Rückert | ZEIT Verbrechen 3 | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 173 Seiten

Rückert ZEIT Verbrechen 3

Packend und abgründig – neue Fälle aus dem True-Crime-Podcast Nr. 1

E-Book, Deutsch, 173 Seiten

ISBN: 978-3-7517-4270-2
Verlag: Eichborn
Format: EPUB
Kopierschutz: Kein



Neue Fälle aus Deutschlands bestem True-Crime-Podcast
Im Jahr 2018 ging der Podcast ZEIT VERBRECHEN an den Start - und zählt seither zu den beliebtesten und erfolgreichsten Podcasts Deutschlands. Die ehemalige Gerichtsreporterin und stellvertretende ZEIT-Chefredakteurin Sabine Rückert berichtet darin gemeinsam mit Andreas Sentker auf fesselnde Weise von Kriminalfällen, die sie begleitet hat, und begeistert damit regelmäßig Millionen von Fans - inzwischen auch live vor ausverkauften Hallen.
Der dritte Begleitband zum Podcast versammelt wieder die Originalartikel von Sabine Rückert und ihren ZEIT-Kolleg:innen zu den beliebtesten Folgen; wie immer höchst fesselnd, erschütternd und bewegend.
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BANKRAUB

DOPPELLEBEN
Seiner Frau sagt er, er arbeite bei einer Autofirma. Doch Maik I. hat einen anderen Job: Er überfällt Banken, 16 Jahre lang Mehr als 16 Jahre lang hat Maik I. sie alle genarrt. 16 Jahre lang hat er niemandem ein Sterbenswörtchen gesagt über das Leben, das er wirklich führte. 16 Jahre lang hat er keine Schwäche gezeigt. Jetzt, auf der Anklagebank, da dauert es kaum eine Viertelstunde, bis Maik I. hemmungslos weint. Als würde er erst in diesem Moment, in dem die Staatsanwältin vorträgt, was sie diesem Mann zur Last legt, merken, dass sein Leben eine große Lüge ist. Dass er in all den Jahren nicht nur ein treusorgender Familienvater war und ein guter Fußballkumpel, sondern vor allem: ein Bankräuber. Im Herbst 2018 muss sich der 45-jährige Maik I. vor dem Landgericht Limburg für eine der erstaunlichsten Überfallserien der deutschen Geschichte verantworten. Die Anklage wirft ihm vor, seit 2002 17 Sparkassen, eine Volksbank und zwei Geschäfte in Hessen, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz ausgeraubt und dabei rund 100 Bankleute und Kunden bedroht zu haben. Mehr als 400.000 Euro soll er erbeutet haben. Für bis zu 15 Jahre lang könnte er dafür ins Gefängnis gehen. Als ihm das Wort erteilt wird, sagt Maik I. leise: »Ich habe die Überfälle begangen.« »Alle Überfälle aus der Anklage?«, fragt der Vorsitzende Richter. »Ja, alle«, antwortet der schmale, glatzköpfige Angeklagte. Maik I. kommt aus einem Dorf im Siegerland mit kaum mehr als 800 Einwohnern. Jeder kennt hier jeden. Es gibt einen Schützenverein, aber keinen Supermarkt. Grüne Hänge umrahmen hübsche Fachwerkhäuser, eine dörfliche Idylle. Allerdings nicht für Maik I. Sein Vater, sagt der Angeklagte unter Tränen, habe die Familie tyrannisiert und geschlagen. Und sich null für seinen Sohn interessiert. »Das Einzige, was er gemacht hat, war, den Kühlschrank zu füllen«, sagt I. 1993, als er in einer hessischen Universitätsstadt beginnt, Jura zu studieren, weigert sich der Vater, den Bafög-Antrag seines Sohnes auszufüllen. Und ebnet damit den Weg für die Bankräuberkarriere seines Sohnes – so will es jedenfalls der Bankräuber sehen. Maik I. redet lange mit schmerzverzerrter Stimme über seine unglückliche Studentenzeit, die immer unglücklicher wurde. Als sich die Mutter endlich vom Tyrannenvater trennte, habe er sich um sie kümmern müssen und so den Anschluss im Jurastudium verloren. Weil das Leben nicht mehr zu finanzieren gewesen sei, habe er einen Kredit aufgenommen – und diesen irgendwann nicht mehr bedienen können. Nach zwölf Semestern bricht Maik I. sein Studium ab. Und kurz darauf auch beinahe sein Leben. Er habe versucht, sich selbst zu töten und es wie einen Unfall aussehen zu lassen, erzählt Maik I. Aber es klappte nicht. »Mir ist mein ganzes Leben aus den Händen geglitten«, sagt er. Dann habe er eben zu rauben begonnen. Bei ihm klingt das wie Notwehr. Nur: gegen wen? Im Zuschauerraum weint seine Mutter. Maik I.s Karriere als Räuber beginnt mit einem Flop. Gießen an einem Freitagmorgen im Oktober 2002. Die Verkäuferin im Tabakladen ist allein, als der Mann in dem graublauen Parka das Geschäft betritt. Sofort tritt er hinter den Tresen, versucht ihr den Mund zuzukleben und fordert Geld. Die beiden rangeln, die Frau wehrt sich lautstark, ruft um Hilfe, da betritt eine Kundin den Laden. Ohne einen Cent Beute stürzt Maik I. aus der Tür. Wenige Monate später, im Januar 2003, überfällt Maik I. in Rheinland-Pfalz mit einer Pistole in der Hand einen Schreibwarenladen. Die Verkäuferin sagt ihm, es sei zu früh, sie habe nur Wechselgeld in der Kasse. Er sei ihr unsicher vorgekommen, erzählt Rita W. 15 Jahre später vor Gericht. Also habe sie ihm spaßeshalber geraten: »Wenn Sie Geld brauchen, müssen Sie gegenüber in die Sparkasse gehen.« Das macht Maik I. dann auch. Und verlässt die Bank mit 26.197 Euro. Ein seltsam unprofessioneller Anfang eines Serienbankräubers. Er habe verdrängt, wie die Überfälle genau abgelaufen seien, sagt Maik I. vor Gericht. Die Details kenne er nur aus der Anklageschrift. Wenn der Vorsitzende Richter ihn nach den Angaben fragt, die er bei der Polizei gemacht hat, antwortet I.: »Möglich ist das«, oder: »Kann sein.« Es wirkt, als gehe ihn das nichts an. Maik I. würde in diesem Moment wohl auch Überfälle gestehen, die er nie begangen hat. Es soll einfach nur aufhören. Aber so schnell geht es nicht. Vier weitere Prozesstage sind geplant, zu viele Fragen sind noch offen. Eine sehr simple Frage lautet: Was machte er den ganzen Tag, wenn er nicht gerade Banken ausraubte? »Ich habe versucht, meine Scheinwelt aufrechtzuerhalten«, sagt Maik I. Sein Alltag in der Scheinwelt besteht aus einem fiktiven Job in der Rechtsabteilung bei Audi. Zwei bis drei Tage, so erzählt er es Freunden und Familie, könne er bequem von zu Hause arbeiten, den Rest der Woche sei er geschäftlich verreist. Nach allem, was bekannt ist, hat in seinem Umfeld nie jemand daran gezweifelt. Ist er offiziell bei Geschäftsterminen, kundschaftet er Fluchtwege aus. Sitzt er zu Hause vor dem Computer, sucht er nach Banken, die er überfallen kann. Viel Zeit verwendet er darauf, zu warten. Auf einen Lottogewinn und eine »glorreiche Geschäftsidee«. Eine, mit der er so viel verdienen könne, dass er aus dem Doppelleben ausbrechen kann. So sagt er es. Dieser Mann ist von einer beachtlichen Naivität. Es ist kaum zu glauben, dass er fast zwei Jahrzehnte nicht zu fassen war. Der Bankraub ist eigentlich ein aussterbendes Verbrechen, Kriminalität von gestern. Im vergangenen Jahr zählte die Polizeistatistik 139 Raubüberfälle auf Geldinstitute. Zehn Jahre zuvor waren es noch 552. In den Bankfilialen hat sich die Sicherheitstechnik verbessert. Die Coups der Meisterdiebe spielen jetzt im Internet. Bankräuber sind oft verklärt worden, im Film kaum weniger als in der Realität, vom Publikum wurden viele heimlich dafür geliebt, den Reichen einen Teil ihres Vermögens zu nehmen. Doch in dem Limburger Prozess wird deutlich, wie sehr ein Bankräuber das Leben von Menschen zerstören kann, selbst wenn er niemanden körperlich verletzt. Einige der etwa 100 Opfer von Maik I.s Überfällen hatten Panikattacken oder Schlafstörungen. Mindestens acht Menschen gelten bis heute als schwer geschädigt. Drei Opfer konnten nie wieder in einer Sparkasse arbeiten. Mehrere potenzielle Zeugen ließen sich vor Prozessbeginn krankschreiben. »Der Bankräuber hat einem die Unbeschwertheit genommen«, sagt der Filialleiter einer betroffenen Bank. Unter Tränen sagt eine ältere Frau, die lange in Therapie war und in Frührente gehen musste: »Ich hatte keine Angst, ich war Angst.« In einer Sparkasse in Nordhessen schlägt der Serienbankräuber gleich dreimal zu: 2004, 2008 und 2011. Hans Peter H., der frühere Leiter der Filiale, war bei jedem Überfall dabei. Die Bedrohung, erzählt er der ZEIT, habe auch bei ihm Spuren hinterlassen. »Wenn ich heute an einem Ort bin, wo Menschen schreien und laute Geräusche sind, die ich nicht zuordnen kann, läuft es mir immer noch eiskalt den Rücken herunter.« Beim ersten Überfall 2004 sieht H. den Bankräuber durch eine Glasscheibe in seinem Büro. Beim zweiten Mal läuft er in die Schalterhalle, als er Geschrei hört, und blickt in den Lauf der Pistole. Beim dritten Mal, 2011, läuft H. zum Seitenausgang, als der Bankräuber durch den Haupteingang verschwindet. Er setzt sich in seinen Wagen und fährt ihm hinterher. Eine wahnsinnige Idee. Er weiß, der Räuber ist bewaffnet. Jahrelang war Maik I. niemand so dicht auf den Fersen wie H. in diesem Moment. Aber am Marktplatz im Nachbarort verliert er ihn aus den Augen. Später erst wird er erfahren, dass alle drei Überfälle vom selben Täter verübt wurden. Im Jahr 2011 beginnt die Polizei zu prüfen, ob sie es mit einem Serientäter zu tun haben könnte. In der Folgezeit ermittelt die Kriminalpolizei im mittelhessischen Wetzlar, und auch beim Landeskriminalamt bildet sich eine Arbeitsgruppe. Die Ermittler tragen zusammen, was die Fälle verbindet: Der Täter fordert die Mitarbeiter und Kunden in der Bank auf, sich hinzulegen. Seine Beute füllt er in Rewe-Plastiktüten oder Jutebeutel mit Fairtrade-Logo. Stets trägt er eine Baseballkappe, oft eine Regenjacke, aber keine Handschuhe, wenn er mit der Pistole in der Hand die Sparkasse betritt. »Von einem Täter, der so viele Überfälle begeht, würde man nicht vermuten, dass er so vorgeht«, sagt ein Polizist. Er scheint ein Amateur zu sein. Und doch finden die Ermittler so gut wie nie Spuren. Immer wieder überfällt Maik I. kleine Banken auf dem Land, die zehn Kilometer von der nächsten Polizeistation entfernt liegen. Die Ermittler ziehen eine Studie des Landeskriminalamts NRW zurate, in der es heißt: »Täter, die einen Bankraub nicht in ihrem Wohnort begingen, wählten tendenziell Tatorte, die hinsichtlich der Einwohnergröße dem Wohnort glichen.« Auch ihr Bankräuber geht so vor, glauben die Ermittler. Sie ziehen Kreise um die Banken, die I. überfallen haben soll, und grenzen die Region ein, in der er leben könnte. Sie machen eine Liste mit kleinen, ländlichen Bankfilialen, in denen er als Nächstes zuschlagen könnte. Sie werten Hunderttausende Datensätze aus. Sie teilen seine Beute durch die Anzahl der Monate zwischen seinen Überfällen und zählen zusammen, dass er etwa 2000 Euro im Monat zur Verfügung hat. Ab diesem Zeitpunkt wissen die Ermittler, dass der Bankräuber kein Leben im Luxus führt. Und sie wissen ungefähr, wann er wieder losziehen muss. Mehrmals finden die Fahnder Kleidung des Täters. Eine Jogginghose, eine grüne Regenjacke und Turnschuhe, Größe 42, alles von...


Sabine Rückert, Jahrgang 1961, ist stellvertretende Chefredakteurin der ZEIT, Herausgeberin des ZEIT-Magazins Verbrechen und Autorin mehrerer Bücher zum Thema Kriminalistik. Für ihre Reportagen erhielt sie u. a. den Egon-Erwin-Kisch-Preis, den Henri-Nannen-Preis und den Deutschen Reporterpreis. Seit 2018 ist sie Host des höchst erfolgreichen Podcasts ZEIT Verbrechen, in dem sie Millionen Zuhörer:innen mit spannenden Kriminalfällen begeistert.

Sabine Rückert, Jahrgang 1961, ist stellvertretende Chefredakteurin der ZEIT, Herausgeberin des ZEIT-Magazins Verbrechen und Autorin mehrerer Bücher zum Thema Kriminalistik. Für ihre Reportagen erhielt sie u. a. den Egon-Erwin-Kisch-Preis, den Henri-Nannen-Preis und den Deutschen Reporterpreis. Seit 2018 ist sie Host des höchst erfolgreichen Podcasts ZEIT Verbrechen, in dem sie Millionen Zuhörer:innen mit spannenden Kriminalfällen begeistert.


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