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E-Book, Deutsch, Band 24, 317 Seiten

Reihe: Tillich Research

Saal Der Mensch in Zeiten des Umbruchs

Paul Tillich und Rollo May im interdisziplinären Gespräch

E-Book, Deutsch, Band 24, 317 Seiten

Reihe: Tillich Research

ISBN: 978-3-11-078067-3
Verlag: De Gruyter
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)



Paul Tillich ist einer der bedeutenden evangelischen Theologen und Religionsphilosophen des 20. Jahrhunderts. Die Anschlussfähigkeit seines Denkens auch für andere Disziplinen verdeutlichen die Schriften des bekannten US-amerikanischen existentiellen Psychotherapeuten Rollo May. Die vorliegende Untersuchung geht den wechselseitigen Einflüssen beider Denker anhand der Themen Angst, Freiheit, Liebe, Dämonisches, Macht und Mythos nach und zeigt die Bedeutung für eine gegenwärtige Beschäftigung mit diesen Themen auf.
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Einleitung
Zum wirklichen Leiden, zur Hölle wird das menschliche Leben nur da, wo zwei Zeiten, zwei Kulturen und Religionen einander überschneiden. […] Es gibt nun Zeiten, wo eine ganze Generation so zwischen zwei Zeiten, zwischen zwei Lebensstile hineingerät, daß ihr jede Selbstverständlichkeit, jede Sitte, jede Geborgenheit und Unschuld verlorengeht.1 Hermann Hesse 1 Der Mensch in Zeiten des Umbruchs
Umbrüche und Zeiten des Übergangs erfährt sowohl der Mensch im Laufe seines Lebens als auch die Menschheit im Laufe ihrer Geschichte immer wieder. Beides stellt Mensch und Menschheit vor Herausforderungen. Phasen des Umbruchs und des Übergangs werfen die Frage danach auf, woran der Mensch sich orientieren kann, welches die tragenden Werte sind, die die Erfahrung von Sicherheit und Sinn ermöglichen. Die Reflexion dieser Fragen ist Gegenstand der Philosophie und Theologie ebenso wie der Psychologie. Zwei Denker unterschiedlicher Fachdisziplinen, die sich mit den Fragen und Problemen der Menschen in Zeiten des Umbruchs und des Übergangs auseinandersetzen, sind der deutsch-amerikanische evangelische Theologe und Philosoph Paul Tillich und der amerikanische Psychotherapeut Rollo May. Beide reagieren mit ihren Reflexionen auf Erfahrungen, die sie in ihrem eigenen Leben und ihrer eigenen Zeit gemacht haben. Europa und Amerika sehen um 1900 einer Zukunft technischen Fortschritts und wirtschaftlicher Prosperität entgegen. Dieser Hoffnung werden die Menschen in Europa mit dem Beginn des Ersten Weltkrieges im Jahre 1914 und in Amerika mit dem Börsenkrach von 1929 beraubt. Das neue Jahrhundert, dessen Beginn Tillich auf diese beiden Ereignisse datiert, fängt auf beiden Kontinenten mit einer Katastrophe an, die die Menschen mit einem Gefühl der Orientierungslosigkeit zurücklässt.2 Das beginnende 20. Jahrhundert präsentiert sich als radikaler Umbruch, dem weitere Katastrophen und Umbrüche folgen sollen. Diese Erfahrungen haben Einfluss auf das Selbstverständnis des Menschen: Im Gegensatz zum Selbstverständnis des Menschen des 19. Jahrhunderts, der nach Tillich sowohl an den technischen als auch an den menschlichen und moralischen Fortschritt glaubte, zeigt sich ihm zufolge im 20. Jahrhundert in Literatur, Kunst und Dichtung „eine Auffassung menschlichen Daseins, die nicht auf das ideale Wesen des Menschen blickt, sondern auf seine vergängliche, tragisch-zerrissene, schuldbeladene Existenz und insbesondere auf seine Existenz in der gegenwärtigen industriellen Gesellschaft“.3 Nie zuvor, schreibt Max Scheler, ist „der Mensch sich so problematisch geworden […] wie in der Gegenwart“.4 Der Mensch „hat seine sinnhafte Welt verloren“.5 Das Dilemma, in dem sich der Mensch im 20. Jahrhundert ebenso wie in vorherigen Zeiten des Umbruchs befindet, bringt der Psychiater, Psychotherapeut und Schriftsteller Irvin Yalom pointiert ins Wort, wenn er fragt: „Wie findet ein Wesen, das Sinn braucht, Sinn in einem Universum, das keinen Sinn hat?“6 Diese Dilemmasituation drücken ebenso die eingangs zitierten Zeilen Hermann Hesses aus, der auch als „Dichter der Krise“7 bezeichnet wird. Hesse fängt darin die Stimmung einer ganzen Generation ein. Der Mensch des 20. Jahrhunderts scheint in eine Art ‚Dazwischen‘ geraten zu sein: Er steht zwischen dem „‚nicht mehr‘ und ‚noch nicht‘“.8 Den Zustand des Dazwischen bezeichnet der Theologe Markus Vogt als charakteristisch für Zeiten des Übergangs: Das Alte ist nicht mehr und das Neue noch nicht, alles ist in Bewegung. Demgegenüber zeichnet sich seiner Definition zufolge ein Umbruch dadurch aus, dass er gewaltsam und radikal geschieht.9 Beides kommt im 20. Jahrhundert zusammen. „Der Mensch in der Mitte des 20. Jahrhunderts hat nicht nur eine Reihe schwerster Katastrophen hinter sich, er lebt auch weiter in einer Situation, die mit möglichen Katastrophen geladen ist. Statt von Fortschritt spricht er von Krise.“10 Begriffe wie Umbruch und Übergang, die Erfahrung der Sinnlosigkeit sowie das Gefühl des Dazwischen provozieren die Frage danach, was der Mensch ist und wie man in solchen Zeiten Mensch wird, ebenso wie die Frage nach dem Platz des Menschen in der Welt. Arbeiten wie Max Schelers Die Stellung des Menschen im Kosmos (1928), Helmuth Plessners Die Stufen des Organischen und der Mensch (1928) oder Arnold Gehlens Der Mensch. Seine Natur und seine Stellung in der Welt (1940), die nicht zufällig gerade in dieser Umbruchserfahrung entstehen und die mit ihren Reflexionen eine philosophische Anthropologie begründen, machen diesen Umstand ansichtig. Ähnlich zeigen die existentialistischen Schriften etwa von Martin Heidegger, Karl Jaspers, Peter Wust, Jean-Paul Sartre, Simone de Beauvoir oder Simone Weil, dass sich die Frage nach dem Menschen in den Vordergrund drängt. Paul Tillich und Rollo May knüpfen an diese Reflexionen an. Sie setzen sich mit den zeitgenössischen Denkern und Denkerinnen auseinander ebenso wie mit Kunst und Literatur und entwickeln vor diesem Hintergrund in ihren Werken eigene Ansätze. Beide Denker eint, dass sie der Betrachtung des Menschen eine herausragende Stellung in ihren Arbeiten einräumen. Dabei kreisen sie auch immer wieder um den Menschen, der an der Zeit des Umbruchs und der fehlenden Orientierung leidet und den May als schizoid charakterisiert, d.h. er zeichnet sich durch Kontaktlosigkeit, durch Vermeidung näherer Beziehungen sowie einem Unvermögen zu fühlen aus.11 „Der schizoide Mensch“, schreibt er, „ist das natürliche Produkt des technischen Menschen“.12 Er ist das Ergebnis der Fortschrittsgläubigkeit und des technischen Fortschritts des 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Bei allen thematischen Gemeinsamkeiten und Überschneidungen nehmen Tillich und May ihre Zeit jedoch aus unterschiedlichen geografischen Perspektiven sowie vor dem Hintergrund ihrer unterschiedlichen Professionen wahr. 2 Forschungsüberblick und Methodik der Arbeit
In den Texten des amerikanischen Psychotherapeuten Rollo May begegnet den Leserinnen und Lesern in den zumeist populärwissenschaftlich verfassten Schriften zahlreiches philosophisches Gedankengut. Der Einfluss Paul Tillichs ist dabei unverkennbar, bislang jedoch wenig erforscht. Noch weniger beachtet als der Einfluss Tillichs auf May sind allerdings die Spuren, die Mays Denken in den Werken Tillichs hinterlassen hat. Seit Tillichs Emigration in die USA ist Rollo May für ihn ein wichtiger Kontakt in den Bereichen der Psychologie und Psychotherapie, mit denen Tillich in den USA in einen intensiven Austausch tritt. In einem ersten Teil nimmt die vorliegende Arbeit diese Entwicklungen in den Blick. In Form eines biografischen Überblicks führt sie in das Denken Rollo Mays und Paul Tillichs ein. Dabei fokussiert sich die Darstellung auf solche Aspekte, an denen Anknüpfungspunkte für einen Dialog der beiden Denker erkennbar werden. Aus diesem Grund steht bei May dessen Auseinandersetzung mit dem ursprünglich europäischen existenzphilosophischen Denken im Zentrum. Die Darstellung Tillichs konzentriert sich überwiegend auf die Zeit nach seiner Emigration in die USA. In einem weiteren Schritt werden die Überlegungen der beiden Denker zusammengeführt und in die zeitgeschichtlichen sowie gesellschaftlichen Gegebenheiten eingeordnet. Eine Auseinandersetzung mit der Sekundärliteratur zeigt, dass es im US-amerikanischen Raum im Bereich der Psychologie und Psychotherapie ein ausgeprägtes Interesse an der Verbindung zwischen Rollo May und Paul Tillich gibt, wobei der Fokus dabei eindeutig auf dem Einfluss Tillichs auf May bzw. die Psychologie und Psychotherapie liegt. Die Gründe dafür dürften verschieden gelagert sein: Zum einen stellt Rollo May seine Beziehung zu Paul Tillich wesentlich offensiver heraus und führt ihn regelmäßig als Gewährsmann an. Das ist insofern nicht verwunderlich, als Tillich in den USA zu einem der bedeutendsten Denker seiner Zeit avancierte. Zum anderen ist Tillichs Denksystem zu dem Zeitpunkt, an dem May seine Publikationstätigkeit gerade erst beginnt, bereits weit fortgeschritten, weshalb der Einfluss des Älteren auf den Jüngeren naheliegt. „Tatsächlich“, schreibt Clement Reeves, „erinnert Mays Terminologie regelmäßig an die Tillichs – zum Beispiel Zentriertheit, Mut, Intentionalität, Vitalität, Angst vor der Bedeutungslosigkeit, und die vier Arten der Liebe.“13 Oftmals reicht diese Nähe bis hin zu wörtlichen Übereinstimmungen in Mays Konzepten und Begrifflichkeiten. Der Austausch mit Paul Tillich scheint für May hinsichtlich seiner eigenen Profession eine grundlegende Bedeutung zu haben. Die Dissertationsschrift von Clement Reeves von 1974 mit dem Titel Psychotherapy in Search of Theoretical Foundations: The Ontological Approach of Rollo May14, die er später in überarbeiteter Fassung 1977 unter dem Titel The Psychology of Rollo May. A Study in Existential Theory and Psychotherapy veröffentlicht hat, weist Mays Anliegen auf, seinem psychotherapeutischen Arbeiten eine grundlegende Struktur im Sinne einer Lehre vom Menschen zu geben. Der späteren Fassung ist ein Kommentar Mays angehängt, in dem dieser zu den Thesen Reeves eigens Stellung bezieht. Für die Auseinandersetzung mit Mays Konzepten liefert dieser...


Christina Saal, Bistum Magdeburg.

Christina Saal
, Diocese Magdeburg, Magdeburg, Germany.


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