Sachweh | Deutungsmuster sozialer Ungleichheit | Buch | 978-3-593-39118-2 | sack.de

Buch, Deutsch, Band 22, 326 Seiten, Format (B × H): 141 mm x 218 mm, Gewicht: 440 g

Reihe: Schriften des Zentrums für Sozialpolitik, Bremen

Sachweh

Deutungsmuster sozialer Ungleichheit

Wahrnehmung und Legitimation gesellschaftlicher Privilegierung und Benachteiligung

Buch, Deutsch, Band 22, 326 Seiten, Format (B × H): 141 mm x 218 mm, Gewicht: 440 g

Reihe: Schriften des Zentrums für Sozialpolitik, Bremen

ISBN: 978-3-593-39118-2
Verlag: Campus Verlag GmbH


Patrick Sachweh fragt, wie soziale Ungleichheit von Menschen in privilegierten und benachteiligten Lagen wahrgenommen und gerechtfertigt wird. Welche Deutungsmuster liegen der Interpretation und der Verarbeitung eigener Ungleichheitserfahrungen zugrunde? Seine Interviews zeigen, dass Ungleichheit oft als unvermeidbar wahrgenommen wird und dass sich über Klassengrenzen hinweg die Deutungsmuster ähneln.
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Inhalt

Vorwort 9

1 Einleitung: Die Wahrnehmung und Legitimation sozialer Ungleichheit als Problem und Forschungsgegenstand 11

2 Soziale Ungleichheit und Ungleichheitslegitimation 16
2.1 Ungleichheit und Ungleichheitslegitimation in Deutschland 16
2.2 Soziale Ungleichheit: Dimensionen und Strukturkategorien 21

3 Soziale Ungleichheit in der gesellschaftlichen Wahrnehmung 31
3.1 Wahrnehmung, Akzeptanz und Legitimation sozialer Ungleichheit im Blick der empirischen Forschung 31
3.2 Erträge und Defizite der bisherigen Forschung 62

4 Kulturelle Deutungsmuster sozialer Ungleichheit 76
4.1 Soziale Deutungsmuster 76
4.2 Kulturelle Deutungsmuster sozialer Ungleichheit und Ungleichheitslegitimation 89
4.3 Zur sozialstrukturellen Differenzierung von Deutungsmustern 100

5 Anlage der empirischen Untersuchung 111
5.1 Methodische Vorgehensweise: Das diskursive Interview 111
5.2 Stichprobe und Datenbasis 119
5.3 Auswertung 125
5.4 Reichweite und Grenzen der empirischen Daten 130

6 Eine ungleiche Welt? - Erscheinungsformen sozialer Ungleichheit 131
6.1 Ungleichheit wovon? Dimensionen sozialer Ungleichheit in der sozialen Wahrnehmung 131
6.2 Ungleichheit zwischen wem? Wahrgenommene Ungleichheitsstrukturen 150
6.3 Zusammenfassung: Die "Topologie" sozialer Ungleichheit in Deutschland 160

7 "Leute wie wir…" - Symbolische Grenzziehungen und kollektive Identifikation 163
7.1 Symbolische Grenzziehungen und alltagsweltliche Abgrenzungsmuster 163
7.2 "Leute, die es nach oben geschafft haben, da hab' ich sehr viel Respekt…" - Sozioökonomische Grenzziehungen 166
7.3 "Das wäre das Entscheidende, was man ausgibt, Theater, Konzerte, nicht unbedingt die BILD-Zeitung kauft…" - Kulturelle Grenzziehungen 174
7.4 "Denen geht's eben gut, aber die nehmen ja eigentlich auch nicht wahr, dass es anderen Leuten schlechter geht…" - Moralische Grenzziehungen 180
7.5 Zusammenfassung: Symbolische Grenzziehungen, kollektive Identifikation und die Strukturierung sozialer Ungleichheit 192

8 Unvermeidliche Ungleichheiten? - Gründe und Ursachen sozialer Ungleichheit 197
8.1 Konkurrierende Deutungsmuster von Ungleichheitsursachen 197
8.2 "Natürlich ist das nicht gerecht, das ist tierisch ungerecht. Aber es ist ganz einfach so" - Deutungsmuster der Unvermeidbarkeit sozialer Ungleichheit 199
8.3 "Ich denke, es wird einem ein bisschen mit in die Wiege gelegt…" - Deutungsmuster der Herkunftsbedingtheit
sozialer Ungleichheit 212
8.4 "Also so viel Arbeit ist einfach auch nicht da" - Deutungs muster der Systembedingtheit sozialer Ungleichheit 225
8.5 Zusammenfassung: Alltagsweltliche Erklärungsmustersozialer Ungleichheit 230

9 Jenseits von Gerechtigkeit? - Rechtfertigung und Legitimation sozialer Ungleichheit 232
9.1 Gerechtigkeitssemantiken und Ungleichheitslegitimation 232
9.2Alternative Formen der Ungleichheitslegitimation 260
9.3 Zusammenfassung: Gerechtigkeit und Ungleichheitslegitimation 269

10 Konklusion und Ausblick 271
10.1 Deutungsmuster sozialer Ungleichheit - Eine qualitative Rekonstruktion 271
10.2 Deutungsmuster und Ungleichheitstheorie 285
10.3 Offene Fragen und Forschungsdesiderate 293

Verzeichnis der Tabellen und Abbildungen 296
Literatur 297
Anhang 323


2 Soziale Ungleichheit und Ungleichheitslegitimation

2.1 Ungleichheit und Ungleichheitslegitimation in Deutschland

Soziale Ungleichheit gehört zu den universellen Strukturmerkmalen moderner Gesellschaften (Grusky 2001). Gleichwohl befinden sich auch Ungleichheitsverhältnisse im Wandel. Nach einer langen Phase zunehmender Egalisierung, die mit dem Aufstieg des Gleichheitsideals im Zuge der Aufklärung ihren Ausgang nahm (Dahrendorf 1974; Eder 1990) und durch das Aufkommen sozialreformerischer Bewegungen und den Ausbau des modernen Wohlfahrtsstaates befestigt wurde (Marshall, T. H. 1950; Flora u.a. 1977; Korpi 1983), scheinen die jüngeren Entwicklungen wieder auf ein "Mehr" an Ungleichheit hinzuweisen. Am deutlichsten ist diese Trendumkehr wohl an der Entwicklung der Einkommensungleichheit abzulesen. Hier ist nach einer längeren Periode abnehmender Ungleichheit von einer großen Kehrtwende - dem "Great U-Turn" (Harrison/Bluestone 1988; Alderson/Nielsen 2002) - gesprochen worden. Alle jüngeren Studien kommen übereinstimmend zu dem Ergebnis, dass die Einkommensungleichheit zumindest in den westlichen OECD-Gesellschaften seit Mitte der achtziger beziehungsweise dem Beginn der neunziger Jahre angestiegen ist (Gustafsson/Johansson 1999; Alderson/Nielsen 2002; Alderson u.a. 2005; Beckfield 2006; Nollmann 2006; OECD 2008). Auch für Deutschland ist ein entsprechender Anstieg von Einkommensungleichheit und Armut seit dem Beginn der neunziger Jahre zu verzeichnen (Noll/Weick 2005; Andreß/Kronauer 2006; Grabka/Frick 2008). Wie Abbildung 1 illustriert, ist der Trend steigender Einkommensungleichheit auch nach den sozialstaatlichen Eingriffen in die Einkommensverteilung - sichtbar in der Differenz zwischen Markteinkommen und Nettoeinkommen - klar erkennbar. Wenngleich das Ausmaß der Einkommensungleichheit durch das Steuer- und Transfersystem deutlich abgemildert wird, ist der Anstieg der Einkommensungleichheit spätestens seit Beginn des Jahres 2000 auch in den sozialstaatlich korrigierten Nettoeinkommen sichtbar.
Aus einer ökonomischen Perspektive würde man auf der Basis eines rationalen Akteurmodells erwarten, dass unter diesen Umständen von Seiten der Bürger Forderungen nach stärkerer Umverteilung und ungleichheitsmildernden Maßnahmen lauter werden. Aufgrund der Rechtsschiefe der Einkommensverteilung entwickeln sich bei steigender Ungleichheit Median- und Durchschnittseinkommen weiter auseinander, weshalb die Mehrheit der Bevölkerung von umverteilenden Maßnahmen des Staates profitieren würde (Romer 1975; Meltzer/Richard 1981). Empirisch zeigen verfügbare Umfragedaten allerdings keinen Anstieg der Forderungen nach größerer Umverteilung als Folge wachsender Einkommensungleichheiten in verschiedenen OECD-Ländern (Kenworthy/McCall 2008). Auch Deutschland bildet hier keine Ausnahme. Der deutsche Fall ist in dieser Hinsicht sogar besonders interessant, da die Mitglieder der deutschen Bevölkerung als "markedly inaccurate in their perceptions of trends in inequality" (ebd.: 47) charakterisiert wurden: Während die realen Einkommensungleichheiten seit den neunziger Jahren kontinuierlich anstiegen, schrumpfte im selben Zeitraum der Anteil derer, die in Umfragen der Ansicht zustimmten, dass die Einkommensunterschiede in Deutschland zu groß seien. Dementsprechend kam es trotz wachsender Ungleichheit nicht zu einem Anstieg von Forderungen nach größerer Umverteilung durch den Staat, sondern zu einem leichten Rückgang der diesbezüglichen Präferenzen innerhalb der Bevölkerung im Zeitraum zwischen 1985 und 2000 (ebd.: 49).
Darüber hinaus zeichnet sich nicht nur in den sozialpolitischen Präferenzen, sondern auch auf der Ebene allgemeiner normativer Orientierungen in der Bevölkerung keine Hinwendung zu ungleichheitskritischeren Haltungen ab. Auf der Grundlage von Daten des ALLBUS für den Zeitraum von 1984 bis 2004 zeigt sich zumindest für Westdeutschland langfristig sogar eine tendenziell steigende Akzeptanz der Ansicht, dass Einkommensunterschiede ein notwendiger Leistungsanreiz seien (siehe Abbildung 2). In Ostdeutschland befindet sich die Zustimmung zu dieser Auffassung allgemein auf einem niedrigeren Niveau. In einer gesamtdeutschen Perspektive ergibt sich hieraus dennoch eine mehrheitliche Zustimmung zu der Auffassung, dass Einkommensungleichheiten ein notwendiger Leistungsanreiz seien.
Komplementär dazu verringert sich im selben Zeitraum in Westdeutschland auch der Anteil der Befragten, die der Ansicht zustimmen, dass sich das Einkommen des Einzelnen nicht nur nach seiner Leistung, sondern auch nach Bedarfsgesichtspunkten richten sollte (siehe Abbildung 3). Erwartungsgemäß liegt die Zustimmung zu dieser Frage in Ostdeutschland über derjenigen in Westdeutschland, folgt in ihrer zeitlichen Entwicklung aber in Teilen dem westdeutschen Trend. Insbesondere sinkt die Zustimmung zu Bedarfsgesichtspunkten in der Frage der Einkommensverteilung ab dem Jahr 2000 - zu etwa demselben Zeitpunkt also, ab dem auch in den sozialstaatlich korrigierten Nettoeinkommen ein Anstieg der Ungleichheit sichtbar wird.


Patrick Sachweh, Dr. rer. pol., arbeitet am MPI für Gesellschaftsforschung in Köln.


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