Sampsounis / Arnakis / Can | Heimat | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 250 Seiten

Sampsounis / Arnakis / Can Heimat

version alpha - Erzählungen, Geheimnisse und Rezepte

E-Book, Deutsch, 250 Seiten

ISBN: 978-3-95771-091-8
Verlag: Größenwahn Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Was wäre, wenn Sie ihre Augen schließen und versuchen sich ihre Heimat vorzustellen. Was würden Sie sehen? Das Haus ihrer Kindheit? Ihre Familie? Eine Landschaft? Oder erinnern Sie sich vielmehr an ganz bestimmte Gerüche, an Farben, an den Geschmack ihres Lieblingskuchens?
Autorinnen und Autoren, die selbst auf der ganzen Welt verteilt beheimatet sind, erzählen von der eigenen Herkunft und den Traditionen. Von den traumatischen Geschehnisse einer Flucht und von der schmerzhafte Sehnsucht, die einen fern der Heimat überfällt. Von den Gründen, warum ein Mensch überhaupt seine Heimat verlassen soll und auf der Suche nach eine Neue geht. Von den positiven, aber auch von verheerenden Konsequenzen. Und von das krankhafte Heimatverständnis – von den Grenzen in der Landkarten, in den Herzen – die dazu führen böses zu denken, böse zu handeln.
Kommen Sie mit auf die Reise durch das Land des Selbstwertes. Überqueren Sie den Charakter-Fluss, ersteigen Sie die Berge der Denkweise, erkunden Sie das Meer des Weltbildes und fliegen Sie hoch über die Ideologie hinaus. Sehen Sie, schmecken Sie, riechen Sie, durch die ausgewählten Rezepten und entscheiden Sie selbst, was Heimat für Sie persönlich bedeutet oder bedeuten kann.
Willkommen in der Heimat. Version Alpha.
Sampsounis / Arnakis / Can Heimat jetzt bestellen!

Weitere Infos & Material


KOLONIE DER ETIKETTEN
VORWORT
MEINE HEIMAT
EINE FREMDE LANDSCHAFT
MIT EINEM AYRAN-BECHER
AMI-WEIB
MEINE DOLLY
STAMMBAUM
HEIMATADRESSE
PICKNICK AUF DEM HAUPTFRIEDHOF
DER TOD IM SCHLACHTHAUS
DIE WEIHNACHT DES OBDACHLOSEN
SWEET APPLEBEACH SOUTH
VOR DER FLUCHT / NACH DER FLUCHT
BERHINSCHWARZ
DER BLAUE STUHL
DIE INTERVIEWS
ADJA
HEIMWEHÄQUATOR
HAPPY END
DAS HEIMWEH IST ZOLLFREI
ANKUNFT IN TORONTO
DIE GESCHICHTE VON YOANI PEREIRA
KULTURHALBINSEL
DIE DEUTSCHEN ESSEN KEIN BROT
MICH IN PAPIER
DAS AUSLÄNDERFEST
OMA CHRISTINE
AUS DEM MIGRATIONSHINTERGRUND EINER WEINREBE
TYRANNEI DER INTOLERANZ
DER TEPPICH
BLACK-EYED
DIE POL(L)EN FLIEGEN IM FRÜHLING
DAS WEISSE SCHIFF
MEER DER HEIMFINDUNG
DER ERSTE SCHRITT
EIN LEBEN MIT ZWEI PERSONALAUSWEISEN
NO MILK TODAY
IM ZAUBERLAND "ALMANYA"
HEIM@HERZ-BUCHT
WENN DER ZIMT SPRICHT
VERSTREUTE FÄDEN
DAS FLAMENCO-KONZERT
WORTE UND PAROLE
NACHWORTSTADT
DIE GRUNDRECHTE
IRGENDWO / / NIRGENDWO
REZEPTREGISTER
BIOGRAPHISCHE INSELN


Petra Mitchell
Ami-Weib Das Thermometer zeigte über 30 Grad – ein heißer Sommertag im Juni 1947. Im Hinterhof eines Hauses in fränkischem Baustil war meine Mutter damit beschäftigt Wäsche aufzuhängen, als ich mich ankündigte. Meine Großmutter, die gerade ein Betttuch auf dem Waschbrett hin und her walkte, kam ihr schnell zu Hilfe. Mein Großvater holte sein Fahrrad, welches wie durch ein Wunder den Krieg überlebt hatte, aus dem Bretterschuppen und trat in die Pedale. Sein Weg führte ihn zu Friedhofswärter Hiller, der als einziger in der Gegend über ein Telefon verfügte. Wenig später kam das herbeigerufene Taxi, ein schwarzer Mercedes mit dem typischen Dieselgetuckere, den holprigen Weg heruntergefahren und Mama war mit mir unterwegs zum Krankenhaus. »Ach Gott na … a Madla! A nu!«, entfuhr es meinem Großvater im breitesten fränkischen Dialekt. Er meinte mich – stramme 51 cm in Länge, 3500 g auf der Waage. In meiner Geburtsurkunde stand: Geburtsdatum: 4. Juni 1947; Name des Kindes: Petra Anna; Name der Mutter: Helene Weigand, Beruf: Laborantin; Name des Vaters: Peter Fontano (U.S. Soldat – Aufenthalt unbekannt) Vom ersten Tag an war ich ein Problem. Ich war nämlich illegitim – das Kind eines amerikanischen Besatzungssoldaten. In den Augen der Leute ein Bastard des Feindes. Meine Mutter Helene zählte fast 22 Lenze als ich mich ankündigte. Von meinem Vater Peter gab es leider kein Lebenszeichen. Mein erstes Bett war ein Weidenkorb. Mein Großvater hatte aus der Brauerei Bretter von Bierfässern mitgebracht und eine ansehnliche Schaukel gezaubert, auf der der Babykorb montiert war. Bald darauf gesellte sich ein Kinderwagen dazu, der mit Lucky Strike-Zigaretten bezahlt wurde. Der Club-Manager hatte sie spendiert und obwohl mein Großvater eine Heidenangst hatte, damit erwischt zu werden, riskierte er doch einen Besuch auf dem Schwarzmarkt. Schnell hatten die Zigaretten einen Abnehmer gefunden und ich kam in den Genuss einer täglichen Spazierfahrt. Wochentags spielte sich alles in der Küche ab. Dort stand ein großer eiserner Herd auf kunstvoll geschwungenen, gusseisernen Beinen. Er wurde mit Holz oder Briketts beheizt. An der Vorderseite hatte er eine große Klappe, die die Bratröhre verschloss, unmittelbar daneben konnte man ein Türchen öffnen und die Holzscheite oder Briketts hineinschieben. Oben auf der Herdplatte befanden sich runde Öffnungen, die mit Ringen zugedeckt waren. Wenn man die Ringe herausnahm, konnte man das Feuer von oben sehen. Je nachdem welche Topfgröße gerade benutzt wurde, wurden die Ringe dann herausgenommen und der Topf daraufgesetzt. Auf der linken Seite war ein Wasserfass eingelassen, so dass ständig heißes Wasser vorhanden war. Ein dickes Ofenrohr, welches einmal im Jahr mit Bronzefarbe gestrichen wurde, mündete in den Schornstein. Im Küchentisch befand sich unter der Platte eine Ausziehvorrichtung, die zwei Emailleschüsseln zum Vorschein brachte. Hier wurde nach dem Essen der Abwasch erledigt. Das Wasser mussten wir vom Brunnen im Hof holen. Da es keinen Kühlschrank gab, wurden die Lebensmittel in einem Speiseschrank aufbewahrt, der zur Hauswand hin offen und mit einem Fliegengitter versehen war. Vorräte gab es sowieso kaum, da fast alles täglich nach Verfügbarkeit beschafft werden mussten Die Lebensmittel waren rationiert, so wurden einer vierköpfigen Familie wöchentlich Essensmarken für z.B. 250 Gramm Butter und 500 Gramm Rindfleisch zugeteilt. Ich war gerade ein Jahr alt und bereits kräftig auf den Beinen, als ich das erste Mal unangenehm auffiel. Es war Sonntag, der Tag an dem im Wohnzimmer am großen Tisch gegessen wurde. An diesem Sonntag hatte Großmutter Rindfleischsuppe mit Nudeln auf dem Speiseplan. Den Nudelteig hatte sie tags zuvor bereits zubereitet und über Nacht wie auf der Wäscheleine zum Trocknen aufgehängt. Jetzt wurde er nur noch mit einem Metallrädchen in feine Streifen geschnitten. Während Großmutter mit den Nudeln beschäftigt war, entschloss ich mich, meinen Teil zum sonntäglichen Ritual beizutragen und schaffte es, die Tür zum Speiseschrank zu öffnen. Mein Hund Putzi fand dies ebenfalls aufregend, waren es doch ganz spannende Gerüche, die ihn in den siebten Hundehimmel hoben. Ich muss mich dann entschlossen haben, das bisschen Fleisch Putzi anzubieten und somit gab es an diesem Sonntag »blinde«, also fleischlose Suppe. Zu allem Unglück stellte Mama ein paar Tage später fest, dass ich wahrscheinlich das rohe Fleisch fair zwischen Putzi und mir geteilt hatte, da unser Hausarzt eine Mundfäule diagnostizierte. Mein Großvater hatte die Geduld eines Engels. Nichts war vor mir sicher, aber egal was ich anstellte, Opa brachte es in Ordnung. Schon sehr früh machte er meine Mutter darauf aufmerksam, dass ich wohl besser ein Junge geworden wäre. Er tat auch das Seine dazu, denn jeden Sonntagvormittag setzte er mich in meinen Lucky Strike-Kinderwagen, der inzwischen zum Sportsitzer umfunktioniert worden war, und wir gingen zusammen zum Fußballplatz. Als ich vier Jahre alt war und kräftig mit Großvaters langen Schritten mithalten konnte, erlebte ich sehr spannende Spaziergänge, denn der Weg zum Sportplatz führte uns unmittelbar an der amerikanischen Kaserne vorbei. Opa wettete mit mir, dass er mehr Zigarettenstummel finden würde als ich. Das regte natürlich meinen Ehrgeiz an. Ich rannte an dem mit Stacheldraht gekrönten Zaun entlang und sammelte eifrig jeden Stummel auf. Die Wachposten, die am Zaun entlang patrouillierten, flippten ihre Zigaretten durch den Maschendraht auf den Schotterweg. Komisch, Großvater fand nie welche und ich freute mich immer über meine Beute. Am Nachmittag beobachtete ich, wie er genüsslich den Tabak in eine kleine Blechdose kratzte, neue Zigarettenpapierchen herausholte und mit geschickten Fingern eine Zigarette nach der anderen drehte. Das Dumme war nur – ich konnte mich von diesem Hobby nicht mehr trennen – es sollte viele Jahre dauern, bis ich mich beherrschen konnte, keine Zigarettenkippen mehr vom Straßenrand aufzuheben. Mein Lieblingsspiel war »Kutscher auf dem Wagen«. Dazu befestigte ich an den kunstvoll gedrechselten Esszimmerstühlen an beiden Seiten ein Seil als Zügel, hievte ein Kissen auf den Tisch, der als Kutschbock diente und mit den Füßen auf das Sitzpolster gestemmt, trieb ich mit einem lauten »Hüh« meine Pferde an. Wenn die Pferde aber nicht so richtig laufen wollten, trieb ich sie noch lauter an, ließ die Zügel klatschen und hüpfte auf dem Kutschbock auf und ab. Mein Großvater war zu dieser Zeit schon sehr krank, denn seine Kriegsverletzung schwächte ihn mehr und mehr. Seine Warnungen, meine Lautstärke zu mindern, waren wohl in meinem Geschwindigkeitsrausch untergegangen, denn erst als er von seinem Krankenbett aufsprang, wurde mir bewusst, dass Ärger im Anmarsch war. Ich ließ die Zügel los, hüpfte von meinem Kutschbock, der Stuhl krachte auf die Holzdielen und ich rannte in Panik aus dem Haus. So hatte ich meinen Großvater noch nie erlebt. Deshalb brachte ich auch noch einen gewissen Sicherheitsabstand zwischen uns, so dass ich im Kartoffelacker landete. Ich hetzte über die Kartoffelpflanzen, von einer Furche zur anderen, bis ich plötzlich ein komisches Gefühl an den Füßen verspürte. Angst packte mich, als ich feststellte, dass nur noch ein Fuß beschuht war. Meine neuen Sandalen, die meine Mutter mühevoll erstanden hatte, waren nur noch ein halbes Paar. Sie rief mir zu, ich solle sofort aus dem Kartoffelacker herauskommen, aber ich stand da wie angewurzelt. Schließlich setzte sie mir nach und es gab kein Entrinnen mehr. Zum Glück tauchte die andere Sandale nach intensivem Suchen wieder auf, so dass ich sie noch lange tragen konnte, denn im nächsten Jahr wurde das Flechtwerk an der Schuhspitze einfach abgeschnitten, was meine Zehen nach vorne rutschten ließ, und somit waren die Schuhe noch einen Sommer lang gut. Irgendwann fiel mir auf, dass bei uns etwas anders war als bei anderen Familien. Zum einen wunderte ich mich oft darüber, dass mich Leute sehr intensiv betrachteten oder im Metzgerladen getuschelt wurde, wenn mich meine Mutter zum Einkaufen schickte. Im Sommer gab es immer etliche Feste und als beim Feuerwehrfest Sackhüpfen auf dem Programm stand, da war ich etwas ratlos, denn plötzlich wurde mir bewusst, dass ich keinen Vater hatte, der mit mir Sackhüpfen konnte. Ich beschloss, der Sache auf den Grund zu gehen. Als meine Mutter am Abend an mein Bett kam, um mir gute Nacht zu sagen und mir meine Lieblingsgeschichte »Die Häschenschule« vorlas, fragte ich sie einfach: »Warum habe ich keinen Vater, der mit mir Sackhüpfen kann?« Mama argumentierte ich hätte doch meinen Großvater, aber ich war mit dieser Antwort nicht zufrieden, denn ich hatte festgestellt, dass Väter jünger waren als Opas und mein Großvater an dem Tag nicht einmal zum Feuerwehrfest hatte kommen können, weil es ihm sehr schlecht ging. Bestimmt,...


Sevastos P. Sampsounis geboren 1966 in Darmstadt, in einer griechischen Gastarbeiterfamilie aus Thrakien, reiste als ›Kofferkind‹ zwischen Deutschland und Griechenland. Heute lebt er in Frankfurt, ist Mitbetreiber des Cafe-Größenwahn und Inhaber des Größenwahn-Verlags Frankfurt am Main. Er ist Illustrator für Kinderbücher. Veröffentlichungen: Die Eroberungs-Messe Gedichte (Vlg. Ploigos/Athen, 1995); Die gefährliche Angewohnheit des Fühlens Roman (Vlg. B. Kyria-kidis/ Athen 2005); Illustrationen für Astropalamidas Märchen, der Schriftstellerin Eleni Delidimitriou-Tsakmaki (Vlg. Dromon/Athen 2009).

Beim Größenwahn Verlag Frankfurt am Main ist seine Kurzgeschichte HIER KOMMST DU NICHT DURCH, MARIA in der Anthologie Bewegt erschienen. Sevastos P. Sampsounis schildert die Stationen einer Gastarbeiter-Frau, die sich durch drei Generationen erstrecken mit allen Nachwirkungen und Problematik der Emigration.


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