Kanäle, die ihn an Venedig erinnerten, und von Köln war er begeistert, weil es an Größe, Einwohnerzahl und architektonischer Beschaffenheit der Häuser alle anderen Städte übertraf, die er in Deutschland gesehen hatte. Charakteristisch am Bericht de Beatis‘ ist die Hervorhebung der großen süd- und (süd-)westdeutschen Reichsstädte, die für ihn wie für viele andere Zeitgenossen des 16. Jahrhunderts die Spitze der deutschen Städtehierarchie in jener Zeit darstellten. Im 18. Jahrhundert hatte sich diese Einschätzung geradezu in ihr Gegenteil verkehrt. Namentlich in den Reiseberichten der Aufklärung kamen die ehemals gerühmten Reichsstädte des deutschen Südens und Westens meist nur noch schlecht weg. Dies galt um so mehr, wenn sie wie Köln als Hort eines intoleranten Katholizismus galten oder wie Augsburg in einem starr geregelten und peinlich zu beachtenden System konfessioneller Parität lebten, das in den Augen eines aufgeklärt denkenden Menschen der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts kaum anders denn als seltsam und antiquiert erscheinen mochte. Ansonsten fiel den politisch interessierten Zeitgenossen am Ende der Frühen Neuzeit zum Stichwort Reichsstadt noch das Wort Schulden ein, denn die Mehrzahl dieser Kommunen schleppte eine mehr oder minder respektable Last noch zu tilgender Kredite mit sich herum. Der Jurist und Verfassungsrechtler Johann Jacob Moser (1701 – 1785) hielt dazu spöttisch fest, dass die Verschuldung vermutlich das einzige Merkmal sei, dass die ansonsten so heterogene Gruppe der Reichsstädte gemeinsam habe. Stark in den Vordergrund gerückt waren stattdessen die Haupt- und Residenzstädte der großen deutschen Territorien, allen voran Wien und Berlin, aber auch Dresden, München, Hannover oder Stuttgart, sowie die Hafen- und Handelsstadt Hamburg. In dieser Verschiebung der urbanen Entwicklungsdynamik spiegelten sich exemplarisch zwei für die Frühe Neuzeit charakteristische Prozesse wider. Zum einen manifestierte sich im Aufstieg der politischen Kapitalen der Erfolg des frühmodernen Staates, dem es durch den Ausbau der Bürokratie und des Rechtssystems, dem Aufbau eines stehenden Heeres und der Konzentration eines Großteils staatlicher Macht in der Hand des Fürsten immer besser gelungen war, die Ansprüche konkurrierender Institutionen – zu denen im politischen System des Alten Reichs eben auch die Reichsstädte gehörten – abzuwehren und stattdessen die eigenen Interessen durchzusetzen. Durch die Verdichtung der Staatlichkeit gewannen die Haupt- und Residenzstädte eine soziale, ökonomische und kulturelle Attraktivität, die in zunehmendem Maße Menschen anzog: Es kamen Beamte, Offiziere, Künstler, Handwerker, Gelehrte und nicht zuletzt zahlreiche Angehörige dienender Berufe, um am Hof oder in dessen Umfeld ihr Glück zu suchen. Zum anderen war die positive Entwicklung Hamburgs – in geringerem Maßstab galt dies auch für Bremen – das Ergebnis jener langfristigen Umorientierung der Weltwirtschaft nach der Entdeckung Amerikas und dem europäischen Ausgreifen in den asiatisch-pazifischen Raum. Die von Süden nach Norden verlaufende alte Hauptachse des europäischen Handels, die den Mittelmeerraum mit Mittel- und Nordeuropa verband, verlor allmählich an Bedeutung. Stattdessen etablierte sich zunehmend eine neue, auf den Atlantik und die ökonomischen Möglichkeiten in Übersee hin orientierte Hauptachse. Einem ähnlichen relativen Bedeutungsverlust wie das Mittelmeer unterlag mit der Ostsee auch das andere europäische, Binnenmeer‘, das noch im Spätmittelalter das ökonomische Gravitationszentrum Nordeuropas gebildet hatte. Die Stagnation und der allmähliche relative Abstieg Lübecks, das um 1500 noch zu den vier größten Städten im Reich gehört hatte, war das Sinnbild dieses Prozesses auf der stadtgeschichtlichen Ebene. Die geschilderten Beispiele illustrieren zum einen, dass es bei der Betrachtung der deutschen Städte in der Frühen Neuzeit nicht nur um Stadtgeschichte im engeren Sinne geht, sondern dass sich in der Geschichte der Kommunen in den rund drei Jahrhunderten zwischen 1500 und 1800 immer auch allgemeine und über den städtischen Rahmen hinaus weisende Prozesse spiegeln und niederschlagen. Zum anderen verweisen sie darauf, dass die Frühe Neuzeit für die Städte im deutschsprachigen Raum eine Epoche war, die teilweise grundlegende Veränderungen mit sich brachte. Diese betrafen die politischen Funktionen der Kommunen im entstehenden frühmodernen Staat ebenso wie die Formen und kulturellen Praktiken der Lebensführung in den Städten, um nur zwei Beispiele zu nennen. Allerdings vollzogen sich diese qualitativen Veränderungen über längere Zeiträume und vor dem Hintergrund einer sich im Hinblick auf ihre quantitativen Dimensionen und ihre sozioökonomischen Strukturen im Großen und Ganzen nicht wesentlich verändernden Städtelandschaft. Weil die deutschsprachige stadthistorische Forschung ihren zeitlichen und inhaltlichen Schwerpunkt jedoch traditionell im Mittelalter hatte und ihre Methodik und ihre auf rechts-, wirtschafts- und sozialhistorische Themen konzentrierten Forschungsstrategien anhand der Verhältnisse in dieser Epoche entwickelte, hat sie sich auch in der Frühen Neuzeit lange Zeit vornehmlich an diesem Themenkanon orientiert. Erforscht wurden daher bevorzugt quantifizierbare Aspekte der Städtelandschaft wie beispielsweise die städtischen Wirtschafts- und Sozialstrukturen, die Einwohnerzahlen und ähnliches mehr. Auf diese Weise gerieten zum einen die Kräfte der Beharrung sehr viel deutlicher in den Blick als die Wandlungsprozesse, durch die sich die frühneuzeitliche Stadtgeschichte mindestens ebenso auszeichnete, und zum anderen wurde der Wandel – sofern er wie im Fall der veränderten politischen Rolle der Kommunen dennoch behandelt wurde – als Niedergangsphänomen interpretiert. Tatsächlich jedoch gilt es, das nicht selten unvermittelte Nebeneinander und die Gleichzeitigkeit von Veränderung und Konstanz als schlechthin charakteristisch für die Geschichte der deutschen Städte in der Frühen Neuzeit anzusehen. Die rund drei Jahrhunderte zwischen 1500 und 1800 lassen sich aus stadtgeschichtlicher Perspektive nur dann als eine einheitliche Epoche fassen, wenn man sie als eine Zeit der Transition zwischen dem Mittelalter und der Moderne begreift. Vieles von dem, was für die Städte in der Frühen Neuzeit typisch war, hatte mittelalterliche Wurzeln. Dies galt beispielsweise für die kommunalen Verfassungen oder die Organisationsformen des städtischen Handwerks. Solchen und anderen Elementen der Konstanz standen jedoch vielfältige und tiefgreifende Veränderungsprozesse in politischer, vor allem aber kulturell-lebensweltlicher Hinsicht gegenüber. Ein ökonomisch leidlich gut gestellter Stadtbewohner des ausgehenden 18. Jahrhunderts kleidete sich anders, aß anders und verhielt sich im Ganzen anders, als es sein Pendant etwa 300 Jahre zuvor getan hatte. Das Ausmaß der Veränderungen, welche die Städte im Laufe der Frühen Neuzeit erlebten, macht es daher unmöglich, die Bezeichnung frühneuzeitliche Stadt in dem Sinne zu verwenden, wie dies mit dem Begriff der mittelalterlichen Stadt geschieht. Während jener auf ein bestimmtes idealtypisches Ensemble von politischen, städtebaulichen und sozioökonomischen Phänomenen bezogen werden kann, die cum grano salis als charakteristisch für die Kommunen des Mittelalters gelten können, läuft angesichts des aus stadtgeschichtlicher Sicht transitorischen Charakters der Frühen Neuzeit jeder Versuch, den Terminus frühneuzeitliche Stadt vergleichbar jenem der mittelalterlichen Stadt mit...


Brodersen, Kai
Kai Brodersen ist Professor für Antike Kultur an der Universität Erfurt und Senior Fellow am Alfried Krupp Wissenschaftskolleg in Greifswald. Er ist Autor zahlreicher Bücher zur Antike bei der wbg und u. a. Herausgeber der Reihe »Geschichte kompakt – Antike«.

Rosseaux, Ulrich
Ulrich Rosseaux, geb. 1968, lehrt sächsische Landesgeschichte an der Universität Dresden.

Puschner, Uwe
Uwe Puschner ist außerplanmäßiger Professor für Neuere Geschichte an der Freien Universität Berlin.

Kintzinger, Martin
Martin Kintzinger ist Professor für Mittelalterliche Geschichte an der Westfälische Wilhelms-Universität Münster.

Ulrich Rosseaux, geb. 1968, lehrt sächsische Landesgeschichte an der Universität Dresden.Uwe Puschner ist außerplanmäßiger Profesor für Neuere Geschichte an der Freien Universität Berlin.Martin Kintzinger ist Professor für Mittelalterliche Geschichte an der Westfälische Wilhelms-Universität Münster.Kai Brodersen ist seit 2008 Professor für Antike Kultur an der Universität Erfurt und von 2008 bis 2014 deren Präsident.


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