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E-Book, Deutsch, Band 2322, 129 Seiten

Reihe: Beck'sche Reihe

Rothermund Gandhi

Der gewaltlose Revolutionär

E-Book, Deutsch, Band 2322, 129 Seiten

Reihe: Beck'sche Reihe

ISBN: 978-3-406-62461-2
Verlag: C.H.Beck
Format: PDF
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)



Die Idee des gewaltlosen Widerstands ist seit dem indischen Unabhängigkeitskampf fest mit dem Namen Gandhi verbunden. Durch seine gewaltfreien Aktionen gegen die britische Herrschaft erwarb sich Mahatma Gandhi weit über Indien hinaus bis heute Glaubwürdigkeit und Autorität. Dietmar Rothermund schildert das Leben Gandhis von seiner Kindheit und Jugend in einer indischen Kleinstadt über sein Jurastudium in London, die prägenden zweiundzwanzig Jahre als Anwalt in Südafrika und seinen Einsatz im indischen Freiheitskampf bis zu seiner tragischen Ermordung kurz nach der Erlangung der indischen Unabhängigkeit. Wenn Gandhi gefragt wurde, was er der Welt mitzuteilen habe, sagte er, sein Leben sei seine Botschaft. Diese kurze Biographie will zum Verständnis dieser Botschaft beitragen.
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1;Cover;1
2;Titel;2
3;Zum Buch;3
4;Über den Autor;3
5;Impressum;4
6;Inhalt;5
7;Hinweise für den Leser;6
8;I. Gandhi: «Die Wahrheit transzendiert die Geschichte»;7
9;II. Der junge Gandhi: Von Gujarat nach London;11
9.1;1. Kindheit in Gujarat;11
9.2;2. Ein «Gentleman» in London;14
10;III. Prägende Jahre in Südafrika;18
10.1;1. Der Kuli-Anwalt;18
10.2;2. Der Ursprung des Satyagraha;26
11;IV. Einsatz im indischen Freiheitskampf;33
11.1;1. Begegnungen mit den indischen Bauern;33
11.2;2. Die Kampagne der Nichtzusammenarbeit;41
11.3;3. Die Botschaft des Spinnrads;50
11.4;4. Die Bedeutung der Steuerverweigerungskampagne in Bardoli;55
12;V. Vom Salzmarsch zum Runden Tisch;62
12.1;1. Die symbolische Revolution;62
12.2;2. Der Pakt mit dem Vizekönig;67
12.3;3. Die Konferenz am Runden Tisch;73
12.4;4. Das Fasten für die Unberührbaren;78
13;VI. Der Mahatma und die Kongresspartei;83
13.1;1. Gandhis Abschied vom Kongress;83
13.2;2. Der Sturz eines Rivalen;89
13.3;3. Der Zweite Weltkrieg;91
13.4;4. «Tat oder Tod»;94
14;VII. Der einsame Mahner;97
14.1;1. Jinnah und Pakistan;97
14.2;2. Die Herausforderung durch die Atombombe;103
14.3;3. Teilung und Tod;108
15;VIII. Das ausgeschlagene Erbe;116
16;Zeittafel;121
17;Literaturhinweise;123
18;Register;125
19;Karte;129


II. Der junge Gandhi: Von Gujarat nach London
1. Kindheit in Gujarat
Mohandas K. Gandhi wurde am 2. Oktober 1869 in Porbandar, Gujarat, geboren. Sein Vater Karamchand war Premierminister eines kleinen Fürstenstaats. Von solchen Fürstenstaaten gab es über fünfhundert, die wie Insekten im Bernstein von Britisch-Indien umschlossen waren. Die britischen Kolonialherren hatten überall dort, wo es nicht viel zu holen gab, einheimische Fürsten in Amt und Würden belassen und sie nur einer indirekten Herrschaft unterworfen. In der Innenpolitik genossen sie weitgehende Autonomie. So war auch Gandhis Vater als Premierminister in dem kleinen Staat ein mächtiger Mann. Doch die Atmosphäre dieses Staates war für den jungen Gandhi erdrückend. Das Kommen und Gehen im Hause des Vaters, das ständige Flüstern und Intrigieren ödeten ihn an. Erst später, als der Vater die Position eines Richters am Fürstengericht in Rajkot einnahm, konnte er ihn von ganzem Herzen bewundern. Karamchand Gandhi war ein aufrechter und ehrlicher Mann, er besaß keine reguläre Schulbildung, aber viel Erfahrung und hatte einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn. Das Gericht, dem er angehörte, war ein Tribunal, das Streitigkeiten zwischen den Fürsten Kathiawars, dem Westteil Gujarats, schlichtete. Die Verfahrensweise dieses Tribunals bestand nicht aus Verhör und Urteil, es ging hier um Vermittlung und Schiedsgerichtsbarkeit. Mohandas Gandhis Gerechtigkeitsempfinden wurde zutiefst von dieser Arbeit seines Vaters in Rajkot geprägt. Der andere entscheidende Einfluss auf den jungen Gandhi war der der frommen Mutter, die oft Gelübde ablegte, die sich auf das Fasten und andere religiöse Praktiken bezogen. Gandhi bewunderte die fröhliche Disziplin, mit der die Mutter diesen Gelübden folgte. Die Rolle, die Gelübde in seinem späteren Leben spielen sollten, wurde auf diese Weise vorgezeichnet. Zugleich wurde Gandhi sowohl von dem volkstümlichen Vaishnavismus, der in dieser Gegend Gujarats vorherrschte, als auch von dem strengen Jainismus geprägt, der hier seit alter Zeit fest verankert war. Der Vaishnavismus ist jene Form des Hinduismus, bei der Vishnu als höchster Gott angesehen wird. In seiner volkstümlichen Form betont er die hingebungsvolle Andacht, das Gebet und die Frömmigkeit. Der Jainismus ist eine Lehre die zeitgleich mit dem Buddhismus im 6. Jahrhundert vor Christus in Ostindien entstand und sich von dort in den Süden und Westen des Landes verbreitete. In der Philosophie des Jainismus sind Geist und Materie miteinander verbunden und nicht getrennt wie in anderen philosophischen Systemen. Einige der Vorstellungen Gandhis, die westlichen Beobachtern seltsam erschienen, gingen auf diese Philosophie zurück. Dass das individuelle physische Verhalten metaphysische Konsequenzen habe, wurde von ihm ganz selbstverständlich vorausgesetzt. Er hatte diese Ideen in seiner Jugend aufgenommen und kommentierte sie später nicht. Aber einige seiner scheinbar irrationalen Bemerkungen ergeben einen Sinn, wenn sie im Lichte dieser andersartigen Rationalität gesehen werden. In einem ganz primitiven Sinn entsprach dieser Rationalität die Ansicht, dass das Fleischessen der Grund dafür war, dass die Briten die vegetarischen Hindus beherrschen konnten. Gandhi machte daher als Knabe einige Experimente mit dem Fleischessen, obwohl ihm Fleisch überhaupt nicht schmeckte. Die Welt der Briten war übrigens buchstäblich meilenweit entfernt von der des kleinen Fürstenstaats, in dem Gandhi aufwuchs. Nur in der Schule drängte sich ihm die englische Unterrichtssprache auf, die ihm gar nicht gefiel. Er sagte später einmal, dass er Fächer wie Mathematik sicher viel rascher begriffen hätte, wenn sie ihm in der Muttersprache beigebracht worden wären. Sein Englisch blieb bis zum Ende seiner Schulzeit recht mäßig. Später meisterte er die englische Sprache in Wort und Schrift auf vorbildliche Weise, aber er hielt sie nach wie vor für etwas, das die Kolonialherren den Indern aufgezwungen hatten und das ihnen mehr schadete als nutzte. Er glaubte, dass diese Sprache ihre geistigen Fähigkeiten einengte und sie dazu verführte, zu wiederholen, was andere ihnen sagten, statt für sich selbst zu denken. Er verurteilte ganz besonders jene Inder, die die gleiche Muttersprache hatten, aber dennoch Englisch miteinander sprachen, weil sie das für «gebildet» hielten. Die Liebe zu seiner Muttersprache Gujarati verlor er nie. Selbst als er schon viel auf Englisch veröffentlicht hatte, schrieb und publizierte er weiterhin auch auf Gujarati. Der indische Nationalismus, der in der Gründung des Nationalkongresses im Jahre 1885 in Mumbai (Bombay) seinen Ausdruck fand, als Gandhi das College in Bhavnagar besuchte, beeindruckte ihn damals noch nicht. Wäre er als Sohn eines westlich gebildeten Vaters in Mumbai aufgewachsen, dann hätte er von diesem neuen Phänomen, das die Bildungsschicht begeisterte, sicher viel gehört. Aber die Fürstenstaaten Gujarats standen der Entwicklung in Britisch-Indien fern und behielten diese Distanz noch lange bei. So gesehen war es eine ganz ungewöhnliche Entscheidung der Familie Gandhi, den jungen Mohandas zum weiteren Studium nach England zu senden. Die Familie war der Meinung, dass mindestens einer von ihnen der Karriere des einige Jahre zuvor verstorbenen Karamchand folgen sollte. Zukünftig, so sagte man sich, würde es kaum möglich sein, eine solche Stellung ohne einen in England erworbenen akademischen Grad zu erlangen. Die Entscheidung fiel den Gandhis nicht leicht. Die Tatsache, dass Mohandas bereits verheiratet war und seine junge Ehefrau Kasturba und ihr Baby daheim lassen musste, spielte dabei keine Rolle, sie würden in der Großfamilie gut aufgehoben sein. Aber Gandhis Mutter fürchtete, dass der junge Mann den unmoralischen Einflüssen des Westens erliegen würde, und ließ ihn daher gar nicht gern ziehen. Schließlich ließ sie ihm von einem Jainmönch ein Gelübde abnehmen, dass er auf Fleisch, Alkohol und Frauen verzichten werde, erst dann durfte er nach London reisen. Er hatte sich inzwischen ganz und gar mit diesem Reiseplan identifiziert und brannte darauf, in London zu studieren. Das Gelübde, das er vor der Abreise ablegte, war sein erstes, es sollten später noch viele andere folgen. 2. Ein «Gentleman» in London
Als der junge Gandhi in London ankam, fühlte er sich gar nicht wohl. Sein Englisch war noch sehr bescheiden, und der weiße Flanellanzug, den er trug, als er an einem kühlen Oktobertag das Schiff verließ, erschien ihm nun als sehr unpassend. In Rajkot hatte er Briten in solchen Anzügen herumlaufen sehen, aber niemand hatte ihm gesagt, dass sie sie nicht daheim in der kalten Jahreszeit trugen. Er versuchte, sich so schnell wie möglich den Sitten und Gebräuchen der britischen Gesellschaft anzupassen. In seiner Autobiographie «Meine Experimente mit der Wahrheit» verurteilte er später seine Bemühungen darum, Französisch sprechen und Geige spielen zu lernen, Tanzstunden zu nehmen, teure Anzüge zu tragen und mit der Kutsche zu fahren, statt zu Fuß zu gehen. Der Leser der Autobiographie gewinnt den Eindruck, dass all dies nur Launen eines extravaganten jungen Mannes waren, denn als solche schildert sie Gandhi. Aber all diese Bemühungen hatten einen gemeinsamen Nenner: Gandhi bemühte sich nach Kräften darum, ein «Gentleman» zu werden. Die Gesellschaft des spätviktorianischen England war sehr klassenbewusst und zugleich überaus offen. Wer sich den Lebensstil eines «Gentleman» leisten konnte, wurde als solcher akzeptiert, solange er die Spielregeln beachtete. Gandhi war sozusagen ein männliches Gegenstück der «fair lady», die von Professor Higgins trainiert wurde. Er gab zwar bald einige der oberflächlichen Umgangsformen des «Gentleman» auf, aber er bemühte sich eifrig um die Verbesserung seiner Englischkenntnisse. Er las täglich die Daily News, den Daily Telegraph und die Pall Mall Gazette. Der englische Journalismus seiner Zeit hatte einen hohen Standard. Die Pall Mall Gazette war die führende liberale Zeitung. John Morley war bis 1883 ihr Chefredakteur gewesen, und zur Zeit, als Gandhi sich in London aufhielt, war es W. T. Stead, den Gandhi ganz besonders respektierte. Stead hatte eine neue Art der Berichterstattung eingeführt. Er diskutierte soziale Probleme und berichtete über neue Bewegungen, so etwa über Madame Blavatskys Theosophie oder William Booths Heilsarmee. Gandhi sollte später einer der bedeutendsten Journalisten des 20. Jahrhunderts werden, der fast täglich Berichte schrieb. Er verdankte viel dem Beispiel des britischen Journalismus, den er in seinen Londoner Jahren kennen und schätzen gelernt hatte. Das britische politische Leben wandelte sich in diesen Jahren auf entscheidende Weise. Gladstones Liberalismus war ins Abseits geraten. Er hatte seine wichtigsten Leistungen vollbracht. Wirtschaftswachstum und der Sieg der bürgerlichen Demokratie wurden nun als gegeben hingenommen. Doch die Liberalen hatten keine Antworten auf die dringenden Fragen der Zeit. Sie konnten weder zur Stützung des britischen Imperialismus beitragen noch den sozialen Wandel bewältigen, der sich aus dem Rückgang der Bedeutung der Landwirtschaft und dem Aufstieg der Industrie ergab. Gladstone war...


Dietmar Rothermund, geboren 1933, ist Professor em. für die Geschichte Südasiens am Südasien-Institut der Universität Heidelberg, das er viele Jahre leitete. Er ist Fellow of the Royal Historical Society, London, und Vorsitzender der European Association of South Asian Studies. Zahlreiche, in viele Sprachen übersetzte Veröffentlichungen haben ihn international bekannt gemacht.


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